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XXIII.

Der Tod spielte die erste Geige. Jede Verordnung klang auf den Reim der Todesstrafe aus. Jede Verhandlung endete mit einem Todesurteil. Es gab keinen Respekt vor den althergebrachten Einrichtungen. Vielmehr schien der Tod auch nur ein Überbleibsel der Bourgeoisie zu sein, mit dem man abrechnen muß. Ob der Tod als Argument, als politisches Mittel, als Erfolg in der Bilanz der Herrschaft des Béla Kun gebraucht oder als Meuchelmord feig und ausschließlich an unbewaffneten Gegnern vollzogen wurde, ist niemals zur Gewissensfrage geworden.

Béla Kun persönlich hat eigentlich »nur« drei Mordtaten zu verantworten. Unter seiner Herrschaft, die 133 Tage währte, sind 590 Personen, in überwiegender Mehrheit vollständig unschuldig, ermordet worden. Szamuelly allein hat mehr als hundert Menschen zum Tode befördert. Stolz auf die Angriffe der gemäßigteren Elemente, antwortete Béla Kun mit der primitiven Ausrede, daß während der Pariser Kommune im Jahre 1871 noch mehr Mordtaten verübt worden seien. Er selbst wich dem Blut womöglich aus, denn er war feig und hatte auch ein weiches Herz.

Eines schönen Tages erschienen zwei ukrainische Offiziere, Grigory Effinor und Isay Jukelsohn, in Budapest. Sie stellten sich als Kuriere der ukrainischen bolschewistischen Regierung vor, gekommen, um aus den in Ungarn verbliebenen russischen Gefangenen ein bolschewistisches Korps zu bilden, mit dem sie dann nach Rußland zurückkehren wollten, um sie für den Schutz der ukrainischen bolschewistischen Bewegung zur Verfügung zu stellen. Die ukrainischen Offiziere wohnten im »Hotel Hungaria«, wo sie Béla Kun recht gastlich bewirtete. Er ist mit ihnen außerordentlich liebenswürdig, zieht sie zu der privaten Tafel heran, lange Zechgelage, an denen seine eigene Frau und noch andere Damen teilnehmen, werden veranstaltet, es gibt guten Schnaps, französischen Kognak, ja sogar Champagner. Tibor Szamuelly flog um diese Zeit mit einem Aeroplan nach Moskau in einer geheimen Mission. Es war in den Tagen, als in Budapest, in der Stadt, die noch immer Witze machen konnte, die Leute ihre Hüte wagrecht hielten, um zu warten, ob nicht einige Brillantenstücke oder Perlen aus dem Aeroplan herunterfielen. Tibor Szamuelly fliegt zurück, trifft die ukrainischen Offiziere bei Béla Kun und findet sie – verdächtig. Anhaltspunkte hat er keine, er hat auch in Moskau keine Informationen eingeholt, aber ganz einfach, so dem Gefühle nach, stellt er fest, daß die beiden Offiziere eigentlich Gegenrevolutionäre sind.

»Du Béla, ich mache Dich aufmerksam, diese Männer gefallen mir nicht! Glaube mir, sie wollen die Russen organisieren, um dann uns zu stürzen!«

Béla Kun glaubt die feigen Zumutungen des aufgeregten Sadisten aufs Wort und winkt zwei Terroristen herbei:

»Wir ziehen uns jetzt zurück«, sagt er. »Die Offiziere dürfen noch etwas trinken, dann nehmt ihr die beiden und schmeißt sie in die Donau!«

Die Donau, der majestätische Strom, fließt kaum zehn Schritte entfernt vor dem Hotel vorbei. Tibor Szamuelly ergänzt die Weisung:

»Kinder, aber nicht schießen, höchstens je einen Stich ins Herz, nur kein Aufsehen, die Münder zustopfen, damit sie nicht schreien können, dann Steine an den Hals hängen und so hinein in die Donau mit ihnen!«

Die Terroristen führten das Urteil in fünf Minuten aus. Die beiden Offiziere werden mit Gewehrkolben totgeschlagen, dann in die Donau geworfen. Der am Ostbahnhof wartende Sonderzug wird ausgeplündert, Béla Kun und Tibor Szamuelly überprüfen persönlich die dort gefundenen Akten. Es wird nichts Verdächtiges entdeckt.

