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XIV.

Béla Kun ist aber nicht tot. Im Gegenteil … Sensationslüsterne Zeitungen bringen in den Mittagsstunden ergreifende Berichte über die »Kreuzigung« des »Märtyrers«, der in seinem gewollt oder ungewollt romantisch-duldsamen Verhalten mehr sympathisch als verabscheuungswürdig erscheint. Béla Kun ist nicht tot. Béla Kuns richtiges Leben beginnt erst jetzt. Béla Kun verdankt seine ganze Karriere, sein ganzes Leben in naher Zukunft den Gewehrkolben, die ihn eben dieses Lebens berauben wollten. Und einem einzigen Zeitungsartikel …

In diesem katastrophalen »stimmungsvollen« Zeitungsartikel war es ausführlich zu lesen, wie der Oberstadthauptmann den halb bewußtlosen Béla Kun zu verteidigen versuchte. Einige Stellen:

 

»… Können Sie Ihre Angreifer erkennen?« – fragte Dr. Szentkirályi, der Oberstadthauptmann.

»Nicht wichtig!« – antwortet Béla Kun kaum hörbar, gefaßt, melancholisch. »Arme, irregeführte Menschen …«

Da stürzen sechzig Schutzleute ins Zimmer.

»Wo steckt der Verbrecher? Wo ist denn der Mörder? Erschlagen wir ihn!«

Szentkirályi stellt sich der Polizeitruppe entgegen:

»Ich bin euer Chef, folgt mir! Ruhe!«

Die Schutzleute sind nicht zu bändigen. Schrecklicher Haß lodert in ihren Augen. Mit vorgehaltenen Gewehrkolben nähern sie sich dem Opfer, sie schieben den Oberstadthauptmann beiseite, ebenso einen anderen Polizeioffizier und mich auch … Ich bin überzeugt, er lebt nur noch paar Minuten lang … Sein Tod nähert sich … Béla Kun schaut erschrocken umher, wie die zum Tode Verurteilten, weicht zurück gegen die Ecke des Zimmers, wo ein graues Sofa steht. Mit zusammengefalteten Händen verdeckt er sein Gesicht und wirft sich auf das Sofa. Ein Schutzmann versetzt ihm einen furchtbaren Hieb ins Gesicht. Blut strömt hervor … Neue und wieder neue Hiebe treffen den Bedauernswerten. Er ist ja doch ein Mensch …

Szentkirályi wird todblaß; flehend redet er auf die Schutzleute ein:

»Polizisten! Kameraden! Ich bin der Oberstadthauptmann! … Laßt ihn schon in Ruhe! … Ich flehe Euch an … Gott soll Euch gnädig sein … Ich bitte, ich flehe … Laßt ihn schon in Ruhe! … Ich verspreche Euch, daß er in die Hände der strafenden Justiz kommt« …

Die Schutzleute brüllen Szentkirályi nieder:

»Aufhängen den Schuft! … Wir sind selber unsere Justiz! … Wir brauchen keinen Richter! Richten wir ihn hin!«

Er wird weiter und weiter geschlagen. Béla Kun duldet wortlos die Schläge. Es ist Gottes Wunder, daß der in seinem Blute sich wälzende, arme Mensch noch lebt. Hie und da stößt er mit seinen Füßen um sich, mit zusammengefalteten Händen, mit geschlossenen Augen liegt er duldsam und leidend da. Der Polizeioberkommandant, der riesengroße Bockelberg, schreit:

»Polizisten! Also nichts ist mehr heilig für Euch! Was Ihr treibt, das ist unwürdig! Wer diesen elenden Kerl da noch berührt, ist kein richtiger – Sozialist!«

»Gut, also meinen Bruder darf man ohne weiteres erschlagen?!« – schreit ihm ein Schutzmann zurück.

Die Schläge werden allmählich spärlicher.

