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Gang eins

Byzanz

Du mußt es dreimal sagen: der Generalfeldmarschall v. Hindenburg ist kein tragbarer Kandidat für die Linke. Die Parteizentrale der Sozialdemokratie hat gesprochen. Wie viele Wähler werden am 13. März folgen? Das ist das Rätsel des ersten Wahlgangs.

Die Sozialdemokratie formuliert ihre Losung lieber: »gegen den Fascismus« als »für Hindenburg«. Niemand weiß, wie sich die organisierten Mitglieder verhalten werden, noch weniger, wie die großen unkontrollierbaren Massen der Mitläufer, der Sympathisierenden. Was in dem unermeßlichen Inselmeer der politischen Linken heimatlos treibt, die vom bürgerlichen Republikanertum oder die von der deutschen Verkörperung des Kommunismus Enttäuschten, die meisten von ihnen pflegten wohl für einen Wahltag in der stillen Bai der alten Sozialdemokratie zu landen. Werden sie, wie die sozialdemokratischen Blätter verkünden, »mit Hindenburg gegen den Fascismus kämpfen« –?

Dazu müßte sich der erwählte Kandidat zunächst selbst äußern. Der Herr Reichspräsident betont aber nur seine »Überparteilichkeit «, ein Begriff, der bekanntlich recht verschieden auslegbar ist. Da ist die Begleitmusik der zahlreichen Helden- und Jungfern-Kränzchen, die die Kandidatur Hindenburg affichieren, schon viel deutlicher. So hat der gute, alte Graf Westarp, der am 9. November 1918 wie ein Gebilde von Braunbier und Spucke durch die Reichstagsgänge irrte und sich damals wohl nicht träumen ließ, er würde dreizehn Jahre später den Primas der Deutschen Republik küren helfen, einen Aufruf gestartet, in dem es heißt: »In der Stunde des Entscheidungskampfes um Deutschlands Wehrhoheit und Tributfreiheit hat Generalfeldmarschall von Hindenburg sich entschlossen, noch einmal die schwere Bürde des Reichspräsidenten anzunehmen. Hindenburg verkörpert uns deutsche Gottesfurcht und Treue im Dienst des Vaterlandes, eisernes Pflichtbewußtsein und deutsches Soldatentum.« Unterschrieben ist der Aufruf vornehmlich von einigen Dutzend Herrschaften aus Großgrundbesitz und Schwerindustrie, wozu sich die Damen Gräfin Bassewitz (Dätzingen), Gräfin Günther v. d. Groeben Exzellenz, Freifrau Hiller v. Gaertringen, Gräfin Elisabeth v. Pfeil, Oberin v. Lindeiner-Wildau, Gräfin v. Uexkull-Gyllenband Exzellenz und viele andre noch gesellen, darunter Cimbal (Altona), ein allzu schwacher Cimbalschlag nur neben so viel kurbrandenburgischen Fanfaren.

Nun sind das alles nur Namen, aber keine Wähler. Letztere müssen nämlich von der Sozialdemokratie geliefert werden; that's the humour of it! Unsre armen sozialistischen Freunde, die in den letzten Jahren so oft im Wachstuchzylinder und Radmantel von Achtundvierzig paradieren mußten, werden sich nun – o Meiningerei der Politik! – nach einem noch weiter zurückliegenden Kostüm umzusehen haben, um vor Elisabeth v. Pfeil oder Elsa von Brabant Gnade zu finden. In der Stunde des Entscheidungskampfes um Deutschlands Wehretat und Tributfreiheit ... Ist dies das Programm der Sozialdemokratie? ... Deutsche Gottesfurcht und Treue ... Sind dies ihre Ideale?

Wenn die Sozialdemokratie sich schon entschlossen hat, für Hindenburg einzutreten, so muß sie diesem Kampf auch das Cachet geben, so muß sie ihr Fahnentuch um die Herme ihres Kandidaten schlagen, anstatt diesen im Kriegervereinsgeschwafel von Leuten verschwinden zu lassen, die sonst den sanftesten Demokraten gleich arretieren lassen möchten. Ein Wahlkampf von heute ist keine Wagneroper, und die sozialistischen Wähler sind kein Stimmvieh, das einfach abkommandiert werden kann.

