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XVIII.

Im Sekretariat standen die alten Beamten mit Aktenstücken, Unterschriftsmappen, im Jackett mit weißem Einsatz unter der Weste, die meisten elegant und appetitlich, diese sich lautlos bewegenden Schrauben des Apparates der Staatsgewalt, die nur in den Motor genau einzufügen sind, um die Maschinerie, die man Regierung nennt, in Gang zu bringen. Ohne Lärm, wortlos und widerspruchslos.

»Ich bin hungrig,« brüllte auf einmal Béla Kun, das lärmende Gekreisch der Bande, die russischen und ungarischen und unartikulierten Laute übertönend. »Ich will etwas zu Essen haben! Es fällt mir grade ein, daß wir seit gestern nichts gegessen haben! Wenn ich mich recht erinnere, haben wir zuletzt im Gefängnis gegessen, jetzt aber haben wir bereits ein Uhr mittags!«

Auch die anderen waren hungrig. Das Wort »Hunger« und der Gedanke an das Essen haben aller Anwesenden Appetit mächtig angeregt und die Eßlust ist nunmehr Herrin der Situation geworden. Als ob das Schicksal der Welt davon abhinge, wollten sie vor allem – essen, gut und ausgiebig und ohne Verzug. Und die Sehnsucht nach Macht, der Wunsch so schnell wie möglich Ministerpositionen einzunehmen, sind für einen Moment in den Hintergrund getreten, denn essen, ja essen, vor allem essen muß doch der Mensch!

»Gibt es hier in der Nähe ein Wirtshaus?« fragt Béla Kun einen der Beamten, der sich ihm dienstfertig näherte. Als sie sich gegenüberstanden, schien es, als wäre der Beamte Ministerpräsident einer Großmacht. Béla Kun hingegen ein Bettler, noch mehr ein Kolporteur, denn als leidenschaftlicher Zeitungsnarr hielt er die letzterschienenen Blätter, über deren Inhalt er sich doch im Klaren sein mußte, in der Hand.

»Es gibt hier kein Wirtshaus in der Nähe, ich könnte es übrigens auch nicht empfehlen« – sagte der Beamte, der sich der ganzen Lage scheinbar noch nicht bewußt geworden war. Béla Kun hätte sich mit einem schmackhaften Gulyás begnügt, das sicherlich auch in dem kleinen in der Burg befindlichen Wirtshaus erhältlich gewesen wäre.

»Die Dejeuners für das Ministerpräsidium wurden entweder zuhause bereitet oder man ließ das Essen aus dem National-Kasino bringen«, lautete die fast revolutionär-naive Auskunft des Beamten, denn selbst die Vorstellung, der revolutionäre Kommunist lasse aus dem Kasino der ungarischen Magnaten, aus der stolzen Burg der alten feudalen Aristokraten die von der Bourgeoisie beneideten Leckerbissen bringen, mußte grotesk wirken. Der Beamte irrte sich tatsächlich nicht oder vielmehr er irrte sich gewissermaßen richtig, denn der Diktator fand sich in der Situation gleich zurecht und erteilte die Weisungen:

»Ein Auto fahre schnell in das National-Kasino, um uns Essen zu bringen. Wieviel sind wir denn eigentlich hier?«

Einer, er hatte das Aussehen eines Verbrechers, sprang schnell zu Béla Kun hin.

»Sie befehlen, Genosse? Meinen Sie die Volkskommissäre oder die stellvertretenden Volkskommissäre?«

»Das ist ganz egal«, antwortete Béla Kun, »hole sie der Teufel, ob wirkliche oder stellvertretende Volkskommissäre, die Frage ist, wieviele wir hier beisammen sind, damit genug zum Essen gebracht werden kann.«

Dann begannen sie zu zählen, aber nicht nach der Regierungsliste oder der Anzahl der Portefeuilles, sondern einer sprang auf einen samtenen Stuhl, zählte einfach die Köpfe der Anwesenden ab und meldete sodann: »Zweiundvierzig«.

Und bei dieser Gelegenheit fiel zum erstenmal Tibor Szamuelly auf, die rechte Hand des Diktators, der sadistische Mörder, die halbirre Bestie, der hagere, unbedeutende, monokeltragende Kretin, in dessen blassem Antlitz und Augen sich das bis zum Wahnsinn übertriebene Selbstbewußtsein spiegelte.

