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Bankrott der Autorität

Die Fehlleistung der Diktatur

Als Herr Bracht im vergangenen Sommer die preußische Regierung ins Privatleben schickte, setzte auf der Rechten ein begreiflicher Triumph über das Ende des »Systems« ein. Dieses »System« hat nur in seiner besten Zeit seinen Namen verdient, seit den Tagen Brünings lag es siech und krank, auf seine Ablösung wartend.

Wir haben auch in den Glanztagen des parlamentarischen Regimes niemals zu den Zufriedenen gezählt sondern ihm immer Mangel an Haltung, Energie und Zugriff vorgeworfen. Wenn man indessen die Leistungen des gegenwärtigen präsidialen Regiments betrachtet, wird man leicht geneigt sein, dem Andenken auch des schwächsten demokratischen Kabinetts eine dicke Wachskerze zu spenden. Angeblich wird nach autoritären Prinzipien regiert, in Wirklichkeit bemerkt man weder Autorität noch Prinzip. Es gibt zwar einzelne Ressortminister, die sich mehr schlecht als recht mit den Wortführern der Interessentenhaufen herumschlagen, die einmal aufgedrehte Verwaltungsmaschine läuft noch automatisch weiter, aber regiert wird nicht mehr.

Der parlamentarische Kuhhandel war kein herzerfreuender Anblick, ging jedoch auf offenem Markte vor sich, und selten nur verlor die Öffentlichkeit völlig die Kontrolle. Seitdem jedoch die Ära der Autorität eröffnet ist und ein Reichspräsident unmittelbar von der Vorsehung bedient wird, hat ein obscurer Wettlauf eingesetzt, an deren Stelle zu treten und die erleuchtenden Formeln unmittelbar ins allerhöchste Ohr zu flüstern. Die Politik hat sich in eine Reihe von nichtsnutzigen Kabalen aufgelöst. Programme sind durch persönliche Betriebsamkeit ersetzt – es gibt überhaupt nur noch Persönliches, nur noch Kapitäne, die sich gegenseitig den Rang abzulaufen trachten, dazwischen freundliche Vermittler mit größenwahnsinnigen Provisionsansprüchen. Das Volk ist ausgeschaltet, sein Schicksal wird hinter dichten Schleiern entschieden. Von der ganzen Politik ist nichts geblieben als eine Serie unbegabt gespielter Mantel- und Degenstücke.

Tagtäglich berichten die Blätter über neue Geheimkonferenzen, neue Tastversuche. Ballons d'essai werden mit dem Scherenfernrohr gesichtet und Vermutungen über ihre Richtung vorsichtig geäußert. Ob Adolf oder Gregor oder Franz, ob sie miteinander oder gegeneinander, ob wer gegen wen: das ist der Inhalt der deutschen Politik geworden. Die souveräne Nation macht indessen »Rührt euch!« und wartet geduldig, daß die Herren endlich zu Stuhle kommen.

Wir brauchen nicht lange zu versichern, wie herzlich uninteressant das ist und daß wir keine Ambitionen haben, uns an dem Rätselraten zu beteiligen. Ausgesprochen muß nur werden, daß dieser Zustand eine ungeheure Blamage für Deutschland bleibt, daß diese Männer, die sich zu Lenkern seines Geschicks aufgeschwungen haben, nichts mitbringen als eine durchschnittliche Pfiffigkeit und sehr viel Qualm, daß sie weder durch Originalität noch durch Intelligenz hervortreten. Charakteristisch sind sie nur für den Grad der geistigen Erschöpfung Deutschlands. In keinem andern Lande könnte Mangel an Qualität solche Rolle spielen. In England, zum Beispiel, würde man die Gregorianer und die Franziskaner, wo sie sich in die Politik zu drängen versuchten, an das Sonntagspublikum im Hyde Park verweisen.

