Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1008

Reitende Bettler

In Südamerika gibt es Bettler zu Pferde. Sie reiten auf ihrem dürren Klepper von einer Hazienda zur andern und halten den Caballeros mit großer Gebärde die hohle Hand unter die Nase. Wer gibt, dem danken sie so erhaben, als wäre er der Beschenkte. Wer nicht gibt, dem wünschen sie alle Nattern des Urwaldes an den Hals.

*

Mag der Hoover-Plan auch für die kranke Weltwirtschaft keine Heilung sondern nur eine Morphiumspritze bedeuten, so eröffnet er in der Politik der Vereinigten Staaten doch eine neue Epoche. Denn Amerika hat bisher weder über die Kriegsschulden noch über die Reparationen mit sich reden lassen. Daß Europa blechen muß, schien ein von dem amerikanischen lieben Gott ganz besonders verhängtes Fatum zu sein. An dieser Doktrin ließen die amerikanischen Regierungen nicht rütteln, und die Öffentlichkeit war hinter ihnen. Der bedeutende englische Publizist Wickham Steed schreibt in der ›Prager Presse‹: »Was Präsident Hoover heute vorschlägt, hätte mit größerer Auswirkung vor zehn Jahren geschehen können, wenn Präsident Harding, der Nachfolger des Präsidenten Wilson, kühn und weise genug gewesen wäre, die Ratschläge zu befolgen, die ihm die meisten seiner kompetenten Berater gaben. Er hätte für die Vereinigten Staaten die moralische und politische, ebenso wie die finanzielle Führerschaft der Welt behalten können. Die meisten Krisen, die seither die finanzielle Lage betroffen haben, hätten vermieden werden können und nicht minder der Krach der amerikanischen Prosperität im Oktober 1929, der dann nie eingetreten wäre.«

Amerika ist das zugeströmte Geld nicht gut bekommen, und auch für den deutschen Schuldner mußte etwas geschehen, um seine weitere Zahlungsfähigkeit zu sichern. So warf denn Herbert Hoover mit der großartigen Entschlußfähigkeit amerikanischer Politiker, die im Gegensatze zu ihren europäischen Kollegen ganz undoktrinär sein können, von einem Tag zum andern das Steuer herum und verkündete das Moratorium. Es ist nicht ganz so weltbeglückend, wie es in Europa gemacht wird. Aber es ist doch ein erster Akt von kapitalistischem Solidarismus, anzeigend, daß das Finanzkapital sich auf gewaltige Kämpfe rüstet und deshalb vor neuen, überraschenden Methoden nicht zurückschreckt. Natürlich spielten auch die innenpolitischen Verlegenheiten der Republikanischen Partei Amerikas mit. Denn in ganz kurzer Zeit würde Deutschland selbst das ihm nach dem Young-Plan zustehende Recht auf ein Moratorium geltend gemacht haben, und das wäre drüben als eine große Niederlage des Regimes Hoover gedeutet worden. Man hätte den Präsidenten für das Versagen des Zahlungsplans verantwortlich gemacht. So aber spielte Hoover das Prävenire. Er kam nicht nur Deutschland voraus, er entwarf auch das Zauberbild einer abebbenden Weltkrise, einer neuen Welle von Prosperität.

*

Der Hoover-Plan ist also kein Kind hoher Idealität, wohl aber ein Ergebnis begrüßenswerter Einsicht. Das Unglück ist nur, daß er auch Fragen von erheblichem politischen Gewicht mit sich führt, und daß der amerikanische Wohltäter diese Last einstweilen auf dem dünnen Plafond der deutsch-französischen Beziehungen niedergelegt hat. Die Vereinigten Staaten können gut generös sein. Um ihre Interessen handelt es sich ja zunächst, wenn sie ihren Schuldnern Stundung gewähren. Aber es wird auch von den andern Staaten Großmut gefordert, und hier muß die Antwort naturgemäß anders ausfallen. Der Hauptwiderstand aber muß von Frankreich kommen, dessen Budget zwar ganz gewiß nicht auf den deutschen Zahlungen aufgebaut ist, das aber keine Lust hat, sich seine edelmütigen Wallungen von Amerika vorschreiben zu lassen. Nicht mit Unrecht folgert Frankreich, daß nach dem von Amerika gewünschten Feierjahr, der Young-Plan in seiner alten Gestalt niemals wieder effektiv werden wird. Niemand weiß, wer in einem Jahr in Deutschland regieren wird, so sagt man in Paris, vielleicht Herr Schacht, der schon lange die Einstellung aller Zahlungen fordert. Aber vielleicht, wahrscheinlich, wird auch die jetzige Regierung, falls sie alsdann noch am Leben ist, ähnlich argumentieren oder neue Ausflüchte für neuen Aufschub finden oder gleich eine allgemeine Vertragsrevision verlangen und nur gegen Konzessionen militärischer oder territorialer Art weiterzahlen. Und das Land, das am meisten unter dem Kriege gelitten hat, dessen Norden und Westen unter der Raserei der Materialschlachten in Aschenhaufen zerfallen ist, wird dann um seine Entschädigung geprellt sein. Das ist die Auffassung in Paris.

