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Benito Ludovico

Emil Ludwig hat ein Buch veröffentlicht, das achtzehn mit Mussolini geführte Gespräche umfaßt. Gespräche über Aktuelles und Vergangenes, über Politik und Geschichte, über Wesen und Moral des handelnden Menschen. Ludwig sieht in Mussolini die heroische Erscheinung im Sinne Nietzsches, den Condottiere von heute. »Ich habe Mussolini als historische Figur empfunden, und da mir vollkommene Freiheit zugesichert war, ihn nicht anders befragt, als ichs mit solchen gewohnt bin. Hier kann ich einen Unterschied zwischen Lebenden und Toten gar nicht empfinden.« Nicht so sehr Mussolinis Politik bewegt den Biographen Bismarcks und Napoleons als vielmehr sein Charakter. »Seit fünfundzwanzig Jahren hatte ich den homo activus umkreist und dramatisch, historisch, psychologisch vorzustellen unternommen. Jetzt saß er mir gegenüber.« Eine unerhört günstige Gelegenheit, in etwa vierhundert Fragen dem Diktator unter die Haut zu dringen. Trotzdem ist das Ergebnis enttäuschend. Durch keine Seite dieses Buches weht geschichtliche Luft, nirgends wird ein neues Kriterium zur Beurteilung Mussolinis bemerkbar. Bewiesen wird nur, daß der Duce ein äußerst belesener Mann ist, wohlbeheimatet in schwierigen, literarischen und philosophischen Diskussionen. Das aber brauchte nicht bewiesen zu werden, das weiß man aus seinen Reden und Schriften.

Vielleicht wäre der Eindruck stärker, wenn Ludwig sich auf die trockenen Stenogramme beschränkt hätte. Aber der Mann wirkte zu stark auf seine Phantasie, und so ließ er sich verleiten, ihm einen dämonischen Hintergrund zu schaffen, der nicht ganz frisch anmutet. Dieser neue »man of destiny« hätte im Sinne Bernard Shaws ganz nüchtern, ganz in seinem Alltag festgehalten werden müssen; hier sprechen aus ihm allzu viel tote Helden und Diktatoren mit. Bald gleicht er dem Colleoni, bald sieht er napoleonisch aus, bald klingt sein Lachen leise und unheimlich. Während Shaw von seinem Cäsar oder den Richtern der heiligen Johanna den Staub der Geschichte abklopft und sie in unsre Gegenwart holt, um zu zeigen, daß sie Menschen waren wie wir, wird bei Emil Ludwig der zeitgenössische Tatbestand Mussolini eine Theaterfigur mit Requisiten des konventionellen Renaissancedramas. Ludwig hat seine Begeisterungsfähigkeit, sein künstlerisches Vermögen, in einer fremden Gestalt aufzugehen, auch seinem Helden mitgeteilt. Das ergibt aber keinen Mussolini sondern ein neues Doppelwesen, das man Benito Ludovico nennen möchte, einen humanisierten Diktator, der seine Flegeljahre als Tyrann hinter sich hat und zum Heile seines Volkes und der Menschheit konstruktiv zu werden beginnt. Das achtzehnte Jahrhundert trug immer das Idealbild des »guten Fürsten« in sich. Der nicht grade verwöhnte geistige Mensch dieser Krisenzeit formt sich nach seinen Wünschen den »guten« Diktator.

Mussolini war in diesen Reden und Gegenreden selbstverständlich wachsamer als Ludwig annimmt. Er hat in höherem Maße Ludwig geführt als dieser ihn. Er hat in den weichen Stoff des ihn bewundernden Interviewers das Bild geprägt, das er von sich wünschte. Mussolini wußte, daß diese zu Ludwig gesprochenen Worte nicht verhallen sondern in Europa und Amerika aufmerksam und kritisch gelesen werden würden. Ludwig scheint wirklich der Meinung zu sein, der Gebieter von zweiundvierzig Millionen bringe ein großes Opfer, sich mit ihm hinzusetzen und platonische Dialoge zu führen. Ludwig unterschätzt sich. Der Duce verkannte die Tatsache nicht, sich hier einem Autor von internationalem Ansehen gegenüber zu befinden, auf den namentlich die angelsächsische Welt viel gibt. Der Meister der Propaganda zauderte nicht. Im Gegensatz zu – sagen wir Herrn von Neurath – weiß er, was ein Schriftsteller bedeutet.

Dabei bleibt Mussolini toujours en vedette. Er verweilt lieber bei Macchiavelli, Nietzsche und Plato als bei der hartkantigen Gegenwart. Wo er sich herbeiläßt, Politik zu berühren und Meinungen abzugeben, ist es bei weitem nicht so ertragreich wie bei Briand, Churchill oder Lloyd George. Der Duce bändigt seine südländische Eloquenz. Wo es ernst wird – also interessant werden könnte – antwortet er knapp und ablenkend. Es ist kein Wunder, daß er über den Fascismus zu sprechen vermeidet. Der Chef der Firma wird nicht leicht das Fabrikationsgeheimnis preisgeben. So bleibt das Thema unberührt, und das ist das wirkliche Manko dieser Dialoge. Was hilft es da, daß beide Gesprächspartner manches Geistreiche über das Mirakel der Persönlichkeit sagen? Das ist ein weites und nirgendwo verpflichtendes Gebiet. Wäre aber von den geschichtlichen Kräften die Rede, die den italienischen Diktator tragen und deren Vollstrecker er ist, dann würde auch die Bildsäule des isolierten Willensmenschen verschwinden, dafür aber ein Politiker vor uns erstehen, der sich aus gesellschaftlichen Bedingungen ergibt und danach beurteilt werden muß. »Deshalb sind diese Gespräche, mögen sie politischer, historischer, moralischer Natur sein, doch immer nur psychologische Gespräche«, sagt Ludwig und trifft damit glatt vorbei. Man kann die Psychologie eines Staatsmanns nur mit seinem Werk hinter ihm ergründen. Zu Mussolini gehört Italien – nicht eine Comparserie, die ihm zujauchzt, wohl aber das wirkliche Italien, das gekettete, in dessen großen Städten das Volk aus Furcht vor Angebern nicht laut zu sprechen wagt. Ludwig brauchte gewiß nicht so zu fragen wie ein Zwangsbewohner der Liparischen Inseln es tun würde, denn er war Gast, aber die Gemeinplätze seines Gesprächspartners über die Vortrefflichkeit der carta del lavoro und des vom Fascismus eingeführten sozialen Systems hätte er nicht ohne Widerrede hinnehmen dürfen. Ihn blendete die schimmernde Aura der Macht, die statuarische Römergeste. Er hatte den Colleoni im Kopfe und leider gar keine politische Ökonomie. So kam nur ein Renaissancebild heraus, aber auch das nur aus dritter Hand, nicht Verrocchio sondern Makart.

Die Weltbühne, 6. September 1932


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