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X.

Fähnrich Kun führte dann unmittelbar darauf das große Wort im Tomsker Gefangenenlager. Er ist Fähnrich geworden.

»Du warst doch Kadettaspirant, als du in Gefangenschaft kamst«, sagen hie und da die Kameraden.

»Ich bin Fähnrich und besitze die große Silberne«, antwortet Béla Kun heftig und weist die Andeutung oder Verdächtigung mit Entrüstung zurück, daß er mit einer kleinen Schneideroperation vielleicht aus den drei Sternen und den gelben und goldenen Aufschlägen des Kadettaspiranten bloß einen Streifen und einen Stern, also einen Fähnrich gemacht hätte. Er war »halt« Fähnrich, und wenn schon Franz Josef es unterließ, ihn dazu zu ernennen, so ernannte er sich eben selbst. Übrigens verschaffte ihm die kleine Selbstbeförderung das Recht auf das Offizierslager und die Gesellschaft etlicher intellektueller Genossen, darunter einiger Wiener Kommunisten, die ja noch keine waren, sondern bloß die Opposition gegen die österreichische Sozialdemokratie bildeten und so eine ziemliche Rolle gespielt haben. Von seinem kurzen Felddienst konnte Béla Kun haarsträubende Geschichten erzählen, die Kameraden hörten mit Begeisterung seinen Heldentaten und furchtbaren Kämpfen in den Karpathen zu.

Im Gefangenenlager bildeten sich kleine Gruppen, spätere Genossen, auch solche, die dann höchste Stellungen in seiner Regierung bekleiden sollten. Es fiel Béla Kun schwer, vorwärts zu kommen, sich in den Reihen von tausend Gleichgestellten auszuzeichnen, sich die stets so heiß erwünschte Sonderstellung zu verschaffen. Ein ehemaliger Goldschmiedegeselle, Genosse Rabinowitsch, ein wilder, unkultivierter Sozialist, wurde sein bester Freund. Rabinowitsch verstand es, sich sozialistische Bücher zu beschaffen. Béla Kun stürzte sich gierig auf diese Schriften, schon im Tomsker Gefangenenlager begann er mit der sofortigen Verwertung der am gleichen Tage erlangten Wissenschaft. In der Langeweile der Gefangenschaft hätten ihm die Kameraden auch zugehört, wenn er buddhistische Glaubenssätze vorgetragen hätte. Unter den Leiden der sibirischen Einsamkeit, angesichts einer düsteren, unsicheren Zukunft sind die Revolutionsvorträge dieselben, die er einst aus ganz anderen Gründen und aus rein persönlichen Motiven in den Räumen der Kolozsvárer Organisation der Schneider gehalten hatte, jetzt noch ergänzt durch neue marxistische Weisheiten und Kriegserfahrungen. Im Gefangenenlager verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Nachricht: es gibt einen großen Marxisten, einen ungarischen Fähnrich in Tomsk, es ist ein Prachtkerl, der reden kann, wie keiner von den stillen, wortkargen Gefangenen. Und das Mundwerk des Béla Kun blieb keinen Augenblick stehen – –

Die Kerenski-Revolution ist vorüber, nach anderthalbjähriger strenger Gefangenschaft lösen sich, wie Eiszapfen im Frühling, die Bewachungsmaßnahmen im Gefangenenlager. Die russische Revolution braucht Soldaten. Verschiedene Legionen werden gebildet, unter mannigfachen Windrichtungen politischer Notwendigkeiten. Jeder kann durchgehen, der will, und am leichtesten führt der Weg nach Moskau, wo große Ereignisse bevorstehen.

Während der bolschewistischen Revolution im November 1917 ist Béla Kun schon in Moskau. Niemand fragte, wie und woher er kam. Recht hatte, wer mehr schrie, als die übrigen. Wessen Stimme die lauteste war, wurde der eigentliche Herr der Situation, besonders wenn er über bewaffnete Truppen verfügen konnte.

