Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In den stillen Stunden des Interniertseins wurde Béla Kun ein Revoluzzer. Kurt Mühsam schrieb ein witziges Gedicht über den Revolutionshelden, der zu feige ist, um die Revolution mitzumachen und sich ruhig nach Hause begibt, um sich hinzusetzen und als richtiger Revolutionär ein Buch darüber zu schreiben »wie man revoluzzen tut«. Béla Kun, der sich durch einen Revers verpflichtete, sich von jedweder politischen oder publizistischen Tätigkeit fernzuhalten, hielt selbstverständlich auch dieses Versprechen nicht und schrieb ein Büchlein. Teils, um das gegebene Wort nur ja nicht zu halten, teils weil man doch schreiben muß. Das Buch erschien im Jahre 1920 im Verlage der österreichischen kommunistischen Partei. Es erschien ungarisch und deutsch zugleich und schon der Titel genügte, um wie auf einer Röntgenplatte, den Revolutionsschwindler in Herz und Nieren zu erkennen.
»Forradalomrol forradalomra – Irta Kolozsváry Balázs,« hieß das Heft auf ungarisch, unter dem Titel: »Von Revolution zu Revolution – von Blasius Kolozsváry,« erschien das epochale Werk auch deutsch. Wie einem Graphologen eine Unterschrift genügt, um aus den Geheimnissen der Züge auf den Charakter zu schließen, so eröffnete sich das wahre Wesen des kleinen Kohn Béla aus Szilágycsehi durch dieses plump theoretisierende, langweilig-kommunistische Gestammel. Man mußte sich gar nicht durch die zähe Ungenießbarkeit dieses Heftes durchbeißen, das sich so wenig verdauen läßt, wie eine Schuhsohle, es genügte der hochstaplerisch gewählte Titel »Von Revolution zu Revolution« und das ebenso hochstaplerisch gewählte Pseudonym, Kolozsváry Balázs. »Lüge nicht, Blasius!« hieß auch das Buch, das als prompte Antwort auf dieses Werk erschien und von einem Mitglied der Sowjetregierung geschrieben wurde, wurde dann Wort für Wort nachgewiesen, daß Béla Kun in allen seinen Feststellungen glatt gelogen hatte.
Der Vorname Balázs, Blasius, war ein kernungarischer Name, der Zuname des Pseudonyms, Kolozsváry, noch dazu mit fremdem »y« wollte einen Adel vortäuschen, einen Gentrynamen, indem es das »y«, das im Ungarischen das adelige »von« ersetzt, so selbstverständlich hinter sich setzte. Der gute Béla Kun wollte eben einen altadeligen, siebenbürgischen Gentrynamen vortäuschen, er hatte sich einen Namen von dem anderen Ufer ausgeborgt, aus dem Unterbewußtsein, um sich durch die Brücke der Verlogenheit, des Sichverstellens auch in diesem Falle falsch zu präsentieren. Vom Kohn Béla bis Béla Kun war es schon eine lange Strecke, der Weg von Béla Kohn bis zu einem Blasius von Koloszváry war weiter, als vom Ér zum Ozean.
»Habent sua fata libelli – Bücher haben ihre Schicksale,« ruft Béla Kun melancholisch im Nachwort seines Pamphlets aus. »Revolutionäre Schriften haben revolutionäre Schicksale. Mitunter sogar bereits, ehe sie im Druck ans Tageslicht treten. Am 7. November, der zweiten Jahreswende der russischen Proletarierrevolution, sind die letzten Worte dieser Broschüre niedergeschrieben worden und es brauchte fast zweieinhalb Monate, bevor das Manuskript über die Kerkermauern der Demokratie steigen und nach manchem Wirrsal den Weg in die Druckerei finden konnte. Zweieinhalb Monate in der Epoche der sozialen Revolution projizieren mehr Ereignisse auf die ausgespannte Leinwand der Geschichte, als zweieinhalb Jahrzehnte friedlicher Entwicklung. Die zweieinhalb Monate, die inzwischen verflossen sind, haben im raschen Nacheinander der Ereignisse viel davon verwirklicht, was wir mit Hilfe der einzigen wissenschaftlichen Methode der Politik, mit Hilfe des Marxismus, vorausgesagt haben!
