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Der erste Gang hat mit dem Sieg Hindenburgs geendet. Die Sozialdemokratie hat dem alten Marschall einen gewaltigen Vorsprung gesichert. Duesterberg und Hugenberg, die sich zwischen den Fronten einen kleinen Sonderprofit sichern wollten, kehren als gueules cassées aus der Wahlschlacht zurück. In Preußen hat Otto Braun soeben mit einem kräftigen Trompetenstoß den Wahlkampf eingeleitet. Die Preußenwahl, das ist der dritte Gang, der wichtigste, in dem Duell zwischen Republik und Fascismus. Aber Gang zwei am 10. April wird auch für das Ringen um Preußen entscheidend werden.
Wir haben hier vor einer Woche am Ende der Wahlnacht die Frage aufgeworfen: Wer hat gesiegt? Darauf hat es inzwischen noch keine Antwort gegeben. Die Hindenburger feiern und haben keine Lust, sich von Skeptikern den Ausblick in eine wolkenlose Zukunft vermiesen zu lassen. Und am lautesten jubilieren wieder die Etappenschweine der politischen Linken, die sich seit September Dreißig still verhielten und sich in ihren freundlichen Winterquartieren schon eine neue Fahne nähen ließen, um sie beim Herannahen der fascistischen Truppen aufzuziehen. Heute tun sie so, als hätten sie alles allein gemacht. Es ist gewiß hart, diesen vielen glücklichen Menschen jetzt eine Denkaufgabe zumuten zu müssen, aber wir kommen nicht drum herum. Die verschiedenen Teilnehmer des Hindenburgblocks müssen jetzt endlich erklären, was sie eigentlich wollen.
In der Tat, gesiegt hat keine politische These, kein Programm. Gesiegt hat nur ein sehr berühmter alter Mann. Gesiegt hat Hindenburg, ein Stück Legende, ein heroischer Rahmen, in den ein jeder nach Belieben ein buntes Geflecht von Illusionen spannen kann. Gesiegt hat ein historischer Name, der, realpolitisch betrachtet, jedoch nur ein Zero darstellt, vor das erst eine konkrete Größe zu setzen ist. Wer diese Zahl setzen darf, der wird am Ende der wirkliche Sieger sein.
Was werden soll, ist am 13. März nicht entschieden worden. Nur eine Ablehnung ist, wenn auch mit erschütternder Stärke, zum Ausdruck gekommen. Abgelehnt worden ist der fascistische Cäsaropapismus, die Vereinigung von aller Macht über Geister und Leiber in der Hand eines »Führers«. Darüber herrscht Übereinstimmung, sonst findet man in Hindenburgs Mehrheit bei bestem Bemühen kein weiteres einheitliches Motiv. Die Sozialdemokraten haben für Hindenburg gestimmt, weil die Partei es so befahl. Die Mehrzahl der bürgerlichen Indifferenten, weil sie in Hitler nur einen Unruhefaktor sehen und ihnen wohl auch die Form der von den Fascisten geführten Agitation unappetitlich erschien. Die politisch Interessierten von rechts dagegen hätten viel lieber ein Bündnis Hindenburg-Hitler gewünscht als die beiden in Front gegeneinander. Es läßt sich nicht annähernd schätzen, wie viele solcher Hindenburgwähler darauf brennen, am 24. April mit ihrem Stimmzettel die »rote Wirtschaft« in Preußen zu beseitigen.
Das Fazit: nach dem 10. April gibt es keinen Hindenburgblock mehr, und wenn die Sozialdemokraten, die neben dem Zentrum zwischen lauter zersplitterten und versinkenden Mittelparteien die kompakte Masse darstellen, ihren Anteil am Triumph fordern sollten, dann wird ihnen kalt bedeutet werden, daß sie, indem sie Hindenburg wählten, nur ihre verdammte vaterländische Pflicht und Schuldigkeit getan hätten. Dann wird weiter notverordnet werden, dann kann der Sturm auf die Sozialpolitik, auf die Arbeitslosenversicherung von neuem losgehen. Die Sozialdemokratie aber wird das Nachsehen haben, weil sie über kein einziges Druckmittel mehr verfügt, weil sie mit ihrer Entscheidung nicht nur Hindenburg sondern auch Brüning und Groener neu bestätigt hat.