Béla Kun war bald in der Agitatorenschule, die ihre Zöglinge mit allen Mitteln warb. Steckte man in eine solche Schule einen vollkommen nüchternen, besonnenen Menschen, so bekam man bald einen kompletten Narren zurück.

Kun, der Marxist des Gefangenenlagers, hatte aus den Gefangenen eine österreichisch-ungarische Gruppe organisiert und stellte diese instinktiv nicht auf die Schattenseite, sondern auf die richtige, auf die Seite Lenins, von dem die rote Sonne aufgehen sollte. Er war willkommen und bekam sein gestempeltes Papier, das wunderwirkende Symbol aller Revolutionen. In solchen Zeiten ist es ganz gleichgültig, was auf einem Papier steht, keiner bequemt sich dazu, es zu lesen. Ein Schriftstück mit einem Stempel öffnet alle Türen.

Das Palais der serbischen Gesandtschaft wurde nach der bolschewistischen Revolution von den früheren Vertretern des serbischen Köngreiches verlassen. Die Verbündeten des Zaren hielten die Aufregungen der Moskauer Straßen nicht mehr aus. Béla Kun und seine Truppe besetzen während der Stürme der Novemberrevolution das Palais in der Woronzowojepolje 3. Dieses Haus wird das Zentrum der Agitation Béla Kuns. Die schönen Räume werden teils in vornehme Hotelzimmer, teils in militärische Unterkünfte umgestaltet. Hier begann die Arbeit, hier fühlte sich Béla Kun verhältnismäßig arriviert, wenn auch nicht ganz. Der kleine Diktator steigt zum erstenmal aus dem kleinen Kohn empor und seine Macht wird täglich größer. Mit jedem betrogenen Mitglied der Gruppe, mit jedem neugewonnenen unglücklichen Opfer seiner Werbung wird seine Macht bedeutender, und die neuen Mitglieder und neuen Opfer melden sich ziemlich leicht. Die sichere Unterkunft, das gute Essen, der freie Raub und schon das Recht des Waffentragens, das diesen Leuten allein Freude und Chancen bedeutet, wirkt sehr verlockend.

Béla Kun hat die langweiligen Jahre der Gefangenschaft nicht ganz auf der faulen Haut zugebracht. Die nach Tomsk geschmuggelten sozialistischen Schriften waren meist in russischer Sprache gedruckt. Er lernte mit Volldampf russisch und wurde gleichzeitig der große Marxist. Seine Macht über die Kameraden, seine kommende Gewalt bestand ja hauptsächlich darin, daß er, im Gegensatz zu den sonstigen Kriegsgefangenen, das hier allein seligmachende Idiom der russischen Sprache vollkommen beherrschte. Die übrigen, die sich höchstens und nur mit schwerer Mühe mit den Straßenverkäufern verständigen konnten, bewunderten mit unverhüllter Hochachtung den großen Mann, der es zuwege brachte, im Volkskommissariat vorzusprechen, dort große Verhandlungen zu führen, und verschiedene Vorschläge zu unterbreiten. Und mit Vorschlägen, waren es auch die phantastischsten, geizte er wahrlich nicht.

Zwei Freunde, Jáncsik und Vántus, begleiteten ihn in den Kreml, wo er dem Sekretariat der Dritten Internationale den Antrag stellte, mit revolutionären Mitteln den Segen des Bolschewismus nach dem Westen zu verpflanzen. Genau zur Zeit der Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk im Volkskommissariat für Äußeres tauchte er auf:

»Genossen! Zwei Feinde der sozialen Revolution, zwei gefährliche Stützen des Krieges, Kaiser Wilhelm und Graf Stephan Tisza, müssen beseitigt werden. Meine Freunde, Jáncsik und Vántus, sind bereit, mit entsprechenden Papieren ausgestattet nach Deutschland und nach Ungarn zu fahren und dort Attentate gegen Wilhelm und Tisza zu verüben …«

Der Vorschlag wird begeistert akzeptiert, die Attentäterkandidaten bekommen ihre Fahrkarten, entsprechende Dokumente und das notwendige Geld. Als zwei brave Mechaniker reisen die Guten mit Béla Kuns Segen fort, um große Taten zu vollbringen. An der finnischen Grenze werden sie jedoch verhaftet und per Schub nach Moskau zurückgeschickt.

