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XIII.

Eine Viertelmillion Menschen demonstrierte auf der Straße. Ganz Budapest fühlte sich diesmal einig in der Wut gegen die Mörder der sieben Polizisten, gegen die Blutvergießer, gegen Béla Kun und seine Kumpane. Eine grandiose Demonstration, die gleichzeitig ein wahres Bild über den Stand der Kräfteverhältnisse gab. Die Millionenstadt, homogen in allen Schichten der Bevölkerung, trat gegen die Kommunisten auf, die samt den verhafteten einundsechzig nicht mehr als fünfzehnhundert zählen konnten. Gegen sie treten zweihundertfünfzigtausend Demonstranten auf, um der Empörung der ganzen Stadt sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Man sieht unter ihnen organisierte Arbeiter, Soldaten, Männer, Frauen, Kinder, Jungarbeiter, Turner, alle erdenkbaren Organisationen, die Selcher mit den Schlachtbeilen, die auf der hochgestreckten Axt eine einzige Aufschrift tragen, gleichlautend mit dem drohenden Ruf der ganzen Menge: »Nieder mit Béla Kun!«

Die Zelle des Schubhauses mag ein paar Kilometer von dem Zentrum der Stadt, wo das Gros der Demonstration sich bewegte, entfernt sein, die Wellen des drohenden Stromes der Arbeitermassen haben dennoch die Mauern des Schubhauses erreicht und sie erschüttert. Béla Kun wußte nichts von dem, was in der Stadt vorging. Er fühlte seine Schlacht verloren, der Rausch von gestern war verraucht. Er benahm sich wie ein auf frischer Tat ertappter Taschendieb und stand weinend und gebrochen vor dem Polizeirat, der ihn verhörte. Er lehnte jede Verantwortung für den Angriff auf das Redaktionsgebäude des sozialdemokratischen Blattes ab, er versuchte, sich ein Alibi zu verschaffen und verletzte selbst das minimalste Ritterlichkeitsgefühl des Räubers, indem er schonungslos seine Komplizen, ob schuldig oder unschuldig, angab, nur um seine eigene Haut zu retten. Er nannte auch verschiedene andere Namen, was zur Verhaftung auch dieser Personen führte. Während die große Demonstration in der Stadt tobte, bettelte der Held des Tages um sein Leben. – –

Dann kam die größte Wendung, eine historische Grimasse mehr:

Das Schubhaus ist gleichzeitig die Polizeikaserne und dient als Unterkunft für die Reservemannschaften. Um acht Uhr morgens lösen sich die Wachleute ab und jene, die den Dienst neu antreten, bringen aus der Stadt Zeitungen mit. In den Mannschaftsräumen bilden sich kleine Gruppen, die Zeitungen werden laut vorgelesen und die erschütternde Nachricht von dem Tode sieben braver Kameraden wirkt aufreizend auf die ganze Mannschaft. Nur ein einziger Funke braucht in den Explosivstoff der Erbitterung zu fallen, nur ein einziges Wort, und es explodiert alles. Das einzige Wort fehlt nicht lange. Und es bricht aus …

»Kameraden!« schreit einer der Schutzleute, »dieser niederträchtige Hund, dieser Kommunist, dieser Béla Kun, der unsere Kameraden ermorden ließ, ist jetzt mit uns unter einem Dache! Erschlagen wir ihn!«

Sechzig Wachleute stürzen, mit Mannlichergewehren und Säbeln bewaffnet, aus den Mannschaftsräumen. Sie kommen aus dem Gebäude des Oberkommandos und rennen zum Tore des Gefängnisses.

»Wir wollen zu Béla Kun!« brüllen sie die Wachposten an. Die Wachposten können keinen Widerstand leisten, die Übermacht ist zu groß und die Wachleute sind nicht aufzuhalten. Der Leiter der Polizeikaserne, einige Offiziere mengen sich unter die aufgeregte Menge und wollen sie beruhigen. Es gelingt ihnen aber nicht. Die sonst so disziplinierten Bauernburschen, die an Gehorsam gewöhnten früheren Soldaten, die sonst so unbedingt verläßlichen Wachleute vergessen in diesem Augenblick die Achtung gegen die Autorität. Einer, ein älterer Mann, Familienvater wie die sieben Toten von der Népszinház-utca, übertönt den Lärm:

»Wir wollen nur Béla Kun sehen, wir wollen uns sein Gesicht merken, damit wir, wenn er in Freiheit gelangt und neues Übel anstiftet, leichter mit ihm fertig werden können!«