Szentkirályi macht einen letzten Versuch:

»Verhindert doch nicht, daß wir ihn vor sein Gericht stellen können.«

Als Erlösung klingt endlich ein »Éljen!«, dann im Chor »Éljen! Éljen!« und ein Schutzmann erteilt das Kommando:

»Gehn wir!«

Im Abgehen wollen noch einige ein paar Hiebe zurücklassen. Szentkirályi blickt sie flehend an. Das wirkt. Bloß ein einziger hebt drohend noch sein Gewehr in die Höhe.

»Geliebte brauchst Du? Freie Liebe?! Du Schuft!«

»Ich habe Frau und Kind … laßt mich in Ruhe … seid barmherzig zu mir!« – stammelt Béla Kun.

Auch der letzte Schutzmann geht ab.

Szentkirályi (zu Béla Kun): »Warum haben Sie die Demonstration gemacht? War das notwendig?«

Béla Kun: »Wir haben nichts gemacht! Wir sind ja unschuldig! Es wird ja unsere Unschuld ans Tageslicht kommen! Ich bitte, Herr Oberstadthauptmann, verständigen Sie den Rechtsanwalt Dr. Eugen Landler. Ein alter Freund von mir. Ich möchte ihn gerne sprechen!«

Er fällt in Ohnmacht. Aber schon nach einer Minute wacht er wieder auf. Er weint und bettelt:

»Schüt … zen … Sie … mich! … Schüt … zen … Sie … mich! Sie kommen schon wieder!

Szentkirályi: »Haben Sie bereut, was Sie getan haben? Fürchten Sie sich nicht vor Gott? Eine ganze Stadt muß zittern Ihretwegen?«

Béla Kun schweigt.

Szentkirályi: »Hat es sich gelohnt, dies alles zu tun?«

Béla Kun: »Hat es sich gelohnt?! Ach! Woher? … Bitte, verständigen Sie meinen Freund Landler! Und auch Desider Biró!«

Ein Polizeibeamter: »Wollen Sie ein politisches Geständnis ablegen?«

Béla Kun: »Jawohl!«

Ein Polizeirat: »Sie brauchen jetzt den Arzt und nicht den Rechtsanwalt!«

Béla Kun wird ruhiger. Er bittet um eine Zigarette. Ich gebe ihm – schreibt der mitleidsvolle Reporter – drei Zigaretten. Szentkirályi dient mit Feuer.

»Haben Sie große Schmerzen?« – fragt ihn der Reporter.

»Schreckliche Schmerzen! Mein Kopf tobt … Was glauben Sie, werden sie noch einmal kommen?« …

»Nein!« – beruhigen wir ihn.

Béla Kun zittert noch vor Furcht. Sanitätsleute bringen eine Tragbahre ins Zimmer. Die Ärzte beginnen mit ihrer Arbeit … Beim Abschied bittet mich Béla Kun, die Einzelheiten seiner Verprügelung möchten nicht veröffentlicht werden … Seine Frau würde entsetzt sein …

Am Korridor steht ein Wachtmeister. Er salutiert vorschriftsmäßig dem Oberstadthauptmann und meldet:

»Melde gehorsamst, Herr Oberstadthauptmann. Es hat sich nichts Besonderes ereignet!« …

 

Niemand glaubt, welches Unheil ein einziger Zeitungsartikel anrichten kann. Dieser »erschütternde« Artikel hat die feindliche Stimmung gegen Béla Kun mit einem Schlage gewendet. Man hatte Mitleid mit dem blutig Geschlagenen, dem plötzlich »Armen«, der ja doch auch ein »Menschenkind« war. Béla Kun dankte sehr viel, vielleicht alles diesem einzigen und einzigartigen Zeitungsartikel, dem Umstand, daß die Kritiklosigkeit des Reporters, gepaart mit der unvermeidlichen Sensationslust der Kolportage, einen Märtyrer aus einem Verbrecher gemacht hatte. Er verstand es ausgezeichnet, die Rolle des Märtyrers weiter zu spielen und aus der Rolle politisches Kapital zu schlagen. Blutiges Kapital mit noch blutigeren Zinsen …


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