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Nach vierzehn Tagen der höllischen Herrschaft, am 4. April, erscheint der erste Abgesandte des Auslandes. Eine funkentelegraphische Meldung bringt die Nachricht, daß General Smuts gewesener Ministerpräsident von Südafrika, im Auftrage des in Paris tagenden Viererrates mit einem Sonderzug um 3 Uhr nachmittags in Budapest eintreffe. Er wünsche mit den Vertretern der Räterepublik zu verhandeln und ersuche die Vertreter der Regierung, pünktlich um drei Uhr am Westbahnhof zu erscheinen, da er aus prinzipiellen Gründen den Waggon seines britischen Sonderzuges nicht verlassen wolle. Ein improvisierter Ministerrat beauftragt den Vorsitzenden der Räterepublik, hauptsächlich aber den Volkskommissär für auswärtige Angelegenheiten, Béla Kun, in Begleitung seines Wiener Gesandten und eines Vertrauensmannes der früheren Sozialdemokraten, mit General Smuts zu verhandeln. Die wichtigste Persönlichkeit unter diesen ist eigentlich der Wiener Gesandte Bolgár, ein früherer Privatbeamter, der fließend englisch spricht und der die Unterredung zwischen Béla Kun und dem britischen General vermitteln soll.
Béla Kun zieht sich um, legt ein Jackett an – jetzt sieht er ganz wie ein stellenloser Angestellter eines Nachtlokals aus – steckt stolz das kommunistische Abzeichen – Sichel und Hammer – ins Knopfloch und sein Herz klopft höher, denn – ist es nicht wieder eine Grimasse der Weltgeschichte? – der berühmte britische General, der Vertreter sämtlicher Großmächte verhandelt mit Béla Kun, mit dem kleinen »Kohn Béla« aus Szilágycsehi. Wenn das der alte Vater wüßte, der ihm übrigens auch Sorgen macht, denn die Rumänen haben ihn für alle Fälle verhaftet und interniert. »Wir werden ja sehen«, denkt sich Béla Kun und räuspert sich, um seine krank und übernächtig klingende, oder eigentlich gar nicht klingende Stimme zu verbessern. Er gibt viel auf gutes Aussehen; er möchte den britischen General für sich gewinnen und, wenn alles gut geht, kann auch der Alte befreit werden … Es geht aber nicht gut; der Alte muß durch bolschewistische Abgesandte und durch verschiedene Versprechungen auf anderem Wege gerettet werden. Er wird ausgetauscht, nach Budapest gebracht und er lebt im Glanz der »Gloire« seines Sohnes …
Der Sonderzug kommt aus Wien, besteht aus drei Waggons und einer österreichischen Lokomotive und hat österreichisches Begleitpersonal. Im ersten und dritten Waggon befinden sich britische Soldaten, im mittleren, dem großen Salonwagen, sitzt der General mit seinem Adjutanten. Béla Kun und seine Begleiter sind vor dem Eintreffen des Sonderzuges auf dem Perron. Freunde, Kollegen, Detektivs, Terrorbuben in Zivil begleiten ihn. Die richtigen Leninbuben, im schwarzen Ledermantel, mit Handgranaten, werden nach rückwärts dirigiert; der britische General soll sie ja nicht sehen, er könnte dies doch mißdeuten. Das Auf- und Abgehen dauert schon eine halbe Stunde und der Zug ist noch immer nicht da; plötzlich taucht ein britischer Soldat auf und schreit die Wartenden an, der General wäre bereits vor einer halben Stunde – präzise wie er es angekündigt hat, um drei Uhr – eingetroffen; also wo blieben denn die Herren?