Die deutsch-französischen Beziehungen haben ihre eigne Tragik. Beide Völker sind mit den übelsten Nationalisten unter Gottes Sonne gesegnet; beide brauchen einen Schiedsrichter, der ihre Interessen zur Angleichung führt, anstatt sie gegeneinander auszuspielen. Statt dessen finden sie einen von ausschließlich kommerziellen Motiven geleiteten Wohltäter, der die politischen Konsequenzen seiner Caritas auf beide abwälzt und untereinander auskegeln läßt. Der Hoover-Plan hat Frankreich überrumpelt und erheblich isoliert. Das gibt dem Chauvinismus neues Futter und vergiftet das Verhältnis zu Deutschland von neuem. »Es ist wieder Ruhrstimmung in Frankreich«, schreibt Léon Blum.

Frankreichs lange gehegter Wunsch ist die Streichung der gesamten Kriegsschulden. Das kann es jedoch nicht allein durchsetzen, dazu braucht es die Unterstützung Deutschlands. Die Führer der deutschen Politik aber haben nicht den Mut, eine Linie zu verfolgen, die zur grundsätzlichen Änderung der Haltung gegenüber dem sogenannten Erbfeind zwingt. Verständigung mit Frankreich über die Kriegsschulden, das würde wohl ein enges wirtschaftliches Zusammengehen und damit beträchtliche Erleichterung bedeuten, aber auch Verzicht auf ein territoriales Revisionsprogramm und auf eigne machtpolitische Pläne. Man weiß es in Deutschland nicht genügend, daß bezüglich der Kriegsschulden ganz Frankreich einer Meinung ist, und daß die amerikanische Hartnäckigkeit in dieser Frage wiederholt die heftigsten Demonstrationen hervorgerufen hat. Deshalb empfinden grade die linken Parteien in Frankreich jetzt Hoovers unvermutete Aktion wie einen Faustschlag. Sie sehen die Reparationen in Dunst aufgehen, Deutschland aber fest an einen angelsächsischen Block gekettet, während Frankreich allein bleibt, ein Außenseiter Europas. Das erklärt die scheinbare Unlogik der sonst verständigungsfreundlichen Radikalen, die unter Herriots Führung diesmal in die Nachbarschaft von Louis Marin gerieten. Das erklärt aber auch die tödliche Verlegenheit der Regierung Laval, die Amerika nicht einfach mit einem runden Nein antworten konnte, andrerseits aber auch die größten Anstrengungen machen mußte, um die Kontinuität des Young-Plans aufrechtzuerhalten. So geriet die Regierung Laval, die Deutschlands Not durchaus nicht verkennt und deren Kriegsminister Maginot erst kürzlich erklärt hat, daß Verträge nicht für die Ewigkeit bestimmt seien, in den wenig sympathischen Zwang, grade den für uns so wichtigen amerikanischen Vorschlag des vollständigen Feierjahres anzufechten. Und in die Ecke gedrängt, stand Frankreich als der hartnäckige, unbelehrbare Gläubiger da, der zu jeder Erleichterung Nein sagt, mag auch der Schuldner darüber zugrunde gehen. Als der Shylock, dem in seiner formalistischen Besessenheit sein Schein wichtiger ist als selbst das eigne Interesse.

