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Im Gefängnis gewesen sein, das ist ein großes Erlebnis, das kein politischer Mensch aus seinem Dasein streichen kann.
Es ist die Berührung mit einer abgesonderten Welt, die eingemauert zwischen uns ragt und von der wir weniger wissen als von Tibet oder der Osterinsel. Das Gefängnis, das heute in Deutschland nicht mehr strafen sondern bessern und erziehen soll, ist damit sozusagen zum Lazarett der bürgerlichen Ordnung avanciert. Ich habe das Gefängnis nicht als ein Haus der gewollten Härte und der traditionellen Quälereien kennen gelernt, aber auch so bleibt es ein Haus des Jammers, in dem hinter jeder Eisentür ein andrer trauriger Globus kreist, durch schicksalsmäßige Verstrickung in dieser Bahn gehalten. Schuld –? In diesem Hause fällt das Wort nicht, hier gibt es nur Opfer. Als ich zwei Tage vor Weihnachten hinausging, hatte ich ein Würgen im Halse, das so etwas wie schlechtes Gewissen war, weil ich heimkehren durfte und die Andern blieben.
Ich nehme nicht für mich in Anspruch, daß dieses Gefühl etwas Apartes ist. Unzählige haben so empfunden, und ganz frei davon scheint nur eine Kategorie zu sein, nämlich der Richterstand. Wenn der Rechtsprecher nur endlich einmal mit dem Geheimnis der Zellenhaft vertraut würde, wie anders müßten selbst die Urteile der bürgerlichen Justiz aussehen! Bei der Amnestiedebatte im Reichstag hat ein deutschnationaler Abgeordneter die Meinung vertreten, durch häufige Straferlasse werde die Berufsfreudigkeit der Richter gelähmt. Ein sehr strammer Herr, dieser Deputierte. Aber was für eine Auffassung von richterlicher Tätigkeit!
Über manches Gesehene soll noch gesprochen werden, wenn die Eindrücke wirklich verarbeitet worden sind. Heute sei mir nur das Schlußwort zu einem gewissen Kapitel gestattet.
Es ist in der ›Weltbühne‹ in der letzten Zeit von mir etwas zu viel die Rede gewesen. Zeitungsmenschen soll man nur hören aber nicht sehen. Ich beklage aufrichtig, daß dieser kleine Stilfehler vermerkt werden muß, und ich schreibe die Verantwortung dafür Umständen zu, die keiner der freundlichen Schreiber verschuldet hat. Jetzt, wo ich in die Redaktion zurückkehre, ist es mir ein Herzensbedürfnis, allen, die meine Freilassung durch Wort und Schrift, durch öffentliche Zustimmung und politische Handlung unterstützt haben, allen, die Zeichen von Sympathie in meine Zelle gelangen ließen, meinen Dank auszusprechen. Es ist selbstverständlich, daß ein beträchtlicher Teil davon der Sache und nicht der Person galt. Der Kampf um die Amnestie ging diesmal nicht um den Einzelnen, wie etwa noch im Falle Max Hölz. Es ist ja bekannt, daß schließlich die sozialdemokratische Fraktion den Ausschlag gab, indem sie darauf beharrte: wenn der Landesverräter nicht freigegeben wird, so fällt das Ganze ins Wasser! Als dann später die erforderliche Zweidrittelmehrheit zustande kam, bemerkte ein sozialdemokratischer Abgeordneter resigniert: So, jetzt kann er wieder auf uns schimpfen! Hm.
Die ›Weltbühne‹ hat ein kampfreiches halbes Jahr hinter sich, und sie hat Geist und Bestand gewahrt. Das leipziger Urteil vom 23. November 1931 hat sich als Blindgänger erwiesen. Das ist das Verdienst der Mitarbeiterschaft mit Hellmut v. Gerlach an der Spitze. Wir wollen uns nicht gegenseitig feiern und für große Männer erklären, denn wir sind, wenn man will, eine Verschwörung, jedenfalls kein Verein. Wenn auch getrennt, haben wir gemeinsam eine dramatische Zeit durchschritten, und das bindet mehr als Statuten oder ein Zeremoniell.
Die Sitzung geht weiter.
Die Weltbühne, 27. Dezember 1932