»Zählen wir nicht so viel hin und her, bringen Sie alles mit, was Sie dort finden und zahlen Sie nicht und verhandeln Sie nicht. Hauptsache, daß es gut und genug sei!« – eine Weisung, mit der zugleich auch das Regierungsprogramm: Rauben, Plündern und Morden! von Szamuelly festgenagelt wurde.

Béla Kun nickte zustimmend. Beamte und Diener gaben die Befehle weiter, schon kurbelte ein Automobil an und kaum verging eine halbe Stunde, als schon in großen Schüsseln herrliche Gerichte gebracht wurden.

Es war ein historisches Hors d'oeuvre, dieses groteske Dejeuner der bolschewistischen Revolutionäre, dieses improvisierte Bankett. Die großen Schüsseln schienen schier unerschöpflich zu sein.

Blutiges Roastbeef, eisgekühlter Schinken, in Aspik begrabener kalter Braten, Fischsalat, Fleischsalat, lauter schmackhafte Sachen, Aspiks und Saucen und weiße und rote Weine und Bäckereien und Torten. Der Bote schien den Auftrag wörtlich genommen zu haben: er hatte alles eingepackt.

Auf dem großen, mehrere Meter langen Schreibtisch des Ministerpräsidenten wurde alles ausgepackt und die wirklichen sowohl, wie die stellvertretenden Volkskommissäre und die übrigen Einbrecher stürzten sich darauf wie verhungerte Fliegen auf die Zuckerfalle.

»Mein Gott«, sagte verlegen der vornehme Kellner, der die Speisen aus dem Kasino »begleitet« hat, die Bestecke hat man ganz vergessen!

War dies das Werk des Zufalles öder hatte man Verdacht geschöpft, daß die Diebe sowieso das Silber entwenden würden?

»Das soll unsere allergrößte Sorge sein«, schrie einer von den Kerlen der jungen Regierung, »wozu noch Bestecke?« und griff mit seinen schmutzigen Pranken in den Aspik, der andere wieder in die Salatschüssel hinein und der dritte nahm die Schinkenplatte in Beschlag, sie zerrten hin und her und zerrissen mit den Händen die feinen Gerichte; aus war es mit der schönen Brüderlichkeit, sie stießen sich in die Rippen, als wären sie nicht Genossen, sondern Todfeinde.

Béla Kun hat auch damals nicht gegessen, er hat gefressen. Mit der linken Hand umklammerte er drei »Salzstangel«, in der rechten hielt er zwischen den schmutzigen Fingern, wie Papierschnitzel, Schinken und Roastbeef, er biß einmal rechts in das Fleisch, einmal links ins Brot, dabei immer diskutierend, der Mund schäumte von Speichel, von den Speisen und seiner Gier; dann nahm er sich von neuem, wieder Brot und wieder Fleisch und aß weiter und redete weiter. In der einen Ecke des Saales standen Journalisten, darunter einer, den er einmal im Klub der Journalisten getroffen hatte.

Dieser Klub blieb Béla Kuns Sonderschmerz. Einige Tage vor seiner Verhaftung, im Laufe des Februars, wäre Béla Kun, als einer, den der Schlaf flieht und der ein leidenschaftlicher Nachtschwärmer ist, gar zu gerne in den Klub hinaufgegangen. Er war hinausgeworfen worden, ganz kurz und bündig, als Nichtmitglied, als einer, der nicht dorthin gehört, also ein Fremder ist. Dieser Zwischenfall muß den Diktator sehr geschmerzt haben, denn den Journalisten fragte er jetzt, was wohl der und der mit Namen bezeichnete Kollege, eben der, der ihn damals hinausgeworfen hatte, zu seinem jetzigen Erfolge sagen würde. Dann fraß er fort … Die einmonatige Haft, die Revolutionsnacht, die geschichtliche Wendung hatten ihm guten Appetit gemacht.

»Sagen Sie nur, Genosse«, fragte er mit vollgestopftem Munde schmatzend, »waren Sie gestern im Otthon-Klub?«

Er biß ein großes Stück Roastbeef entzwei, und weil das Fleisch faserig war und nicht so schnell nachgab, riß er daran zwischen den Zähnen mit den Fingern und begann dann mit dem kleinen Finger der rechten Hand rückwärts im Munde herumzubohren. Endlich gelang es ihm, den Roastbeef durchzubeißen. Es war ein dickes Stück, fast noch rohes Fleisch, und von seinen Mundwinkeln rann nur so das Blut herab.


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