Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXVI.

Béla Kun konnte nichts dafür – der Mai wurde zum Monat seiner Siege. Nur daß er sich dabei zu Tode gesiegt hatte. Die Jugoslawen griffen noch immer nicht an, die neben den Serben stehenden Franzosen gleichfalls nicht. Sie ließen die unter der Leitung der Szegeder gegenrevolutionären Regierung gebildete Nationalarmee nicht zum Angriffe übergehen. Die Rumänen standen einstweilen an der Theißlinie, nur die Tschechoslowaken, die in den letzten Apriltagen Miskolc erobert hatten und die ganze Herrschaft Béla Kuns mit dem Zusammenbruch bedrohten, hielten sich auf der Linie, die sie unter der Führung des französischen Generals Hennoque erreicht hatten.

Béla Kun wandte sich also gegen die Tschechoslowaken, ließ – auf die Formalitäten des internationalen Verkehrs legte er Wert – das Oberkommando der nördlichen Armee verständigen, es möge ein Parlamentär zu den Tschechoslowaken entsenden, um diese aufzufordern, Miskolc zu räumen und sich hinter die alte Demarkationslinie zurückzuziehen. Der dicke Rechtsanwalt Dr. Eugen Landler, der erste eigentliche Freund Béla Kuns, den er sich als intimsten Berater nach seiner Verprügelung ins Polizeischubhaus rufen ließ, war der Oberkommandant der nördlichen Armee. Von Kriegsführung verstand er gar nichts, er ließ für sich die alten Generalstäbler arbeiten, die dann die von Landler mit nationalistischen Schlagworten enthusiasmierten Truppen zum Siege führten.

In einem Triumphzug eroberte die rote Armee binnen zwei Wochen die Stadt Miskolc zurück, dann nach einer zehntägigen Schlacht das Kohlenbergwerk Salgótarján. Jetzt drangen die roten Truppen entlang der ganzen Linie, nördlich, nordöstlich und nordwestlich, gegen Oberungarn vor und eroberten Kassa, Eperjes, Bártfa, Léva, Losonc. Bei Bártfa standen sie bereits an der nördlichsten Spitze in denselben Schützengräben und richtig ausgebauten Deckungen, die schon einmal, vor nicht zu langer Zeit, im Weltkriege eine so wichtige Rolle gespielt hatten.

Die »befreiten« ungarischen Städte empfingen die einziehenden Truppen mit rot-weiß-grünen Flaggen; Béla Kun ließ, obwohl ihm der Schwindel mit dem Nationalismus zum Siege verhalf, die Nationalfarben entfernen. Blut und Plünderung, Raub und Furcht folgten den Spuren der fortschreitenden Armee, es entstanden, nachdem der erste Rausch der Befreiung verflogen war, überall gegenrevolutionäre Bewegungen. Dann erschien Szamuelly mit seinem Mörderzug, mordete blindlings und vor allem Unschuldige. Dieses Spiel mit der roten Fahne, in diesem Falle nicht das Sinnbild der sozialen Revolution, sondern das einer gewissenlosen Blutherrschaft, ließ auch der Generalissimus Landler nicht zu – und mit Béla Kun ließ es sich auch in diesem Falle reden. Er bewilligte ohne weiteres, daß die vordringenden Truppen neben den roten, auch Flaggen und Kokarden der ungarischen Trikolore tragen durften; er schwindelte auch jetzt mit den Farben, wie einst, als er seine Kravatte wechselte, je nachdem, ob er bei einer bürgerlichen oder sozialdemokratischen Zeitung beschäftigt war.

In der den Sieg feiernden beflaggten Hauptstadt Budapest ging es inzwischen immer toller zu. Plünderungen bürgerlicher Wohnungen und Mordtaten, blutige Kämpfe mit Gegenrevolutionären und mit solchen, die unschuldigerweise als Gegenrevolutionäre verdächtigt wurden, waren an der Tagesordnung. Es wurden neue und immer wieder neue Geisel ausgehoben und dazwischen kamen die alarmierend triumphierenden Nachrichten über die Siege, über das Vordringen in das besetzte Ungarn, in eine Stadt, wie Kassa, wo Rákoczi begraben liegt. Man vergaß alles, die blutigsten Schandtaten der Regierung, man begeisterte sich über den Sieg der ungarischen Waffen, die, wenn auch rot gefärbt, so doch Waffen und die vor allem ungarische waren.

