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VI.

Der Ruf, den das Vorkriegs-Budapest in der Welt genoß, war stark übertrieben. Budapest war nie ein so gefährliches Sündenbabel, wie man es sich phantastisch gerne vorstellte, das berühmte Nachtleben war einige Jahre vor dem Kriege eigentlich nichts Besonderes. Moulin rouge, Casino de Paris, Trocadero und wie die übrigen Nachtlokale hießen, kämpften immer stark ums Dasein und konnten sich trotz der gerne »mulatierenden« Großgrundbesitzer aus der Provinz nur schwer über Wasser halten. Zigeunermusik, Champagner, üppiges Essen, schöne Frauen, Fiaker, alles wie in Wien oder sonstwo, nicht mehr und nicht weniger. Die einzige Spezialität der unverdient zum Sodom verschrienen Donaustadt waren eigentlich die Kaffeehäuser. Im topographischsten Sinne des Wortes gab es an jeder Ecke ein Kaffeehaus. Für jede Gasse und für jede Klasse, für jeden Beruf und jeden Stellungslosen waren spezielle Kaffeehäuser da. Das »Kaffee New York«, es hieß so wie das vornehmste in Kolozsvár, war auch das erste in Budapest, aber es wäre zu nobel gewesen für den Provinzjüngling, der mit seinen sechsundzwanzig Jahren nach Budapest kam, um – wieder! – ein neues Leben zu beginnen.

Das neue Leben begann im »Kaffee Meteor«. Gegenüber dem »Kaffee New-York«, am Boulevard der großen Kaffeehäuser, wollte es ein Kaffeehaus zweiten oder schlimmstenfalls dritten Ranges sein, es war aber ein Café letzter Sorte. Das Riesenlokal hatte eine relativ schmale Front auf die Ringstraße, mit einem aus einer Hotelhalle umgebauten weiten Trakt auf den Hof; lichtlos, luftlos, auch bei Tag elektrisch beleuchtet, war es ein Kaffeehaus, welches stark an der Grenze der polizeilichen Kontrolle lag. Daß ausgesprochene Razzien nicht vorgenommen wurden, schien seine Gründe in den damaligen friedlich guten Verhältnissen zu haben, man fahndete eben nicht nach Umstürzlern und Revolutionären, und die Diebe oder Defraudanten versteckten sich nicht hier. Die sonstigen Verbrecher und die verschiedenen Ausgestoßenen der Gesellschaft hatten ohnedies ihre eigenen Kaffeehäuser. Was an sogenannten Journalisten, die keine waren, was an zweifelhaften Existenzen, Abenteurern, Zuhältern und sonstigem Nachtlokalabhub, echten und falschen Spielern da war, traf hier zusammen, wohin sich Béla Kun teils durch die Tücke des Objektes, teils durch die Intuition seines richtigen Wesens hingezogen fühlte.

Der große Dichter wohnte im »Hotel Meteor«, aber er kam nur selten in dieses Kaffeehaus, obwohl außer Béla Kun auch noch andere Landsleute aus dem schönen Siebenbürgen hier ihren Stammtisch hatten. Sie tauschten da die ozonreiche, starke Bergluft der Karpathen gegen diese stickige, verrauchte Atmosphäre ein. Der große Dichter, der in Paris oder im kleinen Dorf in Siebenbürgen lebte und nur selten in seinem Budapester Redaktionszimmer zu sehen war, verfiel durch unglückliche Liebe, durch unheilbare Krankheit – tragische Krankheit der damaligen Jugend – der Trunksucht. Nicht in Nachtlokalen, nicht in grandiosen Kaffeehäusern, in verstunkenen Wirtshausstuben trank er seinen billigen, sauren, aber doch starken und berauschenden Ungarwein. Am Abend begann sein Leben, um Mitternacht blühte er auf und in den späten Nachtstunden setzte der Motor seiner Seele, geheizt durch das mörderische Benzin des Alkohols, ratternd ein. Da schrieb er seine schönsten Gedichte, da strahlte er von Geist und Witz, da wurde er bezaubernd. Durch den Schleier des giftigen Rausches wurde ein unheimliches Genie sichtbar. An seinem Tische saßen die Freunde und Bekannten und die Bewunderer, am unteren Ende nahm auch der einstige Privatschüler bescheiden Platz, dessen Anwesenheit ihm keine große Freude bereitete. Saßen auch andere Arrivierte am Tisch, andere helleuchtende Namen der neuen ungarischen Literatur, wurde in ihrer Gesellschaft dem Dichter übel vor dem alten Kameraden, so griff er in die Hosentasche und nahm, je nachdem, eine Krone oder ein großes silbernes Fünfkronenstück heraus und fertigte damit den früheren Schüler ab, der gerne das Geld nahm und verschwand. Er ging in ein noch schlechteres Wirtshaus, dort hatte auch er einen Stammtisch, an welchem aber er präsidierte. Hier saß er zu oberst, hier lauschten seinen Worten die Leute, die noch ärger waren als er …

