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Wer hat gesiegt?

Der Ausgang der Präsidentenwahl wird von den beteiligten Parteien sehr verschieden ausgelegt werden. In der Tat hat er nur einen Sinn: die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes hat dem Fascismus eine Absage erteilt! Gewiß ist der Stimmenzuwachs, über den Hitler quittieren kann, nicht unerheblich, und er wird bei den bevorstehenden Preußenwahlen schwer ins Gewicht fallen. Aber das, worauf es dem Fascismus ankam, die ganze Macht mit einem brutalen Griff zu erobern, das ist vorbeigelungen. Der antikapitalistisch aufgezogene Betriebsanwalt der Schwerindustrie, der rotgestempelte Klopffechter der weißen Reaktion schließt seine legale Periode einstweilen mit hohem Defizit ab. Adolf Bonaparte muß weiter auf seinen 18. Brumaire warten.

Ärger noch ist die Schlappe Hugenbergs. Es ist im Augenblick noch nicht zu übersehen, ob noch ein zweiter Wahlgang erforderlich werden wird. Aber sicher ist, daß Duesterbergs zweieinhalb Millionen die letzte Entscheidung nicht mehr beeinflussen können. Damit löst sich die Kalkulation Hugenbergs ins Nichts auf.

Hitler hat noch am Tage vor der Wahl in einem Interview erklärt, er würde ebensoviel Stimmen erhalten wie Hindenburg. Er hat sich gröblichst getäuscht. Nicht die Tatsache des Unterliegens allein bedeutet die Gefahr für ihn sondern die Länge der Strecke, um die er zurückblieb. Und in höherm Maße noch seine großmäulige Agitation, die alles auf eine Karte setzte. Es wird diesmal um Sein oder Nichtsein gewürfelt, rief der berliner Tribun pathetisch aus. Kein Parteiführer von gesundem Menschenverstand wird sich so weit vergessen, die mögliche Niederlage dem endgültigen Ruin gleichzusetzen. Es ist behauptet worden, Hitler selbst sei gegen die eigne Kandidatur gewesen und nur durch seine ehrgeizigen Abteilungschefs vor die vollendete Tatsache gestellt worden. Ein seltsamer Führer, der sich von den Herren Unterführern ans Leitseil nehmen läßt. Soweit die Geschlagenen.

Und nun die Sieger. Da erhebt sich die Frage, wer denn eigentlich gesiegt hat. Ein bunter Heerhaufen von Westarp bis Wels ist für Hindenburg ins Feld gerückt. Diese Kandidatur beruhte einzig auf dem persönlichen Vertrauen zu Hindenburg. Sie hatte sonst kein politisches Profil. Sie war nicht an Forderungen geknüpft, nicht von Garantien abhängig. Die Propaganda war so, als bemühte man sich, dem Herrn Reichspräsidenten zu verbergen, daß er diesmal der Mann der Sozis sei.

Und doch wäre diese Hindenburgschlacht ohne das schwere Fußvolk der Sozialdemokratie, ohne das Pionierkorps der Gewerkschaften von vornherein verloren gewesen. Der kaiserliche Marschall, der sich einmal zur Dolchstoßlegende bekannt hat, ist von den »Novemberverbrechern« gerettet worden. Auch diesmal ist, wie in allen innern politischen Schlachten seit 1918, der unbekannte Soldat der Sozialdemokratie der wirkliche Held gewesen. Die Sozialdemokratie hat mit einem heroischen Krafteinsatz die Reste der bürgerlichen Demokratie vor der letzten Demolierung bewahrt. Wer von den feinen Herren der Hindenburg-Komitees hat sich jemals auch nur zufällig dort aufgehalten, wo es galt, die Republik zu verteidigen? Unbekannter Soldat der Sozialdemokratie, geduldigster aller Kämpfer, wenn du doch einmal erlegen sein wirst – keiner der gebügelten Treviranen wird vor deinem Ehrengrab achtungsvoll den Zylinder lüften, denn du wirst niemals eines erhalten. Der Reichskanzler selbst hat sich im Parlament gerühmt, gegen die Revolution gestanden zu haben, und Minister Groener hat seine Verbündeten von der Eisernen Front leichtherzig mit den Messermännern von Boxheim verglichen.

Die Sozialdemokratie hat ihre Schuldigkeit getan. Jetzt wird man sie nicht mehr bemühen. Die sozialistischen Arbeiter, die sich eingebildet haben, für das Gesetz, für die republikanische Verfassung zu stimmen, haben in Wahrheit für die Notverordnungen und für Herrn Groener gestimmt. Der Triumph Hindenburgs wird in der Praxis zur Bestätigung des gegenwärtigen Reichskabinetts und seiner Politik werden.

Wenn die sozialdemokratische Führerschaft schon zur Parole für Hindenburg entschlossen war, so hätte sie es nicht ohne feste Zusicherungen tun dürfen. Politik kennt keine Dankbarkeit. »Wir verlangen Ware für unser Geld.« Diese Formulierung des Herrn Goebbels klingt nicht ganz christlich, aber sie ist leider richtig. Die Sozialdemokratie hat demutsvoll Leib und Seele in ein sehr irdisches Geschäft gesteckt und ihm damit einen wahrhaft sakralen Charakter verliehen. Sie hat dem Kaiser gegeben, was Gottes ist.

Hitler ist geschlagen, und dennoch dürfte diese Niederlage nicht zur Katastrophe ausarten. Brüning, der so oft seine Bereitwilligkeit versichert hat, Hitler in die Regierung aufzunehmen, wird dafür sorgen, daß der Nationalsozialismus nur gedämpft, nicht zerschmettert wird. Wenn Hitler ein geordneter Rückzug gelingt, bleibt er noch immer eine ansehnliche Macht, mit der es sich zu paktieren lohnt, deren Feindschaft gefährlich werden kann. Ein Prinzip ist abgelehnt worden, der Fascismus. Aber welches hat denn nun gesiegt? Daß diese Frage nicht beantwortet werden kann, daß niemand auf der Linken daran denkt, sie überhaupt zu stellen, bezeugt am besten, daß sich nichts an jener Atmosphäre geändert hat, in der das Hitlertum so üppig gedeihen konnte.

Noch immer hat sich bisher jeder Sieg der Republik schließlich ins Gegenteil verkehrt. Das wird auch diesmal nicht anders kommen. Der geschlagene Hitler ist den reaktionären Exzellenzen der Hindenburgfront lieber als die eignen siegreichen Soldaten.

Wie lange noch, Catilina? donnerte Cicero.
Noch sehr lange, Cicero! flüsterte Catilina.

Die Weltbühne, 15. März 1932


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