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Als diktatorischer Volkskommissär für Heerwesen sollte er eigentlich für den Krieg und den endgültigen Sieg sein als Volkskommissär für auswärtige Angelegenheiten hätte er lieber Frieden gewünscht. Als guter Geschäftsmann aber war er bereit, auch mit sich selbst einen Ausgleich von fünfzig Prozent zu schließen, nach der einen Seite hin drohend zu schreien und auf der anderen kläglich zu betteln.
Mit den Rumänen versuchte er es zuerst und er sandte einen Oberstleutnant als Parlamentär zum General Mardarescu, um einen Waffenstillstand zu erwirken. Doch die Bedingungen, die die rumänische Heeresleitung stellte, waren selbst für ihn unannehmbar. Sie forderte, die ganze rote Wehrmacht zu desarmieren, die Überlassung von tausenden von Lokomotiven und ungefähr siebzigtausend Waggons, unzähliger Autos, mit einem Wort: die gesamte greifbare Macht, auf der Béla Kuns bolschewistische Herrschaft basierte. Aus diesen Friedensverhandlungen wurde nichts. Béla Kun hatte wieder sein historisches Glück, die Rumänen blieben plötzlich und aus anderen Gründen an der Theiß stehen und Béla Kun konnte den Mißerfolg der Waffenstillstandsverhandlungen als einen Sieg darstellen. Er konnte behaupten, daß er die Waffenstillstandsbedingungen der Rumänen zurückgewiesen hatte, weil sie für das Land unannehmbar erschienen waren.
Es begannen sich überall gegenrevolutionäre Strömungen bemerkbar zu machen, die ihm auf die Nerven gingen. Er hatte sich wochenlang bemüht, die Ausländer zu schützen und achtete streng auf die Gesandtschaften und Missionen. Ein fremder Paß galt als Freibrief für Glück und freies Leben, denn Béla Kun, der Schlaue, stolz auf die Aufforderung Balfours, wollte es sich mit seinen »Kollegen« im Auslande nicht verderben. Er empfand es aber als Undankbarkeit, daß die Fremden die Gegenrevolution unterstützten.
Nachdem eine richtige Armee zu seiner Verfügung stand, nachdem die Rumänen nicht weiter vordrangen und die Einkreisung vom Osten und Süden ihm immer weniger Sorgen bereitete, als auch die Jugoslawen und die Franzosen sich nicht vorwärtsbewegen wollten, wurde er immer kühner. Seinem in dem Sammelgefängnis improvisierten Regime haftete schon der drohende Schein einer gewissen Stabilität an, die fast nach Ewigkeit aussah.
In der sechsten Woche seiner Herrschaft, am 11. Mai, ließ er in seinen Zeitungen – und alle Zeitungen gehörten damals ihm – folgende Drohung verkünden:
»Nachdem es wiederholt vorgekommen ist, daß fremde Staatsangehörige gegenrevolutionäre Bewegungen unterstützten, ja sogar verbrecherische Handlungen begünstigten und den Schmuggel von Werten, welche Eigentum der ungarischen Räterepublik sind, förderten, mache ich die auf dem Gebiete der ungarischen Räterepublik lebenden fremden Staatsangehörigen darauf aufmerksam, daß wir sie in solchen Fällen als unerwünschte Fremde ansehen und von dem Gebiete der ungarischen Räterepublik ausweisen werden.«
In fünf Sprachen, in Ungarisch, Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch erschien diese Drohung. Man mußte damals in Budapest leben, um zu verstehen, daß die Drohung ernster gemeint war, als man zwischen den Zeilen lesen konnte. Sie war gleichbedeutend mit einer Todesdrohung, denn »unerwünscht« hieß in der Sprache Béla Kuns mehr, als dieses Wort in der allgemeinen diplomatischen Sprache der Weltpraxis bedeutete. Und aus dem Gebiete der ungarischen Räterepublik ausgewiesen zu werden, damit war noch nicht gesagt, daß man diesen Hexenkessel lebend verlassen konnte … Übrigens hätte sich Béla Kun, wenn sein Bluthund Szamuelly einige ihm unerwünschte Kehlen durchbiß, zum Troste noch immer sagen können, daß er ja in seiner Verordnung nicht genau angegeben hatte, auf welche Weise er die Ausweisung dieser gefährlichen Elemente wünschte.
Den richtigen Ton aber verstanden wohl die in Budapest stationierten fremden Missionen. Ein kleiner englischer Marinekapitän, Freemann, forderte Aufklärung und der tapfere italienische Oberstleutnant Romanelli vermochte es, den blutrünstigen Diktator im Zaume zu halten. Béla Kun provozierte die Aufregung der Ausländer nur, um das Interesse der fremden Missionen auf sich zu lenken. Er verfolgte mit seinen Terrorbuben alle diejenigen als gefährliche Gegenrevolutionäre – ganz gleichgültig, ob es Bourgeois oder Arbeiter waren –, die sich mit den fremden Missionen in Verbindung gesetzt hatten. Inzwischen verhandelte er täglich mit den Engländern und Italienern, wobei – ob schön, ob Regen, ob auf den Kriegsschauplätzen gesiegt wurde oder nicht – seine persönliche Situation eine wesentliche Rolle spielte. Nach außen als gefährlicher Diktator, als Herr und Kriegsführer auftretend, innerlich aber immer nur um das eigene Leben zitternd, so charakterisierte sich treffend die ganze frivole, billige Unaufrichtigkeit dieses falschspielenden Hasardeurs. Kam der englische Kapitän zu ihm, oder erschien der italienische Oberst, dann war er wie ausgewechselt, er erging sich in Devotion vor den fremden Portepées. Romanelli konnte noch nicht ahnen, daß der gefährliche Bolschewik, mit dem er auf der Höhe seiner Macht im Namen Italiens verhandelte, in ihm bereits seinen Retter sah. Béla Kun begann ziemlich frühzeitig, die fremden Offiziere als die Piloten auf dem felsigen Strand seiner abenteuerlichen Existenz anzusehen.