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Der Nibelungenkampf zwischen den großen Herren der Nationalsozialistischen Partei wird von den republikanischen Zuschauern dieses heroischen Spektakels, in dem Herrn Goebbels unbestritten die Rolle des Loki zugefallen ist, als Anfang vom Ende der Bewegung gedeutet. Gestern schien die gewaltige Flut noch alles fortreißen zu wollen. Kanzler Brüning, ein zweiter Noah, sammelte alles demokratische Getier in seiner Arche, schrieb darauf »Artikel 48«, und die wilde Fahrt begann. Heute lugen die Passagiere vorsichtig hinaus. Ihre Gesichter verklären sich; der Wind pfeift nach andrer Richtung. Sie ahnen Land und bereiten sich gutgelaunt zum Aussteigen vor.
Das Getöse, das der Kampf zwischen den lichten Eddafiguren der Hitlerpartei hervorruft, kann leicht zu einer Überschätzung dieses internen Krakehls führen, in dem die Hauptakteure, die sich gestern noch gegenseitig für Säkularmenschen erklärten, sich heute Mephisto, Primadonna, Spitzel und Schwein nennen. Die S.A.-Leute, eben noch die Avantgarde des Dritten Reiches, werden jetzt als rebellischer Abschaum betrachtet, als eine Kolonie für Galgen und Rad. Der Konfliktstoff ist sehr ausgedehnt, aber die Motive sind nicht belangvoll, wo man etwas von der dünnen politischen Oberschicht abkratzt, stößt man sofort auf personalen Interessenschmutz. Hitler treibt den berliner S.A.-Führer, der ihm zu selbstbewußt wird, in die Revolte. Goebbels, der am liebsten abwarten möchte, um im Falle eines Triumphes der Sturmabteilungen schnell als Sieger an ihre Spitze zu treten, wird vom münchner Hauptquartier gezwungen, selbst das Kommando über die Exekutionspelotons zu übernehmen, er muß auf die eignen Mannen schießen lassen. »Unter stillem Tränenregen, traurig doch von Amteswegen«, wie Wilhelm Busch sagt. Jetzt, wo seine Arbeit getan, der Glaube an seinen Charakter selbst bei seinen unentwegtesten Feueranbetern erschüttert ist, droht ihm selbst Versetzung in eine geringere Tribunenklasse. Es ist, wie gesagt, ein lärmendes, aber kein fesselndes Schauspiel. Ob Hitler sein absolutes Narrenimperium behauptet, ob die Diadochen noch zu Lebzeiten dieses neuen Alexander sein Reich aufteilen, das ist nur dort wesentlich, wo es sich mit der Linie des deutschen Schicksals schneidet, die weder vom Braunen Palais noch von der Hedemann-Straße bestimmt wird. Diese größenwahnsinnig gewordenen Funktionäre, die sich alle schon wie ins Mythologische transponiert vorkommen, sind im Grunde nur abwechselnd die Meister und Kreaturen kleinlicher Bureauintrigen. Aus einem Klagebrief jenes braven Soldaten Stennes, der an die Treulosigkeit seines Allerhöchsten Herrn zunächst nicht glauben wollte, klang etwas von dem Aufschrei des Varus: »So kann man blondes Haar und blaue Augen haben und doch so falsch sein, wie ein Punier?« Aber heute sieht es so aus, als wäre bereits eine stille Verständigung zwischen Hitler und Stennes auf Kosten von Goebbels erfolgt, morgen kann die Verschwörerzelle schon wieder von andern besetzt, kann die Parole schon wieder anders pointiert sein, und gemeinsam ist diesen exemplarischen Germanen nur die punische Tücke. Sie haben keine Ideen, keine politischen Vorstellungen, aber wo es um Krippe und nationales Renommee geht, entfalten sie die phantasievolle Gerissenheit levantinischer Teppichjuden.
