Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Am 20. Februar 1919, einem unvergeßlichen Tage in Ungarns Bestimmung, holte Béla Kun zum großen Schlag aus. Er ließ durch seine Agenten eine Arbeitslosendemonstration vor den Fenstern der »Vörös Ujság« aufmarschieren; aus dem Fenster hielt er eine Rede:
»Unsere größten Feinde sind die Sozialdemokraten, die müssen vernichtet werden. Diese bekämpfen uns am heftigsten, zur Macht gelangt, vergessen sie ihre Pflichten. Auf, zum Kampf gegen die sozialdemokratische Zeitung, demolieren wir ihr Gebäude, zerstören wir ihre Maschinen, nieder mit den Verrätern des Proletariats!«
Die besessene und unberechenbare Masse ging auf das Kommando ein; Béla Kun ging in sein gewohntes kleines Gasthaus zum Abendbrot, dann nahm er einen Einspänner und fuhr in den Journalistenverein, da er, der rote Divisionskommandant, der Vertraute Lenins, trotz seiner ganzen nunmehr schon triumphalen Vergangenheit noch immer nicht seinen größten Schmerz verwinden konnte: kein richtiger Journalist geworden zu sein. Und während er in den kleinen Räumen des Journalistenvereins saß und die zündendsten Räubergeschichten von sibirischen und Moskauer Ereignissen erzählte, krachten die Salven vor dem Gebäude der sozialdemokratischen Zeitung: sieben Schutzleute lagen tot auf der Straße – das erste Blut einer sonst unblutigen Revolution floß auf das Pflaster.
Béla Kun schlich sich um die gleiche Zeit durch die Stadt in den Klub der Journalisten, in den »Otthon«, dort wurde er hinausgeworfen.
»Sie sind kein Mitglied, schauen sie, daß Sie weiterkommen«, sagten ihm die Mitglieder. Jemand, der gerade eine Zeitung las, benutzte die Gelegenheit, um ihm bittere Vorwürfe wegen seiner unverantwortlichen Agitation in den von den Russen ausgehaltenen halbverrückten Zeitungen zu machen. Béla Kun mußte sich trollen.
Er fuhr ab; er blieb lieber Stammgast im Journalistenverein auf der Rákóczistraße, in dessen bescheidenen Räumen er von paar ruhelosen Narren, von sogenannten revolutionären Geistern gerne gesehen wurde. Im Otthonklub hatte er den Laufpaß bekommen. Das Vereinslokal war ihm auch willkommen. Um bloß unter Journalisten zu sein …
»Der arme Ady Endre …«, sagte oft Béla Kun im Kreise seiner Zuhörer. Journalisten, Halbjournalisten und Nichtjournalisten. »Es ist gar nicht schön von mir, daß ich schon seit Wochen hier bin und ihn in seiner Todeskrankheit gar nicht besucht habe … Armer Ady! …
Er rühmte sich gerne seiner Bekanntschaft mit dem großen Dichter, er war sehr stolz auf die Freundschaft mit ihm, der inzwischen gestorben war.
Im übrigen dachte er streng kleinbürgerlich in allen Dingen des Lebens. Die futuristischen Dichter der kommunistischen Partei, auf die seine Anhänger eingeschworen waren, hat er immer verabscheut, die Maler und Bildhauer, die die Revolution der Geschmacklosigkeit verkündeten, haßte er und zu der neuen atonalen Musik hatte er keine Beziehungen. Seine Frau Irene, die in ihrem Elternhause das Klavierspiel erlernt hatte und ganz gut spielte – in den kargen Jahren der Vorkriegszeit hatte sie auch Unterrichtsstunden gegeben – mußte ihm oft schöne ungarische Lieder vorspielen. Seine Revolution in der Literatur hörte bei Ady auf, darüber hinaus hatte er für nichts mehr Verständnis.
Die Zuhörer lächelten, so oft er über Ady sprach, denn es war allgemein bekannt, daß der Dichter erheblich weniger stolz auf die Bekanntschaft mit Béla Kun war. Am liebsten hätte er die Episode der Privatstunden von Klausenburg aus seinem Leben gestrichen, auf alle Fälle war er aber auf Béla Kun nicht sehr gut zu sprechen. Das Reden fiel ihm in den letzten Wochen überhaupt schon schwer – eine vernichtende Erkrankung seines Blutkreislaufs hatte ihren konzentrischen Angriff auf den ganzen Körper des Dichters erstreckt – seine Zunge konnte er nur mit großer Anstrengung bewegen, bloß seine großen Augen leuchteten noch immer groß … Und mit dem Blick eines Propheten sagt er, als er vor seinem Tode über Béla Kun befragt wurde:
»Gebet acht, das ist ein gefährlicher Kerl, der wird noch einmal sehr viel Böses anrichten! Er wird Euch, dem ganzen Land dasselbe antun, was er einmal in der Schule tat. Er ist ein Schwein!« Dann sagte er noch: »Zehn Jahre war er alt, da war er einmal auf seinen Klassenlehrer, weil ihn der in das Klassenbuch eingeschrieben hatte, böse und aus Rache verunreinigte er das Katheder. Er wird nun dasselbe tun mit dem ganzen Lande. Er wird Euch das Katheder des ganzen Landes beschmutzen … Verunreinigen … das Schwein … Acht geben, sehr acht geben!«
Béla Kun fühlte sich noch niemals so sicher in seiner Haut, wie am 20. Februar, am Tage der großen Demonstration. Er fühlte sich noch niemals so siegesbewußt, wie in den ersten Morgenstunden, als er aus dem Journalistenklub fortging und die Schlageraufschriften der ersten Morgenzeitungen lesen konnte: »Sieben Tote und achtzig Verletzte in der Népszinházutca.«
Oben in der Burg tagte der Ministerrat und inmitten der Beratungen fiel die Nachricht von dem Angriff auf das Redaktionsgebäude der sozialdemokratischen Zeitung »Népszava«. Jetzt war das Maß voll und die Sozialdemokraten waren es, die unerbittlich Genugtuung forderten. Trotz der innerpolitischen Gegensätze und der außenpolitischen Schwierigkeiten des Landes, trotz der demoralisierenden Uneinigkeit in der Regierung wurde einstimmig der Beschluß gefaßt: Béla Kun und sein ganzer Generalstab, die Leiter der kommunistischen Agitation, die Führer der demobilisierten Soldaten und der sonstigen bewaffneten Söldner des blutigen Moskauer Geldes sind zu verhaften! Die Polizei arbeitete tüchtig, die ganze Nacht waren ihre Autos in Bewegung. Einundsechzig Anhänger Béla Kuns wurden in Gewahrsam gebracht. –
Die Morgendämmerung brach schon an, als Béla Kun übernächtigt und verraucht, begleitet von einigen seiner Anhänger, vor seinem Wohnhaus in der Ügynök-utca ankam. Seine Wohnung sollte er aber nicht mehr betreten. Er wurde vor dem Haustor verhaftet und in das Schubhaus geführt.