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Pogrom und Polizei

Am 12. September, dem jüdischen Neujahrstag, ist es in den Abendstunden auf dem Kurfürstendamm zu einem regelrechten Pogrom gekommen. Die Nationalsozialisten hatten den Überfall ausgezeichnet organisiert; auf ein gegebenes Signal sperrten sie den Kurfürstendamm von der Gedächtnis-Kirche bis zur Leibniz-Straße ab. Eine Rotte von ein paar hundert Mann tyrannisierte eine halbe Stunde lang die Straße und mißhandelte Fußgänger, die sie für Juden hielten.

Die liberale Presse hat zunächst ihre Berichterstatterpflicht nicht erfüllt. Sie versuchte, die skandalösen Vorgänge zu bagatellisieren. Denn diese Presse fühlt bei unpassendstem Anlaß immer eine höhere Verantwortung, die sie nötigt, nicht mit der vollen Wahrheit herauszurücken. In diesem Falle galt es, auf das »Ansehen Berlins« Rücksicht zu nehmen. Sie hat also die Tatsache, daß die Krawalle am jüdischen Neujahrstage vor sich gingen, so bescheiden wie möglich oder überhaupt nicht gebracht. Ahnungslose Gemüter, die nur ihr Blättchen lesen und sonst nichts, hätten bei diesen Schilderungen sehr leicht auf den Gedanken kommen können, es habe sich dabei um eine etwas rabiate Kundgebung der geprellten Devaheimsparer gegen ihren Vorstand gehandelt. Erst als die Zeitungen von ihren Lesern mit Zuschriften bombardiert wurden, bequemten sie sich, Beschwerden gegen die Polizei zu erheben. Denn jetzt stellte es sich heraus, daß auch die Polizei zunächst zu gut davongekommen war. Jetzt war nicht mehr daran zu zweifeln, daß die Polizei weder die ihr zugegangenen Warnungen beachtet hatte noch rechtzeitig zur Stelle gewesen war. Jedenfalls war das Versagen der Polizei bald wieder offenkundig, und ihre Häupter ergingen sich in lahmen Ausreden.

Man vergleiche die Laschheit der Polizei am Kurfürstendamm mit der Schärfe und Pünktlichkeit bei Zusammenstößen mit Linksradikalen. Die traurige Affäre Bülow-Platz, ein Kind der Pressestelle des Polizeipräsidiums, ist von der gesamten Presse zunächst gläubig hingenommen und noch um einiges Beiwerk vermehrt worden. Jetzt aber regt sich der Zweifel, und es werden Fragen an die Polizei laut, was es mit der vor einigen Wochen schon »unmittelbar bevorstehenden« Aufklärung auf sich habe. Die als verdächtig Verhafteten sind inzwischen wieder entlassen worden.

Am 12. September ist die Polizei weit weniger radikal vorgegangen. Sie kam zu spät und war, im Gegensatz zu den Rowdygruppen, uneinheitlich geführt. Während sie an der Gedächtnis-Kirche noch aufräumte, trieben einige hundert Meter weiter die National-Hooligans noch ihr Wesen. Dazu kamen noch einzelne taktische Fehler, die verheerend wirkten. So blieben die beiden Schupos, die ständig vor der chinesischen Gesandtschaft postiert sind, ruhig stehen. Gewiß konnten sie gegen die Übermacht nichts ausrichten, aber es wäre klüger gewesen, wenn sie ins Haus hineingegangen oder sonstwie von der Bildfläche verschwunden wären. Statt dessen verharrten sie in kerzengrader Diensthaltung, und es sah aus, als hätten sie die Oberaufsicht über den Tumult rundum.

Es ging gegen Rechts, also hat die Polizei versagt. Der glatte Ablauf dieses Pogroms kann die S.A.-Stürme nur zu baldiger Fortsetzung ermutigen. Es war nicht anders als im vorigen Herbst bei den Straßenkrawallen um den Remarque-Film. Damals durfte Goebbels ein paar Abende lang die Straße beherrschen, ohne daß ihn die Polizei gestört hätte. Die Linkspresse mußte sich erheblich rühren, um die Kommandohöhen am Alexander-Platz aus der Lethargie zu rütteln. Unsre preußische Polizei gilt als republikanisch, als sozialistisch durchsetzt. Wenn es gegen Rechts geht, merken wir nichts davon, nur gegen die Kommunisten funktioniert das scharfe Schwert. Wir haben das erst vor wenigen Tagen gesehen, bei der wahnwitzigen Versammlung im Sport-Palast, wo die berittene Polizei auf der dichtgefüllten Straße vor dem Versammlungslokal immer wieder über den Gehsteig setzte, ins Publikum hinein. Was mögen sich die altgedienten Sozialdemokraten bei diesem wilhelminischen Kavalleriemanöver ihres Genossen Polizeipräsidenten gedacht haben? Als Polizeiaktion sind solche Reiterkunststücke wirkungslos, aber die politische Unzulänglichkeit wirkt hoch zu Roß nicht schöner, nur ist sie noch besser zu sehen.

Die Weltbühne, 22. September 1931


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