Außer zwei, drei Hemden, einigen Kragen und wenig Wäsche bestand sein ganzes Gepäck nur aus Pamphlets. Seinen einzigen fleckigen Anzug trug er am Leibe. Und eines brachte er in seiner Reisetasche gewiß nicht mit: Überzeugung, striktes Programm, feste Entschlüsse. Es blieb ihm ganz gleichgültig, wohin die Wellen des Ozeans der Großstadt das kleine, schmutzige Boot seines Lebens schleuderten. Und wenn er auch an den Felsen kleiner oder großer Unkorrektheiten zerschellen sollte, nur einmal sollte das Boot irgendwo ankommen, nur einmal sollte es anlegen dürfen, nur einmal im sichern Hafen landen. Arriviert sein, arriviert sein, war das Schlagwort der damaligen Zeit, Arrivé hieß der Glückliche, der Erfolggekrönte, und Arrivé war schon einer, der so gegen hundert Kronen Monatsgage hatte, der sein Leben nicht von der Nachsicht des Oberkellners abhängig machen mußte, da er ihm den Kaffee und die zwei Semmeln zum Lebensunterhalt kreditierte. Oft äußerte sich die Nachsicht des Oberkellners auch im Wegsehen. Hatte er kein Verständnis für die Art richtiger Bohemiens, so genügte es auch, wenn er einen Augenblick nicht aufpaßte, um mit der Zeche durchbrennen zu können. Ewig ein solches Leben zu führen, schien nicht recht aussichtsvoll und wurde immer unerträglicher. Leicht zu verstehen, daß jede Stellung, jede Arriviertheit nur zu begrüßen gewesen wäre und schon die kleinste Position dem Erfolglosen als höchster Traum erschien.

Der wilde Sozialdemokrat mit der roten Lavallière-Krawatte mußte die Krawatte wechseln. Wie groß auch die Investition der Beschaffung eines solchen Modeartikels für den stets Mittellosen war, er mußte sich eben doch dazu entschließen, schon der Farbe wegen. Statt der roten trug er nun eine großgetupfte schwarze oder blaue, je nachdem, alle Farben waren willkommen, nur die rote nicht mehr.

Béla Kun ist bürgerlicher Journalist geworden. Er bekam eine Stellung bei einer schlecht gehenden, aber prachtvoll redigierten bürgerlich-demokratischen Zeitung, es war die gleiche, welche den Dichter entdeckt hatte. Eine der vornehmsten Erscheinungen der ungarischen Publizistik stand an der Spitze der Zeitung, ein Europäer im vollsten Sinne des Wortes, ein funkelnder Geist und ein Besessener des Metiers, ein Fanatiker des gedruckten Wortes, der nur für sein Blatt, dessen Stil, für die Nachricht, für die Politik lebte. Diese Zeitung war die »Budapesti Napló«. Anfangs ein vornehmes Familienblatt, später ein lauter gewordenes Boulevardjournal. Es kämpfte so schwer um seine Existenz und ging derart schlecht, daß es schon nichts bedeutete, ob ein Mitarbeiter mehr oder weniger seine Gage nicht bekommen konnte. Für diese Zeitung schrieb in den ersten Jahren nach ihrer Gründung auch Franz Molnár seine ersten Romane und Croquis. War er zu jener Zeit auch schon ausgeschieden, so stempelte er doch durch seine frühere Anwesenheit das Blatt irgendwie zur Repräsentantin der neuen Literatur.

