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XLVII.

Die Befreiung aus dem Sonderpavillon der Steinhofer Irrenanstalt ließ ziemlich lange auf sich warten. Die Vereinbarung zwischen Wien und Moskau betreffs der Überführung und Einreise Béla Kuns und seiner sämtlichen in Wien internierten Genossen – dieser Schulbeispiele lästiger Ausländer – nach Rußland ist endlich im Juli 1920 zustandegekommen. Bloß die Erlangung der Durchreisebewilligung der in Betracht kommenden Staaten hat einige Zeit in Anspruch genommen. Endlich war auch diese Formalität erledigt und Béla Kun fuhr – am 15. Juli 8 Uhr abends – mit einem Roten Kreuzzug – genau so wie er kam – unter dem Schutze des Genfer Symbols nach Rußland.

Der Austausch der Kriegsgefangenen zwischen Rußland, Österreich und Ungarn war im vollen Gange. Die Zahl der sich noch auf dem Gebiete der ehemaligen Monarchie befindlichen russischen Kriegsgefangenen war aber weitaus geringer als die der in Rußland gefangenen Offiziere und Soldaten der früheren österreichisch-ungarischen Armee, unter denen besonders viele Ungarn mit der Absicht zurückbehalten worden sind, sie als Pfand gegenüber dem wertvollen Leben der verhafteten Bolschewiken zu betrachten.

Die Reise der zum Austausch gegen die in gräßlicher Unsicherheit zurückgehaltenen Kriegsgefangenen abtransportierten Bolschewikenführer spielte sich sehr geheimnisvoll ab; auf das teuere Leben Béla Kuns, der noch in Wien mit der inzwischen aus Italien ausgewiesenen Frau samt Kindern zusammentraf, wurde mit besonderer Sorgfalt geachtet. Die Reise nach Rußland führte über Passau, Eydtkuhnen, dann über Kowno und Riga. In Riga ging bereits die rote Sonne des Kolozsvárer Moskowiten auf: im Gebäude der Rigaer bolschewistischen Gesandtschaft, in der Petersgasse, fanden die letzten Verhandlungen statt, der Vertreter Ungarns übernahm die gemarterten Kriegsgefangenen und Béla Kun und Genossen konnten die Reise nach Rußland fortsetzen. Ein Bevollmächtigter der bolschewistischen Gesandtschaft begleitet den triumphalen Zug der gestürzten bolschewistischen Kommissäre, die bei der kleinen schmutzigen Ortschaft, Negoreloje, das gelobte Land betreten. Béla Kun ist im Himmelreich, im russischen Himmelreich. Da ist er nun in seinem Element, ist wieder der alte Komödiant, der laut das Wort führt – er hat seine Stimme wiedergewonnen – und als er bemerkt, daß das Interesse seiner Komplizen auf ihn konzentriert ist, bemüht er sich doppelt, zu zeigen, daß er hier zu Hause ist.

Und er ist es auch. Sinowjew, der Vorsitzende der III. Internationale, selbst Lenin, der Abgott der Bolschewiken, empfängt den Hochstapler mit allen Ehren, der es versteht, sich auch bei jenen wichtig zu machen. So zeigt er auf Wunden, die tatsächlich vorhanden sind, aber auch auf solche, die ihm nie zugefügt wurden und erzählt emphatisch von allen möglichen und unmöglichen Heldentaten, von den Hieben mit den Gewehrkolben der Polizisten, von den tapferen Taten an der Front, alle Stufen erduldeter Martyrien werden in den grellsten Farben ausgemalt. Durch frühere Beziehungen zu dem Leiter der führenden Zeitung »Prawda« hat er die Möglichkeit sein eigener Propagandist zu sein und er besorgt sich selbst die schreiendste Reklame. Stolz führt er die Budapester Neulinge, die nicht frühere Kriegsgefangene sind, in der Stadt herum und zeigt ihnen auf dem Riesenmarkt, entlang des Sucharewka, selbstbewußt sein Bild, welches wahrhaftig zwischen Trödlertand und Tandlerkram neben den Bildern Lenins, Trotzkis, hie und da noch immer zu sehen ist. Seine Autorität, die am Ende der Budapester Herrlichkeit, noch mehr aber während des peinlich-intimen Zusammenseins der gemeinsamen Internierung viel eingebüßt hatte, erstarkt wieder von Tag zu Tag. Zur Förderung seiner Position benützt er die gleichen Mittel, wie seinerzeit, als nach Tomsk in Moskau die üble Karriere ihren Anfang nahm. Die Kenntnis der russischen Sprache, die früheren Beziehungen, die prompt erneuert werden, öffnen ihm die Türen der Ämter und wo nur ein Schreibtisch frei wird, dort setzt er sich hin, genau so, wie bei der Kleinen Zeitung in Kolozsvár. Wie eine Wanze kriecht er in jede Öffnung und bleibt auch darin. Besonders stolz ist er auf seine Legitimation, die ihn als Mitglied des WZIK präsentiert: er ist Mitglied der III. Internationale, ungefähr Herrenhausmitglied in dem herrenlosen Staate. Die Kollegen, die mit ihm flüchteten, bewundern die rasch wachsende Karriere und vergessen indes, daß diese eigentlich wiederum auf den Schultern der anderen aufgebaut wird. Unter dem wieder angewendeten Vorwand, die Ungarn zu organisieren, gelingt es ihm, Stellung, Geld und besondere Behandlung zu erlangen. Die Russen stellen ihm zur Unterstützung der Wiener und übrigen Emigranten große Beträge zur Verfügung und da stimmt es wieder einmal mit dem Gelde nicht, so wie damals in der Krankenkasse.

