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Die von hamburger Hitlerleuten begangenen Bluttaten haben den Verdacht erweckt, daß die dortige Obrigkeit die Nazis ganz besonders fest angepackt habe. In Wirklichkeit stand man in Hamburg den Nazis ebenso hilflos gegenüber wie anderswo auch. Die Mittelparteien erwogen lange ein Wahlbündnis mit dem Rechtsradikalismus, und ob die paar Morde der Deutschen Volkspartei den Appetit dazu geraubt haben, ist noch gar nicht sicher. Was aber die staatliche Exekutive angeht, die in den Händen eines sozialistischen Senators liegt, so suchte sie den Feind vornehmlich links. Vor mir liegt ein Brief aus Hamburg, in dem die seltsamen Vorfälle geschildert werden, die das Auftreten Herrn Franzens aus Braunschweig in einer kürzlich abgehaltenen Versammlung begleiteten. Als die Manager sahen, daß im Saal proletarisch Gekleidete überwogen, wurde ihnen die Geschichte unheimlich, dieses Publikum schien ihnen für ihren Franzen nicht geeignet zu sein, und sie beschlossen, wenigstens einen Teil davon loszuwerden. Der Briefschreiber fährt jetzt fort:
»Aber endlich, endlich war der rettende Gedanke geboren: diese Untermenschen sind durch einen Schwindel in den Saal gekommen. Und gefälschte Karten haben sie vorgezeigt! Kartenkontrolle aller im Saal Anwesenden war das erlösende Wort. Gemeinsam mit der Polizei wurde nun diese Aktion durchgeführt. Keine leichte Arbeit; aber um vieles erleichtert, wenn man erfährt, daß eine Auswahl weniger nach der vorgezeigten Karte als nach der Nase des Inhabers vorgenommen wurde. Sah diese bewußte Nase nun etwa zu proletarisch aus oder war die Kleidung des Karteninhabers verdächtig, einen leibhaftigen Antifascisten oder gar waschechten Kommunisten zu bedecken, so mußte er den Weg nach einem kleinern Saal in der ersten Etage oder in den Keller antreten. Nicht etwa, um hier Parallelkundgebungen durchzuführen sondern einfach zu dem Zweck, den Herrn Minister Franzen vor dem Anblick dieser elenden Proleten zu bewahren.
Während die Kunde von dieser schändlichen Provokation durch die Arbeiterquartiere Hamburgs eilte, bemühte sich Herr Polizeisenator Schönfelder, eine gründliche und saubere Arbeit für seinen Minister-Kollegen Franzen zu liefern. Sämtliche verfügbaren Polizei-Last-Kraftwagen wurden nach Sagebiel beordert und bald begann der schubweise Abtransport der massenhaft Sistierten. In rasendem Tempo ging die Fahrt nach dem Stadthaus; als dieses überfüllt war, nach verschiedenen Schupowachen und zum Schluß gar noch nach der Kaserne Am Schlump. Wenn die Polizei nun glaubte, zirka tausend Menschen ohne Aufsehen und Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung verhaften zu können, so irrte sie gewaltig und zeigte wieder einmal, wie wenig der Name ›Volkspolizei‹ mit den Tatsachen zu tun hat. Erregte die Arretierung und Einsperrung der Tausend nach Bekanntwerden schon ungeheure Erregung, so wurde diese durch den Abtransport der Verhafteten auf achtzehn Lastwagen mit Anhängern durch die an diesem Abend außerordentlich belebten Straßen Hamburgs noch mehr gesteigert. Selten noch hat Hamburg eine so mächtige und eindrucksvolle Demonstration der revolutionären Arbeiterschaft gesehen als an diesem Tage, da die Polizei eine solche unterdrücken und verhindern wollte ...
