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XLIX.

Die Schandtaten in der Krim bleiben ewig unaufgeklärt. Die Sowjetbehörden hatten kein besonderes Interesse daran, nach der grausamen Niedermetzelung der Gegenrevolutionäre sich oder der Welt darüber Rechenschaft zu geben, auf welch' bestialische Weise Béla Kun und seine Terrorbande den Aufstand der Krimbevölkerung im Blute von Zehntausenden erstickt haben. Tatsache bleibt, daß die alle menschlichen Begriffe gigantisch übersteigende Mörderleistung selbst in den radikalsten russischen Kreisen starken Widerwillen hervorgerufen hat. Die entfesselte Mordkunst Béla Kuns hat Moskau selbst, das zur Illustrierung seiner stolzen Meldung über die Bekämpfung der Gegenrevolution von ihm auch detaillierte Berichte erhalten hat, in eine peinliche Situation versetzt. Nach fünf Jahren Sowjetherrschaft auf dem Wege einer angekündigten und betont forcierten Konsolidierung, kam das Krimer Blutbad den Moskauer Machthabern sehr ungelegen.

Béla Kun hat genau das Gegenteil davon erreicht, was er mit seiner Rekordleistung bezwecken wollte: er wurde kaltgestellt und ist ein ungern gesehener Gast im Kreml geworden. Man merkte seiner Handlung allzu sehr die Absicht an, die er dabei verfolgt hat. Die blutigen Beweise seiner Opferwilligkeit für die Idee – mit dem Blute unschuldiger Opfer – haben erst recht sein wahres Wesen enthüllt. Die Genossen in Kreml, die inzwischen auf internationale Verständigungskonferenzen nach Genua gefahren waren und sich die größte Mühe gaben, auswärtige Beziehungen anknüpfen zu können, haben sich von Béla Kun immer mehr und mehr abgeschlossen. Der abgewirtschaftete Diktator, der einmal die moskowitische bolschewistische Idee so dilettantisch nach dem Westen verpflanzen wollte, wurde ein unangenehmer Patron, den man nicht zu sehen wünschte. Béla Kun ruhte aber auch weiter nicht, er blieb der Streber aus dem Kolozsvárer Kaffeehaus, er streckte seine Ellenbogen aus und nach all dem Verbrechen, nach all den Schandtaten, nach allem Blutvergießen wollte er noch immer »etwas zeigen«.

Nach ein paar Jahren verhältnismäßiger Ruhe kämpfte Béla Kun mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln, mit Betteleien, wenn es notwendig war, mit Erpressung, mit dem Übertritt in die Opposition, um neuerlich zu einer Position zu gelangen. Es ist ihm auch tatsächlich gelungen, verschiedene Betrauungen, Geheimaufträge zu erhalten, die ihn oft zur Ausführung heikler, mitunter gefährlicher – jedenfalls für die unmittelbar Beteiligten gefährlichen – Missionen über die Grenzen führten. Ein kommunistischer Aufstand in Chemnitz, eine bolschewistische Verschwörung in Berlin riefen ihn ein paarmal nach Deutschland, er verließ jedoch allzu rasch wieder den Schauplatz seiner Tätigkeit, sobald seine Identität festgestellt wurde. Inzwischen ließ ihm das Problem »Ungarn« keine Ruhe; die Konsolidierung des von ihm einmal geschändeten Landes konnte ihn nicht davon überzeugen, daß seine Chancen vollkommen geschwunden waren. Die abenteuerlichsten Verschwörungen, die fünf, sechs, sieben Jahre nach seinem kommunistischen Abenteuer auf das vielgemarterte Land Hand legen wollten, sind immer von ihm ausgegangen, immer wieder ist sein Name als desjenigen gefallen, der im Mittelpunkte der Agitation, der mehr als aussichtslosen Machinationen stand. Wurden in Budapest kommunistische unterirdische Zellen – wie in der Fachsprache des Bolschewismus die unterirdische Vorbereitung streng geheimer Parteigründungen genannt wird – aufgedeckt, steckte immer Béla Kun dahinter. Kam der frühere Volkskommissar Matthias Rákosi nach Ungarn oder erwischte man Béla Szánto in Budapest, als er bereits eine Geheimdruckerei aufgestellt und ziemlich weite Fortschritte in einer Geheimbündelei gemacht hatte, so war immer Béla Kun der Urheber, der geistige Metteur en scène der so wenig Erfolg versprechenden Groteske. Er wagte sich auch nach Wien, verschwand aber bald, da ja nicht das handgreifliche Resultat, nicht die positiven Erfolge in Deutschland oder Österreich die Hauptsache waren, sondern die negativen Darstellungen in Moskau, die falschen Berichte, die ihm neues Geld und neue Chancen verschaffen sollten.