Die Demokratie hat viele schwer verzeihliche Sünden begangen und büßt dafür. Das Regime der Autorität ist ein einziger Marasmus. Welch eine Hilflosigkeit in allen Dingen, die außerhalb des Bereichs der Intrige liegen! Selbst wenn Herr Bracht weiterhin mißliebige Beamte in die Wüste schickt, so hat man dabei kaum das Gefühl eines planmäßigen Handelns sondern einer nervösen Improvisation. Wer könnte auch sonst auf die groteske Vorstellung kommen, Herrn Klausener von der Katholischen Aktion, die noch eben ihre reaktionäre Zuverlässigkeit in dem Randal gegen das Drama von Julius Hay bewiesen hat, zu den zersetzenden republikanischen Elementen zu rechnen?

Herr von Schleicher wird von seinen Freunden noch immer für einen großen Mann gehalten, und auch die demokratischen Blätter suchen die Fiktion eines über den Durchschnitt begabten Politikers etwas mühselig aufrechtzuerhalten. Wie es um das Ingenium des Kanzlers stehen mag, er ist um ein halbes Jahr zu früh gekommen. Er schwebte ja schon lange wie ein Fatum über den großen Wassern und jetzt, wo dieses eher im Steigen begriffen scheint, wirkt er nur noch wie eine Fatalität. Er mag es sich recht schön ausgerechnet haben: Wenn Franz Gentleman sich noch bis zum Frühjahr hält und alle notwendigen unpopulären Dekrete erläßt und die Ökonomisten recht behalten, die jetzt das Krisentief für überschritten erklären, dann komme ich als der Letzte, als der Mann der Sanierung, dem die Lorbeerblätter zufallen, nachdem die Andern nur Stockprügel bezogen haben.

Diese Kalkulation hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil, Schleicher kommt grade in das dickste Getümmel der Interessenkämpfe. Industrielle und Agrarier geraten sich in die Wolle, die Wirtschaftspolitik des Reichs zeigt ihre Brüchigkeit. Schleicher ist grade rechtzeitig auf die Szene getreten, um den von Herrn von Sybel auf einer Mistforke überreichten Bundschuh entgegenzunehmen. Der General, der alle Stände mit jovialem Händedruck versöhnen wollte, erhält von überall Kriegserklärungen.

Die Agrarier haben am wenigsten Anlaß zur Klage. Die Osthilfe erinnert mehr und mehr an die vergeudeten Ruhrgelder. Die Osthilfe ist das echteste Kind der Ära Hindenburg. Sie wäre in diesem Umfang ohne den Reichspräsidenten nicht möglich gewesen. Bricht sie zusammen, so zieht das augenblicklich Hindenburgs Resignation mit sich. Der Landbund weiß, was er riskieren kann. Er weiß, daß selbst eine Fronde gegen den Reichspräsidenten vom Kanzler ausgebadet werden muß.

Deshalb beschränkt sich die Gegenwehr der Regierung auch auf den einstweiligen Abbruch der gesellschaftlichen Beziehungen zum Landbund. Eine weitere Änderung tritt nicht ein. Das Selbstverständliche wäre, die agrarischen Subventionen und alle andern rechtlichen und wirtschaftlichen Liebesgaben für die Junker, die ohnehin eine grelle Verhöhnung der hungernden Städter darstellen, augenblicklich zu suspendieren. Der Konflikt bleibt durchaus innerhalb der gewohnten Herrenklub- und Casino-Allüren. Der Kanzler kann beschwichtigen, kann kitten, kann in der gleichen Bahn weitermachen. Er kann nur nicht herrschen. Vielleicht verflucht er heimlich die Dummheit der großen Interessenmächte, die ihm keine Ellenbogenfreiheit läßt. Aber das ändert auch nichts an der harten Tatsache: er ist als Säbelträger in sein Amt berufen, und den Säbel kann er nur gegen die andre Klasse führen, nicht gegen die eigne.

In dem Pronunciamento des Landbundes steht der angenehme Satz, keine marxistische Regierung hätte das den Agrariern zu bieten gewagt. Man muß davon die Übertreibung gegen Schleicher abziehen, dann stimmt der Satz durchaus. Alle republikanischen Regierungen haben nach der Rohrpfeife des Landbundes getanzt, nicht eine hat ein entschiedenes Nein gewagt. Alle haben sie die Anmaßungen der grünen Demagogen hochgepäppelt, die Zentrumsleute haben Hermes beigesteuert, die Demokraten Dietrich, die Sozis Baade. Hätten die Volksbeauftragten im Herbst 1918, als alles wieder zur Diskussion stand, mit einem Federzug die Enteignung der Latifundien vollzogen, so wäre die Geschichte der Republik anders verlaufen.

