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Stillhalten und mitsingen

Kommunisten und Volksentscheid

Die Kommunisten haben beschlossen, sich am Volksentscheid über die Auflösung des preußischen Landtags zu beteiligen. Das ist das wichtigste innenpolitische Ereignis der vergangenen Woche. Der Beschluß der KPD bedeutet ganz gewiß nicht, daß sie nun den letzten Mann aufbieten wird, um dem Stahlhelm zum Siege zu verhelfen; er ist vornehmlich ein agitatorischer. Die Partei will auf die Anhängerschaft der Rechten einwirken, sie in ihre eignen Versammlungen bringen. Wenn Hitler und Seldte nicht so großformatige Dummköpfe wären, würde ihnen diese unerwartete Bundesgenossenschaft, die keine ist, recht lästig fallen. Ob die Kommunisten also wirklich entschlossen sind, ausschlaggebend mitzuhelfen und das Gelingen des Volksentscheids zu sichern, darf mit Fug bezweifelt werden. Aber ohne Zweifel wird die kommunistische Entscheidung für das Referendum auf die Leute von rechts, die beim Volksbegehren wegen der Aussichtslosigkeit des Unternehmens großenteils zu Haus geblieben sind, belebend wirken, denn die Sache sieht jetzt etwas hoffnungsvoller aus.

Selbstverständlich ist dieser Beschluß nicht ohne heftigste Auseinandersetzungen in der Parteizentrale zustande gekommen, und er wird auch in der Partei von denen, die sonst gewohnt sind, zur Zentrale wie zu den Kuppeln einer Kathedrale emporzuschauen, nicht völlig verstanden. Die Opposition erhält frische Nahrung, in der Ferne zeichnen sich die Konturen einer neuen Parteikrise ab. Die KPD mag wohl eine radikale Partei sein, die ihre Impulse von einer revolutionär bewegten Epoche empfängt, aber eine Revolutionspartei ist sie nicht. Sie nimmt ganz und gar die Entwicklung zu einer Massenpartei, der bunte Scharen von allen Seiten zuströmen und die jetzt durch taktisches Manövrieren das ersetzen muß, was sie ihnen an einheitlichem Geist nicht zu geben vermag. Eine Partei, die Millionen erfaßt, schlägt immer in gegebenen Verhältnissen Wurzel, mag sie auch noch so laut die Utopie verkünden. Das ist wie ein politisches Naturgesetz, wenn es auch niemals den schnell Berauschten aufgehen wird, die sich in der Schlachtenmusik der Versammlungsreden verlieren. So hatte neulich der leitende Redakteur der ›Welt am Abend‹ die bewegteste Stunde seines Lebens, als das Blatt die verfrühte Meldung vom Zusammenbruch der Danat-Bank brachte. Münzenberg tobte vor Wut über die an sich glänzende journalistische Leistung und wäre beinahe tätlich geworden. Und diese Wut ist begreiflich, wenn man bedenkt, daß der rote Aufbau des Münzenberg-Konzerns auf Danat-Krediten ruht. Jakob Goldschmidt war eben kein Doktrinär, er stützte Hugenberg und Münzenberg mit gleicher Objektivität.

So bedauerlich das Ja der KPD für den Volksentscheid der Fascisten auch ist, es kommt nicht überraschend und ist auch in keiner Weise absurd. Die Zentrale hat kaum anders handeln können. Die Verantwortung dafür fällt auch auf die sozialdemokratischen Minister, deren Verständnislosigkeit es den Kommunisten unmöglich gemacht hat, eine anständige Neutralitätsformel zu finden. Erwartet man wirklich, daß die KPD eine Regierung retten soll, die sie seit Jahren unter Ausnahmerecht stellt? Erwartet man von den Kommunisten wirklich die Bereitschaft, Braun und Severing zu tolerieren, so wie die Sozialdemokratie Brüning und Groener toleriert? Nämlich ohne Gegenleistung! Vor zwei Wochen hat Jakob Links hier erzählt, wie die KPD bereit war, mit sich reden zu lassen, falls Severing dafür die Spartakiade, das Arbeiter-Sportfest, gestattete. Die preußische Regierungskoalition schien auch bereit zu sein, bis Herr Wirth namens der Reichsregierung intervenierte und die für berliner Verhältnisse allzu romanhafte Polizeiepisode in der Frankfurter Allee eine zwar explosive aber nicht unerwünschte Lösung brachte.

