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XXIX.

Mit dieser Maifeier hat sich Béla Kun als Affe der russischen Revolution präsentiert. Selbst in der äußeren Form des roten Pomps, der Straßendekoration, der Monumentalität der Aufzüge mußte Moskau als streng nachgeahmtes Vorbild dienen. Béla Kun und Tibor Szamuelly haben einfach die roten Filmrollen der tollsten Moskauer Maifestlichkeiten in dem erschütterten Budapest entwickelt. Eine Verordnung der Regierung befahl jedermann, sich an dem Umzug zu beteiligen. Ein Generalstab roter Demonstrationsführer dirigierte die große Menge, die zwar mit einer halben Million beziffert war, in Wirklichkeit aber nicht mehr als hunderttausend Köpfe zählte. An den Straßenkreuzungen wurden rote Triumphbögen aufgestellt, unter denen der Generaldirektor der Bank mit seinem Portier Arm in Arm einherschreiten mußte. Der Terror kannte keine Grenzen mehr. Die anonymen Anzeigen häuften sich, wer an den Festlichkeiten nicht teilnehmen wollte, kam vor das Revolutionstribunal und da die schlechten Nachrichten von der Front doch durchsickerten, erschienen gleichzeitig auf den Straßen Plakate, die kurz und bündig besagten:

»Alle, die Alarmnachrichten verbreiten, wie auch diejenigen, die die Ruhe und Ordnung der Sowjetfeier gefährden, werden mit Tod bestraft!«

Für die Ausstattung der Maifeier wurde ein Vermögen vergeudet. Man sprach von achtzehn Millionen Kronen, eine Summe, die selbst in Schweizer Franken damals noch einige Millionen ausmachte. Béla Kun konnte es sich leisten! Die Depots der Banken waren bereits gesperrt und es wurden auch durch strenge Verordnungen sämtliche Juwelen, die einen Wert über zweitausend Kronen hatten, angefordert. Geld, Gold, Schmuck, Devisen, alles stand der Bande zur Verfügung und so konnte es geschehen, daß ein Vertrauensmann Béla Kuns, Genosse Steiner, der bei einer Demonstration in Wien in die Hände der Polizei fiel, über die Geldgebahrung der Kun-Regierung unfreiwillige Aufschlüsse gab. Bei seiner Verhaftung hat man nicht weniger als zweiundfünfzig goldene Zigarettendosen bei ihm gefunden!

Während an der Front gegen die Rumänen die letzten Reste einer zerstörten Armee kämpften, im Norden sich der tschechische Einbruch, ohne aufgehalten zu werden, südwärts ausbreitete, während Budapest durch die mobilisierten und noch einzig verläßlichen Arbeiterbataillone gegen die zurückströmenden roten Banden verteidigt werden mußte, spielte sich eine Orgie entfesselter Festlichkeiten ab. Die ganze Stadt glich einem Irrenhaus und Béla Kun, der oberste Herr über diese Stadt, war darin der Wahnsinnigste.

Dabei wußte niemand, was der morgige Tag bringen würde. Am wenigsten wußte dies die Regierung, die oben in der Burg eine aufgeregte Sitzung hielt. Unter den Fenstern des Palais des Ministerpräsidenten lag rot, wie aus tausend Wunden blutend, eine geknebelte Stadt. Alles war rot; selbst die Krone, das heilige Insignium der ungarischen Nation, deren vergrößerte Kopie die höchste Spitze der königlichen Burg schmückt, wurde rot umhüllt. Alles war rot, auch die unausgeschlafenen, blutunterlaufenen Augen des Diktators, der an diesem Tage noch abstoßender aussah, als an jenem –, es sind kaum fünf Wochen her –, an dem er in demselben Raum die Macht übernahm.

»Genossen,« alarmierte Béla Kun seine Regierung, »die Situation ist katastrophal! Ich habe wichtige Mitteilungen zu machen. Die Regierung soll entscheiden! Meinen eigenen Standpunkt möchte ich erst am Schluß der Debatte bekanntgeben, um jedem die Möglichkeit zu lassen, unbeeinflußt seine Ansicht zu äußern.«

In der Not und in der Angst vor dem unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch wurde der Diktator sehr klein. Er skizzierte die Lage:

»Debreczen verloren, Szolnok ohne Kampf aufgegeben, die rote Armee weicht vor den Rumänen. Miskolcz schon in den Händen der Tschechen! Keine militärischen Kräfte mehr vorhanden! Der Wert der Streitkraft der Truppen gleich Null! Alle Kriegsoperationen sind eingestellt. Infolge der erschütternden Nachrichten habe ich allen feindlichen Staaten Waffenstillstandsvorschläge unterbreitet. Die Bedingungen des Waffenstillstandes sind auch zur Kenntnis des amerikanischen Präsidenten Wilson gelangt. Der Wiener Gesandte Bolgár hat im Laufe der Nacht dem Wiener britischen Vertreter, Colonel Cunningham, die Vorschläge der Regierung überreicht. Es ist der Plan aufgetaucht, daß die Regierung abdanken und an ihre Stelle ein zwölfgliedriges Direktorium treten soll. Nach einem anderen Vorschlag ließe sich die Situation noch retten, wenn die Arbeiterbataillone sofort einberufen würden und die Arbeiter in Erwägung der trostlosen Lage bereit wären, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Es gibt zwei Möglichkeiten, der Kabinettsrat soll entscheiden: Die eine wäre: das Direktorium übernimmt provisorisch die Macht, bis die selbstverständlicherweise folgende Diktatur der Bourgeoisie sie an sich reißt; die andere Möglichkeit besteht darin, daß die Regierung sich bis zum letzten Atemzug an die Macht klammert, nichts von dem heutigen Umfang der Macht aufgibt und unter Heranziehung der Arbeiterbataillone die Situation rettet!«

Béla Kun hatte nochmals Glück: Sein Kabinett, statt die erste Möglichkeit zu wählen, akzeptierte die zweite. Es wurde einstimmig beschlossen, daß sich die Regierung an die Arbeiterschaft wende und diese darüber entscheide, ob der rote Terror weiter bestehen solle. Ein einziger Tag, der Tag vor den roten Bacchanalien eines sinnlosen Maifestes, erfüllt von Todesangst und Furcht vor dem drohenden Herannahen eines schrecklichen Endes, hat tiefe Furchen in das Gesicht Béla Kuns gegraben. Aber die Geschichte wollte es anders – sie schnitt wieder eine Grimasse –, am 2. Mai konnte man mit Béla Kun nicht mehr sprechen. Am 30. April saß er zerknirscht, vernichtet, einzig und allein auf seine Flucht bedacht und um seine physische Sicherheit besorgt in seinem Hotel, und am 2. Mai bereits wieder hoch zu Roß. Wie billig hätte er es noch am 30. April gegeben, am 2. Mai – war alles wieder vergessen. Die harte Probe in der unmittelbaren Nähe des Todes verdoppelte die Energie des Diktators, der von nun an sich zu glauben begann. »Wenn ich selbst das überstanden habe,« mußte er sich denken, »kann mir nichts mehr geschehen!«


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