Endlich gegen acht Uhr war der Abtransport der ›Öffentlichkeit‹ bewerkstelligt. Herr Minister Franzen konnte seine Rede halten, allerdings das Volk, das in erster Linie diese elenden Zustände beseitigt sehen will, war nicht anwesend. Es sielte sich irgendwo auf den Pritschen und Strohlagern der republikanischen Polizeiverließe herum, bekam dort aber die gründlichste Aufklärung über die Nazis und ihr kommendes Reich. Denn das, was am 12. März von der unter sozialdemokratischer Führung stehenden hamburger Polizei unternommen wurde, war eine der fascistischen Methoden Italiens, die zu bekämpfen heute Sozialdemokratie und Polizei sich brüsten.«
So wird also die Polizei zugunsten einer wiederholt als staatsfeindlich verfemten Partei eingesetzt. Welch seltsame Verwirrung mag das in den schlichten Köpfen der hamburger Wachtmeister anrichten, von denen viele schon die Naziagitation außerdienstlich auf sich haben einwirken lassen. Der Staat hat sie nur dabei selten gestört, seine Autorität haben sie nicht gespürt, sie selbst verkörpern sie ja gegen die Roten. Sie sind sich nicht recht klar darüber, ob sie noch in der Republik von Weimar oder schon im Dritten Reich leben. Sie wissen auch, was bei andern Behörden gefällig ist. Daß zum Beispiel Steuerbeamte ihrem Dienst mit absichtlicher Säumigkeit nachkommen, damit die verdammte Judenrepublik kein Geld in die Kassen kriegt, daß Untergebene, wo es nur geht, ihre Vorgesetzten in Verruf bringen und deren Arbeit nach Kräften erschweren. Und plötzlich kommt über Vater Staat eine Art hektischer Energie. Der Wachtmeister Pohl soll über unerlaubte politische Tätigkeit vernommen werden. Der Wachtmeister Pohl findet es ein starkes Stück, sich von einem jüdischen Regierungsrat ausfragen zu lassen. So steigt er, mit einer Pistole bewehrt, ins Verhör und legt den Inquisitor ruhig um. Vierundzwanzig Stunden später erschießt ein ehemaliger Schutzpolizist mit der gleichen kühlen Sachlichkeit einen kommunistischen Agitator. Was bedeuten sie schon in der republikanischen Welt, der jüdische höhere Beamte und der kommunistische Funktionär? Morgen wird doch mit ihnen abgerechnet werden – ist es da ein Verbrechen, die Vollstreckung des schon lange ergangenen Urteils vorwegzunehmen? Diese Mörder fühlen sich als Richter, als Justizpersonen einer Legalität, die zwar noch keine endgültige Anerkennung gefunden hat, aber doch heute schon in ungezählten Köpfen mit dem höhern, mit dem ungesatzten, mit dem natürlichen Recht identifiziert wird, das mit jeder Generation neu wächst.
Die hamburger Bluttaten haben gezeigt, daß es mit der oft aufdringlich genug gefeierten Beamtendisziplin nicht gut steht. Sie haben Gefahren deutlich gemacht, die bisher von den obern Stellen immer geleugnet wurden. Skeptikern wurden einstimmig angenommene Resolutionen von Beamtenkongressen unter die Nase gehalten, Papiere voll schematisch beteuerter Staatstreue. In Pommern ist man jetzt einem Gendameriekommandanten auf die Schliche gekommen, bei dem die rechtsradikale Propaganda für die ganze Provinz zentralisiert war. Im Ressort des Herrn Postministers sieht es noch viel bunter aus. Überall brechen jetzt die Geschwüre auf. Jahrelang hat man die gesamte Beamtenschaft gegen Rot dressiert. Man war zufrieden, wenn sie gegen die Kommunisten funktionierte, wobei es auf die legale Form nicht immer ankam. Was der etwas unsanft aus dem Schlafe geschreckte Herr Reichsminister Wirth jetzt machen wird, ist ziemlich gleichgültig. Wahrscheinlich wird nicht mehr herauskommen als ein vielziffriges Merkblatt für die Länderregierungen »staatsfeindliche Bestrebungen betreffend«, das ebenso gut gegen links gebraucht werden kann und gewiß auch so gebraucht werden wird. Daß dies nur schwache Abwehr ist und keine wirksame Gegenoffensive, das dürfte auch Herr Wirth wissen, der nach dem Rathenaumord, in dem einen heroischen Moment seines Lebens, die richtige Sprache gefunden hat. Eine Gegenbewegung müßte über die größere geistige Stoßkraft verfügen, sie müßte die Massen in Bewegung bringen, die die Republik auch heute noch immer haben kann, wenn sie nur will. Aber der Horror dagegen ist beinahe noch größer als die Angst vor den Nazis. In Hamburg hat man zum Beispiel nichts Besseres zu tun gewußt, als einen Ausnahmezustand zu verhängen, der die K.P.D. ebenso trifft wie die N.S.D.A.P., das heißt, man stellt Mörder und Gemordeten auf eine Stufe. Daran erkennt man die Hand der Sozialdemokratie. Selbst dieser Augenblick ist ihr grade recht, der verhaßten kommunistischen Konkurrenz eins auszuwischen. Vor dem blutigen Bahrtuch eines gemeuchelten Arbeiterführers könnte wohl eine kleine Waffenpause eintreten, eine Stunde der Erinnerung an lange vergangene gemeinsame Kämpfe.