Aber schließlich kann man Westarp und den andern Ritterbürtigen keinen Vorwurf machen, wenn der Reichskanzler vor dem Parlament selbst eine Sprache wählt, die nicht nach Weimar sondern nach Byzanz leitet. »Wenn ich die Hoffnung in diesen schweren Tagen nie aufgegeben habe, dann aus einer Tatsache: aus der, daß ich einem Manne dienen darf wie dem Reichspräsidenten von Hindenburg. Vergessen Sie eines nicht: von der Wiederwahl des Reichspräsidenten von Hindenburg hängt es auch ab, ob die Welt glauben soll, daß im deutschen Volke noch Ehrfurcht und Achtung vor der Geschichte und der geschichtlichen Person besteht.« Ehrfurcht vor der Geschichte ist bei einem Volke eine sehr schätzenswerte Eigenschaft, aber daß es sich hier um einen kardinalen Faktor handelt, von dem die Meinung der Welt über uns abhängt, will mir nicht recht einleuchten. In die Gegenwart eines Volkes mischen sich viele Traditionen, es fragt sich nur, an welche anzuknüpfen ist. Die achtzigjährigen Herren Eduard Bernstein und Georg Ledebour, zum Beispiel, erinnern uns an die Zeit des Sozialistengesetzes oder an die großen prinzipiellen Auseinandersetzungen zwischen Reformisten und Radikalen. Der Herr Reichspräsident dagegen bedeutet, wie das nicht anders sein kann, eine natürliche Verbindung mit dem Kaiserreich und dem alten preußischen Militarismus, also Anknüpfung an eine Tradition, die dem Geiste der Republik in allem konträr ist. Wenn der Reichskanzler sich glücklich erklärt, daß er Hindenburg »dienen« dürfe, so bedeutet das einen Rückfall in jene Epoche, in der seine Amtsvorgänger sich bemühen mußten, auch vor dem Parlament die Sprache des Hofzeremoniells beizubehalten.

Die Minister sind nicht die »Diener« des Reichspräsidenten. Die Stellung des Reichsoberhauptes ist durch die Verfassung abgegrenzt. Der Reichskanzler jedoch ist laut Verfassung derjenige, der die Anordnungen und Verfügungen des Reichspräsidenten gegenzeichnet und damit die Verantwortung übernimmt. Artikel 54 sagt nichts von »Dienst«, wohl aber: »Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung das Vertrauen des Reichstags. Jeder von ihnen muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht.« Die Verehrung eines Ministerpräsidenten für das Staatsoberhaupt ist eine angenehme Zugabe, die das Zusammenarbeiten gewiß erleichtert, aber ein konstitutioneller Faktor ist das nicht. Ausschlaggebend bleibt das Vertrauen des Parlaments und die von ihm bestimmte Linie. Gelegentlich hat auch Disharmonie zwischen höchsten Staatsstellen große historische Resultate nicht verhindern können, wie im Falle Clemenceau–Poincaré.

Es ist wieder ein sehr deutsches Unglück, daß als Reichspräsident nicht etwa jemand gesucht wird, der würdig repräsentiert und nicht zu impulsiven Zwischenspielen neigt. Gesucht wird überhaupt kein sterblicher Mensch sondern ein Retter, ein Baldur, eine Figur aus dem Mythos. Das sitzt so tief, daß selbst ein so spärliches Temperament wie Brüning, der als Redner sich ganz gewiß nicht leicht an die Schwärmerei der Sekunde verliert, seine Beziehung zum Reichsoberhaupt durch ein mittelalterliches Bild, in dem sich Heroismus mit Domestikentum seltsam mischt, zu illustrieren für notwendig findet.

Herr, wo waren Sie im Krieg –?

Herr Brüning macht den Republikanern die Kandidatur Hindenburg überhaupt nicht leicht. Er treibt sie unerbittlich durch das kaudinische Joch seiner konservativen Ideologie. Manchmal hat das fast friderizianischen Stil. »Wollt ihr Racker denn ewig leben?« Das klingt so zwischen den Zeilen der kanzellarischen Kundgebungen. So rief Brüning in seiner Reichstagsrede den Nationalsozialisten erregt zu: »Am 9. November war ich an der Spitze einer Offizierstruppe, die sich zur Niederwerfung der Revolution gebildet hatte.« Der Bericht der ›Vossischen Zeitung‹ bemerkt dazu: »Bei diesen Worten klatschen die Mittelparteien stürmisch Beifall, während man auf der Linken deutlich eine Bewegung bemerken kann.«

