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Das Verbot der SA.

Durch eine Notverordnung des Reichspräsidenten vom 13. April sind »sämtliche militärähnlichen Organisationen der NSDAP., insbesondere die Sturmabteilungen, die Schutzstaffeln, mit allen dazugehörigen Stäben und sonstigen Einrichtungen« verboten worden. Die Auflösung ging in aller Ruhe vor sich, ohne Meutereien, ohne spontane Widerstände. Die formidablen Hitlersoldaten, der Kinderschreck der Republik, trollten sich schimpfend unter Zurücklassung unflätiger Kritzeleien an den Wänden. Zwar gab es Feuersäulen und Aschenregen, aber in Südamerika und nicht in München, wo bayrische Polizei die Heiligtümer des Braunen Hauses durchstöberte. Deutschland blieb so ruhig wie es war.

Das Verbot der SA. bringt die Deutsche Politik dem Wesen des Rechtsstaats einen Schritt näher. Vorbereitung zum Bürgerkrieg gilt wieder als unerlaubte Handlung, auch wenn sie sich national drapiert. Aber das Verbot setzt nur der frechen Gewaltdrohung ein Paroli entgegen, es beseitigt nicht die mehr oder minder verschämte Begönnerung des Nationalsozialismus durch manche Organe von Justiz und Verwaltung. Im Reich und in den Ländern werden auch weiterhin viele und nicht nur untergeordnete Amtspersonen sich bemühen, daß Hitlers Schlappe nicht zur Katastrophe ausartet.

Bei alledem wird man sich noch fragen, was eigentlich zwischen Morgen und Mitternacht die Stimmung der Reichsregierung gegen die Nationalsozialistische Partei so gründlich gewandelt hat. Anstelle der Nachsicht plötzlich die Faust, anstelle des Augenzwinkerns der Blitz im Blicke. Der Umworbene, der Frühstücksgast von gestern unvermittelt ein Objekt der Politischen Polizei, vom Verdacht des Hochverrats und Landesverrats umwittert.

In rührender Übereinstimmung mit pariser Chauvinistenblättern hat die Hakenkreuzpresse sofort außenpolitische Motive unterstellt. Brüning müsse in Genf des Vorwurfs gewärtig sein, er dulde zu Haus eine milizähnliche Truppe von dreimalhunderttausend Mann, womit die deutsche Abrüstungsforderung an den französischen Nachbarn ihre Ernsthaftigkeit verliere. Aber auch unter Linksoppositionellen hört man, das ganze Verbot sei nur Camouflage. Obgleich Rücksichten auf Genf gewiß mitgespielt haben, darf doch der außenpolitische Flair der Regierung Brüning nicht überschätzt werden. Wir wissen auch, wie kühl die Aufdeckung der Putschpläne nach dem 13. März im Reichsministerium des Innern behandelt worden ist. Es muß also inzwischen etwas sehr Alarmierendes geschehen sein, um Beschlüsse reifen zu lassen, deren bloße Andeutung vor zwei Wochen noch ganz abwegig gewesen wäre.