*

Wunderzirkus in Lippe Seit vor ein paar Jahren Herr Hugenberg seine Varusschlacht gegen den Youngplan am Hermannsdenkmal schlug, wird diese stille Landschaft gern von der Politik frequentiert. Jetzt ist Hitler an der Reihe.

Das ist der Teutoburger Wald,
den Tacitus beschrieben;
das ist der klassische Morast,
wo Varus stecken geblieben.

Hier schlug ihn der Cheruscerfürst,
der Hermann, der edle Recke;
die deutsche Nationalität,
die siegte in diesem Drecke.

So hat Heine die Moritat von Anno 9 gefeiert, und Hitler überzieht nun als ein etwas südöstlicher Cherusker die 1215 qkm des Ländchens Lippe mit einem Tschingtrara, wie es dort seit den Tubabläsern der Legionen kaum gehört wurde. Die bestrenommierten Großschnauzen der NSDAP schäumen über Lippe, ein riesiges Zeltlager ist aufgerichtet, um die agitatorischen Attraktionen, die sich anderswo schon den Wolf gelaufen haben, richtig exerzieren zu lassen. In Lippe regiert ein Sozialdemokrat mit dem gut niederdeutschen Namen Drake, der von der nationalsozialistischen Ritterschaft erlegt werden soll. Aber die Wahl in Lippe ist auch zum Gottesurteil über das fernere Verhalten der Partei ausersehen. Bringt Lippe einen Aufschwung, so wird die Partei ihre Meinung über eine Koalitionsregierung revidieren, wenn nicht, dann wieder in die grundsätzlichste Opposition zurückstürmen. Viel Ehre für Lippe.

So verlautete es wenigstens noch neulich. Was der gewaltige Herr der Höhen und Tiefen heute noch denkt, weiß niemand. »Rodrigo, tu Geld in deinen Beutel!« Das ist gegenwärtig die einzige Devise der Partei, wo sie sich auch anbiedert. Ihre Generallinie besteht darin, auf einen zu warten, der sie chartert. Die sozusagen intellektuell interessierten Pg's sind damit jedoch nicht so zufrieden und diskutieren andre Möglichkeiten. Sie sind mehr an den nächsten Reichstagswahlen interessiert als an dem Gottesurteil von Lippe. Und weil sie sich von Wahlen nicht mehr viel versprechen, so greifen sie auf einen alten Vorschlag von Goebbels zurück, durch Wahlenthaltung den Parlamentarismus für immer zu ruinieren. Nationalsozialistische Provinzblätter brachten kürzlich aus einer in Kreuznach gehaltenen Rede die Stelle: »Die Entscheidung über die Zukunft in Deutschland haben wir Nationalsozialisten unter allen Umständen in der Hand, denn wenn wir nicht zur nächsten Wahl gehen, dann ist der Bolschewismus in Deutschland da.« Auch in bestimmten Ecken des Braunen Hauses selbst wird eine solche Möglichkeit erörtert, wie denn überhaupt in keiner öffentlichen Versammlung etwas über das vorbestimmte Schema Hinausgehendes gesagt wird.

