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Doch die heiß ersehnte Karriere wollte sich nicht einstellen. Von rechts nicht und von links nicht, von der Bourgeoisie genau so wenig wie von den Sozialdemokraten konnte er zum Start gelangen. Der schmutzige Junge wird immer dicker, schwammiger, seine Schultern werden immer breiter, die Gestalt immer gedrungener; er macht auch keine Bewegung, er sitzt immer, seine Tageseinteilung dürfte keinen Spaziergang von tausend Metern ergeben. Es bleibt auch keine Zeit zum Spazierengehen. Aus dem kleinen Kabinett des Spenglers Klein hinter dem großen Platz ins Kaffeehaus, von dort in die nahe Redaktion, die als Restauration gedacht und gemeint war, von der Redaktion, solange der Flirt mit der Kabarettdiva anhält, ins Orpheum, dann wieder ins Kaffeehaus zurück, in dessen rauchigem Spielzimmer irgendeine Partie gespielt oder gekiebitzt wird. Auch Schach wird eine Leidenschaft und das Dominospiel nicht verachtet; der sozialdemokratische Bohemien mit der roten Lavallière-Krawatte, deren Schleifen wie Flaggen seiner unbändigen Ambition flattern, wird langsam ein abscheulicher junger Mann. Er macht sich in den Fauteuils des Kaffeehauses breit, wirft sich auf das Sofa der Redaktion und dehnt und streckt sich in der öden Langeweile der Erfolglosigkeit, die ja selbst in Paris häßlich ist – wie peinlich muß sie erst in der Kleinstadt sein.
An einem schönen Sonntagvormittag begegnet Béla Kun auf dem Korso der schönen Irene, der Tochter eines kleinen jüdischen Krämers in einer Seitengasse. Sie war die Schönheit und das erklärte Ideal der Universitätsjugend, glich einer gefeierten großen Künstlerin der ersten Budapester Bühne, deren Bild die Theaterzeitungen stets brachten. Die großen, sich immer wundernden schwarzen Augen, die schlichte Frisur der blonden Haare, das runde, kindliche Gesicht, die zarte Figur, modisch gestempelt durch ihre Ähnlichkeit mit der großen Schauspielerin, ist sie eine der meistgefeierten Schönheiten jener armen Jeunesse dorée, die nicht mit Blumensträußen und Kostbarkeiten den Hof macht, sondern mit Träumereien und Leidenschaft; die nicht mit Banknoten huldigt, die in Gold umgetauscht werden können, sondern mit Gedichten, die bestenfalls das Blei des Setzersaales erhalten.
Bei der Kabarett-Primadonna mußte der dicke Béla vor dem Geld und der Eleganz des Konkurrenten weichen, für Irene kämpft er bis zur Besinnungslosigkeit. Die Erfolglosigkeit bei den Frauen, vielmehr die Erfolge anderer bei den Frauen beginnen ihm auf die Nerven zu gehen, der kleinste Volontär hat schon seine Freundin im Chor, die talentlosesten Kollegen, die, wie auch er, ohne Zeitung Zeitungsschreiber sind, werden die Helden großer Liebesabenteuer, bloß ihm, nur ihm gelingt nie etwas. Mit der Vehemenz der stets von Pech Verfolgten, deren Gefühle immer unerwidert bleiben, stürzt er sich in diesen letzten Kampf, – »la lutte finale« – auf die große Liebe. Irene Gal ist viel zu hübsch für den schlecht aussehenden, stellungslosen Winkeljournalisten, viel zu vornehm für ihn, sie erscheint unerreichbar. Sie hat aber auch ihre Enttäuschungen hinter sich und die Suada des jungen Mannes mit dem Negermaul, die Dynamik seiner steten, unaufhörlichen Bewerbung, dann die Sonderstellung in der Kleinstadt, in der der »Revolutionär« sich befindet, beginnen die junge, hübsche Irene zu interessieren. Sie sagt nicht ja, sie sagt aber auch nicht nein, doch liegt in der Unschlüssigkeit schon mehr Zusage als Ablehnung.
Der Krämer, der seine Tochter gerne mit einem anständigen Beamten von der Steueradministration verheiraten oder einem Rabbiner einer kleinen Gemeinde geben würde – wenn schon ein Arzt oder Rechtsanwalt ohne Mitgift unerfüllbare Träume bleiben – erkundigt sich nach Béla Kun und erhält niederschmetternde Informationen. Keine Stellung, keine Aussicht auf eine Position, kein Geld, keine akademische Bildung, keine Hoffnung auf eine Karriere, noch dazu kein frommer Jude, nicht einmal am »Langen Tage« fastet er, geht nie in den Tempel, läßt sich wie die Schauspieler rasieren, hat nicht einmal einen Schnurrbart – mit einem Wort, kein seriöser Mensch. Großen Staat kann man mit ihm nicht machen. Er wird glatt abgelehnt, wird ersucht, seine Zigaretten – der kleine Kramladen verkauft auch Zigaretten – anderswo zu besorgen, und »Irénke«, die kleine Irene, auf der Straße nicht mehr zu belästigen. Peinlich genug, er wird hinausgeschmissen.
Die impulsive Irene hat nur auf dieses Veto gewartet. Die Strenge des Vaters erweckt Mitgefühl mit dem Abgewiesenen. Das Verbotene hat immer seinen Reiz, zum ersten Mal in seinem Leben erscheint Béla Kun reizend in den Augen einer jungen Person, die den Kopf ebenfalls voller unkontrollierter, schlechter Lektüre hat und unter Einwirkung unverdauter Wissensbrocken an dem hochinteressanten Kerl, der in andächtigen Stunden stiller Liebe ihr alles mögliche versprichst, Stellung und Position und Pensionsberechtigung, immer mehr Gefallen findet. Béla Kun beißt die Zähne zusammen, der große Preis, die Liebe der verweigerten und heiß geliebten Irene peitscht ihn zu Kämpfen auf, stachelt seinen Tatendrang. In der öden Provinzstadt, wie schön sie auch sei, wie romantisch ihre alte Kultur auch sein mag, wie bezaubernd die kleinen Gassen hinter dem großen Dom auch sind und wenn er auch längst im Kaffeehaus das große Wort führt – hier kann er die ersehnte Karriere nicht erreichen. Das beginnt er endlich einzusehen. Weg aus dieser Stadt der Mißerfolge, der Stadt der Sümpfe, auf nach Budapest. Eine Zwischenstation wird in Großwardein gemacht, aber auch hier blüht kein Erfolg. Weiter nach Budapest.
Der einstige Präzeptor, der ihm am gleichen Gymnasium für die schwer ersparten Sechserl des alten Dorfnotars, selbst arm genug, als kleinem Jungen Stunden gab, Andreas von Ady, ist inzwischen ein berühmter Name geworden, ein großer, wenn auch nicht anerkannter, vielmehr stark bekämpfter Dichter, doch eine der bekanntesten Gestalten der neuen Literatur und – o Traum der Träume – er hat eine Monatsgage! Er sitzt in einer Budapester Redaktion.