Doch schon in der Morgenausgabe darauf betont die ›Vossische Zeitung‹, der Satz laute nach der amtlichen Wiedergabe: »Am 9. November war ich in der Gruppe Winterfeld, die zur Niederwerfung der bolschewistischen Revolution gebildet worden war.«

Nun haben einige Millionen Deutsche durch den Rundfunk die erste Fassung gehört. Der Reichskanzler rektifiziert sich, indem er hervorhebt, er habe bei einer Truppe gestanden, die nur gegen Spartakus kämpfen wollte, nicht aber für die gestürzte Monarchie. Das ist der Sinn seiner Korrektur des amtlichen Stenogramms. Wer die damalige Zeit miterlebt hat, weiß, daß der Unterschied nicht erheblich war. Wenigstens konnte man das den damals in den Straßen herumpfeifenden Kugeln nicht anhören, ob sie gegen den Bolschewismus oder für Wilhelm abgefeuert wurden.

Es ist begreiflich, daß die Sozialisten bei diesem autobiographischen Bekenntnis Brünings klamme Finger bekamen. Tags zuvor noch hatten sie ihre nationale Stubenreinheit stürmisch genug beteuert, als sie von dem kleinen Goebbels »Partei der Deserteure« genannt wurden. Natürlich hatte der kleine Goebbels, der seine Unterleibsbeschwerden mit Vorliebe auf der Rednertribüne exhibitioniert – ein Zug, den Tacitus bei den alten Germanen nicht wahrgenommen hat – eine harte Abfuhr verdient. Aber wie die Gekränkten reagierten, das ist wieder bezeichnend für die Niveaulosigkeit dieses Parlaments. Im Nu hatte sich der Reichstag in einen provinzialen Verein verwandelt, dessen verzankte Mitglieder sich gegenseitig die Schicksalsfrage zuschreien: »Herr, wo waren Sie im Krieg –?« Die Sozialdemokraten pochten auf ihre eisernen Kreuze und ihre intakten Soldbücher und führten ihre Narben vor wie Coriolan. Die Sozialdemokraten wären viel patriotischer als die Nationalisten. Hand aufs Herz, wer verlangt das von der internationalen, der völkerbefreienden Sozialdemokratie? Die Arbeiter, die Republikaner, die antimilitaristischen Bürger, die diese Partei wählen? Kaum, aber die Kandidatur Hindenburg verlangt es. Damit die Bassewitze und Itzenplitze, damit der ganze von Westarp und Treviranus auf die Zitterbeine getrommelte Adelskalender nicht doch noch zu Hitler oder Duesterberg humpelt, deshalb muß die Partei mit blankgeputzter Montur antreten.

Das ist das Erschütternde an dem gegenwärtigen Zustand: nicht der Fascismus siegt, die Andern passen sich ihm an. Brüning sucht sich Hitler anzugleichen, die Sozialdemokraten bilden sich an Brüning. Der Fascismus jedenfalls bestimmt das Thema, das Niveau. Eine hingeworfene Schnoddrigkeit des berliner Sportpalast-Tribunen jagt zehn Dutzend sozialistische Deputierte von den Plätzen, zwingt sie dazu, sich als gut vaterländisch zu legitimieren. Ein blamabler Zwischenfall, der nur zeigt, daß die Initiative rechts liegt.

Es mag Zeiten geben, wo auch in der Politik die Anpassung notwendig ist und Wunder bewirken kann. Aber in so entscheidenden Phasen wie heute kommt es nicht auf Angleichung und Schutzfärbung an sondern auf die Herausarbeitung des konsequenten Gegentyps der herrschenden Mächte.

Ein lehrreiches Exempel, wie diese Debatte zu behandeln war, gab merkwürdigerweise der Staatsparteiler Doktor Weber, ein maßlos Gemäßigter sonst. Er verteidigte nämlich nicht die angezweifelte nationale Haltung seiner Leute, sondern hielt den Fascisten einfach ihre Mordliste vor. Und die ganze braune Fraktion stob auseinander wie eine Belialsschar, die plötzlich vor ein Pentagramm geraten ist. Der kleine Goebbels schlich beklommen hinterher wie der Kater beim Gewitter.

