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Der Erfolg in der großen Sitzung der Arbeiter- und Soldatenräte, das ein geriebener Falschspieler gewann, hat Béla Kun zum Hasardeur gemacht.
Der unerwartete Sieg über die verzagten Arbeiterführer, über die irregeführten Massen der Arbeiter selbst und die schier unglaubliche Tatsache, daß Arbeiter, die vier Jahre schwerer Kämpfe des Weltkrieges hinter sich hatten, zu den Waffen eilten, haben Béla Kun geradezu berauscht. Jetzt hatte er eine richtige bewaffnete Macht und es gab kein noch so strenges Reglement der alten Armee, das der frühere Kriegsgefangene verschmäht hätte, er, der so ungern mit dem Marschregiment aus der Honvédkaserne in Kolozsvár ins Feld gezogen war.
Die Lage der roten Republik war alles eher, als rosig zu nennen. Von drei Seiten umzingelten die Feinde das Land. Im Süden die Serben mit drei Divisionen und einer französischen, im Osten die Rumänen mit fünf Divisionen, und im Norden die Tschechoslovaken mit vier Divisionen, von denen zwei unter dem Kommando eines französischen und zwei unter der Leitung eines italienischen Generals standen. Die Reserven eingerechnet, bedrohten die feindlichen Mächte mit insgesamt siebzehn Divisionen Béla Kun, der eigentlich über nichts, als die Geduld und die irregeführte Opferwilligkeit der Budapester Arbeiter verfügte. Er wußte, daß seine Macht nur so lange dauerte, solange ihn die richtig organisierten Arbeiter unterstützten und er wußte auch nur zu gut, daß die rote Söldnerarmee allein wertlos war. Gestützt auf die Arbeiterschaft, ließ er assentieren, entheben, einberufen, kommandieren, wie es im Weltkrieg das richtige Armeeoberkommando machte; er erzwang es jedenfalls unter kommunistischer Kontrolle, daß alle früheren Berufsoffiziere einrückten. Die Feinde beschimpfte er unflätig, sein Mundwerk war die schwere Artillerie donnernder Grobheiten; er nannte die Rumänen ein Gesindel, die Tschechoslovaken eine feige Bande. Respekt hatte er eigentlich nur vor den Jugoslaven. Die Lüge wurde Operationsbasis: er ließ Gerüchte verbreiten, daß die Tschechoslowaken nicht anzugreifen imstande wären, die Rumänen nicht angreifen dürften und daß allein vom Süden, seitens der Jugoslawen, ein Angriff zu erwarten wäre. Er sprach laut, stieß überlegen Grobheiten gegen den Feind aus und verbreitete zur eigenen Beruhigung Lügenmeldungen. Ängstlich, wie einer, der allein durch den Wald ging, pfiff er vor sich hin Marschlieder betrügerischer Feigheit.
Selbst an die Front zu gehen, mitzukämpfen, Kanonendonner zu hören, in bombenbeschwerten Aeroplanen von einer Front zur anderen zu fliegen, das wäre für seine schwachen Nerven zu viel gewesen. Sein Komödiantentum lockte ihn dennoch an die Front, um als richtiger Marschall über eine usurpierte Macht, vor den von terrorisierten Offizieren unglaublich rasch neuorganisierten und neugruppierten Truppen eine Revue abzuhalten. Jedenfalls aber blieb er im Etappenraum und ließ dort die Soldaten vorbeidefilieren, um dann von einer kleinen Anhöhe herab – einem Feldherren-Misthügel – eine Rede vom Stapel zu lassen:
»Die Armee ist wunderbar! Die Arbeiterbataillone sind solche Stützen der Revolution, daß jeder Kleinmut und Zweifel schwindet, wenn man euch sieht. Ich halte es auch für richtig, daß die Reservetruppen in den Dörfern einquartiert wurden. Die proletarischen und halbproletarischen Elemente sollen euch, die organisierten, selbstbewußten, begeisterten Arbeiter dort sehen, euch, die nicht nur einen Krieg führen können, sondern auch würdig sind, die proletarischen Elemente in den Dörfern zu erziehen und zu führen. So wie die früheren, desorganisierten, verkommenen roten Truppen überall nur die Gegenrevolution hervorriefen, Mißtrauen und Panik erregt haben, so wird euer Erscheinen die Verbrüderung des Land- und Stadtproletariats zur Folge haben. Jeder Soldat soll (– wie Béla Kun sich die Kriegführung vorgestellt hat –) seine freie Zeit dazu benützen, um sich nach der Arbeit als Agitator zu betätigen. Veranstaltet Volksversammlungen, gründet propagandistische Gesangvereine und Ihr werdet sehen, daß euch die Bauern überall mit der größten Liebe und mit dem größten Vertrauen begegnen werden. Auf solche Truppen kann sich unsere Revolution verlassen, solche Truppen werden siegen, und jeder kleinste Zweifel am endgültigen Sieg, jeder Zweifel an der Revolution ist ein gegenrevolutionärer Meuchelangriff auf das Proletariat.«
So sprach ein Narr von seinem Misthaufen herab zu den vorbeiziehenden Truppen. Die Rumänen, von der Friedenskonferenz in Paris dirigiert, blieben an der Theißlinie stehen, die Jugoslawen griffen nicht an, und Béla Kuns Armee konnte sich mit ihrer ganzen Kraft gegen die Tschechoslowaken wenden.