Der preußische Ministerpräsident hat in seiner Rede im Sportpalast vom 11. April auf einige Ausführungen Hitlers hingewiesen, die dieser einige Tage vorher in Lauenburg in Pommern gemacht hatte. Was hat Hitler gesagt? »Wenn man seiner Partei vorwerfe, daß sie sich einstweilen weigere, die deutschen Grenzen zu schützen, so müsse er allerdings sagen, daß er seine Kämpfer nicht für das System opfern wolle. Er werde die Grenze erst dann schützen, wenn die Träger des gegenwärtigen Systems beseitigt wären.« In diesem Zusammenhang betonte Otto Braun, das in den Nazitresoren beschlagnahmte Material zeuge für die Verratspläne des Fascismus. Man kann daraus folgern, daß die NSDAP vorhatte, eine etwaige kriegerische Verwicklung zu einem Putsch zu benutzen, jedenfalls ergab sich daraus, daß sie nicht geneigt war, sich in die von der Bendler-Straße betriebene Wehrpolitik einzugliedern. Ihre SA. sollten eine selbständige Macht bleiben, nur den Parteizielen dienstbar, keine Miliz, kein Appendix der Armee. Und als endlich der Verdacht rege wurde, daß SA.-Leute Waffenlager der Reichswehr im Osten ausbaldowert hätten, da war auch für Groener die Grenze erreicht, die es unbedingt zu schützen galt, wenn er nicht sehenden Auges in ein zweites Küstrin schlittern wollte. Da mußten auch die diplomatischen Bureaugenerale die Frühstückstafel umstoßen und dem angenehmen Plaudergast die Pasteten ins Gesicht werfen. Es hat seinen eignen Witz, daß die erste bürgerliche Tat der Republik seit langem vornehmlich von militärpolitischen Erwägungen diktiert war. Niemals ist der Reichsinnenminister mehr Reichswehrminister gewesen als in dem Augenblick, wo er das Dekret zur Aufhebung der SA. und SS. unterschrieb.

*

Die Hitlerarmee existiert nicht mehr. Wo aber werden die mehreren hunderttausend Mann bleiben, die bisher von einer Hand nicht nur armiert, sondern auch bekleidet, beköstigt und behaust wurden? Das ist die andre Frage, die der Verbietende nicht leicht wird lösen können.

Eins ist sicher: ohne eine großzügige Arbeitsbeschaffung, ohne einen planmäßigen Vorstoß von der wirtschaftlichen Seite her muß sich bald ein grauenhaftes Marodeurtum entwickeln. Das Land wird überschwemmt werden von Leuten, die nichts gelernt haben als Strammstehen und Schädeleinschlagen. Wir haben das alles schon einmal erlebt, und zwar bei dem Zusammenbruch der Landsknechtstruppen Ehrhardts und Roßbachs. Damals handelte es sich um kleinere Mengen von Freischärlern, die sich hauptsächlich auf Güter im Norden und Osten verteilten, wo sie als Landarbeiter verkleidet ihr Soldatenspiel fortsetzten. Heute können sich auch die Großagrarier keine eigne Garde mehr leisten. Eine furchtbare Aufgabe lastet auf dem Staat, der allzu spät zugegriffen hat, anstatt das Unwesen in seinen Anfängen zu bekämpfen.

Ein Teil der enttäuschten und verbitterten Braunhemden dürfte politisch zweifellos zu den Kommunisten stoßen, was bei den Preußenwahlen schon spürbar sein wird. Man kann der KPD zu diesem Zuwachs nicht gratulieren. Der Stalinismus, in seiner Unfähigkeit, die demokratisch-republikanischen Traditionen Europas zu verstehen, hat überall auf den fascistischen Nationalismus gesetzt und namentlich für Deutschland wurde mit dessen vollkommenem Siege gerechnet. Jetzt ist die bewaffnete Armee des Nationalismus zersprengt – wie aber will die KPD die fascistischen Kombattanten verdauen, die ihr zulaufen werden?

Es ist unwiderleglich, daß am 10. April zahlreiche Kommunisten für Hitler gestimmt haben. Das zeugt nicht, wie ein kommunistisches Blatt meint, von »revolutionärer Ungeduld« sondern von innerer Inkongruenz der Partei und von verdrehten Köpfen, die rechts und links nicht mehr unterscheiden können. Im übrigen lehnen wir mit aller Deutlichkeit die wutkollernden sozialdemokratischen Kommentare dazu ab, grade die Presse der SPD ist am allerschwächsten zu einem Privatissimum über Prinzipientreue legitimiert, sondern halten uns lieber an die ruhige Feststellung der ›Frankfurter Zeitung‹ vom 14. April: »... wir glauben nicht ..., daß Moskau eine andre Parole als ›Thälmann‹ ausgegeben hat. Aber wir wissen aus einer Reihe von Mitteilungen, daß in einer ganzen Zahl von kommunistischen Ortsgruppen unter der Hand (und wo das bemerkt wurde, von den Zentralstellen aus bekämpft) zur Wahl Hitlers aufgefordert wurde.« Man darf also die Lesart, es wären bestimmte Wählerschichten bewußt für Hitler abkommandiert worden, als Unsinn betrachten.