Noch in einem zweiten Falle, in der Angelegenheit des Artilleriehauptmannes Franz Mildner, der als Gegenrevolutionär verhaftet wurde, handelte Béla Kun persönlich. Es ärgerte ihn, daß die ausländischen Missionen zugunsten Verurteilter immer wieder intervenierten, noch mehr aber, daß die Revolutionsgerichte nicht allzu streng vorgingen. In dem Falle des Artilleriehauptmannes war er unerbittlich:

»Gar nicht vor das Revolutionstribunal stellen, einfach »nach Hause schicken«! war seine Weisung.

Seine betrunkenen Lenin-Buben nahmen den armen Hauptmann »in Behandlung«, sie führten ihn zur Donau, deren geheimnisvolle Wellen Béla Kun so recht geeignet erschienen, den Schleier über alle Schandtaten zu breiten, sie versetzten dem unglücklichen Menschen mehrere Dolchstiche und warfen ihn in die Fluten …

Tod und Tod und Mord und Mord an allen Ecken und Enden, an jedem Tage zu jeder Tageszeit. Ein abgetakelter Rechtsanwalt, Dr. Eugen László, früher ein unsauberer Gerichtssaalkorrespondent einer bürgerlichen Zeitung, wird der Chef der Gerichtsbarkeit. Der ewig aufgeregte László, ständig vor der Gegenrevolution zitternd, intimer Freund Béla Kuns, überschritt seine Machtvollkommenheit meist. Er ließ Unschuldige verhaften, herzlos in den Gefängnissen quälen und übertrieb die Herzlosigkeit noch bei der Verhängung der Todesurteile, die auch er im Rausche der Macht schonungslos durchführen ließ.

Béla Kun war Interventionen gegenüber empfänglicher und oft fast unerklärlich zugänglich. Sein Vorzimmer war ständig von Bittstellern überfüllt. Es fanden sich dort Aristokraten, Bankpräsidenten, Schriftsteller, Journalisten, Träger großer Namen ein, auf die der ewig Erfolglose mit der Hochachtung seiner niedrigen Jugend emporblickte und denen er gerne zur Verfügung stand. Man erzählte, daß der populärste Finanzmann von Budapest, ein früherer Bankpräsident bei ihm in besonderer Gnade stand, daher seine Intervention als die größte Protektion angesehen wurde. Béla Kun hat auch viele Geiseln in Freiheit gesetzt, viele Todesurteile zurückgezogen, teils aus Unentschlossenheit, teils aus Mangel an Überzeugung von der Berechtigung des Terrors, der sein Regime bildete und vor dessen Konsequenzen er daher zitterte. Die richtigen Marxisten, wie sich die orthodoxen Kommunisten nannten, machten sich über das weiche Herz und die Beeinflußbarkeit Béla Kuns lustig.

Für jedes nur denkbare Delikt wurde die Todesstrafe verhängt und auch öffentlich vollzogen. Béla Kun aber wich, wo er nur konnte, der Begegnung mit dem Tode aus. Er ließ lieber ermorden. Er konnte schwer »Nein« sagen, brach aber auch ohne weiteres sein gegebenes Wort, indem er nichts, dagegen hatte, wenn die von ihm befreiten Geiseln in der nächsten halben Stunde von Szamuelly auf dessen Art erledigt wurden. Er konnte dann seine Hand in Unschuld waschen.

Dennoch beschäftigte er sich gerne mit dieser blutigen Seite des Regierens, nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Theorie. Er war ein Moderner – im Morden. Ein junger Arzt machte ihm den Vorschlag, die zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung hypnotisieren zu dürfen, um den Tod in der Hypnose schmerzloser und weniger qualvoll zu gestalten. Die Idee gefiel Béla Kun; sie traf ihn irgendwie inmitten seines Herzens, präzise in der Spaltung zwischen dem weichen Feigling und dem harten Mörder und er gab dem Vorschlag statt.

Ein junger roter Soldat wird wegen Raubmordes zum Tode verurteilt. Das Todesurteil, das ein Revolutionstribunal fällte, wird auch von der Regierung bestätigt. Die Volkskommissäre legten Wert darauf, gerecht zu sein und nach rechts wie links mit der gleichen Strenge vorzugehen. In ihren Zeitungen ließen sie verkünden, daß der rote Soldat, der sonst ein treuer Diener der Revolution und eine verläßliche Stütze der terroristischen Bande war, um fünf Uhr nachmittag vor der Haupttreppe des großen Parlamentsgebäudes hingerichtet würde.

