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Die Bank von England hat Österreich mit einem Kredit von 150 Millionen Schilling unter die Arme gegriffen. Nicht aus Gründen der Menschenliebe, sondern um Interessen der City zu wahren, die durch den Zusammenbruch der Credit-Anstalt gefährdet waren. Während die österreichischen und französischen Vertreter noch hin und her verhandelten, und die französischen Politiker, die ihre Herkunft aus dem Notariat nicht verleugnen können, an einem umständlichen Kontrakt laborierten, hat der englische Außenminister die Sache mit einem Federzug erledigt. Mit viel improvisatorischem Geschick hat England wieder seine Chance ausgenutzt. Liegt eine besondere Großmut darin, daß es auf genau stipulierte Bedingungen verzichtete? Die Engländer schätzen das Schriftliche in Politik und Geschäft nicht hoch ein; es gibt nicht einmal eine geschriebene englische Verfassung. Aber wem England Kredit gewährt, der weiß auch, daß er sich in Zukunft nach seinem Geldgeber zu richten hat. Das ist ganz selbstverständlich, dazu werden keine unterschriebenen Bedingungen gebraucht. Das weiß auch Österreich.
Nur die reichsdeutsche Presse, die kurz nach dem genfer Schrecken die dicken Eichenbohlen vor dem Kopf durch noch dickere ersetzt hat, weiß es nicht. Sie behauptet allen Ernstes, England alimentiere damit das fernere Festhalten an der Zollunion. In Genf hat die englische Politik Herrn Curtius fallen lassen – und jetzt sollte England sein gutes Geld für die Fortführung dieser von der ganzen Welt abgelehnten Dummheit hergeben? Es wäre doch besser gewesen, wenn die Engländer diesmal einen schriftlichen Kontrakt gemacht hätten, dann gäbe es keinen irreführenden Zweifel darüber. So aber können unsre sogenannten außenpolitischen Aktivisten die Legende weiterverbreiten, das Foreign Office prämiiere das Festhalten an der Anschlußidee, während die Sadisten am Quai d'Orsay wieder einen ihrer teuflischen Tributpakte und Österreichs völlige Unterwerfung verlangt hätten.
Mussolini wünscht in Budapest, und möglichst auch in Wien, einen habsburgischen Zaunkönig von Italiens Gnaden. Auch in Frankreich haben infolge des Anschlußrummels die Anhänger der habsburgischen Restauration Boden gewonnen, und nicht nur unter katholischen Royalisten. Schon einmal, im Herbst 1929, als die Heimwehren losmarschieren wollten, schaffte ein Machtwort Mac-Donalds Ruhe. Daß Ignaz Seipel jetzt wieder von dunklen Kräften emporgehoben wird, beweist aufs deutlichste, daß sich die schwarzgelbe Reaktion noch nicht geduckt fühlt.
Aber was ist der österreichische Staat mehr als eine chronische Geldverlegenheit, um die sich Menschen verschiedener Bekenntnisse und Parteifarben darbend und hoffend gruppiert haben? Und was sind schon 150 Millionen Schilling? Bald wird eine neue Sanierung fällig sein, und wer dann zuerst da ist, der steckt das arme Österreich, mit oder ohne König, in die Westentasche.
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Die deutsche Regierungskrise ist inzwischen wieder abgeschwollen. Erst im Herbst wollen die Beteiligten sich wieder auf dem Streitroß sehen. Bei den Berufspolitikern mag der Wunsch nach Sommerruhe dabei ausschlaggebend sein, aber der Wirrwarr, den sie angerichtet haben, hat schon seine eignen Gesetze. Noch ist nicht bekannt, was der Kanzler mit Herrn Dingeldey verabredet hat und ob sein Bedränger nicht doch darauf bestehen wird, ein paar Minister über die Klinge springen zu lassen. Da Mitte Juli ausländische Staatsmänner wie MacDonald und Henderson und der Amerikaner Stimson nach Berlin kommen werden, so läßt sich mit einiger Sicherheit darauf rechnen, daß Hugenberg und Schacht für diesen Zeitpunkt ein paar besonders duftende Skandalraketen in Bereitschaft halten. Die fremden Herren sollen doch mal unsre hochentwickelte Katastrophentechnik in der Nähe betrachten. Da können sie was lernen.
