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Außerdem, daß er der eigentliche Diktator war, ist Béla Kun auch zweifacher Volkskommissär gewesen. Die Führung des Kriegsministeriums überließ er bald dem Oberkommando, im Auswärtigen Amt dagegen betätigte er sich weiter als Propagandist. Und unter Propaganda verstand er unverblümt die plumpeste Verbreitung von Lügen. Er ließ eines schönen Tages verkünden daß sich Italien an ihn gewendet habe. Wahrscheinlich brauchte er diese Täuschung, um seine Position im Lande oder bei seinen Genossen zu stärken. Er verkündete:
»Der königlich italienische General Segré erschien bei Béla Kun, dem Volkskommissär der ungarischen Räterepublik, mit dem Ersuchen, die ungarische Räterepublik möge den Schutz über die Fiumaner italienischen Staatsbürger übernehmen.«
Die kommunistischen Zeitungen erhielten den Befehl, die bedeutende Nachricht in entsprechender Aufmachung zu publizieren, und sie taten es auch, denn niemand dachte daran – selbständiges Denken wäre ja eine gegenrevolutionäre Handlung gewesen –, daß zwischen Budapest und Fiume eine feindliche, bis zu den Zähnen bewaffnete Macht – Jugoslawien – steht und daß es keinen italienischen General und keine italienische Regierung geben könne, die Fiume unter den Schutz Béla Kuns stellen würde.
Mit welchen Angelegenheiten sich das Auswärtige Amt beschäftigen mußte, zeigt das amtliche Kommuniqué, das Béla Kun in den Tagen der größten in- und außenpolitischen Schwierigkeiten mit seiner eigenen Unterschrift versehen, veröffentlichen ließ. Es lautete:
»Es sind Gerüchte verbreitet, wonach die ungarische Räterepublik der russischen Sowjetregierung zum Tausche für Kohle Wein, Kognak und Rum angeboten habe. Die Unsinnigkeit dieser Gerüchte geht schon daraus hervor, daß die ungarische Räteregierung selbst im ganzen Lande das Alkoholverbot eingeführt hat. Im Zusammenhange mit Rußland aber erscheinen diese Gerüchte doppelt unmöglich, da in der Sowjet-Union das strengste Alkoholverbot herrscht und die als Folge dieser Verordnung erzielten günstigen Resultate die Sowjetregierung bestärkt haben, an dieser Verfügung strenge festzuhalten. Es wäre eine merkwürdige internationale Solidarität, wenn ein Proletarierstaat den anderen vergiften wollte.
Béla Kun.«
So schrieb er, trank aber selbst im Sowjethaus die aus dem Hotel Hungaria geraubten feinen Weine und Schnäpse, und seine größte Passion war es, bürgerliche Schriftsteller, von denen er wußte, daß sie einen guten Tropfen nicht abgeneigt waren, zu sich zu bitten, um mit ihnen ein Glas zu leeren, um sie, was ihm durch seine Theorien nicht gelingen konnte, mit Hilfe von wohlschmeckenden Getränken zu seiner Politik zu bekehren.
Zwischen Wien und der Räterepublik entstand unterdessen eine gewaltige Spannung. Die ungarische Gegenrevolution hatte sich in Österreich konzentriert. Die in Szeged entstandene Gegenregierung ließ sich in Wien durch den Grafen Stephan Bethlen vertreten. Eine kleine Armee unter der Führung des Oberst Baron Anton Lehár gruppierte sich in der Nähe von Graz. Die Grenze wurde immer schärfer bewacht und die gegenrevolutionäre Strömung machte sich immer mehr bemerkbar. Béla Kun konnte dem nicht ruhig zusehen, und er war auch wegen des Mißlingens der in Wien angestifteten Revolution verstimmt. Und noch mehr mußte ihn die Erfahrung verstimmen, daß in den Stunden der Bedrängnis die ultrasozialistische österreichische Regierung, deren Außenpolitik damals Dr. Otto Bauer führte, sich so wenig um ihn gekümmert hatte.
Béla Kun richtete nun eine energische Note an Österreich. Er behauptete darin, daß Österreich den Schmuggel ungarischer Werte nach Österreich fördere und daß es außerdem die Bemühungen der gegenrevolutionären Bewegung unterstütze. Otto Bauer ließ durch den österreichischen Gesandten eine Antwortnote überreichen, in der er für die Beschuldigungen Béla Kuns Beweise forderte und alle gegen die österreichische Regierung und die Budapester österreichische Gesandtschaft erhobenen Anklagen zurückwies. In seiner Antwortnote sagte Otto Bauer weiter:
»Die österreichische Regierung hatte und hat auch heute noch den lebhaften Wunsch, zwischen Ungarn und Österreich ein freundschaftliches Verhältnis aufrechtzuerhalten und dasselbe zu vertiefen. Die österreichische Regierung schlägt vor, die zwischen den beiden Regierungen aufgetauchten Differenzen vor ein Schiedsgericht zu bringen, das aus je zwei von beiden Regierungen zu ernennenden Schiedsrichtern und einem von den vier Schiedsrichtern zu wählenden neutralen Vorsitzenden bestehen soll. Die österreichische Regierung erklärt sich im vorhinein bereit, sich dem Urteil eines solchen Schiedsgerichtes zu unterwerfen, falls die ungarische Regierung das gleiche zu tun gewillt ist.«
Da kam in Béla Kun der wahre Bolschewik zum Vorschein; der kleine Agent der Moskauer Regierung, der mit einem Auge ständig nach dem ersehnten und unausbleiblichen Zufluchtsort, Rußland, blinzelte. Er antwortete Otto Bauer:
»Die ungarische Räterepublik kann keine kapitalistische Macht als Schiedsrichter anerkennen, auch wenn sie in der Maske der Neutralität auftritt. Die ungarische Räterepublik kann als Schiedsgericht ausschließlich die III. Internationale akzeptieren. Falls die III. Internationale die österreichische Regierung von der Anklage, die ungarische Gegenrevolution zu fördern, wie auch von der Anklage, daß ihre Budapester Vertreter sowohl die gegenrevolutionären Bewegungen wie auch den Schmuggel von Wertgegenständen unterstützt habe, freispricht, so ist die ungarische Räterepublik bereit, sich einem solchen Urteil zu unterwerfen.«
Béla Kun beschuldigte in seiner Note weiter die Wiener Regierung, sie habe das Treiben der nach Wien geflüchteten Aristokraten unterstützt und sie habe die Ausweisung ungarischer Untertanen trotz wiederholtem Ersuchen nicht vollzogen, sie weise vielmehr ausschließlich nur solche Ungarn aus, die als Sozialisten bekannt seien. Zum Schluß seiner merkwürdigen Note sagte Béla Kun:
»Die ungarische Räterepublik wünscht sich nicht der Umwege der Geheimdiplomatie der alten Welt zu bedienen, im Gegenteil, das Proletariat hat die Verpflichtung, die Machinationen dieser Geheimdiplomatie zu demaskieren und zu durchkreuzen.«
Diese Affäre Wien-Budapest wurde nie erledigt. Otto Bauer hat als Schiedsgericht die III. Internationale nicht akzeptiert und Béla Kun hat die Antwort auf seine Note nicht mehr verlangt. Inzwischen ergaben sich neue Sorgen, vor allem – je mehr sich die Ereignisse zuspitzten – die Sorge um die eigene Existenz.