Die amerikanische Denkschrift zeigte wie mit dem ausgestreckten Finger auf Frankreich: Dort steht der Schuldige! Dabei wollte Laval alles andre, nur nicht den grundsätzlichen Widerstand gegen den Hoover-Plan. Aber er wollte das Prestige Frankreichs wahren, und er wollte eine juristisch wasserdichte Garantie für den Fortbestand des Young-Plans herausschlagen. Die amerikanische Diplomatie aber forderte ein glattes Ja, sie tat Frankreich nicht einmal den Gefallen, auf ein kleines Scheingefecht einzugehen. Ihre Meinung, die allerdings nicht im Memorandum steht, aber von Herrn Mellon sicherlich mündlich vorgetragen wurde, ist die: Wenn es in Deutschland so weiter geht, kommt der Fascismus, und dann verfallen unsre investierten amerikanischen Kapitalien, und auch ihr bekommt keinen blanken Sou mehr zu sehen. Deshalb muß Brüning unterstützt, Deutschland saniert werden! Den Franzosen aber ist der Unterschied zwischen Brüning und Hitler nicht klar und wird es niemals werden, daher ihr zäher Widerstand, daher das ganze verknurrte, langatmige Palaver zwischen Washington und Paris.

*

Was in Deutschland geschehen ist und noch geschieht, liefert der französischen Starrheit die besten Argumente. Die Zollunion, die noch immer nicht offiziell beerdigt ist, noch immer in den Zeitungen lärmend gespenstert, die Stahlhelmparaden, die Exzesse nationalistischer Studenten – das alles ist nicht geeignet, den französischen Nachbarn zu beruhigen. Gewiß, man verkennt in dem sehr stabilen, sehr bürgerlichen Frankreich die besondere Psyche eines Krisenlandes. Aber man kann den Franzosen nicht die Frage verwehren, was denn in Deutschland von den besser unterrichteten Amtsstellen gegen den Nationalismus geschieht. Hat denn nicht Frankreich grade jetzt vor einem Jahre das Rheinland vor dem vertragsmäßigen Termin geräumt? Und die Wirkung war nur ein unerhörter Aufschwung des Chauvinismus, geschürt von dem Kabinettsminister Treviranus, der mit seinen provozierenden Revisionsreden umherreiste. Das war Deutschlands Antwort auf die frühere Räumung.

Es darf auch nicht übersehen werden, was für ein wahnwitziges Echo der Hoover-Plan in Deutschland gefunden hat. Die nationalistische Presse, also der weitaus überwiegende Teil der Presse, verkündete sofort in lärmenden Lettern, daß wir zum letzten Male Reparationen gezahlt hätten. Mit Hoover gegen Frankreich, immer feste druff! Das war der Tenor. Das war die Sprache gegen denjenigen Vertragspartner, auf dessen Coulanz wir vornehmlich angewiesen sind. Vergeblich versuchte der Reichskanzler in seiner nächtlichen Rundfunkrede an Frankreich diesen katastrophalen Eindruck abzuschwächen. Er ist nicht durchgedrungen. Das Stahlhelmgeklirr übertönte sein dünnes Organ.

Die deutschen Nationalisten vereinigen in ungemein gut gelungener Synthese Heldentum und Schnorrerei. Was für tolle Widersprüche tanzen in der nationalistischen Agitation herum. Wir sind ein armes Volk, aber wir brauchen ein starkes Heer. Wir leiden unter der Last der Tribute, aber wir müssen Kolonien haben. Wir haben fünf Millionen Arbeitslose, aber das Vaterland muß wieder größer werden. Wir leiden unter Kapitalmangel, aber ungezählte Milliarden sind nach Holland und in die Schweiz verschoben. Wir katzbuckeln vor den Mächten, aber wir werden sofort rabiat, wenn es sich nicht lohnt. Wir tragen unsre Schäbigkeit auf hohem Roß, und wenn man uns nach Chequers zum Frühstück eingeladen hat und Hoover uns eine Spende zukommen läßt, so geschieht das nur, weil unsre Überlegenheit anerkannt wird. Was die Franzosen anbelangt, so werden wir es ihnen schon zeigen. Von uns Helden will dieses verächtliche Rentnervolk Reparationen, wo wir doch eigentlich gesiegt haben und nur durch unsre echt ritterliche Gutmütigkeit an der Ausnutzung des Sieges gehindert worden sind!

*

In Südamerika gibt es Bettler zu Pferde. Sie reiten auf ihrem dürren Klepper von einer Hazienda zur andern und halten den Caballeros mit großer Gebärde die hohle Hand unter die Nase. Wer gibt, dem danken sie so erhaben, als wäre er der Beschenkte. Wer nicht gibt, dem wünschen sie alle Nattern des Urwaldes an den Hals.

Die Weltbühne, 7. Juli 1931


 << zurück weiter >>