Auch diesmal hat die KPD noch einen Versuch unternommen. Sie hat Severing durch den Abgeordneten Schwenk vier Forderungen unterbreitet: Herstellung der Presse- und Versammlungsfreiheit; Zurücknahme der Abbaumaßnahmen gegen Unterstützungsempfänger; Sicherung der vollen Auszahlung kleiner Guthaben bei den preußischen Sparkassen; Aufhebung des Verbots der Roten Frontkämpfer. Das sind alles andre als erpresserische Forderungen. Auch wenn man in Betracht zieht, daß die finanziellen Punkte an die Zuständigkeit des Reiches gebunden sind, so bildet das Ganze doch eine mögliche Verhandlungsbasis. Statt dessen spielte Herr Severing wieder mit seinen Muskeln, die er in den Tagen der breslauer Stahlhelm-Demonstrationen so schamhaft verborgen gehalten hatte. »Auf Ihr Schreiben vom 21. Juli teile ich Ihnen mit, daß die preußische Staatsregierung es ablehnt, Maßnahmen zum Schutze der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zum Gegenstand eines politischen Tauschhandels zu machen.« Gut gebrüllt, Löwe! Das ist bester preußischer Puttkamerstil.

Politiker, die sich nicht so gottähnlich fühlen wie Herr Severing, hätten in den kommunistischen Forderungen weniger das Ultimatum gesehen als vielmehr den Wunsch, lieber einen halbwegs passablen Akkord mit den Sozialdemokraten zu finden als in eine Front mit dem Stahlhelm zu kommen. Der ›Vorwärts‹ versucht, die kommunistische Aktion lächerlich zu machen, weil seine Leser schließlich doch nachdenklich werden könnten. Er behauptet, der Brief der kommunistischen Fraktion sei ohne Kopf und Stempel gewesen und hätte außerdem einige Fettflecke aufgewiesen. Dann leistet sich der ›Vorwärts‹ eine ausgewachsene Flegelei: »Das historische Dokument bleibt vorläufig bei den Akten. Später soll es dem Kriminalmuseum des Polizeipräsidiums überwiesen werden.« Nun, diese Fettflecke hätten eine Aussprache nicht hindern sollen, in der hohen Politik ist man doch sonst nicht so penibel. Als Dumouriez, in seiner Eigenschaft als Minister der Gironde sich Ludwig XVI. vorstellen wollte, versuchten ihn die Hofschranzen aufzuhalten, weil er nicht die vorgeschriebenen Escarpins trüge. Ein paar Monate später mußte Seine Majestät mit Leuten verhandeln, die abgeschlagene Köpfe auf Piken trugen. Die Nutzanwendung, nicht nur für Monarchien, ist einleuchtend. In unruhigen Zeiten, wo niemand weiß, was morgen sein wird, darf man auf Äußerlichkeiten nicht allzuviel geben. Es ist besser, man verständigt sich mit den Leuten, deren Papiere mit ein paar Fettflecken geziert sind. Denn morgen können schon Andre kommen, die nicht mehr mit sich reden lassen.

Das Ausreise-Verbot

Die Konferenz von London hat mit einem vollen Fehlschlag geendet. Herr Brüning bringt kein Geld mit sondern nur ein nettes Schluß-Communiqué, das geeignet ist, Hoffnung auf neue Hoffnungen zu erwecken. Ein paar Bankiers werden nächstens den Hungerleib Deutschlands wieder beklopfen; nicht die Gläubiger werden stillhalten müssen sondern der Schuldner. Alles in allem, wir rutschen in die ersten Reparationsjahre zurück, wo Sachverständige aller Länder bei uns ihre tiefgründigen Analysen vornahmen und jeder amerikanische Bankier wie die Taube über der Arche begrüßt wurde. Alles interessierte sich für Deutschland, und wir kamen dabei sachte auf den Hund. Nach jedem neuen Kräfteverfall schlugen die Politiker neue kraftvolle Anstrengungen vor, das Vernunftgemäße abzuwehren, und wer sein Nein am lautesten schmetterte, das war der Hauptkerl, der bekam am Potsdamer Bahnhof seine Hurras und seinen Blumenstrauß. Minister kommen zum Besuch, Konferenzen werden folgen, ein neues Cannes, ein neues Genua, und sicher ist bei alledem nur, daß die direkte Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich bis jetzt nicht zustande gekommen ist. Zwar wird vielfach versichert, auch Brüning wünsche nichts sehnlicher als das und wolle keine Prestigemätzchen. Aber selbst wenn das richtig ist, so steht ihm sein eignes Kabinett im Wege. Mindestens Treviranus, sein blauer Freund, müßte geopfert werden, und auch mit Schiele, dem Agrarminister, und dem erzgeschienten Groener läßt sich keine europäische Politik machen. Und hinter dem blassen Curtius steht noch undeutlich und ohne Figur der Staatssekretär von Bülow, der sich vor Jahren für sein Amt als Völkerbundreferent mit einem Buch gegen den Völkerbund qualifiziert hat.

