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Der Weise sprach zu seine Jünger:
Wer keine Löffel hat, ißt mit die Finger ...
Als vor ein paar Jahren Siegfried Kracauer seine profunde Studie »Die Angestellten« schrieb, gelang es ihm mit einem selten ergiebigen Griff, eben noch vor dem Eintritt in die Weltkrise das Abbild einer sozialen Schicht zu nehmen, die wie keine andre für die letzten von uns durchlebten Phasen der nachbürgerlichen Zeit charakteristisch geworden ist. Das neue Buch Ernst Jüngers »Der Arbeiter« (Hanseatische Verlagsanstalt, Hamburg) erinnert in der Einfachheit des Titels unwillkürlich an Kracauers heute schon klassisch anmutende Leistung. Aber ein Vergleich tut Jüngern nicht gut, er löscht ihn aus.
Das Buch Jüngers bringt weder untersuchend noch beschreibend etwas von Belang. Es bietet nichts als eine monotone Folge bleichsüchtiger Philosopheme, um die nicht mehr völlig frische These zu stützen, daß es mit dem Bürgertum bergab geht. Dafür ist jetzt das neue Weltalter des Arbeiters gekommen, und wenn diese Erkenntnis auch mit dem Anspruch revolutionärer Gesinnung vorgetragen wird, so läßt sich doch nicht lange verbergen, auf welchen Meister dieser Jünger schwört. Was für ein Gesicht die Herrschaft des Arbeiters haben wird, vor allem aber mit welchen Kräften sie sich durchsetzen soll, davon wird in Jüngers durchaus nicht wortarmer Predigt nichts verlautbart. Der Arbeiter, das ist doch etwas Nahes und Selbstverständliches; nichtsdestoweniger bringt es Jünger fertig, den Gegenstand mit Hilfe einer nicht ohne Spenglers Einfluß entstandenen Terminologie so weit von uns zu entfernen, daß wir am Ende das Gefühl haben, hier gehe es um Fakire und Yogis und nicht um Dinge, die zu unserm Alltag gehören. Es ist jedenfalls ein beachtliches Kunststück, einem so erregenden und aktuellen Thema so viel Blut abzuzapfen, daß nichts als ein Phantom zurückbleibt. Nebenbei gesagt: wenn in einer Schrift von dreihundert Seiten, die, wie von niemandem bestritten wird, den Titel »Der Arbeiter« führt, zwischendurch in einer Fußnote mitgeteilt werden muß, wie wir das Wort »Arbeiter« zu verstehen haben, so scheint mir das weder für die Gestaltungskraft noch für die Kopfklarheit des Autors günstiges Zeugnis abzulegen.
Der »Arbeiter« bleibt also unter Jüngers Beschwörung so stumm wie ein seit dreitausend Jahren toter Pharao. Dafür wird aber nach dem ortsüblichen fascistischen Schema desto eifriger gegen den »Bürger« spektakelt. Herr Jünger und die Seinen würden mehr imponieren, wenn sie das zu einer Zeit getan hätten, wo es noch mit Unannehmlichkeiten verknüpft war, aber damals retteten die meisten der Herren die bürgerliche Ordnung in weißen Freikorps. Grade der Sozialist hat Anspruch, solche dubiosen Kriegserklärungen an die bürgerliche Zeit nicht unwidersprochen passieren zu lassen, denn damit maskiert der Fascismus nur sein eignes reaktionäres Wesen, das gibt ihm Gelegenheit, sich radikal aufzutun. Was er der Bürgerzeit vorwirft, das sind ja nicht ihre Häßlichkeiten und Zweideutigkeiten sondern die besten Inhalte ihrer historischen Mission: die Überwindung absolutistischer und feudalistischer Mächte, die Verkündung der menschlichen Grundrechte und ihre Verteidigung gegen Staat und Gesellschaft.
Gegen die vermorschte bürgerliche Epoche wird also der Arbeiter mobilisiert, aber auch dabei wird ein entscheidender Gegensatz zum Sozialismus sichtbar. Der Fascismus liebt es zwar, den Arbeiter zu verhimmeln, aber er nimmt ihn niemals als Masse sondern immer nur als einzelnes aus der geprägten Klassenform geholtes Exemplar. Das mag vor Marx, vor Lassalle möglich gewesen sein, heute geht das nicht mehr. Wer es tut, rückt hinter Schultze-Delitzsch zurück. Einerlei ob konservativ oder revolutionär, keine Betrachtungsweise stellt den Menschen mehr in jenen blauen Dunst, wo die soziale Realität von abstrakten Reflexionen abgelöst wird. Jünger eröffnet zwar großartig genug die Herrschaft des Arbeiters über die Erde, aber der Arbeiter ist ihm nur »Typus«, »soziale Rasse«, weder will er einen Stand darunter verstehen »noch eine Klasse im Sinne der revolutionären Dialektik des neunzehnten Jahrhunderts«. Der Sozialismus wird bei Jünger überhaupt nicht notiert, dafür ist viel von einer »Arbeitsdemokratie« die Rede, die aber ebensowenig klar wird wie das gewichtige und häufig vorkommende Wort »Planlandschaft«. Das ist alles recht großartig und zugleich von qualliger Unverbindlichkeit. Vor fünfundzwanzig Jahren wurde ähnliches von verlaufenen Sombartschülern produziert. Damals gab es allerdings noch keinen revolutionären Tamtam darum, man nannte dergleichen schlicht und treffend »liberalen Kulturschwafel«. Wir wollen das auch heute so nennen.
Der Fascismus leugnet die Arbeiterklasse, er will sie auflösen. Die Ziele sind bekannt, ebenso die materiellen Kräfte. Wenn man aber die intellektuellen Potenzen betrachtet, die zu gleichem Zwecke eingesetzt werden, so möchte man fast ein stilles Glück empfinden. Die gesamte fascistische und halbfascistische Rechte hat noch nicht einen originellen und wirksamen Schriftsteller hervorgebracht, die passabelsten darunter noch zehren von den geistigen Frühstücksresten der Gegner. Dabei haben die Herren jetzt große Verlage zur Verfügung und noch Geld dazu – wo bleiben nun, da ihnen keine jüdische Tücke die Schwingen lähmt, die verheißenen deutschblütigen Genies? Als Herr Jünger vor ein paar Jahren mit seinem »neuen Nationalismus« startete und auf Grund seiner Kriegserlebnisse sachkundig und unbefangen über das Grauen der Materialschlacht schrieb, konnte er vorübergehend Beachtung erringen. Diese Konjunktur ist abgeblüht, eine neue Epoche hat nicht begonnen. Jünger, heute als Soziologe etabliert, kommt über die durchschnittlichste Untergangsprophetie und Chaosmalerei, an der man sich allmählich sattgelesen hat, nicht hinaus. Nur der Verfall der bürgerlichen Freiheit und die wachsende Ausdehnung der Barbarei in dieser Zeit wird mit einer Liebe zum Detail ausgepinselt, die uns besser als die prätentiöse Ausdrucksform belehrt, warum solche Bücher noch immer geschrieben werden.
Die Weltbühne, 18. Oktober 1932