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Im vorigen Heft der ›Weltbühne‹ hatte sich durch zahlreiches Material und einige notwendige Bemerkungen dazu zwanglos eine Sondernummer »Zensur« gefügt. Wem unsre Feststellungen etwas zu pessimistisch erschienen, der ist inzwischen auf höchst drastische Weise belehrt worden. Denn inzwischen hat das Reichsministerium des Innern das Verbot des Films »Kuhle Wampe« vor der Prüfstelle vertreten und durchgesetzt. Gleichfalls vor acht Tagen hat Rudolf Arnheim diesen Film, den bereits Verbotsgerüchte überschatteten, hier gewürdigt. Dieses Verbot krönt frühere Zensurskandale aufs würdigste. Abwechslungshalber haben diesmal keine militärischen Momente mitgespielt sondern, wie vor alters, Kirche und Sittlichkeit. Aber den Zivil-Schleichern im Reichswehrministerium des Innern paßt eben die ganze Richtung nicht, der Film nicht und seine Motive, und die Autoren erst recht nicht. Sonst würden die Herren nicht außer Acht lassen, daß grade dieser Film Gesundheit und Ertüchtigung des Körpers feiert, zwei Dinge, die der militärische Chef dieser Behörde doch sonst als gut zu feiern pflegt. Besteht hier wieder ein Kompetenzkonflikt zwischen Krieg und Innerm? Wünscht der Innenminister fromme und gutgesinnte, wenn auch rachitische Soldaten, während sein militärisches alter ego naturgemäß auf seelische Ornamentik weniger Wert legen muß als auf grade Knochen? Wir wissen, daß Groener es schwer hat. Als ministerieller Hermaphrodit steht er oft vor harten Aufgaben, und er findet die Synthese darin, indem er in den verschiedenen Funktionen gleichartig versagt.
Die »Egmont«-Aufführung im berliner Staatstheater hat bei der Kritik und bei einem großen Teil des Publikums eine sehr schlechte Note gefunden. Es wurde neben manchem Andern bemängelt, daß der ausgezeichnete Schauspieler Aribert Wäscher den Herzog von Alba nicht wie üblich im dunklen Brustharnisch spielte sondern in einem gemütlichen wattierten Schlafrock. Ich habe diese Vorstellung nicht gesehen und kann deshalb auch keine Meinung darüber haben, aber nicht alle modernen Regisseureinfälle sind ansprechend. So entsinne ich mich, vor einigen Jahren einen Schauspieler erlebt zu haben, der Philipp II. als Homosexuellen spielte und den stattlichen Darsteller des Marquis Posa während seiner langen Rede lüstern anblinzelte und endlich am Kinn krabbelte. Aber die offiziellen Besucher der »Egmont«-Aufführung, worunter sich vielleicht auch die Filmhenker aus dem Reichsinnern befanden, hatten am wenigsten Veranlassung, eine solche Auffassung der Albafigur abzulehnen. Denn dieser Diktator im Schlafrock, dieser gar nicht imposante, gespenstisch meckernde Vertreter der Staatsraison, der den Artikel 48 von Madrid nach Flandern und Brabant importiert, ist die beste Symbolisierung der Methoden, nach denen wir regiert werden. Es muß ein seltsamer Theaterabend gewesen sein. Im Parkett saß befrackt und bebändert der Staat, oben auf der Szene geisterte sein Bild.
Ich möchte hier beileibe nicht Kostümgeschichte oder sonstige Geschichte treiben. Aber Fernando Alvarez Toledo Herzog Alba ist durch die Jahrhunderte eine volkstümliche Personifizierung fanatischer Ordnungsretterei geblieben, und die aktuelle Verbindung für unsre Zeit stellt sich leicht her, wenn wir ihn als Erfinder dessen vorstellen, was wir heute »wirtschaftliche Notverordnungen« nennen. Durch die »Drei Dekrete« vom März 1569 mußte jedermann von allem beweglichen und unbeweglichen Vermögen ein Prozent abgeben, fünf Prozent bei Verkauf von Grundeigentum, zehn Prozent von jeder verkauften Ware. Als dann aber kein Geld einkam, wohl aber Tumulte entstanden, schuf dieser Klassiker des Ausnahmezustandes seinen Vierten Strafsenat, den »Rat der Unruhen«. Die historische Wirkung ist bekannt. Nach sechs Jahren zog Alba davon, Leichenhügel hinter sich lassend, von den Flüchen und dem Hohn Europas verfolgt. Aus dem von ihm tyrannisierten Boden wuchs eine neue unabhängige Republik.