Ein bitterer Geschmack bleibt dennoch zurück. Die KPD hat in ihrer Agitation grade während der letzten Jahre dem Nationalismus eine Konzession nach der andern gemacht, unter Mißachtung der sozialistischen und demokratischen Arbeiterschichten, die zu ihrer Gewerkschaft halten. Das hat dem Einigungsgedanken, der doch immer latent bleibt, schwere Choks versetzt, denn die rote Einigung wird ganz gewiß nicht im Zeichen des Opportunismus und des Wirtschaftsfriedens vor sich gehen, aber sie ist auch nicht denkbar ohne jenen berühmten Zusatz demokratischen Öls, ohne den kein auf europäischem Boden gewordener Organismus leben kann. Die KPD steht heute sehr isoliert, aber sie hat allen andern Parteien das eine voraus, noch immer eine reine Klassenpartei zu sein. Alle andern Parteien sind nicht klassenmäßig gefügt, sondern frisch nebeneinander gesetzte Farbkleckse, von einem schwachen ideologischen Fixativ mühsam gebunden. Von dem großmächtigen Hindenburgblock, der ohne Programm und Geist durch nichts zusammengehalten wurde als durch die gemeinsame Verehrung für den Herrn Reichspräsidenten, ist zum Beispiel heute nichts mehr übrig; jetzt, im preußischen Wahlkampf, schlagen sich schon die einzelnen Konsorten munter die Pantoffel um die Ohren.

Die KPD ist noch keine Partei der Gestaltung sondern der Erwartung. Wann sie an die Spitze treten und die historische Mission der Arbeiterklasse weiterführen wird, kann bei den fließenden und stürzenden Wirtschaftsverhältnissen dieser Epoche niemand voraussagen. Es soll in diesem Augenblick nicht mit ihr gerechtet werden, daß sie allen denen, die von links zu ihr streben, die starre Miene einer überalterten und nirgends bewährten Orthodoxie entgegensetzt. Es soll hier nur der Wunsch ausgesprochen werden, daß die Partei gegen die hellen Haufen der von ihren Führern verlassenen Fascisten, wenn sie mit der glanzlos gewordenen entmachteten Landsknechtsfahne des Nationalismus an ihre Tore pochen, die gleiche Härte aufbringt.

*

Das Verbot der SA. befreit Hitler von einer schweren finanziellen Bürde. Es wäre ihm auf die Dauer unmöglich geworden, seine Armee weiter zu unterhalten, denn die Mittel fließen nicht mehr wie früher. Er ist damit aber auch seine Prätorianer los, deren sozialrevolutionäre Impulse ihn ängstigten und deren hungriges und gewalttätiges Sansculottentum oft seine Pläne durchkreuzte. Er konnte es nicht wagen, sie heimzuschicken – schon im April Einunddreißig nach der Stennesrevolte hätte ers gern getan. Jetzt haben es andre für ihn besorgt. Das geschmähte »System« hat Hitler vor der Schlußabrechnung mit seinen eignen Gurgelabschneidern bewahrt.