Die sechs Kapitel eines fünfundfünfzig Seiten starken Heftes, bieten außer dem alten Schlagwort, »Proletarier aller Länder, vereinigt euch« und dem unheilbringenden Emblem des Sowjetwappens, dem Béla Kun wenigstens noch auf dem Deckel treu bleibt, nichts, kein einziges objektives Wort über eine arg verlorene Schlacht, aber auch nicht ein subjektives, das uns einen Menschen als solchen zu seiner Handlung näherbringen und ihn aufrichtig zu beleuchten vermöchte. Würde ein Psychopathologe das Werk untersuchen, so würde er nur verlegene, krankhafte Entstellungen eines pathologischen Lügners finden. Versucht aber ein Historiker das Buch durchzustudieren, er fände nichts. Nicht das Werk, sondern sein Autor müßte untersucht werden und nicht vom Historiker, sondern vom Gerichtsarzt und vom Untersuchungsrichter. Die Geschichtsschreiberei selbst einer historischen Grimasse bedarf nicht der kontradiktatorischen Kontrolle des pragmatischen Geschichtsforschers, sondern nur des prozeßordnungsgemäßen Verfahrens des Strafgesetzbuches.
»Die Diktatur des Proletariats in Ungarn ist gestürzt.« Schön, daß er wenigstens das zugibt, um nicht gleich im ersten Satz die Unwahrheit zu sagen. »Dieser Sieg der internationalen Gegenrevolution, die Zertrümmerung der Ungarischen Sozialistischen Föderativen Räterepublik« – diesen schönen, diesen klangvoll klingenden Namen für seine Herrschaft hat Béla Kun eigentlich erst nachträglich gefunden – »hat eine Phase der internationalen Revolution abgeschlossen.«
Er sieht ein, daß das Proletariat in Ungarn noch zu schwach war, an der Wahnidee hält er jedoch fest, daß es nur eine einzige Staatsform gibt, die Diktatur, gleichgültig, ob es die Diktatur des Proletariats oder der Bourgeoisie ist. Er bereut, daß er zu milde gewesen ist, womit er wahrscheinlich sagen will, daß ihm die Hunderte von unschuldigen Toten, Tausende von Gemordeten, Millionen von Betrogenen und ein ganzes gefoltertes Land nicht genügten. »Die Bourgeoisie Ungarns ist zur Ausübung der Diktatur vor dem 21. März zu schwach gewesen, zur Zeit der milden Handhabung der Diktatur aber kam sie zu Kräften.« Wenn er noch einmal könnte, würde er es anders machen. Er glaubte auch daran, – wenn man ihm glauben kann, daß er an etwas glauben kann: »Der revolutionäre Klassenkampf, dessen Krönung die revolutionäre Diktatur der Arbeiterklasse ist, schreitet seinem Ziele entgegen« – so schreibt er in Steinhof – »von Revolution zu Revolution …«
Dann droht er mit Enthüllungen:
»Es ist hier nicht der Ort, die Geschichte der Entstehung der Diktatur des Proletariats in Ungarn zu enthüllen. Aber auch hier können wir feststellen, daß zur Entstehung dieser Diktatur die Gestaltung der internationalen Lage mehr beigetragen hat als die revolutionäre Aktivität der ungarischen Proletariermassen.«
Plötzlich wird er zum Dichter:
»Gleich der Herbstzeitlose, die im Spätherbst Blüten treibt, während sich ihr Blätterwerk erst im Frühling entwickelt, haben sich an die Arbeiterbewegung in Ungarn alle Triebe der reformistischen Richtung angesetzt, ehe die Arbeiterklasse ihre Rechte, ihre parlamentarische Vertretung erlangt hatte: alle Triebe von der Bereitschaft zur Klassenkooperation angefangen, bis zum Parlamentskretinismus. Die Diktatur des Proletariats, diese große Bildungsanstalt zum Sozialismus, hat Ungarns international vordem ganz unbedeutende und innerpolitisch ebenfalls erst vor ganz kurzer Zeit bedeutungsvoll gewordene Arbeiterbewegung vor eine schwere Prüfung gestellt. In den Wahlrechtskämpfen, die die sozialdemokratische Partei für die Demokratie geführt hatte, konnte sich die ungarische Arbeiterschaft nicht einmal an selbständige Klassenaktionen gewöhnen.«
Drohend erklingt zum Schluß die große Parole. Ist es ein politisches Programm, so ist es auf jeden Fall ein schönes, ein vielversprechendes, ein mörderisches. Béla Kun will weiter morden, er singt die Hymne des Terrors:
»Das langweilige Opferfest …, der Kannibalismus der Konterrevolution selbst wird die Völker überzeugen, daß es nur ein Mittel gibt, die mörderischen Todeswehen der alten Gesellschaft, die blutigen Geburtswehen abzukürzen; zu vereinfachen, zu konzentrieren – nur ein Mittel: den revolutionären Terrorismus.«
So schreibt über das einzig mögliche Regierungsprogramm der einstige Diktator, der sein Kabinett im Gefängnis gebildet hatte Gegeben zu Steinhof, Irrenanstalt bei Wien.