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Die Reichsgründungsfeier des Kyffhäuser-Bundes hat in harmonischer Weise die ragenden Spitzen von heute mit den abgebrochenen Spitzen von gestern in einer Stuhlreihe vereint. Neben den Repräsentanten des Reiches wurde die schnittige Figur des ehemaligen Harembesitzers von Charleville allseitig bemerkt und Gegenstand lebhafter Huldigungen, eine höchst peinliche Situation, die indessen von den Offiziellen philosophisch ertragen wurde. Es ist nun einmal so, daß den Herren, die ständig die Würde der Nation im Munde führen, das primitivste Gefühl für die Würde des republikanischen Staates und des eignen Amtes abgeht.
Die Rede, die der Herr Reichskanzler zur Feier beisteuerte, ist nicht geeignet, ihm als Staatsmann Ehre zu machen. Der Kanzler-General hätte darauf verzichten müssen, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht selbst anzukündigen, wenigstens hätte er sich nicht einer so grobschlächtigen Formulierung bedienen dürfen. Wenn sich im ganzen trotzdem nur einige Blätter in Paris und Warschau darüber aufregten, so liegt das daran, daß die vernünftigen Leute jenseits unsrer Grenzen nicht daran denken, bankrotten deutschen Politikern das Stichwort für die heiß ersehnte Flucht aus dem Stachelgestrüpp sozialer Tatsachen auf das bequeme Feld der nationalen Entrüstung zu liefern.
Keine Regierung hat sich so steril, so arbeitsunfähig wie die gegenwärtige gezeigt. Keine hat es infolgedessen so notwendig, die ausgebliebene bürgerliche Leistung durch militärisches Spectaculum zu ersetzen.
Unmittelbar nach der Rede des Reichskanzlers wußte man in verschiedenen Blättern schon allerhand über die Pläne im Reichswehrministerium zu erzählen. Und wenn auch manches noch in vager Andeutung stecken bleibt, gewiß ist, daß die Projekte für Umbau und Aufstockung unsres Wehrsystems schon weit gediehen sind, seitdem der Erbfeind so liebenswürdig war, uns die Idee der Miliz auf dem Servierbrett zu überreichen.
Dabei ist durchaus nicht zu erwarten, daß man in der Bendler-Straße auf die bisherige Form der Reichswehr leicht verzichten wird. Vor einigen Jahren erst hat Generaloberst von Seeckt sich in einer grundlegenden Studie um den Nachweis bemüht, daß die deutsche Armee angesichts der heutigen gesellschaftlichen Struktur gegenüber den Millionenheeren andrer Staaten Momente von Überlegenheit aufweise. Eine solche Truppe von langjährig Verpflichteten trage alle strategischen und technischen Möglichkeiten zur Elite in sich und sei, vor allem, gegen revolutionäre Infektion gefeit. Was auf die Riesenheere, in denen die lichten Siegfriedsgestalten neben der Überzahl schlecht genährter proletarischer Schwarzalben verschwinden, nicht ganz zutrifft. Es ist nicht anzunehmen, daß die plänemachenden Offiziere sich inzwischen von den Erkenntnissen Seeckts so völlig abgekehrt haben. Die allgemeine Wehrpflicht dürfte ihnen weniger Herzenssache sein als vielmehr Gelegenheit zu einem demagogischen Schlagwort.
In Deutschland wird zur Zeit alles Innenpolitik, alles zum Gegenstand von Balgereien zwischen Parteien, wirtschaftlichen Machtgruppen, Verbands- und Cliquenführern. Auch die neue Militärpolitik, mag sie noch so dräuend ihr Angesicht gegen das Versailler System wenden, ist zunächst unter innerdeutschen Aspekten zu beurteilen. Der deutsche Militarismus ist in der Republik noch exklusiver geworden, ihm liegt vornehmlich daran, sich das Wehrmonopol zu sichern. Zu viel Volk könnte da stören. Wie die Dessins in der Bendler-Straße im einzelnen auch beschaffen sein mögen, man kann gewiß sein, daß die Quote, mit der die verschiedenen politischen Strömungen an der Armee der nahen Zukunft beteiligt sein sollen, ganz besonders schwierige kalkulatorische Aufgaben stellt.
Diese Frage ist in der Tat die heikelste. Wenn die stolzen Pläne sich am Ende doch als undurchführbar erweisen sollten, dann würde nicht die schwache republikanische oder antimilitaristische Abwehr daran schuld sein, sondern ausschließlich dieser Quotenstreit. Manches in den Presseinformationen über das Projekt läßt auf Schwierigkeiten in der Praxis schließen. Es wird nicht beabsichtigt, so heißt es unter anderm, das alte Einjahrig-Freiwilligen-Prinzip wieder aufzunehmen. Man denke im Gegenteil daran, für die durch die höhere Schule gegangenen Volksteile, eine längere Dienstdauer einzuführen und eine Verbindung mit dem sogenannten akademischen Dienstjahr und verwandten Einrichtungen herzustellen.