Am 13. Juni, wohl ein unvergeßlicher Tag im Leben Béla Kuns, kam so plötzlich, wie ein Blitztelegramm aus heiterstem Radiohimmel nur kommen kann, eine Radiodepesche aus Paris. Absender: Georges Clémenceau. Adressat: Béla Kun, Budapest. Nur so kurz, ohne weiteres, keine Regierung, kein Ministerium, keine weitere Adresse, einfach und glatt »Béla Kun, Budapest«. Am 13. Juni 1919, elf Uhr, nachts gab Georges Clémenceau, Vorsitzender der Pariser Friedensdelegation in Paris sein drahtloses Telegramm auf. Der Hughes-Apparat erschütterte wohl vor der Spannung zwischen dem Absender und dem Adressaten; die große Radiostation des Eiffelturmes hatte gewiß noch keine ähnliche Depesche befördert, als dieses Telegramm des großen Staatsmannes an den kleinen Strolch im requirierten Budapester Luxushotel.

Das Telegramm war in jeder Hinsicht ein Prachtstück der hohen Schule der Diplomatie. Clémenceau, der sowohl in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident, als auch als Vorsitzender der Friedenskonferenz fast drei Monate lang ruhig zugesehen hatte, wie inmitten Europas ein Irrsinniger oder ein Verbrecher mit dem Explosivstoff der Weltrevolution gefährliches Spiel trieb, hatte mit seinem Telegramm endlich gegen das Treiben Béla Kuns Stellung genommen. Das Telegramm hätte beinhalten können, was es wollte, für Béla Kun war es die Erfüllung seiner geheimsten Träume. Ihn interessierte nur die Unterschrift. Ein Telegramm von Clémenceau! Eine schöne Spielpartie am diplomatischen Bakkarattisch: an der einen Seite des Tisches saß Béla Kun und an der anderen Georges Clémenceau.

Béla Kun hat das Telegramm im Wortlaut nie veröffentlichen lassen. Béla Kun ließ nur publizieren, daß am 13. Juni 1919 ein Telegramm Clémenceaus an ihn eingetroffen war, in dem dieser ihn ersuchte, er möge seine gegen die Tschechoslowaken kämpfenden Truppen hinter die Demarkationslinie zurückziehen, in welchem Falle sich auch die Rumänen hinter die Theißlinie zurückziehen würden. Die Friedenskonferenz beabsichtigte eben, sich mit der Angelegenheit Ungarns zu beschäftigen, denn es war höchste Zeit, daß dem zwecklosen Blutvergießen ein Ende bereitet wurde.

Béla Kun war durch dieses Telegramm, wenigstens in seinen eigenen Augen, mit einem Schlage, dem Ritterschlage Clémenceaus, zum wirklichen Diplomaten geworden. Béla Kun log lieber um den Inhalt herum, ließ sich in enthusiastischen Leitartikeln feiern und sagte sich innerlich: »Jetzt, jetzt bin ich endlich arriviert. Wenn das der Maike in Kolozsvár erlebt hätte! Was mag dazu Herr Redakteur Müller sagen? Jetzt zerspringen die Gegner im Journalistenklub, jetzt mögen auch die Katz-Buben stolz sein auf den einstigen Kollegen in der Krankenkassa: Ich und Clémenceau!«

Das Telegramm war jedenfalls so abgefaßt, daß sich Béla Kun auf die Depesche berufen konnte. Clémenceau hatte da seinem jungen Schüler eine Lektion der Schlauheit erteilt. Der alte Herr war viel gerissener, als sich Béla Kun selbst hielt. Es war ein Meisterspiel mit Worten, würdig eines Coupletdichters. Es war ein Wortspiel mit den Ausdrücken wie »Demarkationslinie«, »Rückzug« und »Friedenskonferenz«, man konnte es so und so lesen. Béla Kun las selbstverständlich, wie es ihm paßte, optimistisch, voller Vertrauen, eingebildet auf eine Tatsache, deren Tragweite ihm überdimensional erschien. Béla Kun, der Lügner, der logischerweise auch anderen a priori nicht hätte glauben dürfen, glaubte dem Tiger aufs Wort. Und das sollte sein Verhängnis werden.


 << zurück weiter >>