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II.

»Ich werde es schon zeigen!« – konnte der kleine Kohn oft vor sich hinsagen, der Sohn des Dorfnotars, der in der Stille des Bergdorfes aufwuchs. »Ich werde es schon zeigen!« ist mehr als Lebensinitiative oder Selbstprophezeiung, ist mehr als Wunsch und mehr als Wille. Es klingt mehr drohend als selbstbewußt, es klingt wie ein festes Lebensprogramm. »Ich werde es schon zeigen!« klingt wie ein Schlachtruf des Unterdrückten, des ins Blaue hinein Ambitionierten, des Nach-den-Sternen-Greifenden. »Ich werde es schon zeigen!« – summen und murmeln und sagen sich so oft und so monoton und so lange diese ewig Begeisterten, ewig nach etwas Unerreichbarem Stürmenden vor, bis sie auch etwas erreichen, bis sie auch wirklich etwas zeigen: sie wissen wohl selbst nicht, was sie zeigen wollen, noch weniger, was sie zeigen können – und zum Schluß »zeigen« sie doch, was sie eigentlich »können« …

Vier Jahre Dorfschule; es wächst so ein kleiner Kohn in einer Atmosphäre auf, in der selbst in den Siebenbürgener Bergen schon der Schlager der Großstadt klingt, voll Hohn und Verachtung, voll Witz und Satire: »Hab'n Sie nicht den kleinen Kohn gesehen?« Kleiner Kohn zu sein, wird Schicksal, wird ein gelber Fleck, ein Gesichts-Entrée in die Verachtung, wird Laissezpasser auf Weg, im besten Falle Onkel Kohn oder der alte Kohn zu werden; kleiner Kohn zu sein bedeutet gleichzeitig einen Freibrief für alle, den kleinen Kohn auszulachen, zu verachten, zu verhöhnen, bloßzustellen. Aus einem kleinen Kohn etwas anderes zu werden, dazu gehört schon eine gute Portion Energie. Man darf keine krumme Nase, keine herabhängenden, häßlichen Lippen haben, keine ungepflegten Zähne und tiefliegenden schlauen Fuchsaugen. Der kleine Béla Kohn hatte das alles, eine häßliche Kartoffelnase, große, abstehende Ohren, eine unsaubere Haut, eine schlechte, gedrungene Figur, – »ein schönes Kind«, in dem schon von früher Kindheit an der Trieb kochte und rebellierte, aus der eigenen Haut herauszufahren.

Die Dorfschule, von der der kleine Kohn ganz allein in die Religionsstunde bestenfalls zum rituellen Schlächter geht, die Dorfschule, in der er beschämend einsam als Andersgearteter unter den gesunden, hübschen Bauernkindern sitzt, diese Dorfschule ist nur eine Vorschule des kommenden Lebens, für das weitere Kämpfen in der Großstadt, in die er mit zehn Jahren schon als Zimmerherr, schon als selbständiger Mieter kommt, als einer, der sich auf die eigene Kraft verlassen muß. In den kirchlichen Schulen, im kalvinistischen und im Unitarier-Gymnasium in Klausenburg herrscht, diesem puritanischen Bekenntnis entsprechend, großer Liberalismus. Der kleine Kohn, der Junge aus Szilágycsehi, das teure Kind des alten Kohn bácsi, soll hier eine humanistische Bildung bekommen, soll hier was werden, soll die einzige Karriere der kleinen Judenbuben der neunziger Jahre machen: in acht Jahren die Matura, dann auf die Universität von Klausenburg kommen, Rechtsanwalt werden, und was der Vater ohne Befugnis als Dorfnotar und Winkeladvokat dem Volk antat, jetzt mit dem Doktortitel und mit einem Diplom in der Tasche berechtigt und befugt als Broterwerb betreiben. Der kleine Kohn soll Rechtsanwalt werden.

Die Metamorphose aus dem Sohn des Dorfnotars, eines Wiesenjuden, zu einem richtigen Ungarn erfolgt bald. Den originellen und echt ungarischen Namen »Béla« setzt der Dorfnotar selbst in den Geburtsschein, doch der Rabbiner der Nachbargemeinde legt Wert darauf, auch irgendeinen entsprechenden hebräischen Namen hinzuzufügen. Es muß doch sein, ein »Kóchen« ist doch der Aristokrat unter den Juden! Wenn er im Tempel aufgefordert wird, das Gebet vor dem Altar zu sagen, kann man ihn doch nicht mit dem heidnischen Namen »Béla« aufrufen, das Zeremoniell schreibt vor, seinen richtigen, gut jüdischen Namen zu nennen, und so wird er noch Aaron genannt, Ben soundso, damit, wenn er 13 Jahre alt wird und bei seiner »Bar micve« aus dem Heiligen Buch lesen muß, eben »Aaron Kóchen ben Schlajme« gerufen werden kann, und er wird es auch. Althergebrachte Sitten, die man nicht umstoßen kann, die man nicht umstoßen will, um die man sich aber doch irgendwie herumdrücken will.

Der alte Kohn, im stolzen Bewußtsein seiner Vaterschaft, schreibt sein Gesuch, versehen mit einer 50-Kreuzer-Stempelmarke, an das hohe Ministerium des Innern in Budapest, legt das Sittenzeugnis dem Geburtsschein seines Sprößlings bei, und nach kurzer Beratung mit der Familie – die ohnedies nichts dreinzureden hat, da zum Schluß doch geschehen muß, was der Alte will – wird das hohe Ministerium ersucht, den Namen »Kohn« auf »Kun« abändern zu dürfen. Das Gesuch wird selbstverständlich günstig erledigt, bloß die bürokratischen Formalitäten brauchen einige Wochen, und das Amtsblatt meldet eines Tages, daß mit dem Beschluß von 1895, unter Nummer soundso viel, gebrochen durch irgend etwas, dem Dorfnotar von Szilágycsehi, Samuel Kohn, erlaubt wurde, seinen Namen und den seines minderjährigen Sohnes Béla auf Kun abzuändern.

Aus Aaron Kohn wird Béla Kun. Das klingt magyarisch, wie ein Ruf von der Puszta, echt und unverfälscht, als wäre der Mann, der den Namen trägt, auf dem Lande der Jazyger oder Kumanen geboren, wo Namen, ganz ähnlich, ganz synonym, etliche hundert existieren, Namen, deren Träger seit tausend Jahren Kernmagyaren sind.

Die Metamorphose ist vollzogen. Sie ist die erste, wird aber nicht die letzte sein.


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