Doch da knallt eine neue Verfügung herein. Es geht nicht etwa gegen die rechtsradikalen Mordbuben, sondern gegen die »Radikalen rechts und links«, wird also in der Praxis darauf hinauslaufen, daß die Kameraden des Wachtmeisters Pohl günstige Gelegenheit haben werden, den zur Zeit noch eingebuchteten Märtyrer der großen Sache mit Gummiknüppel und Revolver an den Roten zu rächen, während die Nationalsozialisten auch im ärgsten Randal mit einem freundschaftlichen Klaps davonkommen. Und da wundert die würdige republikanische Presse sich und rümpft die feingeschwungene Nase, weil die Kommunisten in der hamburger Bürgerschaft über die Nazivertreter herfielen und sie windelweich droschen. Ganz davon abgesehen, daß diese Burschen keine andre Beweisführung anerkennen und ein solches abgekürztes Verfahren durchaus ihrer Anschauung vom Leben der Menschen untereinander entspricht – die Faust ist zwar kein gutes Argument, aber sie ist auch kein schlechteres als das Schwert, mit dem nach einem simultanen deutschen Glauben der echte Mann Schande rächt, Verrat züchtigt und seine verfahrenen Angelegenheiten zum Bessern wendet. Diese paar marmorierten Nazihintern sollten in keinem Republikaner hofmeisterliche Instinkte lebendig machen.
*
Während die nationalsozialistische Bewegung immer mehr anschwillt und immer breitere Volksmassen erfaßt, schreitet der psychische Verfall der Führer in rapidem Tempo fort. Ein paar Millionen Deutsche werden von einer Handvoll Narren gegängelt. So war es früher auch, jawohl, aber diesmal ist der klinische Befund greifbarer. Im münchner Parteipalais betätigt sich der Generalissimus als Innendekorateur, ein Gott, der hoch im Braun und Blauen über Ovationen und Mißbilligungen thront. Nur Herr Doktor Joseph Goebbels steht noch munter im Gefecht, aber in was für einem. Tag für Tag schreibt er im ›Angriff‹, »was für ein brav Kerl« er ist, um mit Schelmuffsky zu reden. Selten wohl hat ein junger Geschäftsmann, der aus Sparsamkeitsgründen sein eigner Propagandachef sein muß, über sich selbst mit größerer Zufriedenheit Prospekte geschrieben. Goebbels kennt jetzt nur noch ein einziges wichtig zu nehmendes Politikum: die eigne werte Person. Er benutzt jede Gelegenheit, um seinen männlichen Bewunderern und den Scharen germanischer Tempeljungfrauen, die sich um ihn drängen, von der Tüchtigkeit der Firma zu erzählen. Eine kleine Anpflaumung in einem Zeitungsartikel, die sich mit seinem nicht grade hundertprozentig proletarischen Lebensstil befaßt, erwidert Goebbels mit einer umfangreichen Darlegung, wie, wo und wann er wohnt, was der Chauffeur kriegt etcetera. Kein Detail bleibt uns erspart. Nächstens wird Taillenweite und Hutnummer mitgeteilt werden, und was dann noch übrig bleibt, will ich lieber nicht erwähnen. Sonst schreitet die Zensur ein.