Die deutsche Reaktion von heute hat nicht die Kraft, einen Alba zu produzieren. Diese harte, sehnige Gestalt aus der Gegenreformation, mit Gott, den Priestern und Juristen in bestem Einklang, frei von Skrupeln, mit einer Seele ohne Hintertreppe in private Moralauffassungen, kann sich nicht in Zeitläuften entwickeln, deren regierende Schichten unter dem Druck eines schlechten sozialen Gewissens agieren. Diese so stramm diktierenden Staatslenker laufen herum, halb die Verfassung, halb fascistische Kinderspiele im Herzen, eingewickelt in einen biedern wattierten Schlafrock, der mehr verbirgt als die Linien des Körpers. Wir leben in einer Diktatur, aber ihr Terror, noch immer unblutig, gibt sich hausbacken, treuherzig, schlichtbürgerlich, als Dienst am gemeinen Besten. Eine solche Politik ist weniger schrecklich als ärgerlich. Sie scheut das Blut. Sie schlägt nicht tot, sie räuchert aus. Sie versöhnt sogar manchmal durch ihre unfreiwillige Komik.
Gibt es zum Beispiel ein zweites Land auf Gottes Erde, wo ein solcher Konflikt möglich ist, wie der zwischen Groener und Severing über die preußische Polizeiaktion gegen die Nazis –? Das heißt, ein richtiger Konflikt ist es nicht, denn der preußische Vertreter vor dem Staatsgerichtshof zieht mit verbindlichem Lächeln ein von Groener eigenhändig unterfertigtes Schreiben aus der Mappe, das, wenigstens für den gesunden Menschenverstand, Preußens Vorgehen legitimiert. In der Rechtspresse aber hält man entgegen: gewiß hat Groener unterschrieben, aber diese Unterschrift ist ihm abgelistet worden; er kannte den Inhalt des Schreibens nicht. Das wird in allen Rechtsblättern behauptet, und vom Reichsinnenministerium ist keine stichfeste Erklärung zu erlangen. Oder aber: über den Empfang der Naziführer bei Groener wird von diesen die Lesart ausgegeben, der Minister billige die preußische Aktion nicht. Das Ministerium rückt zwar von dieser Lesart ab – aber wie? Und die grade Herrn Groener besonders gewogene Presse vom Schlage der ›Deutschen Allgemeinen Zeitung‹ schreibt weiter, Groener denke gar nicht daran, Severing rechtfertigen zu wollen und habe das auch niemals getan. Vor dem Staatsgerichtshof vergleicht sich Severing mit Hitler in aller Stille, die Streitobjekte verschwinden plötzlich, eine amtliche Darstellung der Vorgänge ist nicht zu erlangen, und in der Presse führen die verschiedenen Lesarten eine katalaunische Schattenschlacht weiter.
Wenn ein Mann wie Groener einen so wichtigen Fall dem allgemeinen Rätselraten überläßt, wenn er sogar den Vorwurf auf sich sitzen läßt, ein wichtiges Schriftstück unterschrieben und nicht gelesen zu haben, so läßt sich bei diesem kräftigen Sechziger schließlich nicht Altersschwäche annehmen sondern ein politisches Motiv. Der Herr Minister zweier Ressorts will gewiß den Staat verteidigen, aber er will auch dessen Feinde nicht verletzen. Der Verfassungsminister will Hitler in den Schranken halten, der Militärminister ihn für wehrpolitische Interessen nutzbar machen. Beide Groenerhälften sträuben sich gegen die Präsidentschaftskandidatur Hitler, aber mindestens die eine davon möchte spätere Möglichkeiten für Preußen, für das Reich offen lassen. Ein solches Spiel wäre eines Talleyrand würdig gewesen, auch der lächelnde Bülow konnte das. Aber Herr Groener ist kein wendiger Diplomat und überhaupt kein großer Geist sondern ein durchschnittlicher General, ein Politiker von spießigen Ordnungsbegriffen, wenn schon ein Alba, dann einer im gefütterten Schlafrock. Groener hatte Meriten als Chef des Transportwesens, der andre Transportfachmann ist russischer Reitergeneral. So seltsam ist es oft im Leben.
Groener hat den Ehrgeiz, gleichzeitig an den zwei großen politischen Hochzeiten teilhaben zu wollen. Ich bin nicht geneigt, Herrn Groeners Rundungen Unrecht widerfahren zu lassen, aber um zugleich bei der Republik und beim Fascismus zu sitzen, dazu langt nicht einmal der dickste deutsche Ministerarsch. Groener wird bald zwischen die Stühle plumpsen, und niemand sollte den Sturz aufhalten. Nur scheint es notwendig, daß die Republik rechtzeitig ihr Tafelservice in Sicherheit bringt.
Die Weltbühne, 5. April 1932