So lebhaft Brüning auch in Paris und London die deutsche Bereitschaft zu europäischer Kooperation beteuerte, was in Deutschland in den letzten vierzehn Tagen an wirtschaftlichen Notverordnungen herauskam, dient nicht nur natürlicher Selbsthilfe, sondern kokettiert heftig mit jener überspannten Auffassung, daß Deutschland sich abschließen müsse, um »aus eigner Kraft« zu gesunden. Lieber die Verwesung als Verständigung mit Paris! Wenn die Welt nicht will wie wir, dann blockieren wir uns selbst, dann schließen wir uns selbst in den Zwinger. Die alldeutsche Ideologie, die den Kampf um die Welt verloren hat, schlägt in Ohnmacht und Ratlosigkeit nach innen. Deutschland soll wie ein böses Tier hinter selbstgeschmiedeten Gitterstäben sitzen und die Welt anfletschen und anstinken. Das ist der Sinn der »Autarkie«.

Aus dieser Ideologie stammt das Ausreiseverbot, das übrigens in der kurzen Zeit seines Bestehens so gründlich von Protesten zugedeckt worden ist wie kaum eine andre ministerielle Leistung vorher. Wahrscheinlich wird es bald etwas umfrisiert, wenigstens sein plumper Eingriff in den geschäftlichen Alltag etwas besser wattiert werden, aber es ist bis zur Stunde noch zweifelhaft, ob die Regierung dazu gebracht werden kann, es wieder ganz verschwinden zu lassen. Denn es wäre ein Irrtum, darin einfach ein Stück ahnungsloser bureaukratischer Experimentierfreude zu sehen. Es ist dem erfindungsreichen Kopf des Herrn Treviranus entsprungen, es ist eine ausgesprochene Kriegsmaßnahme. Der erste Schritt zur Selbstblockade. Die Rechtspresse schreit schon jetzt, daß nächstens das Verbot der Einfuhr ausländischer Waren folgen müsse. Man unterschätze dieses aufgeregte Gehabe nicht. Wir leben schon wieder ganz in Ruhrkriegsstimmung. Die Unheilsparolen, die im vorigen Sommer mit der oratorischen Tätigkeit des Herrn Treviranus einsetzten: die Revisionskampagne, die erhöhte außenpolitische Aktivität, das alles ist heute lebendiger als jemals. Wenn nicht in absehbarer Zeit eine fühlbare Erleichterung erfolgt, dann wird manches von dem Tatsache werden, was heute noch wie eine leere Phrase durch die Öffentlichkeit klingelt. Es wäre müßig, hier nochmals zu wiederholen, was aus der nichtpolitischen Praxis gegen das Ausreiseverbot gesagt worden ist. Nachdem das Kapital in Milliarden durch unsichtbare Kanäle abgeflossen ist, soll der Geschäftsreisende, der mit seinem Musterkoffer in die nächsten Grenzorte fährt, soll der Tourist, der mit seinen zusammengesparten Sechsern einmal Italien oder die Schweiz sehen will, plötzlich als der Schädling entlarvt werden, der am Ruin des Landes schuldig ist. Weil die Großen viele Milliarden verschoben haben, deshalb dürfen die Kleinen keinen Fuß mehr ins Nachbarland setzen. Weil die Großen eine gottserbärmliche Wirtschafts- und Finanzpolitik getrieben haben, deshalb dürfen die Kleinen nicht mehr an ihre ärmlichen Sparkassen-Guthaben.

