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[Antworten] Wilhelm Michel, Darmstadt

Es bereitet mir keine große Freude, Sie niedriger zu hängen, denn Sie gehörten einst zum Mitarbeiterkreis der ›Schaubühne‹, und ich weiß, daß S.J. große Stücke auf Sie gehalten hat. Als Sie sich vor einigen Jahren nach langer Zeit wieder mit einem Artikel bei uns meldeten, hatte ich keine Bedenken, ihn abzudrucken, und ich verteidigte Sie nachher lebhaft gegen einige Leser, die uns erzählten, was Sie sonst so in Darmstadt trieben. Ich hielt das für ziemlich unwahrscheinlich, und deshalb geschieht es mir ganz recht, wenn man mir jetzt ein Theaterreferat von Ihnen, das in der ›Kölnischen Zeitung‹ am 1. Februar erschienen ist, unter die Nase hält. Sie verzeichnen mit Genugtuung, daß sich in Darmstadt heftiger Widerstand erhebt, das Schauspiel von Bert Brecht »Die heilige Johanna der Schlachthöfe« am hessischen Landestheater zur Uraufführung zu bringen. Sie haben von Ihrer früheren Zeit her noch genug Geschmack bewahrt, um diesem Werk den dichterischen Wert nicht abzusprechen, Sie nennen es Brechts hervorragendste Leistung, Sie konstatieren »eine Art von satanischer Begeisterung«. Auf diese Weise beschwichtigen Sie Ihr leise aufmuckendes ästhetisches Gewissen – Überrest einer lange vergangenen bessern Zeit. Dann aber geht es los: »Das Erfreuliche an dem darmstädter Widerstand gegen diese Dichtung liegt darin, daß er sich nicht mit ästhetischem Wenn und Aber abgibt sondern auf den Kern der Sache geht. Der Kern der Sache ist eindeutige bolschewikische Gottlosenpropaganda. Der Kern der Sache ist die Teufelsklaue, die sich gegen Grundpfeiler des abendländischen Lebens ausstreckt. Dieses Stück hat nicht etwa, wie man so sagt, eine gewisse ›Beziehung‹ zur kommunistisch-bolschewikischen Religionsablehnung, sondern es ist dieses Niederträchtige und Menschenfresserische selbst, was wir als den russischen Kampf gegen Gott, gegen die Familie, gegen das ganze geschöpfliche Leben kennengelernt haben. Jahre hindurch sieht das deutsche Volk dem russischen Kesseltreiben gegen alles Glauben und höhere Wissen zu, den Kirchenschändungen, den öffentlichen Lästerungen, den Verbannungen – diesem ganzen unterweltlichen Treiben, in dem ein großes Volk Miene macht, seine lebendige Seele mit eignen Fäusten zu zerreißen. Und nun tritt die Bestie in unserm eignen Haus auf. Sie wagt sich an unsern Tisch, sie blickt uns mit den harten Augen, die wir aus Urzeiten kennen, mitten ins Gesicht, und aus dem Maul kommt hervor, was sie seit Schöpfungstagen auf dem Herzen hat, mit einem dumpfen Röhren: Darum soll man dem, der da sagt, daß es einen Gott gibt ... den Kopf so lange aufs Pflaster schlagen, bis er verreckt ist!« Die darmstädter Spießer rebellieren also, und Sie, ein Mentor in Kunstsachen, empfinden diesen Widerstand »als eine beglückende Regung ungebrochener Lebensinstinkte gegen einen künstlerisch verkappten Mordversuch an unsrer Seele«. Ich halte es für sehr gleichgültig, ob Ihnen als Kunstkritiker das Drama Brechts gefällt oder nicht. Aber die Aufgabe des Kunstkritikers scheint es mir zu sein, ein Werk nach seiner Darbietung zu beurteilen, nicht seine Darbietung zu verhindern, indem man sich dabei des Tons und der sattsamen bekannten Allüren eines gewissen ästhetischen Untermenschentums bedient. Sie reden etwas allzu eilfertig von einem Mordversuch an unsrer Seele. Aber was treiben Sie, wenn Sie verhindern wollen, daß ein schon von vielen geschätztes Theaterstück das Rampenlicht erblicken soll? Der Kunstkritiker mag ein Drama nach der Aufführung abschlachten, aber ihm mit dem Messer zu Leibe zu gehen, noch ehe es auf der Szene erscheint, das ist ein Attentat nicht nur gegen dieses eine Stück sondern gegen das heutige deutsche Theater überhaupt, das ganz gewiß nicht unter einem Überfluß von Mut, Kraft und Talent leidet. Leben Sie wohl, Herr Wilhelm Michel!

Die Weltbühne, 7. Februar 1933


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