Außerhalb der Stadt gibt es, noch vom Kriege her, Baracken, ein großes Spitallager und darin eine protestantische Kirche, die unbenutzt ist, weshalb auch das Wohnhaus der Pfarrers leer steht. Vater Kun, der alte Kohn bácsi, dem das große Geschenk Béla Kun zu verdanken ist, beendet sein Leben in Moskau, dort in dem früheren evangelischen Pfarrhause. Statt in Szilázcschi, wird er in Moskau begraben … Das arme Waisenkind Béla Kun und die übriggebliebene Familie, Frau, Kinder und Schwester richten es sich indes recht behaglich ein und der wilde bolschewistische Agitator lebt geruhsam das üppig-mästende Leben eines typischen Kleinbürgers. Hie und da, immer seltener, trifft er mit den anderen ausgetauschten Kommunisten zusammen, denen das Moskauer Leben nicht besonders zusagt. Sie möchten gerne nach Ungarn zurück oder, wenn das nicht geht, zumindest nach Wien, in die Nähe der alten Heimat, sie sind des ganzen Spektakels schon müde. Trifft Béla Kun dann und wann diese Defaitisten, macht er ihnen immer schwere Vorwürfe: er kann sich von der Erinnerung an den Zusammenbruch nicht befreien und glaubt noch immer, und das ist das Merkwürdigste, an die Möglichkeit, nach Ungarn zurückzukehren.

»Warum kommt ihr nicht zu meinen Vorträgen? Klassenbewußte Proletarier dürfen nicht so undiszipliniert sein, ihr müßt zu meinen Vorträgen kommen!«

»Wir danken schön, unser Bedarf an kommunistischen Weisheiten ist gedeckt« antworteten die ernüchterten Genossen, »wir haben genug erlebt, wir wissen schon alles.«

»Nein, nein,« debattiert mit ihnen Béla Kun, »man lernt nie aus, man kann nie genug lernen, man muß noch viel, viel lernen. Ich lerne stets …!«

»Glauben Sie nicht, Genossen, daß ich noch einmal nach Ungarn zurückkehren werde?« ist die stets wiederkehrende Frage, seine Manie, die ihn verfolgt.

»Nein, lieber Freund!« antworteten die Aufrichtigen, »denken Sie nicht mehr daran. Die Arbeiter selbst würden Sie verjagen. Eine solche Zeit kann nicht mehr kommen, daß Sie oder Landler in einer ungarischen Versammlung das Wort ergreifen könnten.«

Er schmunzelt daraufhin geheimnisvoll, wie einer, der seiner Sache besonders sicher ist, er ist schon wieder der Alte, schon wieder einer, der sich die Hemdärmel auf streckt und dabei denkt: »Ich werde es schon zeigen!« Er weiß es selber nicht, was er zeigen soll, aber »er will es zeigen.« Jedenfalls zeigt er viel Verständnis für die eigene Tasche. Er hat die höchste Gage, die im Sowjetstaat gezahlt wird, und nach seiner allzu ruhigen Haltung zu schließen, muß er auch über ansehnliche Geheimfonds verfügen, denn er versteht es, sich vom Kommissariat für Auswärtiges immer wieder neue Propagandagelder zu verschaffen. Es ist noch kaum ein Jahr her, daß er in Rußland weilt und schon beginnen über ihn schmutzige Geschichten aufzutauchen: das für die Unterstützung eingekerkerter Kommunisten bestimmte Geld soll unterschlagen worden sein. Béla Kun behauptet, von nichts zu wissen und beteuert, das erhaltene Geld richtig weitergeleitet zu haben. Nach seinen Angaben wurde es durch den Schwager eines früheren Volkskommissärs über Wien nach Budapest überwiesen, aber in Wirklichkeit ist das Geld dort nie angelangt, es ist verschwunden. Ein anderes Mal hat man vergebens nach einer Sendung Juwelen und Goldbarren gesucht. Béla Kun soll dieselben angeblich nach Wien dirigiert haben; sie ging durch zwei-, drei Hände, um dann, welch' merkwürdige geometrische Linie, den in sich zurückkehrenden Weg des Kreises zu beschreiben.

Er hat irgendein Büro im Kreml, er ist noch immer Mitglied des WZIK, nimmt ferner an einer Redaktionskommission teil und versorgt auch seine Vertrauensmänner. Einer von ihnen, ein gewisser Szabados, zieht sogar zu ihm, heiratet seine Schwägerin, die Familie wird größer. Ein anderer wieder, Genosse Weiß, ein braver und gesinnungstreuer Kommunist, bleibt als treuer Grenadier ständig an der Seite seines Herrn. Er kocht für ihn, betreut die Kinder, arbeitet auch für die Frauen, die von der Politik nicht lassen können. Er räumt nur etwas zu wenig auf: in dem früheren Pfarrhaus herrscht ein Schmutz, wie in einem Schweinestall.

Als die peinlichen Enthüllungen immer häufiger, die verdächtigenden Sensationen immer größer werden, sinkt auch sein Stern im Kreml. Der Hochstapler, der sich mit seinen kleinen und großen Betrügereien auch den Russen im richtigen Lichte zeigt, wird den Sowjetführern immer lästiger. Es gelingt ihm immer seltener, in die Nähe Sinowjews zu kommen, Lenin und Trotzki wollen überhaupt nichts mehr von ihm wissen und wenn kein Wunder geschieht, ist Béla Kun auch hier bald erledigt.


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