Der ›Vorwärts‹ schweigt sich über diese unangenehmen Aspekte einstweilen aus. Dafür finden aber einige jener bürgerlichen Republikaner, die sich ganz besonders für die Kandidatur Hindenburg eingesetzt haben, die Sprache der Politik langsam wieder. Das ist gewiß löblich, aber es wäre mit größerm Nutzen vor dem 13. März geschehen. Nach neune is alles aus. Nach der Wahl kann man keine Forderungen mehr anmelden. Es gibt in der Politik nichts überflüssigeres als den Wähler, der eben seinen Zettel in die Urne geworfen hat.
Daß ein so kluger Mann wie Georg Bernhard das nicht weiß! Er bemerkt im ›8 Uhr Abend-Blatt‹ mit Recht, daß jene agrarischen und industriellen Schichten, die von der Regierung Brüning auf Kosten des gesamten Volkes gepäppelt worden sind, sich zu Hitler und Duesterberg geschlagen haben, während die Leute von links die Republik höher stellten als das Eigeninteresse. »Will die Regierung der Republik«, so fragt Bernhard, »nun nicht endlich die Konsequenz aus diesem offenbaren Ergebnis der Präsidentenwahl ziehen?« Da muß man mit dem Dichter sagen: »Der Rabe krächzt: Es ist zu spät!«
Lieber Herr Bernhard, Sie haben uns neulich hart gerüffelt wegen unsrer Parole für Thälmann. Und doch war das die einzige Möglichkeit, um herauszukommen aus dem fatalen Wechselspiel von intellektuellem Opfer und Enttäuschung, das sich republikanische Politik nennt. Wir haben die Situation vorausgesehen, wo die sozialistischen und republikanischen Hindenburgwähler mit leeren Händen dastehen würden. Wir haben uns rechtzeitig und freiwillig ausgekreist, denn wir hatten von vornherein keine Neigung, die Schar der Leidtragenden bei dem Begräbnis der Illusionen zu vergrößern. Herr von Hindenburg hat volle Handlungsfreiheit, und ihn kann auch kein Vorwurf treffen. Er hat nichts versprochen, denn die Sozialisten und Republikaner haben ihm kein Versprechen abverlangt. Während Goebbels »Ware für sein Geld« verlangte, war für euch die Kandidatur Hindenburgs eine Sache des Glaubens und Gemütes.
Heute gibt es nichts zu fordern. »Allzulange ist die Politik derer betrieben worden, die, wie sich gezeigt hat, doch Hitler wählen. Jetzt verlangen die Hindenburg-Wähler ihr Recht«, so schreibt Bernhard, und gewiß stimmen dem viele Hunderttausende zu. Einen Dreck wird man euch geben. Gearbeitet habt ihr pour le roi de Prusse, pour le président du Reich. Es kommt auf eins heraus.
Was die republikanischen Hindenburgwähler nach dem 11. April zu erwarten haben, davon gibt eine kleine Kostprobe schon das Verhalten des Herrn Ministers Groener zu dem preußischen Vorgehen gegen die nationalsozialistische Verschwörung. Was Herr Groener unternimmt, wird praktisch zu einem Hilfsdienst für die Bedrängten, mag er gewiß auch nach einer für uns nicht durchschaubaren Theorie seine Handlungsweise höchst korrekt finden.