Die neue treviranische Idee hat außerhalb Deutschlands keine bessere Aufnahme gefunden als die frühern. Von denjenigen Erwerbszweigen, die am direktesten davon betroffen werden, kann man bald einige Repressalien erwarten. Die deutsche Wirtschaft wird an dieser kleinen Kostprobe spüren, was für unangenehme Konsequenzen weitere Versuche autarkischen Charakters mit sich bringen können. Aber wir wollen ganz ruhig sein, man wird auch dafür bald den Schuldigen in Paris oder Warschau gefunden haben. Wenn Herr Treviranus auch diesmal seine Erfindung mit ein paar freundlichen Worten für ein europäisches Zusammengehn einführte, so rührt sie doch ganz von jenem dumpfen Provinzialismus her, von jener stupiden Vaterländerei, die in dem, was außerhalb der Landesgrenzen liegt, nur Ausbeutungsphäre sieht oder Kriegsschauplatz.

Zensur Warum eigentlich eine neue Presse-Notverordnung? Die kommunistische Presse ist doch schon lange nur noch zum Verbieten da. Auch die Hauptblätter der Nationalsozialisten sind fortwährend konfisziert. Man muß also auch mit dem ordentlichen Recht auskommen. Von den zweiundzwanzig ausgesprochenen Parteiblättern der Kommunisten sind zweidrittel zur Zeit verboten. Seit Januar sind gegen die kommunistische Presse sechsundvierzig Verbote für zusammen 1026 Tage ausgesprochen worden. Das sind Verbotsziffern, die neben denen der gelernten Diktaturstaaten gewiß noch nicht viel bedeuten, aber doch einen frohen Ausblick auf mehr eröffnen. Bis vor kurzem hat man sich vornehmlich an die Tagespresse der radikalen Parteien gehalten. Jetzt pirscht man sich langsam an die Zeitschriften heran, an die unbequemen Eingänger. In Stuttgart ist die pazifistische ›Sonntagszeitung‹ konfisziert worden, und Herr Grzesinski hat vor ein paar Tagen die Monatsschrift Erich Mühsams verboten, gleich darauf das Wochenblatt des nationalistischen Unabhängigen Otto Straßer. Dieses Blatt ist beschlagnahmt worden, weil es eine beunruhigende wirtschaftliche Nachricht gebracht hat, die nicht den Tatsachen entsprechen soll und hoffentlich auch nicht entspricht. Nun waren Gerüchte ähnlicher Art aber schon längere Zeit im Publikum verbreitet, und auch der Herr Polizeipräsident dürfte davon Kenntnis gehabt haben. Warum hat er die kompetenten Stellen nicht ermahnt, dagegen rechtzeitig etwas zu unternehmen? Ein Dementi in Form eines Zeitungsverbotes ist keine Antwort, die geeignet wäre, die Ängstlichen zu beschwichtigen. Herr Grzesinski ist auch nicht gegen die Erklärung Hitlers und Hugenbergs eingeschritten, in der gesagt wurde, daß die nationale Opposition Abmachungen Brünings in London nicht respektieren werde. Es ist bekannt, daß dieses Pronunziamento einen gradezu katastrophalen Eindruck in London machte und ein gerüttelt Maß Schuld an dem gründlichen Mißlingen der Konferenz trägt. Wenn diese ganze überflüssige Presseverordnung überhaupt einen Sinn haben kann, so nur den, außenpolitischen Schaden zu vermeiden. Innenpolitisch – ja, da ist schon hinreichend gesorgt.