Hochtrabende Pläne zur neuerlichen Bolschewisierung Ungarns, die Aufstellung einer Agitationszentrale in Wien, die Erstreckung der Machtsphäre des Bolschewismus auf den Balkan wurden die Parolen, mit denen er, der ewig Unruhige, der ewige Dränger nach dem Erfolg seine verlorene Situation zu retten wünschte. Die ewigen Mißerfolge mußten aber auch die Leute im Kreml über die richtigen Qualitäten des berufsmäßigen Lügners aufklären. Neun Jahre nach dem großen Coup vom Jahre 1919 müßte er, um – sinnloser Traum – das zehnjährige Jubiläum seiner Sowjetherrlichkeit in Budapest in einer neuen grandiosen Situation feiern zu können, doch etwas Besonderes geleistet haben. Etwas Tatsächliches müßte er vollbringen, weil sonst das Vertrauen der Russen endgültig erschüttert werden würde und ihm jede weitere Chance genommen wäre. Nach Jahren der zum System gewordenen Lügen plus Erfolglosigkeit trat er nun zu Ostern 1928 wieder in Aktion.

Ein dicker, schwammiger Ingenieur, namens Wagner, erscheint eines Tages in Wien, in dem bezaubernd friedlichen Hietzing als Untermieter – der ewige Untermieter bedient sich ewig falscher Namen – und beginnt hier seine geheimnisvolle Tätigkeit. In seiner kleinen Wohnung hält er sich ruhig-bescheiden auf, verschwindet in aller Frühe, kehrt nur in den späten Nachtstunden in sein Zimmer zurück, in Kniehose und Sportgamasche, in seinem einzigen Anzug geht und kommt er, man müßte glauben, er sei der gewissenhafteste, seriöse, ambitionierteste Vertreter seines Berufes, der den ganzen Tag in emsigem Fleiße nur mit Arbeit verbringt.

Der Herr Ingenieur entwirft indessen keine Maschinen, baut keine Brücken, zieht keine neuen Straßen und baut keine Häuser: er ist ein richtiger »Luft«-Ingenieur, der ausschließlich Luftschlösser einer krankhaften Phantasie erbaut. Der Ingenieur ist eben ein falscher Ingenieur; statt in eine Werkstätte zu gehen, verschwindet er täglich in einer Drogerie am Neubau, die auch keine wirkliche Drogerie ist. Im sorgfältig versteckten Schlupfwinkel hält er Geheimkonventikeln mit verdächtigen Gestalten ab, mit zu allem bereiten, gräßlichen Gesellen, die, trotzdem zehn Jahre über sie hinweggegangen sind, noch immer verdammt bekannt erscheinen. Lauter Gesichter, die wir unter argen Umständen irgendwo schon gesehen haben. Volkskommissäre, Terror und andere Strolche. Ingenieur Wagner in der falschen Drogerie arbeitet phantastische Plankonstruktionen aus, mischt giftige Revolutionsgase mit mörderischen Terrorexplosivstoffen zusammen, der brave Ingenieur will die bolschewistische Revolution – wie anakronistisch es auch im Jahre 1928 klingen mag – aus Wien als Zentrale wieder nach Ungarn und von dort auf den Balkan tragen. Wäre Ingenieur Wagner nur ein Halbnarr, würden seine phantastischen Pläne keine besondere Beachtung finden. Aber die Welt horcht auf, als das Geflüster in der Neubaugasse lauter, als der geheimnisvolle Ingenieur entlarvt und verhaftet wird und das europäische Interesse wendet sich besorgt und neugierig, erregt und irritiert dem verdächtigen Ingenieur Wagner zu, als die Türe der Zelle – wie schon so oft in seinem Leben – hinter ihm zufällt.

Der entlarvte Ingenieur Wagner ist natürlich niemand anderer als – Béla Kun.


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