Als Severing in einem längern Bulletin darlegte, daß für die Nacht vom 13. auf den 14. März der Bürgerkriegsapparat der N.S.D.A.P. schlagbereit war, ließ Hitler sogleich entgegnen, dies alles sei durchaus legal gewesen, denn Stabschef Röhm habe davon ja im Reichsinnenministerium Meldung erstattet. Das war, im Gegensatz zu den meisten andern Verlautbarungen des Osaf, ganz phrasenlos, ganz scharf und dezidiert. Darauf konnte es nur heißen: alles gelogen oder alles wahr! Die Erklärung Groeners ist eine Bestätigung.
Es treffe zu, so wird darin ausgeführt, daß Röhm einige Tage vor der Wahl dem Minister habe melden lassen, er beabsichtige, für den Wahltag die S.A. in ihren Unterkunftsräumen zusammenzuhalten, um allen Zusammenstößen auf der Straße vorzubeugen. Gegen diese Maßnahme habe beim Reichsministerium des Innern kein Bedenken bestanden, vor allem deshalb, weil dadurch die Verantwortung der obersten S.A.-Leitung für alle Vorkommnisse klar festgestellt worden sei. Der ruhige Verlauf des Wahltages habe dieser Auffassung Recht gegeben. Was die in der Presse verbreiteten Nachrichten über Mobilmachung der S.A. und Putschabsichten betreffe, so handle es sich dabei zum Teil um alte bekannte Nachrichten. Soweit es sich um neue Nachrichten handle, würden sie unverzüglich scharf nachgeprüft.
Groener fühlt sich glänzend gerechtfertigt: es ist ja nicht zum Losschlagen gekommen! Das ist aber nicht das Verdienst des Herrn Ministers sondern das der Wähler. Etwa drei Tage vor der Wahl wurde bereits davon gesprochen, Hitler ziehe seine S.A. zusammen, um im Falle des Sieges sofort mit dem Mittel des Staatsstreichs aufs Ganze zu gehen; aber auch bei einem Unterliegen mit außerordentlich hoher Stimmenziffer werde er das Glück durch einen Putsch korrigieren, die kleine Differenz mit dem Boxheimer Messer aus der Welt schaffen. Es ist anders gekommen, Hitler ist beim Wettlauf stark zurückgeblieben, und wenn auch die 30 Prozent, die er gewinnen konnte, schrecklich genug sind, so genügen sie doch nicht, um den Bürgerkrieg aussichtsreich zu eröffnen. Jedenfalls ist es am 13. März offenkundig geworden, daß auch Hitlers Macht Grenzen findet. Er hat etwas, wofür die gesamte kämpferische Potenz seiner Organisation mobilisiert war, nicht erreicht. In diesem Augenblick mußte etwas geschehen, um nach abgeschlagenem Sturm zum Gegenangriff überzugehen. In diesem Augenblick aber geschieht das Abenteuerliche: der Minister der Armee und Polizei, der Chef der gesamten Exekutive des Reichs erklärt die Veröffentlichungen der preußischen Regierung für olle Kamellen und bestätigt, daß die Massierung der S.A. an bestimmten Punkten mit seinem Wissen vorgenommen worden sei.
Es ist nicht einfach, diese Gedankengänge des Ministers zum Schutze unsrer Sicherheit mit den Mitteln der Logik abzuleuchten. Groener behauptet, es hätten keine Bedenken bestanden, »weil dadurch die Verantwortung der obersten S.A.-Leitung für alle Vorkommnisse klar festgestellt worden sei.« Der Herr Minister vergißt, daß die »Vorkommnisse«, die er mit Recht befürchtete, erheblich erleichtert wurden, indem man den Bürgerkriegsgarden die Sammlung gestattete. Und was wäre wohl passiert, wenn, was durchaus möglich sein konnte, in einzelne der S.A.-Kasernen eine falsche Parole gelangt wäre? Dann hätte es Blutvergießen gegeben, und ob der Brand hätte lokalisiert werden können, ob nicht der ausgezeichnete Presseapparat der Rechten sofort einen »roten Aufstand« daraus gemacht hätte, das bleibt eine offene Frage.