Offiziell wird gesagt, daß des innern Haders jetzt genug sei und die Außenpolitik dafür das Wort habe. So etwa begründete auch die Sozialdemokratie ihre Anstrengungen zur Rettung Brünings. Mit dieser Rettung ist es eine eigne Sache. Die Sozialdemokratie nimmt sich dabei aus wie ein friedlicher Spaziergänger, der einen ellenlangen Alligator im Wasser sieht und sich nun bemüht, das arme Tier an Land zu bringen, damit es nicht ersäuft. Jedenfalls hat der Kanzler seine Rettung nicht leicht gemacht; er hat gekratzt und gebissen, und seine Wohltäter sehen übel aus. Brüning braucht die Sozialdemokratie nicht mehr, und als sich ihre Gefälligkeit endlich nicht mehr umgehen ließ, da kompromittierte er sie noch nach Leibeskräften. Er wollte schon diesmal reinen Tisch machen; er möchte nicht länger von armen Teufeln toleriert werden, die heute schon selbst politische Toleranz nötig haben und morgen von den simpelsten Mitleidsgefühlen ihrer Landsleute leben werden. Wer fürchtet heute noch die Partei, wer kümmert sich überhaupt noch um sie? Ein überzeugter Sozialdemokrat muß es als brennende Schande empfinden, wenn ein Scharfmacherblatt, wie die ›Deutsche Allgemeine Zeitung‹, seiner Partei gutmütig zuredet, es wäre doch besser für sie, in die Opposition zu gehen, in die sie von rechtswegen gehöre, anstatt sich unnütz zu zerreiben. Der Labourlord Breitscheid hat das Zerstörungswerk des Parteitags von Leipzig vollendet.
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Der völlige Zusammenbruch des Bürgertums und die schwere innere Erschütterung der Sozialdemokratie machen die Grenzen aller Parteien fließend. Wenn in der Politik die Rechte oft nicht weiß, was die Linke tut, so weiß heute keine Seite mehr richtig, ob sie nun rechts ist oder links.
Auch die Kommunistische Partei wächst gewaltig, und dieser Massenzustrom stellt sie vor Aufgaben, die sie zu einer gewissen Lockerung ihrer Dogmatik zwingt. Man betont in der Agitation den engen parteigebundenen Charakter nicht mehr so stark und hat zur Anlockung der fascistischen Horchposten das nicht ganz wetterfeste Schlagwort »Volksrevolution« geschaffen, das mehr im Geiste Otto Straßers als dem Lenins empfangen zu sein scheint. So arbeiten jetzt auch die Unerbittlichen mit ideologischem Kleister und gewöhnen sich an, statt Klasse Volk zu sagen. Anno domini 1916 stellte der Wütendste aller Sozialpatrioten, der einstige Linksradikale und Luxemburgschüler Paul Lensch die machtvolle These auf, was der deutsche Generalstab betreibe, das sei schon die Weltrevolution und müsse deshalb von den Sozialisten unterstützt werden. Diese kleine Reminiscenz sei den Verkündern der Volksrevolution ehrfurchtsvoll gewidmet.
Als wirkungsvollstes Propagandastück stellt die KPD. den frühern Reichswehrleutnant Richard Scheringer heraus, der im Prozeß der ulmer Offiziere noch als strammer Hitlermann auftrat. Die Beziehungen der Kommunisten zu Feldgrau sind etwas pulvergeschwärzt, und deshalb kommen die Beteuerungen, die KPD. wäre die eigentliche nationale Partei und habe auch ein Herz fürs Militär, noch etwas beklommen heraus. Vielen der ältern Anhänger wird es auch nicht so leicht fallen, an Stelle der Internationale künftig zu singen: Der Soldate, der Soldate – das ist der schönste Mann im Zukunftsstaate ... In der ›Linkskurve‹ nimmt der junge Held nun selbst das Wort, um sich in der knappen Sprache des Exerzierreglements zu den brennendsten Jahrhundertfragen erledigend zu äußern. Am interessantesten daran ist der autobiographische Teil. Herr Scheringer hat als Saboteur im Rheinland angefangen und kam dann via Schwarze Reichswehr nach Küstrin, allwo er von den republikanischen Streitkräften gefangen genommen wurde. Und nun kommt ein unbezahlbares Humoristikum, denn Herr Scheringer schreibt: »Wieder ging es ins Gefängnis. Von dort entlassen, entschloß ich mich, zur Reichswehr zu gehen.« Vor ein paar Monaten noch hätte die kommunistische Presse mit bestem Recht gerufen: Und so was kommt in die Reichswehr! Heute kann sie das nicht mehr, denn sowas kommt in die KPD. und stellt dort die Verhaltungsmaßregeln der proletarischen Revolution – Verzeihung! – der Volksrevolution auf. Es liegt mir ganz fern, Herrn Scheringer zu bespötteln, der das Produkt einer konfusen Zeit ist und der mir mit seinem galoppierenden Programmwechsel noch immer besser gefällt als manche der jungen Sozialdemokraten, die in der Hoffnung auf die republikanische Energie ihrer Führer mit isabellenfarbenen Hemden herumlaufen. Die KPD. kann jedoch nicht den gleichen mildernden Umstand wie Herr Scheringer für sich beanspruchen. Eine Partei, die sich nur als Produkt fühlt, wird niemals Ursache werden.