General Smuts, der seinen Zug nicht verlassen will, will auch nicht in den Bahnhof einfahren. Sein Zug bleibt auf offener Strecke weit draußen stehen; die Lokomotive unter Dampf, jeden Augenblick abfahrbereit nach Wien. Rechts und links, vorn und hinten stehen britische Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett. Die Abgesandten der Räteregierung erscheinen, doch die Soldaten salutieren nicht; im Gegenteil, sie mustern ungeniert und ziemlich erstaunt die merkwürdigen Gestalten, vor allem die komisch wirkende Figur des untersetzten, mittelgroßen, dicken Kerls, der als erster das Kupee betritt.
Béla Kun rafft seine ganzen Sprachenkenntnisse, alles, was er an deutschen Brocken weiß, zusammen, um einige Begrüßungsworte an General Smuts zu richten. Doch der versteht kein Wort außer englisch, Béla Kun könnte ebensogut ungarisch zu ihm sprechen; schade um die Anstrengung. Bolgár springt ein und verdolmetscht. General Smuts hat wenig Platz in seinem Abteil, Béla Kun legt auch keinen Wert auf die Anwesenheit seiner Kollegen, diese ziehen sich zurück; er bleibt mit dem General und dem Dolmetsch allein. Aber nicht alles geht nach Wunsch und Béla Kun ist verärgert. Der General hat ihm gar nicht die Hand gereicht; er nimmt Platz, ohne Béla Kun gleichfalls zum Niedersetzen aufzufordern. Der setzte sich aber doch und macht alle Anstrengungen, um mit ausgesuchter Höflichkeit in Blick und Gebärde – eine andere Sprache steht ihm nicht zur Verfügung – den Worten des Generals zu lauschen.
General Smuts teilt kurz und bündig mit, daß er im direkten Auftrage des Pariser obersten Viererrates handle und legt Béla Kun nahe, seine Vorschläge – die den Standpunkt der Entente umfassen – ohne jede Überlegung, so rasch wie möglich anzunehmen. Seine Vorschläge wären der letzte Versuch, ein friedliches Verhältnis zwischen der Entente und Ungarn herzustellen. Aus den Mitteilungen des Generals geht klar hervor, daß Frankreich sich gern zu einem offensiven Krieg entschließen würde, wogegen seine Friedensvermittlung nur dem Umstand zu verdanken sei, daß Italien, die Vereinigten Staaten, hauptsächlich aber Großbritannien, die Auffassung vertreten, sich nicht in die internen Angelegenheiten eines fremden Landes einmischen und den Frieden zwischen der Entente und Ungarn aufrechterhalten wollen, falls die Bedingungen des Waffenstillstandes und die in der letzten Note mitgeteilten Beschlüsse bezüglich der Grenzen Ungarns akzeptiert würden. General Smuts legt einen in sieben Punkte zergliederten Vorschlag vor, in dem die in der Note des Generals De Lobit mitgeteilten Grenzen ausschließlich als Demarkationslinien betrachtet werden. Wenn Ungarn sich auf diese zurückzieht, wird die Blockade aufgehoben und er wird in Paris vorschlagen, Ungarn zu den Friedensverhandlungen einzuladen.
Der Vorschlag General Smuts war tatsächlich der günstigste, den sich Béla Kun nur erträumen konnte; er enthielt jedenfalls viel günstigere Bedingungen als die letzte Note der Entente und – hätte Béla Kun diesen Vorschlag akzeptiert, wer weiß, um wieviel länger als 133 Tage seine Herrschaft gedauert hätte. Béla Kun verbeugte sich tief vor dem britischen General – er benahm sich mit Vorliebe Vertretern der anderen Welt gegenüber sehr bourgeoismäßig – und ließ durch den Dolmetsch mitteilen, daß er bis sechs Uhr abends die Antwortnote zustellen werde. General Smuts reicht ihm wiederum nicht die Hand, die erste diplomatische direkte Handlung war vorbei und Béla Kun konzipierte schon in Gedanken seine Antwortnote. Die erste Note, die der unredliche Krankenkassen-Sekretär aus Kolozsvár an einen Vertreter von vier Weltmächten gerichtet hat.