Zwei Rechtsputsche hat die Deutsche Republik bisher erlebt. Im März 1920 marschierte Ehrhardt von Döberitz auf Berlin, Ende September 1923 wollte die Schwarze Reichswehr von Küstrin aus vorstoßen. In beiden Fällen begann die Meuterei unter den Augen von Ministern, die sahen und nicht glauben wollten. Noske hat bis zuletzt auf Lüttwitz und Ehrhardt geschworen, und Geßler mußte seinem vaterländischen Herzen viel Gewalt antun, ehe er endlich in dem berühmten Erlaß vom 1. Oktober seine Schöpfung, die heimliche Armee, in einen »national-bolschewistischen Haufen« verwandelte. Groener hat von dem Mißgeschick seiner Vorgänger nichts gelernt. Nicht sein Verdienst ist es, wenn alles gut gegangen ist.
Es gibt noch immer genug Sozialisten und Demokraten, die in Groener den starken Mann der Republik sehen, wenn sie auch in Einzelheiten mit Kritik nicht zurückhalten. Wir teilen diese Meinung nicht, wir haben oft genug klar herausgesagt, daß wir ihn für einen Gegner halten und daß er deshalb als solcher zu behandeln ist. Ein wie schwerer Gegner Herr Groener ist, das haben grade wir erfahren, und wir tragen allzu deutlich die Spuren einer frühern Auseinandersetzung mit ihm. Aber hier sind klare Verhältnisse, wir stehen Front gegen Front; wir wissen, woran wir sind. Für seine Verbündeten ist Herr Groener viel gefährlicher, denn sie wissen es nicht. Und seinen Verbündeten hat er, seit er im Innenministerium regiert, einen Rippenstoß nach dem andern versetzt.
Von Wohlunterrichteten wird immer wieder versichert, im Reichswehrministerium wirtschafte ein militärisches Banausentum, das, unberührt von den Prinzipien bürgerlicher Politik, in der Privatarmee Hitlers nicht etwa die Bedrohung des republikanischen Staates sieht, sondern eine gut gedrillte Truppe, die für den Fall des Falles schon verwendbar ist. Vielleicht gestatten uns Die in Genf doch einmal eine Aufrüstung, und dann haben wir da gleich diese prächtigen braunen Kerle. Das mag uns schlichte Zivilisten aberwitzig anmuten, dennoch kann man von Offizieren immer wieder solche Meinungen hören. Soll die Deutsche Republik einer unkontrollierbaren Monomanie geopfert werden? Sollen die Militärs sich mit den Feinden der Republik aus falsch verstandenem Ressortinteresse zu rangieren versuchen, während Republikaner entschlossen sind, bis zum letzten zu kämpfen?
Natürlich wird auch in der Bendler-Straße nicht der hundertprozentige Fascismus gewünscht, das müßte ja das Ende für eine Reihe glanzvoll begonnener Karrieren bedeuten. Aber sein militärisches Exterieur sticht in die kundigen Generalsaugen, man möchte ihn einordnen, ihn verwenden – den Preis des Paktes mag die Republik bezahlen. Es ist kein Zufall, daß es grade Herren aus dem Wehrministerium waren, die Anstrengungen machten, Hitler mit Brüning zu versöhnen. Und es ist ebenso wenig ein Zufall, daß sich jetzt der Reichswehrminister persönlich bemüht, Hitlers Schlappe nicht in eine Katastrophe ausarten zu lassen. Herrn Groener, der ein so ungewöhnlich entwickeltes Gefühl für die äußere Sicherheit des Staates besitzt und der jeden harmlosen Zeitungsartikel mit dem Schleppsäbel verfolgt, fehlt der Sinn für die innere Sicherheit des Staates. Mag man ihm subjektiv den besten Glauben zubilligen, objektiv trägt sein Verhalten die ewigen Merkmale des Verrats.
»Großmutter« ist nicht gestorben, wie Hitler dachte. Aber solange Groener den Arzt spielt, wird das Befinden der alten Dame weiter zu wünschen übrig lassen.
Die Weltbühne, 22. März 1932