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Antwort an Rose Schwarz

Zu dem Artikel »Das Problemkind und die neue Schule«; ›Weltbühne‹ Nr. 18

Liebe gnädige Frau, Ihre Kapuzinade über Eltern und Schule von heute war sehr interessant aber bei scharfem Blick für Einzelheiten dennoch auf Abwege führend. Sie verwahren sich dagegen, daß man Ihnen reaktionäre Tendenzen unterschiebt, ich glaube Ihnen. Aber was ich nicht verstehe, das ist Ihr Glaube an die Allgemeingültigkeit der von Ihnen geschilderten Zustände. Sie vertreten die These, daß Eltern und Schule heute allzu lasch geworden sind. Sie sehen darin einen Mord des ohnehin schon schwer bedrohten Bürgertums an seiner Zukunft, eine Neigung, die nach Ihrer Auffassung noch von modernistischen Tendenzen der höhern Schule unterstützt wird. Zwei Ihrer Sätze haben es mir angetan. An die will ich mich halten.

ad I. Sie schreiben: »Faktisch ist man sich aber heute bei uns ... nur einig über die Pflicht zur Nicht-Erziehung.« Rose Schwarz, das ist keine Erscheinung der verruchten Neuzeit, die alle Bande frommer Scheu lockert. Solche Eltern hat es immer gegeben. Nur beriefen sie sich früher nicht auf Alfred Adler und die Individualpsychologie, sondern auf das eigne törichte Herz. Man nannte das vor der Erfindung Adlers zum Mißbrauch der von ihm geschaffenen Terminologie Affenliebe, und fünfzig Jahrgänge Meggendorfer haben davon gelebt. Aber die Schichten, die sich das heute leisten können, die Unarten des Lieblings gebildet zu kommentieren, sind so dünn, daß schwere Polemik überhaupt nicht in Betracht kommt. Von der überwiegenden Mehrzahl der Eltern wird die Schule alles andre als gemütlich aufgefaßt. Niemals war das Verlangen der Eltern größer, auf Grund des Reifezeugnisses oder des Berechtigungsscheins den Kindern die soziale Stellung zu erhalten oder zu erobern. Das Reifezeugnis ist eine unentbehrliche Waffe im sozialen Kampf geworden; es steht auf einem andern Blatte, daß sie in der Praxis eine ganz illusionäre Waffe ist. Das Berechtigungswesen ist ein plutokratisches Ausnahmegesetz. Bildung und Wissen sollen wieder das Monopol der Besitzenden werden. Wenn es dazwischen noch reiche Leute gibt, die im eignen Hause die Sache laxer behandeln – sie mögens tun, denn sie stören niemand.

ad II. »Das Sitzenbleiben stirbt langsam aus. Das Ziel der Klasse wird den Kindern angepaßt, nicht umgekehrt. Die Reifeprüfung wankt ihrer Agonie entgegen.« Hier irrt Rose Schwarz. Wo ist denn diese Schule, deren Autorität abgedankt hat? Wo ist denn diese Schule, die, reformistisch verspielt, Lehrplan und Zucht vernachlässigt? Saget an, Rose Schwarz! Ich suche eine passende Schule für eine elfjährige Jöhre. Aber dieses von einem pflichtvergessenen Vater heißersehnte Institut gibt es nicht. Gewiß, die höhere Schule ist in manchen Äußerlichkeiten freier und leichter geworden. Es gibt auch ein paar pädagogische Versuchsanstalten, die weitgehend experimentieren, aber charakteristisch für das jetzige Schulwesen sind sie nicht. Die höhere Schule dient, wie früher, dem Drill. Sie ist stramm wie unter dem alten Wilhelm und gar nicht libertinistisch verseucht, kaum liberal aufgelockert. Die Autorität hat nicht gelitten, und die Examina, vor allem, sind kein Jux. Die Reifeprüfungen schon gar nicht. Sie sind noch immer ein Lotteriespiel, und nicht immer ein redliches. Gewiß, Knüppeldick und Affenschmalz, die klassischen Präzeptoren Wedekinds, laufen nicht mehr in Röllchen und grünlich gewordenen Bratenröcken herum. An ihre Stelle sind gutgeschnittene Unterrichtsbeamte getreten, die ihr Amt sehr schematisch, sehr lieblos, ohne Interesse an der einzelnen Schülerexistenz verwalten. Der Lehrer der höhern Schule ist heute Beamter, Beamter und nochmals Beamter. Wenn es nicht klappt, ist das Publikum schuld, in diesem Falle der Schüler.

Bruno Heilig hat es hier kürzlich als ein Unding bezeichnet, daß die Verantwortung letzten Endes auf den Schüler abgewälzt wird. Hier scheint mir der Widersinn des ganzen Schulbetriebes zu liegen, des alten und des neuen, daß ein junger Mensch in seinen auch körperlich gespanntesten Jahren einer Belastungsprobe ausgesetzt wird, wie in vielen Fällen sonst niemals mehr im Leben. Später hilft die Familie, die Frau; es gibt Konnektionen, Berufstrott, ererbten Besitz. Aber der Sechzehnjährige im Examen, das über alle Zukunft entscheidet? »Da tritt kein Anderer für ihn ein, auf sich selber steht er da ganz allein.« Er ist im gesetzlichen Sinne minorenn, er darf nicht die lumpigste Postquittung unterschreiben. Er darf nur über sein Schicksal entscheiden. Das ist der Unsinn aller und jeder Schule, die auf dem System von Versetzungen und Zeugnissen ruht.

Wenn also in manchen Stücken heute doch Erleichterungen eingetreten sind, Rose Schwarz, so wollen wir nicht unvermeidliche Schattenseiten einer noch im Fluß befindlichen Entwicklung bejammern. Wir wollen in der Bettleroper der bürgerlichen Kultur nicht die Tenorpartie übernehmen, nicht die Klage nach vergangenen Zeiten anstimmen. Alle Fragen, die Sie aufwerfen, führen mitten in die großen sozialen Auseinandersetzungen hinein. Wenn das Bürgertum heute zerfällt, dann nicht an der Unart seiner Kinder. Wenn die Arbeiterschaft heute aufsteigt, dann nicht, weil sie, nach Ihrer Auffassung, in selbstgeschaffenen Bildungsanstalten eine träge gewordene junge Bürgergeneration niederkonkurriert, sich also lern- und lebenstüchtiger zeigt. Das hieße die Parteischulen, die nur der Schaffung des perfekten Parteimenschen dienen, allzu sehr überschätzen.

Die Weltbühne, 12. Mai 1931


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