Nach Herrn Scheringer ist der nächste Schritt: »die Volksrevolution in Deutschland, die Zerreißung der Tributverträge und der revolutionäre Krieg gegen die wahrscheinliche Intervention der kapitalistischen Westmächte.« Das ist ein etwas langer Schritt, und außerdem ist das falsch, falsch und nochmals falsch! Wir bezahlen keine Tribute, Herr Leutnant, sondern Entschädigungen für einen Krieg, den die Unfähigkeit unsrer Staatsmänner entfesseln und verlieren half. Was Sie Tribute nennen, das verschwindet rechnungsmäßig neben unsrer innern Last. Wer diese beiden Dinge mit einander vermanscht, wer Europa mit Krieg überziehen will, um Deutschland von den Reparationen zu befreien, der mag sich tausendmal als national gerichteter Kommunist fühlen, er bleibt doch nur ein ganz gewöhnlicher Nationalist, der Hörige einer Ideologie, die aus dem Zentrum bürgerlich-kapitalistischen Denkens kommt. Übrigens hat seit zehn Jahren in der KPD. immer die These der russischen Revolution als Doktrin gegolten, den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg zu verwandeln. Wo bleibt diese These in Scheringers Auslegung? Die Volksrevolution, also der Bürgerkrieg, soll verwandelt werden. Aber in was? In den nationalistischen Krieg, in den Revanchekrieg Hugenbergs und Hitlers? Wenn die Führung der KPD. so weitermacht, dann wird der Augenblick bald erreicht sein, wo sie einen frisch gecharterten Marineoffizier vorführt, der die Parteiversammlungen mit dem Schlachtruf belebt: Gebt uns unsre Kolonien wieder!
Von kommunistischer Seite wird mir natürlich entgegengehalten werden, daß eine große Partei Machtpolitik treiben muß und sich nicht bei pazifistischen Kinkerlitzchen aufhalten kann. Zugegeben. Jede revolutionäre Partei hat bisher versucht, mit Militärs in Verbindung zu kommen, die ein paar tausend Bajonette repräsentieren. Aber Herr Scheringer repräsentiert nichts als einen triefenden Füllfederhalter, und die Macht, die er der Partei zuführt, ist nur die der nationalistischen Stammtischphrasen. Die KPD. muß sich entscheiden, auf welchen Zuzug sie Wert legt. Will sie die in den Gewerkschaften aller Richtung vertretenen Arbeiter und Angestellten oder will sie krakehlende Studentchen und zeitweilig unbeschäftigte Freikorpsexistenzen? In der deutschen Arbeiterschaft überwiegt ein gefühlsmäßiger, ein tiefverwurzelter Antimilitarismus, der bei jedem Übergriff des Militärs gegen die Republik immer wieder spontan hervorgebrochen ist. Wenn die KPD. sich nationalistisch und militaristisch verkleidet, und sei es auch nur aus Opportunität, so tut sie damit der Partei der Panzerkreuzerbewilliger den größten Gefallen. Daß wir den nationalen Befreiungskrieg brauchen, werden ihr nur neugebackene Sozialisten abnehmen, die statt von Marx und Engels von Seeckt und Geßler herkommen. Herr Scheringer mag groß herausgestellt werden, wenn er sich in proletarischer Kampfesdisciplin bewährt hat; bis jetzt ist er nur ein verhetzter Bürgersohn, der die Bedeutung des Fahneneides nicht erkannt hat. Von allen heutigen Parteien hat die KPD. die größte Zukunft, aber noch immer eine auch ideologisch gefährdete Gegenwart. Deshalb bietet sie auch dem Fascismus nicht das notwendige Gegengewicht. Die Reaktion wächst von Tag zu Tag, und dabei sehen wir die beiden Arbeiterparteien jede auf ihre Weise verrannt; die eine blickt wie fasciniert auf den spitznasigen Jesuiten Brüning, die andre führt Freudentänze auf um einen geschaßten Leutnant.
Die Weltbühne, 23. Juni 1931