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IX.

Komm, alte Clio, oder wie immer du heißt, alte Göttin der Weltgeschichte, erzähle, wie Du imstande bist, so gräßliche Grimassen zu schneiden, welche dann in der Gestalt eines abscheulichen Diktators die Arena betreten! Hätte Béla Kun in Kolozsvár eine Stellung bekommen, wäre der alte Kramhändler in der Seitengasse weichherziger gewesen und hätte er ihm seine Tochter auch ohne Stellung gegeben, wäre die Budapester bürgerliche Zeitung gut gegangen und hätte Béla Kun dort eine ständige Stellung erhalten, oder hätte ihn die sozialdemokratische Zeitung aufgenommen, oder hätte er aus irgendeinem Grunde die Kasse in Ruhe lassen können und wäre der Weltkrieg nicht ausgebrochen, wie vieles wäre erspart geblieben … Jedenfalls alles, was jetzt noch kommt, Ereignisse, die unvergeßlich bleiben, Scheußlichkeiten, die beispiellos dastehen, Katastrophen, die eine alte Kultur fast zugrundegerichtet hätten. Wenn Béla Kun bei Ausbruch des Weltkrieges nicht als Defraudant, entlassener Krankenkassensekretär und ausgestoßenes Parteimitglied hätte einrücken müssen, wäre er nicht in die Gefangenschaft geraten, so hätte er nie das rote Wunder der russischen bolschewistischen Revolution erlebt und mitgemacht, hätte nicht als Held mit seiner schmutzigroten Fahne in der Hand den Kampf gegen sein eigenes Vaterland aufgenommen, er wäre in seiner Stellung geblieben, als »unentbehrlich« enthoben worden und hätte ruhig in dem Bureau der Kolozsvárer Krankenkasse weitergesessen: das kommende große Epos lauter Grimassen wäre ungeschrieben geblieben.

Die allgemeine Mobilisierung wird angeordnet, Rache, Rache schreien die Völker in der bis zur Explosion gespannten Einheit der Monarchie. Das Thronfolgerpaar ist ermordet worden. »Nieder mit Serbien«, ein Reich von fünfzig Millionen Menschen schreit in einem Rausch des Vergeltungsdranges: »Auf in den Krieg!« Es verschwinden die Parteiunterschiede, Zigeuner spielen das Gotterhalte, nationale Probleme des sumpfig-friedlichen Lebens der Innenpolitik sind wie weggewischt. Arbeiter und Graf werden Freunde, beflaggte Züge sausen in alle Windrichtungen, bebänderte Soldaten singen feurige Volkslieder, mitreißende Märsche des Massentodes. Auf nach Serbien! Auf nach Galizien!

Die allgemeine Mobilisierung arbeitet prompt und präzis, aus keinem Land der morschen Monarchie hört man von Schwierigkeiten, jeder leistet dem Ruf des alten Kaisers Folge, der seine Völker »durch dick und dünn« zum Siege führen will und der doch »alles wohl bedacht und überlegt« hat. Béla Kun, der einjährigfreiwillige Korporal des 21-er Kolozsvárer Honvedregimentes, »eilt« unter die Fahnen.

Die Weltgeschichte, als großer Regisseur unbegrenzter Möglichkeiten, applaniert eigentlich die unangenehme Vergangenheit. Der Diebstahl, die Defraudation in der Krankenkasse werden vergessen, die ganze Affäre mit der Partei wird null und nichtig, die ganze Vergangenheit wie eine eingezogene alte Banknote eingestampft. Der Weltkrieg muß kommen, damit Béla Kun rehabilitiert wird. Er wird auch durch die Ehrenjury mit dem Schein eines angeblichen Heldentums, durch die Noblesse der herrlichen feldgrauen Uniform nicht nur rehabilitiert, sondern zum Retter der Ehre. Schöner hätte er es sich nicht einmal träumen können.

… Mit dem Abgang an die Front beeilte sich Béla Kun allerdings nicht. Zwar ging ihm die Möglichkeit durch den Kopf, wie schön und wie leicht es wäre, durch den Krieg die Unannehmlichkeiten in der Krankenkasse zu erledigen, und wie glatt man sich doch über die unangenehme Vergangenheit im Lärm der Mobilisierung, im Rausch der ersten Kriegsbegeisterung hinwegsetzen könnte. Aber er beeilte sich nicht .. Er zieht nur gerne die Uniform an und stolziert in ihr lieber in den Straßen von Kolozsvár. Er bleibt beim Kader. Die Uniform erwecken Erinnerungen nur an die sogenannte Ehre. Er möchte am liebsten in die Krankenkasse zurück.