Der strebsame Nervenarzt erhält die Bewilligung, vormittags um neun Uhr im Gefängnis zu erscheinen und den jungen Mann in Hypnose zu versetzen. Zu dieser Hinrichtung hat sich auf dem Riesenplatz vor dem Parlament »tout Budapest« eingefunden und auch Béla Kun ist in Begleitung seiner Gardisten und einiger Volkskommissäre persönlich erschienen. Er nimmt einen ausgesucht günstigen Platz ein und wartet neugierig auf das kommende Ereignis. Punkt fünf Uhr fährt ein Taxameter vor, in dem zwischen zwei Justizsoldaten der junge, einundzwanzigjährige Bauernbursche in der Uniform der roten Armee sitzt. Das große Wunder interessiert Béla Kun in besonderem Maße, er geht in die unmittelbare Nähe des Soldaten, begeistert von dem Anblick der vollzogenen Hypnose schaut er prüfend und suchend in die Augen des träumerisch umherblickenden Delinquenten, der nichts ahnend, auf einen Stock gestützt, zitternd wie ein Greis, mit einsinkenden Knien in die Mitte der Haupttreppe geführt wird. Der hypnotisierende Arzt hat in der Trance dem zum Tode Verurteilten eingeredet, er sei ein achtzigjähriger Greis, das Leben eine schwere Bürde, der Tod bedeute eine Erlösung und die Kugeln, die ihn ins Herz treffen, befreien den Körper von allen Schmerzen und Qualen des Daseins. Mit unsicherem Blick, mehr beglückt als erschrocken, von dem suggerierten Alter geschwächt, doch ohne Angst vor der kommenden Todessalve tritt der Soldat vor seine Henker. Schnell springt ein Photograph hervor, ein hinkender Gnom, der Kriegsphotograph der bolschewistischen Armee, und bittet, da er nervös ist und im Augenblick der Schüsse nicht knipsen könnte, vorerst eine Probe zu machen. Die Probe wird gestattet und durchgeführt. Acht Soldaten heben in unmittelbarer Nähe die Mannlichergewehre in die Höhe, halten sie zum Schuß bereit und zielen auf das Herz des Verurteilten, der nichts ahnend in die Mündungen hineinblickt. Der Arzt und der Geistliche der bolschewistischen Hinrichtung stehen neben ihm und reden noch auf den Verurteilten ein. Zwischen den Kordons der zurückgedrängten Menge, die herz- und gefühllos, so herz- und gefühllos wie eben nur eine so große Menge sein kann, dem Schauspiel beiwohnt, fährt ein Fourgonwagen vor. Noch vor der Hinrichtung wird der Sarg hervorgezogen und fünf Schritte vor dem Verurteilten niedergestellt. Dann ertönen die Schüsse und der Verurteilte, der allerdings im Hinblick darauf, daß er unter dem Regime des Béla Kun nicht länger leben mußte, glücklich zu preisen war, bricht tot zusammen. Der blutige Körper wird in den Sarg geworfen, der Sarg in den Fourgon geschoben, der sofort davonfährt. Gleich darauf tauchen zwei alte Weiber auf, die unter dem Treppengelände mit dampfendem Laugenwasser bereit standen und waschen das frische Blut von der granitenen Treppe fort.

Béla Kun nimmt Abschied von seinen Getreuen und setzt sich in sein Auto:

»Es war ganz interessant, das hast Du herrlich gemacht,« gratuliert er dem Arzt und erklärt mit weit aufgesperrtem Mund und großer Geste nach rechts und links, daß eigentlich dieser Tag als ein sehr wichtiger gelten müsse, denn an diesem Tage hat die junge ungarische Räterepublik der Welt gezeigt, wie human Todesurteile entsprechend der hohen Entwicklung der medizinischen Wissenschaft zu vollführen seien.«

Das Auto setzt sich in Bewegung und biegt bei der großen Statue des Grafen Julius Andrássy in eine enge Nebengasse ein. Vor dem Auto fährt gerade der schwarze Fourgon mit dem toten Soldaten, der richtige Herold des schmutzigroten Diktators dahin.


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