Es nützt kein Debattieren, kein Beschwichtigen, es nützen nicht die Argumente des Polizeirates, die ja ohnehin in dem Lärm nicht gehört werden. Es dauert keine Minute mehr und die Wachleute stürmen das Gefängnis. Da ist es dem Polizeirat schon lieber, der entfesselten Menge auf eine andere Art nachzugeben. Er geht selbst in das Gefängnis hinein und verspricht, Béla Kun aus der Zelle zu bringen, ihn von der höchsten Stufe der Treppe aus den Wachleuten zu zeigen, wenn sie nur unten bleiben und sich ruhig verhalten. Die Wachleute zittern vor Aufregung, sie versprechen alles, man möge ihn nur bringen.

Béla Kun wird aus der Zelle hinausgeführt. Mit seinen kleinen schlauen Augen überblickt er die gefährliche Situation und er ist sich im Nu mit seinem Schicksal im klaren. Blaß und mit einem furchtbaren Lächeln um die Lippen, das keinen Moment weichen will, bleibt er auf der obersten Stufe der Treppe stehen; hinter ihm zwei seiner Komplizen, Béla Vágó und Ladislaus Rudas.

Ein Schutzmann kann nicht mehr an sich halten, er haut mit seinem Gewehrkolben mit voller Wucht auf den Kopf Béla Kuns ein. Das Blut spritzt in langen Strahlen empor, aber der Anblick des Blutes beruhigt die Männer nicht, entfacht sie vielmehr zu noch größerer Wut. Béla Kun, aus vielen Wunden blutend, stützt sich an die Wand, die von dem fließenden Blut rot gesprenkelt wird. Mit seinen beiden Händen sich schützend, verbirgt er sein Gesicht. Die Wachleute stürmen die Treppe auf und ab, jeder will einen Fußtritt, einen Kolbenhieb, einen Säbelhieb oder einen Faustschlag dem verhaßten Mörder versetzen. Die Offiziere, die Béla Kun verteidigen wollen, bluten gleichfalls schon aus offenen Wunden. Béla Kun streckt seine Arme an der Wand entlang, hält sich, am ganzen Körper zitternd, mit den in die Wand eingekrallten Fingern aufrecht, bei neuen Hieben fällt er manchmal hin und rote Blutlachen, blutige Fingerabdrücke werden an der Wand sichtbar …

Endlich gelingt es den Offizieren doch, Kun durch das Tor in das Gefängnis zurückzuschieben, da ist auch schon der Polizeiarzt zur Stelle, der den furchtbar Zugerichteten sofort in Behandlung nimmt. Es dauert einige Zeit, bis sein Kopf vom Blute gereinigt werden kann. Er wird im Ordinationszimmer auf ein Sofa gelegt, man zieht ihn aus bis auf die Hose und die Schuhe, und er liegt mit nacktem Oberkörper halb ohnmächtig da. Der Arzt sucht nach dem Verbandzeug, ein Pfleger bereitet alles zur Operation vor. Von dem engen Gang des Polizeispitals dröhnen gefährliche Töne. Die sechzig Wachleute sind vor der Türe angelangt.

»Wo ist der Mörder? Rechnen wir mit ihm ab! Erschlagen wir ihn sofort! Lebend soll er dieses Haus nicht mehr verlassen!«

Die rasend gewordenen Schutzleute stürzen durch die Tür wie losgelassene Bestien auf den sich in seinem Blut wälzenden Béla Kun. Wie wenn man mit einem Hammer Nägel in die Wand einschlägt, so fallen die Schläge von rechts und links, auf den Kopf, den Nacken, den Rücken, auf das Gesicht, auf die Brust und den Magen des Halberschlagenen nacheinander nieder. Kun richtet sich auf, er sammelt seine Kräfte, kaum hörbar spricht er:

»Arme gute Leute, was wollt ihr von mir? Ich will doch nur euer Bestes!«

Seine klanglose Stimme, sein selbst in Schmerz und Todesgefahr unaufrichtiger Blick reizen die wutentbrannten Männer noch mehr und sie holen zu neuen Schlägen aus. Das Blut füllt bereits den ganzen Raum, die Wände, der Plafond und der Boden sind damit vollgespritzt. Béla Kun verliert endlich das Bewußtsein, er liegt, wie ein überfahrener Hund auf der Landstraße, leblos auf dem Sofa des Polizeiarztes.

Béla Kun ist tot, – die Nachricht verbreitet sich in der ganzen Stadt. Und die ganze Stadt atmet auf.


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