Mit der ersten Erledigung seiner Affäre zeigt er sich nicht einverstanden. In Eingaben und ausführlichen Verteidigungsschriften kratzt er mit der verbissenen Energie eines auf die Straße geworfenen Hundes immer wieder an der Türe der Krankenkassa, er will beweisen, daß er nichts unterschlagen hat, beruft sich auf Zeugen, daß alles genau verrechnet worden sei. Die einzige übriggebliebene Differenz, über die er keine Aufklärung geben kann, sind jene Reisespesen, welche er für angebliche Provinz-Inspektionstouren aufrechnete, die niemals unternommen wurden, sondern höchstens von dem Bureau der Krankenkasse in der Esterházygasse bis zum Kaffeehaus auf dem Marktplatz reichten. Schwer, aber doch gelingt die Rehabilitierung, die Richter werden noch nachsichtiger, denn es handelt sich hier ja ums Leben und wegen der kleinen Verrechnungsdifferenz bei den Reisespesen soll er doch nicht so schwer – mit dem Heldentod! – büßen. Er wird Diurnist bei derselben Krankenkasse, bei welcher er vor einem Jahre im Range eines Direktor-Stellvertreters eigentlich die Agenden eines leitenden Direktors versah. Ein wirklicher Direktor hatte er damals nur aus dem Grunde nicht werden können, weil die Vorbildung fehlte, die bei einer solchen Stelle gefordert wird, und weil die Tatsache, daß er wirklich die Universität besucht oder gar einen akademischen Grad erworben hätte, durch nichts, vor allem durch kein Zeugnis und kein Diplom bewiesen werden konnte, wenn er auch gelegentlich seiner Bewerbung um diese Stelle sich gerne auf Universitätsjahre an der juristischen Fakultät in Budapest und Kolozsvár berief. Der Diurnist drückte sich jetzt im gut zementierten Unterstand der Krankenkasse herum, so lange es nur möglich war und benutzte die begeisterte Kriegsstimmung auf seine Weise.

Der Apparat des Militarismus arbeitete aber gleichwohl stärker, und erfolgreicher, als die Schlauheit des uniformierten Drückebergers. Kein ganzes Jahr konnte er in Kolozsvár bleiben. Mit der Enthebung ging es nicht so einfach, er muß zum Regiment. Hier klammert er sich gleichfalls fest, so lang es geht und schiebt das Heldentum nach Möglichkeit hinaus.

Aber am Karfreitag des Jahres 1915, bei einer großen Schlacht ungarischer Divisionen am Uzsoker Paß, ist er schon – ein Held. Unweit von ihm fällt ein bekannter Schriftsteller, moderner Geist, kritischer Kopf: Zuboly. In Feldpostkarten an die Heimat rühmt sich der Held Béla Kun, wie er den bekannten Literaten begraben und protzt mit einer Tapferkeitsmedaille, die er nie erhielt:

»Ich bin für die große Silberne vorgeschlagen worden – –«.

Eines steht fest: er hatte es selbst erzählt und war stolz auf diese Episode.

Beim Aufbruch des Marschregiments stand im großen Hofe der Kaserne unter tausenden Morituri, die ihr kommendes Schicksal erwarteten, auch Béla Kun in Reih und Glied. Er sollte hören, ob auch er in der Liste der an die Front Abgehenden sich befinde. Dann murmelte er einige Kraftausdrücke vor sich hin, welche selbst die Erschrockenen und mehr als Befangenen neben ihm zum Lachen brachten:

»… Schweinehunde! Ich werd' euch noch etwas zeigen! Ich will es euch schon noch zurückgeben …«

Der Hauptmann des Ersatzkaders schrie die lachende Truppe an:

»Wer war das?«

Niemand meldete sich.

Béla Kun hielt nicht lange an der Front aus. Er geriet bald, nach ein paar Monaten, in russische Gefangenschaft.


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