Daß man über diese Idee ernsthaft spricht, zeugt von erheblicher Katerstimmung. Wahlenthaltung ist das Programm der spanischen Syndikalisten, die auf die direkte Aktion eingeschworen sind, deren Zugkraft in einer blendenden, den persönlichen Einsatz fordernden Ideologie liegt, die nichts mit den Gassenraufereien des zum Mythos aufgeblasenen Zuhälters Horst Wessel zu tun hat. Wahlenthaltung ist in Deutschland auch für eine antiparlamentarische Partei ein schweres Wagnis; die allmählich an die Wahlurne gewöhnten Quiriten würden einfach für andre Parteien votieren. Zudem kann man sich den Nationalsozialismus leicht in manchen mehr oder weniger schönen Lebenslagen vorstellen, ganz undenkbar ist nur, daß er das Maul hält. In ruhigem selbstgewolltem Verzicht beiseite stehen, während die Andern schwadronieren, das ist ihm schon eine physische Unmöglichkeit. Hitlers geistiger Urvater mag, weiß Gott, wer sein. Sein Lehrmeister in der Propaganda ist Barnum, der amerikanische Rummelplatzkönig, der in jede Stadt feierlich einzog mit seinen Elefanten, Kamelen und Affen, einer ganzen Division von Fakiren und am Ende, feierlich unter einem Baldachin, die Dame ohne Unterleib. Das muß Hitler weiterführen, so lange sich noch ein Dummer findet, der zahlt.

Die Militärattachés

Wer nach den politischen und sozialen Leistungen der Regierung Schleicher fragt, muß Fehlanzeige notieren. Nur für die Stammtische gibt es eine neue Art von patriotischem Freibier: die Militärattachés.

Es würde zu weit führen, hier nochmals aufzuzählen, was diese sehr rührige Gehaltsklasse der deutschen Außenpolitik in Jahrzehnten eingebrockt hat; Theodor Wolff hat das vor einigen Tagen ebenso amüsant wie ausführlich besorgt. Zudem ist das Thema durch die amtliche Auferstehung des Herrn von Papen wieder frisch geworden, wenngleich der Gerechtigkeit halber erwähnt werden muß, daß er ganz gewiß zu den Trostlosesten des Genres gehört hat. Aber wir wünschen auch nicht die Geschickten.

Es ist kein Argument, daß die andern Staaten und auch das sonst so untraditionelle rote Rußland auf diese Institution nicht verzichtet haben. Es genügt der Hinweis, daß Deutschland seit Kriegsende die Entbehrlichkeit der Herren bewiesen hat. Mögen Staaten, die sich fest in bürgerlicher Hand befinden, ihre Militärbevollmächtigten entsenden: sie sind, wenn nicht schädlich, so doch ein überflüssiges Ornament. In Deutschland, dessen Spitzen ohnehin von Generalen besetzt sind, bedeuten sie nur die weitere Militarisierung der Außenpolitik.

Jeder diplomatische Vertreter Deutschlands hat jetzt seine Aufpasser im Haus, jeder Botschafter, der eine maßvolle Richtung bevorzugt, erhält die nötige Korsettstange, um dem Erbfeind, bei dem er akkreditiert ist, durch stramme Haltung zu imponieren. Ganz davon abgesehen, daß unsre gründlich politisierten Reichswehroffiziere ohnehin schon dazu neigen, sich selbständig zu machen. Man denke sich in jene Zeit zurück, wo Stresemanns Außenpolitik unter der Ungnade des Herrn von Seeckt litt. Was hätten brauchbare Militärattachés damals anrichten können? Und was werden sie nicht verhindern können, wenn einmal die heutige Seelenharmonie zwischen Wehrministerium und Auswärtigem Amt aufhört? Hier wird gegen alle nur denkbare friedliche Zukunftsarbeit schon heute ein Zeitzünder konstruiert.

Die Militärattachés sollen unsern Anspruch auf volle Wehrsouveränität näher illustrieren. Sie illustrieren nichts als die völlige psychologische Unzulänglichkeit des Herrn von Schleicher in außenpolitischen Dingen. Sie dementieren in schlagendster Weise alle die netten Anekdoten von seiner staatsmännischen Klugheit. Während das Volk nichts zu beißen hat, bietet ihm sein Kanzlergeneral nichts als ein buntes Prestigefähnchen, dessen aktueller außenpolitischer Schaden größer ist als sein dauernder Nutzen.

Mögen ein paar Stammtische jubilieren, die Erkenntnis wächst, daß sich der militärische Sektor an seiner selbstgestellten Aufgabe, Deutschland offen zu regieren, übernommen hat und daß er sein Manko mit ein paar neuen Paradeuniformen vergeblich zu überschatten sucht.

Die Weltbühne, 17. Januar 1933


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