Béla Kun schreit sie, als sie sich wieder in der Woronzowojepolje melden, grob an:

»Gebt das Geld zurück, ihr Hunde, ihr habt euch ja absichtlich verhaften lassen!«

Dann lachte er und verrechnete die Reisespesen nicht. Er selbst nahm die ganze Komödie nicht ernst und wußte, daß es ja nur um das Geld ging. Geschäft und Theorie ergänzten sich stets harmonisch in seiner Seele. Bei Tage debattierte er leidenschaftlich über die abstraktesten marxistischen Probleme mit seinem großen Freund und Protektor Bucharin, nachts zerbrach er sich den Kopf, wie man zum Teufel sich wieder neues Geld beschaffen könnte.

Aus der österreichisch-ungarischen Gruppe wurde bald die ungarische kommunistische Truppe. Béla Kun hatte sich ganz auf die bolschewistische Propaganda verlegt. Wenn er mit den fingierten Attentaten und Heldentaten wenig Glück hatte, so blühte um so mehr das Geschäft des Verlegers, zu dem er immerhin auch mehr Beziehungen und Talente besaß. Die ungarische kommunistische Truppe gründete zwei kleine Unternehmungen: »Kommunistische Bibliothek« und »Revolutionäre Schriften«. Unter diesem Sammelnamen sollten Pamphlets im Umfange von ein bis zwei Druckbogen in einer Riesenauflage gedruckt werden. Dann wurde eine Zeitung gegründet, eine ungarische für die Kriegsgefangenen. Béla Kun versorgte alle Ungarn reichlich mit den Keimzellen der bolschewistischen Seuche. Die in Rußland Gebliebenen konnten sich an dem Propagandageschrei des Moskauer ungarischen Kommunistenblattes erbauen, die nach der Heimat Zurückkehrenden mußten eine große Menge Flugschriften mit sich nehmen, um sie zu Hause an den Mann zu bringen.

Kuns bester Kumpan, ein junger Narr und auch ein Pseudojournalist, also ein Kollege, Tibor Szamuelly schrieb: »Wie tief ist die Tasche der Pfaffen? Béla Kun schrieb: »Wer bezahlt den Krieg?« Viel Glück hatten sie gerade mit diesen agitatorischen Schriften kaum, aber dafür stimmte auch die Druckereirechnung nicht … Aber das russische Volkskommissariat für Äußeres gab Geld ungezählt her. Und wenn es mit dem Geldholen einmal nicht leicht ging, so verlegten sie sich auf Übersetzungen, die den Russen sehr willkommen waren. Unter dem Titel »Der Weg des Kampfes« veröffentlichten sie Lenins berühmten Brief über die Taktik, dann die große Rede Lenins auf dem Kongreß der Sowjets. So bekamen sie wieder Geld, Béla Kun war der Nutznießer der bolschewistischen Propaganda, Herausgeber, Chefredakteur und Schriftsteller in einer Person, und seine Autorität wuchs von Tag zu Tag. Die Zeitung, die Flugschriften, das viele Geld, und mehr noch das stets wachsende Elend, das immer quälendere Heimweh der Kriegsgefangenen, erleichterten seine Agitation. Mit der Versprechung, früher befreit zu werden, und mit phantastischen Pressionsmitteln gelang es ihm doch, eine bedeutende ungarische rote Legion zu organisieren. Er nahm an Straßenkämpfen teil, war überall zu sehen, verkündete, wie ein sensationslüsterner Polizeireporter, dann die eigenen Heldentaten, zum Schluß wurde er sogar roter Divisionskommandant. Er ernannte sich selbst. Er wurde ein roter Held. Sein Bild hing in den Auslagen neben den Bildern von Lenin und von Trotzki. Der kleine Kohn aus Szilágycsehi wurde russischer Nationalheros – –


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