Die Autoren von Zensurgesetzen sind nicht sehr phantasiebegabt. Auch Herr Ministerialdirektor Klausener, dem Vorgesetzten Severings und geistigen Vater dieser Notverordnung, ist nichts neues eingefallen. »Druckschriften, durch deren Inhalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet wird, können polizeilich beschlagnahmt und eingezogen werden.« Mager, sehr mager. Wir politischen Publizisten schütteln zu diesen schülerhaften Bemühungen den Kopf. Wir wissen, daß die Zensur dem Geist unsres Berufes immer recht gut bekommen ist, mag sie die Bewegungsfreiheit der physischen Person auch manchmal gehemmt haben. Die Zensur ist eine ausgezeichnete Pädagogin. Sie erzieht zur Wachsamkeit, sie verhindert das Ausglitschen der Feder, die schnell herunterdiktierte Plumpheit; der Ausdruck erhält wieder Nuance und Schattierung, das Wort Gewicht und Würde. Die Großtaten der politischen Publizistik sind im Schatten der Zensurbehörden geleistet worden; die meisterhaftesten Pamphlete wurden in Kellern geschrieben, während draußen auf dem Platze die Soldaten im Carré standen, um die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu verhindern. Die amtlichen Glossatoren der Presseverordnung versichern, es komme nur darauf an, Excesse, nicht Richtungen zu treffen. Nun wird bei der hoffnungslosen Verplumpung unsres politischen Empfindens heute jede unbequeme Richtung sehr leicht als Exceß betrachtet, jede Kritik als ein strafwürdiges Verbrechen, das Vorhandensein von Kritikern schon als ein Manko der Schöpfung, das von dem überlegenen Menschengeist schleunigst korrigiert werden muß.

Aus diesem Grunde hat sich die hohe Obrigkeit auch ein Entgegnungsrecht in den Zeitungen reserviert. Die Presse muß künftighin bedingungslos abdrucken, was eine erleuchtete Regierungsstelle ihr zuschickt und darf auch in der gleichen Nummer nicht dazu Stellung nehmen. Die Meinung der Regierung ist also der rocher de bronce, den unsre kleine Unmaßgeblichkeit nicht mit Affichen bedecken darf, auch wenn der Guß noch so wenig gelungen ist. Denn so gewiß es eine Zeitungslüge gibt, so gewiß gibt es auch eine amtliche Lüge. Wie oft wird uns Journalisten nicht in Amtszimmern die Hucke vollgelogen. Wir kennen alle die gutgeölte Dementiertechnik von Ministerien und Magistraten. Wir haben oft und oft die heitere Sicherheit bestaunt, mit der Amtspersonen offenkundige Tatsachen ableugnen. Wir kennen aus allen Parlamenten die Szene, wie der Abgeordnete den Minister fragt, warum grade diese Firma 100 000 Mark Subventionen erhalten habe, und wie der Minister mit ehrlicher Entrüstung antwortet, es sei kein Pfennig an Subventionen gewährt worden, und wie der Abgeordnete dann fassungslos nach Luft schnappend seine Beweise schwingt und der Minister dem armen Irren mit echter Überlegenheit vorhält: »Ja, das sind doch keine Subventionen, sondern ...« So ist diese Dementiertechnik. Sie klammert sich an Formalitäten, Auslegungen, sie ergeht sich in Silbenstechereien und unterschlägt die Sache. Ich habe hier ein imaginäres, ein ganz harmloses Beispiel gewählt, ich habe – o erzieherischer Einfluß der Zensur! – nicht den Reichswehretat als Exempel herangezogen. Nun sind die vielen kleinen amtlichen Schwindeleien ein parlamentarisches Gesellschaftsspiel, bei dem Übelnehmen nicht gilt. Was aber wird, wenn dieses Spiel, heute ins Große übertragen, bittere Wahrheiten entkräften, ernste Warnungen in den Wind schlagen soll? Denn mag der Zensor es sich tausendmal einbilden, Sicherheit und Ordnung zu retten, aber Anstand und politische Moral sind nicht auf dies erfreuliche Konto zu setzen.

Die Presseverordnung ist ein glänzendes Pendant zum Ausreiseverbot. Der liberal schillernde Staat weicht wieder den soliden alten Begriffen, nach denen er eine Korrektionsanstalt ist, ein Gefängnis; nichts andres. Die Fascisierung schreitet unaufhaltsam fort. Jede Zeitung ein Regierungsorgan – das steht am Ende der Entwicklung, die mit dieser Notverordnung gegen die Pressefreiheit begonnen hat. Stillhalten und mitsingen! Und es wird bald nur eine noch erlaubte Melodie geben, und jeder unsrer Schritte wird sorgfältig bemessen sein. Wer weitergeht, wird erschossen.

Die Weltbühne, 28. Juli 1931


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