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Wir haben den Herausgeber der »Weltbühne« gebeten, zu dem gegen ihn und seinen Mitarbeiter ergangenen Urteil hier das Wort zu ergreifen.
Die beiden Verurteilten des »Weltbühnen«-Prozesses lehnen es ab, in Jammerarien auszubrechen. Sie wissen, daß das Urteil des 4. Strafsenats an ihren politischen Absichten vorbeigeht und daß seine Kennzeichnung ihrer Person sie nicht trifft. Die politische Publizistik hat als Beruf niemals eine Versicherung von Leben und Freiheit bedeutet.
Dieser Verzicht auf Sentimentalität bedeutet nicht Verzicht auf Gegenwehr. Das Leipziger Urteil geht in seiner Bedeutung weit über den einen Fall hinaus. Es bedroht aufs höchste die Unabhängigkeit der gesamten deutschen Presse. Das sollten auch diejenigen Blätter begreifen, welche die Verurteilung streng, aber gerecht finden. Denn die politischen Jahreszeiten wechseln schnell; morgen, übermorgen, kann eine andere Fraktion die Angeklagten für politische Prozesse liefern. Da die Öffentlichkeit ausgeschlossen war und Schweigepflicht über alle Beteiligten verhängt worden ist, können wir keinen öffentlichen Rechtfertigungsversuch unternehmen. Wenn wir, wie es bereits heute in der Rechtspresse geschieht, als infame Denunzianten und Söldlinge des Feindbundes beschimpft werden, so müssen wir das hinnehmen und darauf vertrauen, daß die Meinung, die sich billiger Denkende von uns gebildet haben, durch solche Beschimpfungen nicht herabgemindert wird. Aber für den Journalisten, den Mann der Öffentlichkeit, ist es unerträglich, daß er öffentlich erhobene Vorwürfe nicht zurückweisen darf, ohne den über ihn verhängten Bann zu brechen.
Verurteilt hat man uns auf Grund des Spionageparagraphen. Wir sind damit eingegangen in eine Branche, in der sich Oberst Redl und Mademoiselle Docteur ausgezeichnet haben. Man kann das, je nach Gemütsveranlagung, komisch oder romantisch finden; aber wir bedanken uns jedenfalls für eine Romantik, an der schließlich doch der Ruf ehrenrühriger Handlungen klebt. Selbst wenn uns, wie es in Leipzig geschehen ist, die Überzeugung-Täterschaft zugebilligt wurde, so sind wir doch für die Zukunft in gefährlichster Weise abgestempelt.
Und hier wird dieser Prozeß zur Sache aller politischen Publizisten in Deutschland. Jeder von ihnen, der von nun an wegen einer vielleicht geringfügigen Ausschreitung in Wort und Schrift mit dem Gericht in Berührung kommt, kann von diesem mit einer juristischen Begründung abgeurteilt werden, die für immer seine Integrität in Zweifel stellt. In den roten und weißen Diktaturländern von heute exekutiert man die Oppositionellen als Staatsverbrecher. Man exekutiert sie schlechtweg als Gegner des bestehenden Regimes und spart sich die Mühe, nach einem Paragraphen zu suchen, der den Schein des Rechtsverfahrens wahrt. Das mag juristisch höchst anfechtbar sein – politisch ist diese Methode aber redlicher als die in Leipzig beliebte Judikatur. Wer angeklagt ist, ein Feind des Staates zu sein, kann sich eine überflüssige Verteidigung sparen, kann in guter Haltung stehen und fallen. Er weiß, daß er hier nicht der Gerechtigkeit gegenübersteht, sondern daß er in den zermalmenden Apparat der Staatsraison hinein geraten ist. Wer dagegen eines so häßlichen Vergehens wie des Verrates militärischer Geheimnisse an auswärtige Mächte angeklagt ist, der kann sich naturgemäß nur ungeschickt verteidigen. Er geht in dem guten Glauben vor den Gerichtshof, daß diese Anklage unter dem Gewicht ihrer eigenen Unmöglichkeit zusammenbricht, und plötzlich sieht er sich überführt und einem Spruch unterworfen, der ihn in peinlichster Weise abstempelt.
Wir haben in dem inkriminierten Artikel, der im März 1929 erschienen ist, budgetäre Schlampereien und Übergriffe treffen wollen. Der Artikel Kreisers hatte den Sinn, die Gefühle der Achtung vor den Steuergroschen des kleinen Mannes wieder zu schärfen. Zur Zeit, als dieser Artikel erschien, lebte der deutsche Staat noch in vollster Opulenz. Inzwischen sind die deutschen Finanzen zusammengebrochen. Jetzt nach 2 ½ Jahren aber werden die Warner von damals abgeurteilt, weil sie ein verborgenes vaterländisches Heiligtum verletzt haben sollen. Wer wagt heute noch zu bezweifeln, daß diese 1929 geschriebene Warnung zur Sparsamkeit in durchaus wohlmeinender Absicht geschrieben worden ist? Das höchste deutsche Gericht jedoch, gestützt auf die Gutachten jener Ministerien, gegen die sich unsere Vorwürfe von damals richteten, verneint die gute Absicht und diffamiert zwei Schriftsteller als Verbrecher gegen die Sicherheit des Deutschen Reiches!
Dieser Spruch kann nicht ändern, daß wir noch heute zu dem Artikel Kreisers stehen. Wir halten ihn noch heute für verdienstvoll. Wir haben nichts zurückzunehmen.
Wenn das Urteil vollstreckt wird, nehme ich es als einen Fehlspruch hin, aber doch in dem angenehmen Bewußtsein, im Gefängnis nicht lange ohne die Gesellschaft ausgezeichneter Kollegen zu bleiben. Wenn dieses Leipziger Verdikt eine neue Ära von Presseprozessen eröffnen sollte, so wird bald der größere Teil der oppositionellen Redakteure in den Gefängnissen verschwunden sein.
Ich würde keinen Tintenspritzer an einem Widerspruch verschwenden, wenn das Urteil des 4. Strafsenats die erste Kraftanstrengung des Dritten Reiches darstellen würde. Noch leben wir aber in der demokratischen Republik, auf deren Grundsätze ich schwöre und die ich vom Tage ihrer Geburt an verteidigt habe. Noch leben wir im Zustand verbürgter Meinungsfreiheit, noch immer in einem Staate, in dem das Militär den zivilen Gewalten unterworfen ist. Deshalb werde ich weiter dafür einstehen, daß der Geist der deutschen Republik nicht durch eine mißverstandene Staatsraison verfälscht wird.
8-Uhr-Abendblatt, 25. November 1931