Von Molnár erzählt man, daß er für seine ersten Sachen das Honorar nie erhielt. Wie oft er auch mit seiner schon zerfetzten Anweisung bei der Kasse erscheinen mochte, immer wieder erhielt er an Zahlungsstatt nur die Versicherung, daß morgen bestimmt Geld dasein werde. Über solche Vertröstungen auf morgen und immer wieder auf morgen gingen alle Anweisungen in Fetzen auf. So ließ Molnár endlich bei einem Spengler ein Stück Blech ausschneiden, schrieb mit seinen kalligraphisch runden Buchstaben die Anweisung für das Honorar darauf und legte es ohne weitere Begründung dem Chefredakteur zur Unterschrift vor. Er war prompt bereit, mit einer dezidiert offenen Begründung darzulegen, weshalb er seinen Chef eine blecherne Anweisung unterschreiben lassen wollte. Das Überraschendste an der historisch beglaubigten Anekdote war aber, daß ihn dieser überhaupt nicht fragte. Wortlos unterschrieb er die Anweisung, und nur der Kassier lachte sich tot; zahlte zwar noch immer nicht, begriff aber die Gründe, welche Molnár dazu bewogen hatten, sich beständigere Anweisungen, als solche aus Papier, zu beschaffen.

Geld war wenig da, wie einst Molnár wurden später auch die sonstigen Mitarbeiter nur selten und auch dann sehr schlecht bezahlt. Béla Kun, den noch dazu niemand engagiert hatte, der nur eben so lange immer wieder zu Besuch kam, bis er endlich dort blieb, eigentlich ein bloßer Volontär, unengagiert, wie noch niemand, sah wenig Geld. Allein die Hoffnung auf eine Stellung genügte schon, um aus dem gefährlichen Roten einen ruhigen bürgerlichen Journalisten zu machen. Die Chance zu einer Karriere in der bürgerlichen Journalistik genügte bereits, ihn zu verleiten, an alles, Gewerkschaft und Organisation, Marx und Lassalle, Bebels Klassenbewußtsein und das ganze Proletariat zu vergessen. Als politisch unverläßlich und als kleinen Provinzler, der das große Getriebe der Hauptstadt gar nicht kannte, konnte man ihn nicht für die richtige Publizistik oder Journalistik verwenden; er redigierte also die hochwichtige weltbewegende Rubrik »Allerlei«. Da er keine fremden Sprachen beherrschte, half er sich nicht mit Übersetzungen, sondern mit der Schere und der Phantasie und durch die Beiträge moderner Literatur, die er auf Grund seiner Leidenschaft für Ady ganz besonders verehrte. Er brachte ausschließlich Gedichte Adys. Die ganz guten, ewige Perlen der Literatur, gingen leider auch durch seine befleckten Hände, genau so wie die weniger guten und auch die schlechten. Ein Fetzen Papier mit Adys Schrift genügte, um ihn zu begeistern, um das Gedicht so rasch als möglich in Druck zu befördern und sorgfältig korrigiert zu veröffentlichen.

Während er bei der Zeitung war, schien die Muse alle übrigen Dichter gemieden zu haben. Die bisher Lauten verstummten in ganz Ungarn, neue Dichter sangen nicht mehr, es war eben kein anderer Dichter da, nur Ady. Die guten Dichter schienen während der kurzen Redaktionstätigkeit des Béla Kun wie ausgestorben zu sein, es gab keine Konkurrenz, es war eben niemand anderer da. Wurde die Sache dem Herausgeber oder dem Chefredakteur zu bunt, dann bedauerte der Redakteur des »Allerlei«, er hätte eben keine anderen Gedichte. Kein Mensch schreibt, er bekommt eben sonst von niemandem Beiträge. In Wahrheit enthüllte diese erste Diktatur unter dem Feuilletonstrich bald nach der kurzen Periode von Kuns Redaktionstätigkeit ein merkwürdiger Fund: In seiner Schreibtischlade fand man, als er aus dem Verband der Redaktion herausflog, eine Unmenge von prachtvollen Gedichten auch anderer junger Literaten.

Béla Kun hatte, um seinem geliebten Dichter zu helfen und von ihm die Konkurrenz fernzuhalten, alle anderen Gedichte glatt unterschlagen. Dies war die erste Unterschlagung, der dann bald einträglichere folgten.


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