Von der Arche Brüning gesehen, nimmt sich das alles sehr hoffnungsvoll aus. Bald werden wir wieder Land unter den Füßen haben. Morgen wird alles wieder in Ordnung sein und wieder werden, wie es war. So denken die Routiniers demokratischer Niederlagen und sehen die Zukunft trocken und heiter vor sich. Hier liegt der fundamentale Irrtum. Es ist wohl möglich, daß die Arche nochmals Grund fassen wird, aber der schöne Himmelsbogen, der den Bund segnet, wird ausbleiben. Neues Gewölk hat sich gesammelt, andre Fluten warten.
Unmittelbar nach dem 14. September hat Quietus, ein Unterrichteter, in der ›Weltbühne‹ die innere Fragwürdigkeit der Hitlerbewegung dargelegt, ihre sozialen Widersprüche aufgedeckt. In der N.S.D.A.P. »bilden etwa zehn Prozent Arbeiter das proletarische Element, die übrige Anhängerschaft rekrutiert sich, nach Abzug der paar Vertreter der Großbourgeoisie und des Adels aus dem Kleinbürgertum. Diese Schichtung zwingt den Nazis eine Politik auf, die nichts mehr mit der einstigen revolutionären Phraseologie zu tun hat«. Und dann die Beziehungen zwischen Hugenberg und Hitler, die in der liberalen Presse immer so dargestellt werden, als wäre der alte Geheimrat der willenlose Helot des Mannes mit der großen Trommel: »Man kann das, was hier zwischen den beiden Parteiführern vor sich gegangen ist, am besten als eine gegenseitige Überfremdung bezeichnen. Hugenberg hat Hitlers Hände sanft von der Wirtschaft gelöst, er hat ihm die Grenzen seiner Tätigkeit gezeigt ... Als Gegenleistung hat Hitler Hugenberg seine Phraseologie vermacht.« In den Sturmabteilungen lagen die Möglichkeiten eines spätern sozialrevolutionären Druckes auf die Parteileitung. Finanz und Schwerindustrie, mit denen Hitler verbündet ist, fielen diese Stennessoldaten, die meistens die Not in die Windjacke getrieben hat, allmählich auf die Nerven. Deshalb mußte die Parteileitung vorbeugen, und die Prätorianer entweder abstoßen oder wenigstens gewisse Führer eliminieren, die eine eigne Rolle spielten und mehr Rot auflegten, als bei Kirdorf, Oldenburg-Januschau und Stauß beliebt wird. Ob die Partei mit der Niedersäbelung der Janitscharen viel von ihrer Anziehungskraft verlieren wird, bleibe dahingestellt. Hitler selbst scheint kaltblütig entschlossen zu sein, die so oft überschwänglich gefeierten S.A.-Helden Severings Gendarmen in die Fänge zu werfen. Und er dürfte wissen, was wichtiger ist: Sieger in zweifelhaften Gassenraufereien zu sein oder sich die Freundschaft jener reaktionären bürgerlichen Ordnungspolitiker zu erhalten, die das Recht auf Blutvergießen lieber bei Henker und Militär monopolisiert sehen.
Die republikanischen Blätter, die die verschiedenen Phasen des Streites der nationalsozialistischen Zaunkönige so beflissen kommentieren, haben leider vergessen, die wichtigste von Herrn Stennes erzählte Neuigkeit zu begutachten. Stennes hat nämlich mitgeteilt, daß Hitler durch den Abgeordneten Göring ständige Verbindung mit Brüning unterhalten habe. Sieh, sieh. Während also die Nazis den Reichskanzler auf seiner Ostreise mit einem Pfeifkonzert begleiteten, während sie im Parlament zu Obstruktion und Boykott schritten, ging der Verbindungsoffizier beim Kanzler ein und aus. Es handelt sich eben nicht um die Personen Brünings und Hitlers, sondern um die von ihnen vertretenen überpersönlichen Kräfte, die nach ihrer ganzen Tendenz nicht dazu bestimmt sind, sich auch in Zukunft gegenseitig zu zerreißen. Die reaktionären Ziele beider sind wichtiger als ihre augenblickliche Entfremdung. Auch als Feinde arbeiten sie für einander, wenn sie sich einstweilen auch noch mit einem sehr diskreten do ut des behelfen müssen.