Es ist begreiflich, daß Goebbels auch sein Attentat haben mußte. Ob die Zusendung von ein paar Knallbonbons an seine Adresse auf ihn selbst zurückgeht, ob es sich dabei um einen Ulk handelt, den sich jemand in Weinlaune mit dem steglitzer Dutsche gemacht hat, jedenfalls hat sich der Retter Alldeutschlands aus eigner Berufung dabei nicht sehr heroisch aufgeführt. Wer Europa mit Giftgasgeschwadern überziehen, mindestens das deutsche Vaterland in ein kleines Bürgerkriegsgemetzel tauchen will, muß einen mit Kinderfeuerwerk ausgeführten Angriff auf das eigne körperliche Wohlbefinden mit besserer Laune ertragen. Doch dieser hysterische Zappelwisch von einem Tribunen bricht in ein unartikuliertes Gekreisch aus. Nun wäre dieses Zwischenspiel nur komisch zu nehmen, wenn es nicht vierundzwanzig Stunden später in Hamburg wirklich geknallt hätte, und das war kein Spielzeug. Damit stoßen wir auf ein ernsteres Thema. Denn tagtäglich werden im ›Angriff‹ und den andern völkischen Blättern die wildesten Abrechnungen mit den Gegnern in Aussicht gestellt. Täglich wird ein Andrer zu den Leuten geworfen, »die wir uns aufsparen wollen für eine legale Abrechnung, die einmal kommt, wenn wir die Macht in der Hand haben«. Dieses Spiel begann, als Adolphus Rex vor dem Reichsgericht »rollende Köpfe« ankündigte. Und so geht es seitdem weiter, »natürlich gesetzlich, natürlich erst, wenn wir die Macht in der Hand haben.« Joseph Légalité, der unerbittliche Revolutionär, teilt in seinem Blättchen die tägliche Komplettierung der Ächtungslisten mit. Damals beim leipziger Offiziersprozeß hätte der Reichsanwalt sofort gegen Hitler vorgehen müssen. Was würde wohl der Anwalt eines monarchischen Staates gegen eine Oppositionspartei unternehmen, die für den Fall der Machtergreifung die Hinrichtung des Königs und seiner Minister in Aussicht stellt? Er würde von der Legalität rechtens Gebrauch machen, und das Revolutionstribunal des kommenden Reichs säße zunächst einmal auf der Angeklagebank des noch in Kraft befindlichen.
Schon sind aus Fememördern Femerichter geworden und die hamburger Meuchelmörder fühlen sich gewiß als Vollstrecker eines Rechts, das morgen schon herrschen kann. Eine schamlose Umwertung einfachster Begriffe von Anstand und Recht frißt sich mehr und mehr in die deutschen Gehirne ein. Der schlichte S.A.-Mann, der den Mitbürger mit den andern Farben am Rock wie ein böses Tier abschießt, betrachtet die Gegner einfach als politische Verbrecher, die zu bestrafen die schlappe Republik versäumt. So wird es ihm von den Führern eingehämmert. Die zynische und verlogene Parole: »Wir bleiben legal«, heißt schon lange nicht mehr: »Wir treten nicht über die Grenzen bestehender Gesetze«, sondern: »Wir lassen uns nicht ertappen und streiten alles ab.« Der Staat hat gemütlich zugesehen, bis sich aus Straßenraufereien und -schießereien allmählich bürgerkriegähnliche Zustände entwickelten, und er reibt sich noch jetzt erstaunt die Augen, wo wieder eine neue Phase begonnen hat: die der offenen Attentate gegen bestimmte Personen. Zwei Morde in achtundvierzig Stunden, das ist ein verheißungsvoller Beginn. Man wird nicht mit einem Schlage das nationalistische Komitatschigesindel, das überall schußbereit im Gebüsch lauert, entwaffnen können. Aber diese elende, feige Phrase von der Legalität, die sollte man den Führern endlich aus der wohlgepflegten Hand schlagen, damit die Herrschaften nicht im sichern Bureau die Verantwortung für eine neue Mordwelle ohne große Beschwernis ableugnen können. Wie mannhaft wirkt nicht neben dieser Drückebergerei die Erklärung des inzwischen verstorbenen Pöhner im münchner Hitler-Ludendorff-Prozeß von 1924: »Aus meiner ganzen Einstellung mache ich kein Hehl. Ich habe dem Staatsanwalt erklärt: Was Sie mir jetzt als Hochverrat vorwerfen, dies Geschäft treibe ich seit fünf Jahren.« Auch Bürger Joseph Légalité, der vorsichtige Umstürzler, treibt dies Geschäft, aber mit Rückversicherung.