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XXVI.

Der Frühlingstag, der den Besuch des leibhaftigen britischen Generals in die Höhle der roten Räte brachte, war nicht der häßlichste Tag im Leben Béla Kuns. Das Auto fuhr vom Westbahnhof in die Burg hinauf, in das königliche Schloß, in dessen Parterrezimmer die in- und ausländische Presse geladen war. In die großen Räume Béla Kuns wurden die Volkskommissäre einberufen, um sein Diktat – von einer Konferenz war schon lange keine Rede – zu vernehmen.

»Genossen,« – Genosse war ein jeder – »ich komme vom General Smuts«, sagte er, wobei er den Namen streng ungarisch aussprach, »und obwohl er die denkbar liebenswürdigste Haltung zeigte und obwohl ich auch in seinem Eintreffen eigentlich ein starkes Interesse des Auslandes erblicke, werde ich den Vorschlag – zurückweisen!«

Niemand ahnte, was eigentlich die wahren Gründe der Zurückweisung sein könnten, niemand konnte es begreifen, warum der kleine Hochstapler – der gar kein Hehl daraus machte, daß er die innere und äußere Politik als innere und äußere Hochstapelei auffasse – die ihm von der Entente gereichte Hand zurückwies. Er hatte aber seine Gründe.

»Genossen,« sagte Béla Kun – denn in diesem Augenblick waren sogar die wegen der komisch-deplacierten Anrede lächelnden englischen und italienischen Journalisten Genossen – »ich habe die Außenpolitik der jungen Räterepublik auf das Vertrauen Rußlands basiert. Der Vorschlag des Generals Smuts würde die Kommune in eine ähnliche Situation bringen, wie der Friedensschluß von Brest-Litowsk. Die junge ungarische Räterepublik kann einen solchen Friedensschluß nicht riskieren; wenn wir glatt nachgeben, würde dies die Gegenrevolution sehr stärken. Wir dürfen nicht vergessen, daß der Nationalismus der Kommune zum Sieg verholfen hat und wenn wir die uns verletzenden Vorschläge akzeptieren, würde uns die Gegenrevolution von unserem Platze einfach wegfegen.«

Es wurde auch ein Rat der Volkskommissäre zusammengetrommelt. Béla Kun war jedoch auf dessen Meinung gar nicht mehr neugierig. Er diktierte eine Antwortnote in die Schreibmaschine und berauschte sich selbst an den klingenden Worten. Er dachte: auf eine Note kommt wieder eine Note und so fort und schließlich – es war immer die Tragik seiner sogenannten Diplomatie, daß er stets annahm, der Partner wäre genau so ein Schwindler, wie er. Denn er glaubte gar nicht an die Seriosität des Smutschen Vorschlags. Die Hauptsache war für ihn die Note, die er konzipierte, die er unterschrieb, die er überreichen ließ, die in die Weltpresse kam, die in der Weltgeschichte eine Rolle spielen wird, die mit der Anrede »Herr General« beginnt und die den Schlußpassus und die Unterschrift: »Genehmigen Sie, Herr General, den Ausdruck meiner ganz besonderen Hochachtung. Kun, Volkskommissär für Auswärtiges« trägt.

Béla Kun hatte sich aber verrechnet; wie ein kleiner Reporter, der keinen besonderen Wert auf halbe oder Viertelwahrheiten legt, vergaß er, daß General Smuts ausdrücklich betont hatte, seine Mission könne nur dann erfolgreich sein, wenn seine Vorschläge ohne jede Debatte, Abänderung oder Verschleppung sofort angenommen würden. Ja, dann hätte Béla Kun aber keine Antwortnote schreiben können, dann hätte er das billige Kokettieren mit nationalistischen Einschlägen nicht entfalten, dann hätte er – woran gar nicht zu denken war – am Ende die Sympathien der russischen Verbündeten verlieren können. Er übersah, daß General Smuts nur auf ein »ja« oder »nein« reflektierte; er dachte, sein Versprechen, daß die fremden Untertanen und auch ihr Vermögen ganz besonders geschützt würden, genüge schon, um die Entente zu gewinnen. Er verrechnete sich eben. General Smuts nahm die Note, die gar nicht ablehnend gemeint war, in die Hand, durchflog sie nur – ohne sie zu lesen – und die Länge allein genügte, um die Weisung zur Abreise zu geben.

General Smuts hatte ungefähr die Grenzlinie als Demarkation zwischen Ungarn und seinen Nachbarstaaten bestimmt, die heute laut dem Trianoner Vertrag endgültig geworden ist. Bei Annahme seiner Bedingungen hatte er Aufhebung des Boykotts versprochen, Lebensmittel in Aussicht gestellt und er hätte durchgesetzt, daß die kommunistische Regierung zur Friedenskonferenz eingeladen werde. Béla Kun hatte dennoch abgelehnt und die orthodoxesten Kommunisten, seine intimsten Freunde, verstanden ihn nicht; sie standen vor einem Rätsel.

»Béla, du bist irrsinnig; was hast du eigentlich getan, deine Note bedeutet doch den Krieg!«

»Was schert mich das?« antwortete Béla Kun.

»Aber warum, warum?« drangen die kommunistischen Tonangeber im Auswärtigen Amte in ihn um Aufklärung der wahren Beweggründe.

Béla Kun starrte vor sich hin und sagte: »Nein, ich konnte die Note nicht akzeptieren. Ich soll Großwardein aufgeben? Was hätte ich dann den Katzbuben sagen sollen? Wie hätte ich ihnen das erklären können, daß »ausgerechnet« ich Großwardein aufgegeben habe?«

Die Brüder Katz waren Kollegen Béla Kuns in der Arbeiterkrankenkasse in Großwardein gewesen.

… Die Note hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Der Bruch mit der Entente war da. Auf Pariser Weisung begannen die Rumänen plötzlich mit der Offensive. Béla Kun hatte den Stein ins Rollen gebracht.


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