Nachtijall, ick hör dir laufen! Es soll also eine besondere Kaste von Dauersoldaten geschaffen werden. Die akademisch gebildeten Bürgersöhne, die heute in materieller Hinsicht eine völlig hoffnungslose und deshalb auch am heftigsten rumorende Schicht darstellen, sollen, wenn diese Mitteilungen auf Tatsachen beruhen, besonders lange im militärischen Dienstverhältnis bleiben. Daneben werden die weniger erwünschten Arbeiterjungen zu passagèren Gestalten: sie lernen die Knarre handhaben, die Gasmaske aufsetzen, sich lang hinwerfen, kurzum das, was der Soldat zum grade noch vorschriftsmäßigen Leben und Sterben braucht. Die gehobene Kategorie dagegen wächst zu einer Art von Schwertadel, durch Gesinnung und wirtschaftliches Interesse den Inhabern des Wehrmonopols aufs engste verbunden. Eine Klassenarmee, ein weiterer Schritt zum Feudalstaate.
Es ist nicht unsre Aufgabe, das beste Wehrsystem zu ergründen. Denn es gibt kein bestes Wehrsystem. Es ist aber notwendig, die Herren Militärpolitiker in ihrem eignen Malepartus aufzustöbern und ihnen die Differenz zwischen Programm und wirklicher Bedeutung nachzuweisen. Sie behaupten, die Miliz zu wollen. Miliz aber bedeutet die Erfassung möglichst vieler Wehrtauglicher und ihre gleichmäßige Ausbildung, keinesfalls aber gestattet ihr Prinzip die Einbauung eines besondern prätorianischen Sektors.
Unsre Militaristen belieben, sich auf den toten Jaurès zu berufen, der ein paar Jahre vor dem Weltkrieg einen großzügigen Milizentwurf veröffentlicht hat. Wer sich die Mühe macht, sein Buch »Die neue Armee« zu studieren, wird nichts darin finden, was den Leuten mit dem rostigen Stülpnagel im Hirn Anlaß geben könnte, diesen wunderbaren sozialen Demokraten als Eideshelfer zu mißbrauchen.
Was proklamierte denn Jaurès als Ziel?
»In Frankreich selbst mit allen Kräften der republikanischen Demokratie der Arbeit zum Siege über das Eigentum zu verhelfen; und durch entschiedenes und augenfälliges Verwerfen jeder Angriffsidee und energisches Eintreten für Schiedsgerichte und natürliches Recht den Frieden draußen zur Herrschaft zu erheben.«
Die »neue Armee« war für Jaurès die zweite Realisierung von 1793 und der levée en masse, ein Instrument zur Verteidigung der Arbeiterdemokratie, aber nicht einer militärischen und sozialen Reaktion:
»... durch seine unermüdliche Tätigkeit muß das Proletariat beweisen, daß es nicht aus furchtsamer Selbstsucht, nicht aus menschlicher Feigheit und bürgerlicher Trägheit den Militarismus und den Krieg bekämpft, sondern daß es ebenso entschlossen und bereit ist, die volle Tätigkeitsentfaltung eines wahrhaft volkstümlichen und zweckmäßigen Armeesystems zu sichern, wie die Anstifter von Konflikten niederzuschlagen.«
Die »neue Armee«, das ist kein Spielzeug für feudale Generale und Diplomaten, sie ist das Proletariat in Waffen!
»Laut muß es das Gräßliche und Lächerliche des Krieges verkünden, dessen Rolle in der Geschichte der Menschheit schrecklich zweischneidig, zugleich unheilbringend und fruchtbar war, der aber in unsrer Welt der Demokratie und der Arbeit vollkommen veraltet, widersinnig und verbrecherisch ist. Mit einer revolutionären Verzweiflungstat muß es jede Regierung ernsthaft bedrohen, die so unvernünftig und strafwürdig ist, einen Konflikt heraufzubeschwören ...«
Die große Vision des Jaurès ist heute in Frankreich wenigstens technisch in die Tat umgesetzt worden, wenn auch nicht dem Geiste nach, sie erscheint eher wie eine Vorahnung der Roten Armee, sie paßt aber ganz und gar nicht zu den gegenwärtig in Deutschland betriebenen militärpolitischen Spekulationen. Wir verlangen von den Herren Offizieren nicht die durchschnittliche zivile Logik, wir denken nicht daran, so unsittliche Zumutungen zu stellen. Aber sie sollen wenigstens die gute soldatische Tugend zeigen, die Begriffe sauber auseinanderzuhalten und nicht unverträgliche Dinge miteinander vermanschen.
Jaurès bemerkt in der Einleitung zu seinem Werk: »Stendhal hat von Bonaparte geschrieben: Er hat niemals Unbestimmtes gesagt.« Das sei unsern Bonaparte-Anwärtern zur besondern Beachtung empfohlen.
Die Weltbühne, 24. Januar 1933