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Am Katzentisch

Rodomontaden haben in der bürgerlichen Politik nichts verloren. Daher ihre Beliebtheit. »Nachdem ich mich aus militärischen und politischen Gründen zum Wiederaufbau unsrer Seestreitkräfte im Rahmen, den uns der Versailler Vertrag noch ließ, entschlossen habe, stehe und falle ich mit dieser einmal in Angriff genommenen Flottenpolitik. Ein Zurück gibt es für mich nicht.« Also Herr Groener.

Wenn wir uns nicht irren, hat sich der Herr Wehrminister schon einmal in einer gewissen historischen Situation ähnlich kraftvoll ausgedrückt. Das war im Januar 1918, als sich gegen das Hindenburgprogramm der Streik der Munitionsarbeiter erhoben hatte. Damals sah Herr Groener darin, nicht ohne Unrecht, das Flackern der Revolution und sandte die Kartätschen seiner Beredsamkeit dazwischen. Als dann die Revolution wirklich kam, da dachte Herr Groener nicht mehr daran, zu stehen und zu fallen, er ging vielmehr mit. Daraus soll ihm kein Vorwurf gemacht werden, es war das wohl die vernünftigste Handlung seines Lebens. Herr Groener, der sich wie ein eiserner Ritter vor seinen Panzerkreuzer stellt, ist in Wahrheit aus viel weicherm Teig gebacken.

Warum also alljährlich dieser Krach um ein maritimes Bauprogramm, für das sich außerhalb des Wehrministeriums niemand interessiert und an dessen militärische Bedeutung niemand mehr glaubt? Die große Anteilnahme, mindestens in diesem Jahre, geht auf soziale, nicht auf militärische Dinge. Eine Vertagung des Bauprogramms hätte vielleicht in der Redaktion des ›Angriffs‹ einen kleinen Gesäßkrampf hervorgerufen, aber sonst niemanden ernstlich tangiert. Warum also so viel Hartnäckigkeit in einer so überflüssigen Sache?

Wenn dieses Wunderschiff B auch militärisch nicht mehr bedeutet als ein leicht angetrunkener Sterndampfer, so hat es doch eine politische Funktion, die weit wichtiger ist als seine sonstigen glorreichen Perspektiven: es erinnert nämlich die Sozialdemokratie an ihre von Gott und Brüning gewollten Abhängigkeiten. Dieser Panzerkreuzer, von einer sozialdemokratischen Regierung in einer allzu blauen Stunde empfangen, ist für immer deren Kind. Nun meldet sich dieses Kind Jahr für Jahr und schreit nach seiner Rabenmutter. Jedesmal, wenn die Sozialdemokratie grade eine höchst entschiedene Opposition beziehen will, dann geht das fatale Geschrei wieder los und erinnert an Familienpflichten. Und selbst wenn die Partei schon dumpf entschlossen ist, von jetzt an sich taub zu stellen, dann darf sie sich nicht zurückziehen, ohne dafür gesorgt zu haben, daß sich wenigstens Andre ihres Sprößlings annehmen. So mußte sie sich zornigen und verwirrten Gemüts ihren Kopf zerbrechen, woher Herr Brüning das Geld nimmt, das sie nicht zugestehen will. Denn wenn der Generalvormund Brüning geht, dann wird alles noch viel schlimmer. Diesmal hat die Partei die erlösende Formel gefunden, daß die »Reichen« ihren Kreuzer selbst bezahlen sollen, das heißt, die Einkommensteuer auf Einkommen über 20 000 Mark soll erhöht werden, ebenso die Tantiemesteuer. Das hört sich zunächst recht verwegen an, aber, weiß Gott, was Herr Brüning jetzt schon für Kompensationen für die hart getroffenen Reichen in petto hat, Kompensationen, die wieder auf Kosten der Sozialdemokratie und der von ihr vertretenen Schichten gehen. Und im nächsten Jahre hat die arme Partei ihren Balg doch wieder auf dem Pelz. Es hilft nichts, die Sozialdemokratie sitzt hoffnungslos am Katzentisch. Sie präsidiert der Gesellschaft der Schlechtweggekommenen. Sie trägt die Opfer jener Politik, die angeblich die Hitlerregierung verhindern soll. Zum Dank dafür gibt man ihr eine Kröte nach der andern zu schlucken.

