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Jetzt sind Sie, lieber Herr Doktor Gumbel, wieder Gegenstand roher und dummer Anwürfe geworden. Ihretwegen schnitten heidelberger Studenten die Reichsgründungsfeier, nachher gabs wilde Reden und Krawall auf der Straße. Das geht so seit mehr als zehn Jahren, seit jener denkwürdigen Versammlung in der Aula am Savignyplatz, wo eindringende Baltikumer Hellmut von Gerlach mit ihren Kommißstiefeln traten. Damals wichen Sie als Vorsitzender nicht von Ihrem Platze, Sie blieben ruhig stehen, die Glocke schwingend, noch als Ihnen das Blut von den Hieben der jungen Vaterlandsretter übers Gesicht rieselte. La séance continue.
Seitdem sind viele Jahre vergangen, und seitdem hat, wo Sie auch auftraten, immer irgend jemand gegen Sie protestiert. Ihre Gelehrtenlaufbahn ist von den Protesten von Kollegen und Studierenden begleitet. Alle Augenblicke wird in Heidelberg »gegen Gumbel protestiert«. Was Sie fürchterliches tun, wird dabei nicht recht klar. Sie sind da, und dagegen verwahrt man sich – als Deutscher und Mensch.
Von Berlin gesehen, wirkt diese Protestiererei reichlich schwachsinnig. Seit manchen Jahren sind Sie als politischer Publizist recht still geworden. Man findet Sie weder bei uns mehr noch an andrer Stelle. So tischt man immer jenes fatale Wort auf, das Ihnen einmal in einer improvisierten Versammlungsrede entfahren ist, das Wort vom »Feld der Unehre«. Welch gutes Gedächtnis bei einem sonst so vergeßlichen Volke. Was ist seit 1918 nicht von roten und weißen Tribünen gezetert worden, ohne daß es das weitere Fortkommen der Herren Redner behindert hätte. Und hat nicht ein heute sehr hochstehender Herr das Volksempfinden einmal aufs Ärgste verletzt, indem er den Krieg als Badekur bezeichnete, und hat nicht dieser selbe Herr zuerst das Wort vom Dolchstoß gebraucht, das Deutschland dann in zwei Lager zerreißen sollte? Andre haben böseres gesagt als Sie, es hat keiner Karriere etwas geschadet, hat keinen gehindert, Liebling der Nation und Wonne des Vaterlandes zu werden. Nur Ihnen, Herr Doktor Gumbel, schenkt man nichts.
Es ist auch nicht bekannt geworden, daß Sie jemals Ihren Lehrstuhl zu politischen Meinungsäußerungen mißbraucht hätten, wie es so manche Ihrer Kollegen tun. Sie haben einen Lehrauftrag für Mathematik inne, und diese Wissenschaft bietet auch nicht so günstige Gelegenheit dazu. Der Volkswirtschaftler, der Historiker oder Theologe hat es viel leichter, seinen privaten politischen Gallimatthias als wissenschaftliche Axiomatik aufgetakelt vorzutragen. Doch Sie als Sozialist, Republikaner und Friedensfreund, haben niemals eine Messerspitze Marx in algebraische Formeln gemengt, während es doch ein hervorragender Mediziner am Seziertisch fertiggebracht hat, einigermaßen hitlerische Rassentheorien zu entwickeln.
So reserviert Sie sich auch verhalten und so konsequent Sie auch dem Tageskampf fernbleiben mögen, Ihre Chronik der politischen Morde in der ersten deutschen Republik wird Ihnen weder vergessen noch verziehen. Diese undankbare und gefährliche Aufgabe, die finstersten Ecken des neuen Deutschlands abzuleuchten, haben Sie mit ebensoviel Scharfsinn wie Gewissenhaftigkeit erfüllt. Sie haben sich nicht herangedrängt, aber die Andern, die viel Robustern, die patentierten Republikretter, blieben aus. So mußten Sie, der fein organisierte Gelehrte, einspringen, und weil Sie viel Schlamm fortschaffen mußten, deshalb findet man heute Ihren Geruch nicht gut. Deshalb wird auch von gewissen Herrschaften links immer so von Ihnen gesprochen, als ob Sie etwas ganz Furchtbares ausgefressen hätten, worüber man in Ihrem eignen Interesse am besten nicht redet. Das kam noch neulich in einer Zuschrift eines heidelberger Studenten an eine berliner Demozeitung so nett heraus. Den jungen Mann empörten die Treibereien gegen Sie, aber zwischen den Zeilen war doch zu lesen, daß Ihre Anwesenheit in Heidelberg im Grunde schwer zu ertragen sei. So geht es Ihnen: wo man gegen Sie nicht laut protestiert, mißbilligt man Sie im Stillen – Republikaner, Sozialist, Friedensfreund, dreifach Gezeichneter.
Der badische Unterrichtsminister hat allerdings für die Manifestationen der Herren Studenten kein Verständnis gehabt, er hat deren Radauausschuß kurzerhand aufgelöst. Es ist erfreulich, daß zu den Fällen Valentin, Nicolai und Lessing nicht noch ein Fall Gumbel kommt. Das war eine kraftvolle ministerielle Geste, wie sie in Deutschland selten geworden ist. Aber Ihren heidelberger Alltag mag das auch nicht heiterer stimmen. Wenn auch die Proteste gegen Sie, wie gesagt, von Berlin gesehen, etwas schwachsinnig wirken, es muß viel Charakter dazu gehören, dieses Leben als Schandfleck einer kleinen Universitätsstadt zu ertragen. Im Grunde ist es nicht anders als damals bei dem Tumult in der charlottenburger Schulaula – Sie stehen auf Ihrem Platz, Sie tun Ihre Pflicht. La séance continue.
Die Weltbühne, 27. Januar 1931