Der Stahlhelm betreibt sein preußisches Volksbegehren mit Beifall und Unterstützung auch der gemäßigten Rechten. Die ›Deutsche Allgemeine Zeitung‹, die immer mehr zum Sammelplatz eines trockenen Putschismus wird, der mit sogenannter Verfassungsreform seine verfassungswidrigen Absichten verwirklichen möchte, bläst lustig das Hifthorn dazu und fordert die Eroberung des »roten Preußens«. In Braunschweig bemüht sich der Minister Franzen, die weltliche Schule gar nicht geräuschlos abzuwürgen. Wird das Zentrum auf die Dauer diese christlichen Anstrengungen eines heidnischen Wotansdiener ignorieren? Und Hitler selbst sucht den Ludergeruch der Revolution ernsthaft loszuwerden. Wenn er auch aus der Nibelungenschlacht nicht ohne Blutverlust herauskommt, hat er doch an bürgerlich-kapitalistischer Zuverlässigkeit gewonnen. Die Unterhaltungen über die Bildung der »neuen Rechten«, die durch die letzten Wahlen zunächst gründlich verschüttet schienen, werden bald wieder in Fluß kommen. Noch immer liegt die Initiative rechts, noch immer ist die Sozialdemokratie zum Trabantentum verurteilt, zu Opfern an Charakter und Prestige, um »den Fascismus zu verhindern«. Noch immer toleriert sie die Regierung Brüning, aber wird sie auch von ihr toleriert werden, wenn auf der Rechten wieder neue Kräfte zur Ablösung vorhanden sind? Wieder stehen wir vor einem Garderobenwechsel der innenpolitischen Fragen. Keine ist wirklich erledigt, nur die Kostüme ändern sich wieder. Die Herrschaften, die Brüning in seiner Arche beherbergt, müssen dafür ein Passagegeld bezahlen, das sie ruiniert, und der Kapitän ist eine ziemlich sichere Bürgschaft dafür, daß sie schließlich doch noch vor der Endstation Ararat ins Wasser geworfen werden. Und es ist auch eine allzu vermessene Annahme, die Schickung wäre glücklich überstanden, nur weil die Stürme, die sonst das Fahrzeug bedrohten, sich jetzt einmal gegeneinanderkehren. Die nationalsozialistische Bewegung ist weder durch die Bedeutung ihrer Führer noch durch die Überzeugungskraft ihrer Programme groß geworden, sondern durch die verbrecherische Unzulänglichkeit einer Pseudodemokratie und die Feigheit eines parlamentarischen Regimes, das niemals gewagt hat, eines zu sein. Und jetzt wollen die Verantwortlichen für die Katastrophe vom 14. September wieder aus den Löchern kriechen und so weitermanschen, als wäre nichts gewesen? Nun, so gemütlich ist die Weltgeschichte denn doch nicht. Mag Hitlers Aktivität zeitweilig gelähmt, mag er selbst völlig demoliert sein, noch besteht alles das, was ihn hat groß werden lassen, noch ist nichts Entscheidendes gegen die Wirtschaftsnot geschehen, und noch immer spreizt sich eine Politikergarnitur, deren ahnungslose Selbstgefälligkeit die jüngere Generation in Massen in einen hoffnungslosen nationalistischen Desperatismus getrieben hat. Die Dinge haben sich inzwischen neu kostümiert, aber sie sind noch immer da. Was gestern Hitler hieß, kann morgen Schulze heißen. Was heute braune Hemden trägt, läuft morgen vielleicht in blauen oder violetten herum. Über den Fortwurstlern, den Deserteuren und Etappenhengsten der Demokratie leuchtet nicht das Zeichen des neuen Bundes. Denn sie selbst wollen ja nichts Neues, sondern nach beendeter Fahrt nur ihren alten Trödel fortsetzen. Sie haben sich unter Brünings Fittichen versteckt, hinter dem Artikel 48, hinter der katholischen Kirche und der Polizei; hinter lauter Gewalten, die stärker sind als sie selbst und die nicht leicht abdanken werden. Brüning hat nicht über Hitler gesiegt, sondern über die Verfassung. Auf ihren Trümmern wird später die Versöhnung gefeiert werden.
Die Weltbühne, 14. April 1931