Mit dem Verbot der SA. mindert sich aber auch der Einfluß der ehrgeizigen und herrischen Satrapen, der »Gauleiter« vom Kaliber Goebbels, die ihren erhabenen Führer in München als Operettendiva verlachten und ihm mehr als eine Perle aus der Krone holten. Die Herren Gaugrafen stützten sich weit mehr auf die Parteitruppen als auf die Partei selbst. Sie waren die eigentlichen Träger des Antisemitismus und der Boxheimerei; ihre Versammlungen waren blutrünstiges Theater, das die gemeinsten und rohesten Instinkte herauskitzelte. Sie vor allem haben Hitler und das münchner Hauptquartier verhindert, aus der Agitation in die praktische Politik einzubrechen. Jetzt birst diesen Gangsters und Fuselschiebern des Nationalismus, diesen deutschen Al Capones und Jack Diamonds, das Podium unter den Füßen. Ohne Fahnen, ohne Musik und Bockbier werden sie bald aussortiert sein oder irgendwo anders unterkriechen. Ein absurder Zeitabschnitt, in dem der Pferdehändler sich wie ein Prophet gebärdete, der Seifenreisende wie ein Messias, nähert sich dem Ende.

Zweifellos wird Hitler ohne das gewohnte Brimborium auch manches einbüßen. Wenn er in ein Versammlungshaus kommt, von einigen ernsten Herren mit der Mappe unterm Arm begleitet wie andre politische Redner auch, wird die Phantasie seiner Anhänger zurückschweifen müssen in die vergangene braune Herrlichkeit. Dafür ist Hitler seiner illegalen Janitscharen los und ledig. Er ist ein streng legaler Parteiführer, mit dem man sich an einen Tisch setzen, den man zur Koalition einladen kann. Er hat einigen Nimbus verloren, aber auch ernsten Krankheitsstoff. Er muß sich heute fühlen wie ein Hypochonder, dem man soeben mit Erfolg den Blinddarm wegoperiert hat. Eines bestimmten hohen Prozentsatzes der Wählerschaft ist Hitler ohnehin sicher. Der Osten hat für ihn optiert, der agrarische Osten, nationalistisch und militaristisch von alters. Was bleibt, ist der fascistische Grundzug der Nationalsozialistischen Partei, was dahinschmilzt, ist das in den westlichen Industrierevieren und den großen Städten angeschwemmte Element roter Rebellion. Das Gesicht der Partei verändert sich, bald wird uns statt des rauhbärtigen Wotanskopfes die alte Reaktion preußischen Couleurs anblicken.

Die heute regierenden Mächte werden sich dieser Entwicklung nicht entgegenstemmen, sie werden, im Gegenteil, die Zähmung der Hitlerpartei sich als großes staatsmännisches Verdienst ankreiden. Sie haben sich schon so lange an dem Nationalsozialismus gebildet, daß die Ähnlichkeit immer größer geworden ist. Was unterscheidet Brüning und Groener von einem Hitler, der nicht grade mit Schaum vor dem Munde die Massen anfeuert, sondern politisch zu argumentieren versucht? Exeunt SA. Der Wall zwischen Reichsregierung und NSDAP ist gefallen. Der Begegnung steht nichts mehr im Wege als die Erinnerung an vergangene Unstimmigkeiten. Hitler hat Deutschland von einem Ende zum andern mit Nationalismus gefüllt, er hat in die Wirtschaftspolitik den Gedanken der Autarkie eingeführt. Die Brüningregierung wird sorgen, daß da kein leerer Raum entsteht, daß namentlich außenpolitisch der Chauvinismus keine Enttäuschung erlebt und die Politik der Wilhelm-Straße dort einrückt, wo die Demagogie so heftig vorgearbeitet hat.

Trotz diesen skeptischen Erwägungen bleibt das Verbot der braunen Privatarmee das denkwürdigste Ereignis seit dem 14. September 1930. Angesichts der Ruhe, mit der alles klappt, fragt man sich, wie es möglich war, so lange zu zögern. Wie hat man den Popanz doch überschätzt! Vor anderthalb Jahren wurde an dieser Stelle die Ausweisung Adolf Hitlers gefordert. Was wäre denn geschehen, wenn man damals schon zugepackt hätte? Heute wird das Haus in der Hedemann-Straße versiegelt, im münchner Parteipalais stöbert die Polizei. Zwar gibt es Feuersäulen und Aschenregen, aber weit weg – in Südamerika. Deutschland ist so ruhig wie es war.

Die Weltbühne, 19. April 1932


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