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I.K.

Von dem alten Johannes Scherr gibt es eine noch heute gelesene Essaysammlung »Menschliche Tragikomödie«, eine Galerie von Helden und Schwindlern, aus Jahrhunderten zusammengeholt und mit trüben Kommentaren über den Wert des Menschengeschlechts versehen. Schade, daß der alte Polterer nicht mehr Ivar Kreuger erlebt hat.

Über diesen Ivar Kreuger hat Manfred Georg soeben ein höchst aufschlußreiches Buch veröffentlicht (Brücken-Verlag, Berlin). Es ist eine sehr sorgfältige Zusammenstellung alles dessen, was sich heute schon als authentisches Material über den Verewigten betrachten läßt. Wenn sich manche Abschnitte wie ein Indianerroman lesen, so ist das nicht die Schuld des Verfassers. Der Kapitalismus, früher eine solide, strohtrockne Sache, ist jetzt in eine Periode fataler Romantik geraten, über die in Polizeiakten mehr zu finden ist als in der Wirtschaftsstatistik.

Dennoch tut Georg recht, sich nicht in die pittoresken Seiten der Affäre zu verlieren sondern sie als symptomatisch zu nehmen für die gegenwärtige Situation des Kapitalismus. Er weiß sehr wohl, daß in jeder Form des Kapitalismus ein Stückchen Fiktion enthalten ist, ein unfundierter Bezirk, für den nur der Glaube zuständig ist. Georg erinnert an den mysteriösen Geldschrank der Therese Humbert, auf dem so viele Spekulationen aufgebaut waren und in dem schließlich nur ein Hosenknopf gefunden wurde. Deshalb ist es auch allzu primitiv, alle Schuld einfach auf Kreuger zu wälzen. Georg zitiert den berühmten schwedischen Nationalökonomen Gustaf Cassel: »Wenn man uns in Schweden im Ausland in weitem Maße für das Kreugerfiasko verantwortlich macht, können wir die Verantwortung in gewissem Umfang an die ausländischen Interessenten weitergeben. Jahrelang haben sie Kreuger & Toll moralisch gestützt, ohne auch nur Anstalten zu machen, die Lage der Firma zu prüfen.«

So konnte Kreuger jahrelang bluffen. Der Geruch der Geldmacht wirkt ebenso betäubend wie der des glückhaften Spekulantentums. Wo sich möglicherweise Skepsis bilden konnte, zeigte Kreuger sich von übergroßer Kulanz. Es kam vor, daß er einem, der sich ohne Grund unterbezahlt fühlte, einfach das Doppelte gab. »In dieser Kulanz lag Kreugers große Schweinerei«, sagte ein bedeutender Finanzmann. Damit verhinderte Kreuger eine Zone des Mißtrauens um sich, damit stellte er aber auch seine Konkurrenz unter einen Zwang.

Für die Welt blieb er immer ein Geheimnis. Er brauchte den Nimbus, er brauchte ihn auch im eignen Hause.

Die engsten Mitarbeiter selbst wußten wenig von ihm und fast gar nichts von den Geschäften. Alles glaubte an ihn, ohne zu sehen. So wurden die direktorialen Granden des Welthauses Kreuger & Toll einfach eine Statisterie, deren vornehmste Aufgabe gewesen zu sein scheint, vertrauenerweckend zu wirken. So konnte einer seiner engsten Mitarbeiter kurz nach der schrecklichen Enthüllung in hoffnungsloser Bestürzung schreiben: »Vorausgesetzt, daß die Zahlen richtig waren, war der Stand der Gesellschaft korrekt ...« Ja, vorausgesetzt ...!

Am Ende seines Lebens hat Ivar Kreuger 75 Prozent der gesamten Welt-Zündholz-Produktion und -Ausfuhr in die Hand bekommen, dazu das Zündholzmonopol in vierzehn Staaten auf Grund von Anleihen von insgesamt 1 249 010 000 Tschechenkronen. Ein völlig unbestimmter Betrieb, in dem niemand wirklich Bescheid weiß und wissen darf, darüber ein Einzelner, eine durchaus verfließende Persönlichkeit. Was steht nun eigentlich fest von Ivar Kreuger? Manfred Georg sagt sehr witzig, nichts sei verbürgt, als daß er leidenschaftlich Maiglöckchen liebte. Alles andre ist Dunst und Legende. So liest man heute nicht ohne Rührung in dem ersten Nachruf von Hugenbergs Nachtausgabe: »Ivar Kreuger sprach stolz von seiner deutschen Abstammung, war in seinem Wesen und seiner Arbeit ein typischer Germane. Ivar Kreuger ist bis zu seinem Tode geblieben als was er begann: kein Spekulant und Abenteurer sondern ein gewissenhafter Baumeister, der Stein auf Stein legte.«

Die Weltbühne, 2. August 1932


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