Thälmann

Der erste Wahlgang kann keine Entscheidung bringen. Die radikale Rechte tritt gespalten auf. Wahrscheinlich ist die Stahlhelm-Kandidatur nur ein Kind der Angst, schon jetzt eine Entscheidung fällen zu müssen. Hindenburg oder Hitler? Der Stahlhelm wird am Ende bei dem sein, der am 13. März am besten abschneidet und am meisten bietet.

Im übrigen muß noch immer mit einer Resignation Hindenburgs nach dem ersten Wahlgang gerechnet werden. Entspricht das Resultat nicht seinen Erwartungen, setzen wieder neue Intrigen von fascistischer Seite ein, stellt das Braune Haus etwa an Hitlers Stelle einen Hohenzollernprinzen auf, so wird sich der Reichspräsident kaum den Fährlichkeiten des zweiten Wahlgangs aussetzen. Hugenberg und Hitler sind völlig skrupellose Gegner, die sich mit dem Hinweis auf die Verantwortung nicht bluffen lassen. Sie werden nicht davor zurückschrecken, mit Petarden zu schießen.

Immer wieder werde ich in Zuschriften von Lesern gefragt, wer denn am 13. März zu wählen sei. Bleibt denn nichts andres übrig, so heißt es immer wieder, als diese fatale, diese entmutigende Politik des »kleinern Übels«?

Ich bin kein Ratgeber auf dem Kandidatenmarkt, und wer einer Partei angehört, wird im Endkampf zwischen Disziplin und besserer Überzeugung durchweg der Disziplin den Vorrang geben. Gern hätte ich als parteiloser Mann der Linken für einen akzeptablen Sozialdemokraten wie Paul Loebe oder Otto Braun gestimmt. Da kein sozialdemokratischer Kandidat vorhanden ist, muß ich schon für den kommunistischen stimmen. Wahrscheinlich werden viele, die ähnlich denken, ebenso handeln.

Man muß festhalten: die Stimme für Thälmann bedeutet kein Vertrauensvotum für die Kommunistische Partei und kein Höchstmaß von Erwartungen. Linkspolitik heißt die Kraft dort einsetzen, wo ein Mann der Linken im Kampfe steht. Thälmann ist der einzige, alles andre ist mehr oder weniger nuancierte Reaktion. Das erleichtert die Wahl.

Die Sozialdemokraten sagen: Hindenburg bedeutet Kampf gegen den Fascismus. Von wannen kommt den Herren diese Wissenschaft? Der Kandidat betont nur seine Überparteilichkeit, in Sturmzeiten eine lebensgefährliche Formel. Da Propaganda und Farbengebung der Kandidatur Hindenburg ganz und gar in den Händen von Rechtsleuten liegt, so ist es auch völlig unmöglich, über Garantien zu disputieren, die man sonst von einem Kandidaten, einerlei ob Parteimann oder nicht, verlangt. Politik ist ein Frage- und Antwortspiel. Wo man das Recht zu fragen als grobe Ungebühr ablehnt, da mag ein Reich beginnen, das schöner und edler ist als das der Politik, aber, wie gesagt, die Politik hat dort aufgehört.

Es ist ein Unsinn, die Kandidatur Thälmann als eine bloße Zählkandidatur hinzustellen. Wahrscheinlich wird Thälmann eine überraschend hohe Stimmenzahl erzielen können. Das wird übrigens heute schon von bürgerlichen Politikern in privaten Unterhaltungen geäußert. Je besser Thälmann abschneidet, desto deutlicher wird demonstriert, welch einen Erfolg eine sozialistische Einheitskandidatur hätte haben können, was für Möglichkeiten noch immer bestehen. Auf diese Lektion kommt es an. Die Hindenburg-Koalition zwischen ausgedienten Hofdamen der Monarchie und kommenden Höflingen der diktatorialen Republik ist ein Produkt von Parteibureaus, die das Tastgefühl für die Schwankungen der Wählerschaft verloren haben. Deutschland hat in diesen Jahren zu viel gelitten, zu viel gehungert, um sich in seinen Entscheidungen von Pietät bestimmen zu lassen. Die Meisten haben nichts zu gewinnen, wohl aber eine verlorene Existenz zu rächen.

Die Weltbühne, 1. März 1932


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