Aber keine Bange, auch der Katzentisch hat seinen Stolz. Auch der Katzentisch hat seine Festredner, die nicht weniger dröhnen können als die Honoratioren an der besser bestellten Tafel. Am Katzentisch steht man, was nationale Hochstimmung angeht, nicht zurück. Wir verkennen nicht den ungeheuren Zwang über dem Handeln der sozialdemokratischen Partei. Aber warum sie einer Politik, die ihrem Bestand ohnehin schon gefährlich ist, jetzt durch taktische Äußerlichkeiten den Charakter des Selbstmordes gibt, das ist schlechthin unbegreiflich. Sie haben richtig verstanden, verehrter Genosse Funktionär, wir sprechen von den Reden der Abgeordneten Stücklen und Schöpflin. Beide Herren waren schon vor 1914 an der alljährlichen Militärkritik im Reichstag beteiligt, aber beide haben auch in den Stürmen des Lebens seitdem diese gute Schule vergessen. Beide freuen sich sehr, daß wir heute ein republikanisches Heer haben. Diese Freude trübt ihnen die Augen, so daß sie nicht mehr prüfen können, was an diesem Heer eigentlich republikanisch ist. Die Selbstgefälligkeit, mit der Herr Stücklen die republikanischen Errungenschaften unsrer Wehrmacht preist, wird noch durch das gut geölte vaterländische Pathos Herrn Schöpflins um einiges überboten. Es ist eine Tollheit, in einer der wichtigsten Fragen einen Mann herauszustellen, der noch nicht über die sozialpatriotische Phraseologie der Kriegsjahre hinausgekommen ist. »Auf Grund ihrer positiven Stellungnahme«, so führte Herr Schöpflin im Haushaltsausschuß aus, »habe die Sozialdemokratie die Vaterlandsverteidigung immer bejaht, auch schon in der Kaiserzeit. Er sei nicht nur Sozialdemokrat, sondern auch Deutscher. Wenn es sich um das deutsche Volk und das deutsche Vaterland handle, dann gehe er zehnmal lieber mit Herrn Groener, als nur einmal mit Herrn Stöcker.« Das soll die grundsätzliche Erklärung der Sozialdemokratie zum Wehretat sein? Das in einer Zeit, wo die Sozialdemokratie ständig von der Zusammenfassung aller antifascistischen Kräfte spricht. Diese Rede allein wird ein paar hunderttausend Stimmen kosten.

Niemals hat die Sozialdemokratie eine bindende Bejahung der Landesverteidigung ausgesprochen, allerdings auch niemals das Gegenteil. Es ist ihre Tragik, daß sie zu keiner vollen Eindeutigkeit gelangt ist. Aber das berühmte Wort August Bebels, daß er selbst die Flinte auf den Buckel nehmen würde, wenn der Zarismus über Deutschland herfiele, kann nicht als Dogma geltend gemacht werden, denn es ergab sich aus einer bestimmten Situation. Dennoch waren seine Folgen schlimm genug: die Geschichte vom russischen Angriff ermöglichte es Bethmann Hollweg, die Partei vor des Kaisers Kriegskarosse zu spannen. Aber wir brauchen grade diese Frage nicht historisch zu betrachten, die Gegenwart genügt. Welche Politiker, welche Parteien in Deutschland bejahen denn heute die absolute Landesverteidigung? Glaubt denn jemand, daß Hugenberg, Hitler und Stahlhelm Deutschland gegen einen Angriff verteidigen würden, an dem Italien und Ungarn beteiligt sind? Und ist es nicht allmählich bekannt geworden, daß in der Reichswehr Strömungen vorhanden sind, die sie bald an eine westliche, bald an eine östliche Koalition heften wollen? Die Reichswehr will sich lieber ihre Gegner selbst aussuchen, anstatt sich an eine abstrakte Formel zu heften. Grade in der augenblicklichen Phase ist »Landesverteidigung« eine Fiktion. Jeder Krieg würde Deutschland heute in mehrere Teile zerreißen, und mindestens einer davon würde den Angreifer als Verbündeten begrüßen. Den sozialdemokratischen Wehrpolitikern, die am Katzentisch so selbstbewußt pokulieren, als wäre ihr Gänsewein Krambambuli, aber sei es verraten, daß ihre Genossen im Lande keinen ranzig duftenden patriotischen Snobismus wünschen, sondern eine Politik, die das Land möglichst niemals in die Lage bringt, seine Unabhängigkeit verteidigen zu müssen. Denn Vorbeugung ist alles.

Die Weltbühne, 17. März 1931«


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