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Das Wunder geschieht: ein blutiges Wunder. Béla Kun, der in Rußland in zwei Jahren abgewirtschaftet hatte, gelangt im Juli 1922 zu einer furchtbaren Rolle.
Aus der Krim treffen in Moskau beunruhigende Nachrichten über eine ziemlich ernste Gegenrevolution ein, die die russische Sowjetherrschaft, wenn auch nicht in ihrer Existenz bedroht, so doch immerhin empfindlich berührt. Ausgewählte Terroristen, in jeder Hinsicht, hauptsächlich in einer bestimmten Hinsicht – im Morden – verläßliche Tscheka-Truppen sollen in der Krim Ordnung schaffen. Béla Kun meldet sich freiwillig zu dieser Aufgabe, besitzt er doch in der Bekämpfung gegenrevolutionärer Aufstände die glänzendsten Erfahrungen. Er beruft sich auch gerne sowohl auf die Taten Szamuelys wie auf die eigenen.
Béla Kun fühlt, daß für ihn jetzt der richtige Moment gekommen ist, wenn er sich jetzt auszeichnet, kann er seine verlorene Situation noch retten. Und er zeichnet sich aus: aus dem Mörderanfänger wird ein Massenmörder, dessen ungeheuerliche Brutalität keine Grenzen kennt. Seine maßlosen Grausamkeiten sind aber nicht etwa Taten eines besessenen Fanatikers, der für die Verteidigung von Idealen kämpft, er mordet nicht aus Überzeugung – was geht denn schon den Siebenbürger Winkeljournalisten ein Aufstand in der Krim an –, sondern aus kaltblütiger Berechnung, nur der Rettung seiner eigenen Situation zuliebe, nur um »zeigen zu können« zeigt er, was er kann.
Ein russischer Arzt, früherer Direktor des Roten Kreuzkomitees für Opfer des Bürgerkrieges in Rußland, Dr. Georg v. Lodygenski, berichtet dem Roten Kreuz in Genf über die ungeheuerlichen Mordtaten, die bereits an das Phantastische, an das noch nie Dagewesene grenzen, ja sogar alles Erdenkliche weit übersteigen. Dr. Georg v. Lodygenski berichtet offiziell:
»Frau N. N. (der Name ist genannt), Oberschwester des Roten Kreuzausschusses zur Hilfeleistung für die Opfer des Bürgerkrieges, die wie durch ein Wunder aus der Krim entkommen konnte, nachdem sie entsetzliche Foltern durch die Tscheka hatte erleiden müssen, meldet über die Tätigkeit Béla Kuns:
Die Gefangenen wurden in Kellern eingesperrt, wo es unmöglich war, sich niederzulegen. Frauen wurden von Männern nicht isoliert. Das gerichtliche Verfahren beschränkte sich auf die Feststellung, daß der Angeklagte dem alten Heere angehörte. Man erschoß häufig Greise, die damals in der Freiwilligenarmee gedient hatten. Das Urteil wurde in Abwesenheit des Angeklagten gefällt. Die Vollstreckung geschah meist zwischen 2 und 3 Uhr morgens. Die Verurteilten wurden vollständig entkleidet und in Gruppen von 300 bis 400 Personen nach dem Exekutionsplatz geführt. Sie wurden mittels Maschinengewehr hingerichtet. Während des Tages wurden die Verurteilten gezwungen, für die folgende Nacht ihr eigenes gemeinsames Grab zu schaufeln. Waren die Verurteilten zahlreich, so stellte man sie an den Rand des Grabes und erschoß sie vor den Augen derer, die in der Reihe nach ihnen kamen. Später, als sich Fälle von Fluchtversuchen ereigneten, wurden die Gefangenen mit Seilen aneinandergebunden. Invalide und Kranke wurden von den Krankenhäusern auf den Richtplatz mit Lastwagen geführt. Die Gefangenen erhielten rohen Weizen und etwas Salz als Nahrung und fast kein Wasser. In Theodosia ließ Béla Kun 7500 Personen erschießen, 12 000 Personen in Simferopol, mehr als 10000 in Sebastopol, 6000 in Kertsch, mehr als 5000 in Jalta, darunter 17 Krankenpflegerinnen und 3 Ärzte des Roten Kreuzes. In dem städtischen Krankenhaus von Alupka wurden 272 Kranke und Verwundete, einer nach dem anderen, vor dem Tore der Anstalt erschossen. Die nicht gehen konnten, wurden auf Bahren getragen. Die Zahl der russischen und tatarischen Opfer Béla Kuns schätzten Zeugen auf 60 000 bis 70 000 Menschen, Männer, Frauen, Greise und Kinder.«
Mit Legionen von unschuldigen Opfern erwirkt sich Béla Kun seine Rehabilitierung vor den Bolschewiken, mit dem furchtbaren Klebestoff menschlichen Blutes hat er seine labil gewordene Position wieder gefestigt. Er erhält sogar eine Auszeichnung: er wird mit dem Orden der roten Fahne dekoriert.