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Kapitel 277

Gefahren der Weisheit. Wie manche Menschen sich Gott vorstellen und wie Er ist! Oder vom Wesen des Lichtes und von dem der Liebe

Am 15. November 1850

1 Sagt der Bote: »Diese ängstliche Verwunderung ist schon wieder eine Folge eurer ursprünglichen endlos allerhöchsten Begriffe von Gott. Ich sage euch aber: Diese Begriffe von der Gottheit taugen nicht zum wahren Leben aus und in der Liebe. Was geht euch denn das Unendliche des göttlichen Wesens an? Haltet euch bloß nur an die Liebe, die alles in engen Kreisen um sich herum versammelt haben will, was sie einmal angezogen hat.

2 Die Liebe ist ein rechtes Feuer, das da sammelt und nicht zerstört und zerstreuet; das Licht aber, das da ausgehet von der hellen Flamme der Liebe, wallt freilich wohl in geraden Strahlen endlos und ewig fort und weiter und weiter und kehrt nicht zurück, außer die Liebe Gottes hat demselben Schranken gesetzt, an denen es sich stößt und den Rückweg zu seinem Ursprunge antritt. So ihr aber die Gottheit nach der freilich endlosen Ausdehnung Ihres Lichtausströmens beurteilet und dadurch wahre »Lichtreiter« seid, auf den endlosen Flügeln des Geistes aus der Gottesliebe die endlosen Räume durchflieget und das Dasein der großen Gottheit suchet, da bleibet euch freilich die wahre Bekanntwerdung mit dem eigentlichen Gottwesen ewig fern, und ihr müsset endlich vor der endlosesten Gottesgröße erliegen und möget euch nimmer aufrichten in euren Herzen, auf daß ihr schauen und fassen möchtet das wirkliche Wesen Gottes, eures Vaters. Steht aber dann ein Wesen wie Ich vor euch und sagt zu euch: Ich bin es, Den ihr so lange vergeblich im Unendlichen gesucht habet, so erschrecket ihr und fahret wie ohnmächtig zusammen. Warum denn das? Die Ursache liegt am Tage: Weil ihr das Wesen, das sich euch als die wahre Gottheit in Ihrem Ursein vorstellt, noch immer mit den Unendlichkeitsaugen angaffet und an diesem Wesen von neuem euer Gemüt wie einen elastischen Ballon in's Endlose auszutreiben beginnet mit der Luft eurer eitlen Einbildung.

3 Es ist wohl recht, daß ein Geist oder ein Mensch das Gottwesen betrachtet in den Werken; aber er solle sich von ihnen nicht verschlingen lassen. – Sehet, in der ersteren Zeit der Erde haben die Menschen ihre Lust gehabt, riesenhafte Bauten aufzuführen. Ein Nimrod baute Babylon und einen über die Berge ragenden Turm. Eine Semiramis ließ Berge abtragen; ein Ninus erbaute das große Ninive; die alten Pharaonen überschwemmten Ägypten mit den kolossalsten Bauten und Bildern. Die Chinesen erbauten eine Mauer von vielen hunderten Meilen Länge, um ihr Land vor dem Eindringen fremder, feindlicher Völker zu verwahren. Wollte man nun solche Erbauer eben so groß sich vorstellen, als wie groß da waren ihre Werke, so müßte man denn doch von jedem nur einigermaßen heller denkenden Manne für einen barsten Narren gehalten werden. Sehet, diese Urbaumeister der großen Gebäude der Erde waren als Menschen um nichts größer als ihr; nur ihre Kräfte verstanden sie in's sehr Große auszudehnen und wirksam zu machen, während sie an und für sich dasselbe Maß hatten wie jeder andere Mensch.

4 So aber schon die kleinen geschaffenen Menschen große Werke zuwege bringen und dabei dennoch nicht größer werden auch nicht um ein Haar, und erbaueten sie auch Türme und Pyramiden, die mit ihren Spitzen an den Mond stießen; warum solle denn dann die Gottheit in Ihrem Urwesen eben so groß sein als wie groß da sind ihre Bauten? Da es doch heißt: »Und Gott schuf den Menschen nach Seinem Ebenmaße;« warum solle denn Gott ein Riese und die nach Seinem Maße geschaffenen Menschen gegen Sein Maß pure atomistische Tierlein sein, die zu Trillionen ganz bequem einen Tautropfen bewohnen können?

5 War denn Christus, Der doch in aller Fülle Gott und Mensch zugleich war, ein Riese, als Er auf der Erde das Werk der Erlösung vollzog? O Er war der Gestalt nach durchaus kein Riese, obschon Seine Werke von für euch nie meßbarer Größe waren. Und sehet, derselbe durchaus nicht riesenhafte Jesus steht auch jetzt vor euch, mit echtem Fleische und Blute sogar. Nur Sein Geist, der also aus Ihm strömt wie das Licht aus der Sonne, wirkt in der ganzen Unendlichkeit mit ungeschwächter Kraft ewig; aber dieser Schöpfergeist geht euch nichts an und kann euch auch nichts angehen; so ihr aber bei dem Urquell euch befindet oder so ihr beim Herrn alles Geistes seid, so fasset Ihn nach Seiner Liebe und nicht nach Seinem ausströmenden Lichte; dann seid ihr wahrhaft Seine Kinder, wie Er euer aller Vater ist; aber draußen in der Unendlichkeit habet ihr rein nichts zu tun.

6 Wäre es von den Astronomen nicht sehr dumm, so sie die Sonne bemessen wollten nach dem Durchmesser, wie weit da reichen ihre Lichtstrahlen? Diese dringen fort und fort durch die endlosen Tiefen des ewigen Raumes, und ihr Maß wird größer stets von Sekunde zu Sekunde. Mit welchem Maßstabe wäre solch eine törichte Bemessung wohl möglich? – Die Sonne selbst messen die Sternkundigen, da ihr Maß ein stetiges und bleibendes ist.

7 Also tuet auch ihr! Mich, wie Ich nun vor euch stehe, messet mit dem rechten Maße der Liebe in euren Herzen und habet keine närrisch übertriebene und läppische Furcht vor Mir, Der Ich doch ganz euer Maß habe und euch liebe aus aller Kraft Meines Herzens; dann seid ihr Mir angenehm, und ihr könnet dann also über alle Maßen selig sein im engen Kreise der Liebe, außer dem es für euch nirgends eine wahre Seligkeit gibt und geben kann. – Saget nun, habt ihr Mich wohl verstanden oder ist euch noch irgend etwas dunkel geblieben?«

8 Sagen nun die selig Staunenden: »O Herr! wie ganz anders bist Du doch, als wir leider dumm genug Dich uns vorgestellt haben! Ja, so kann man Dich, so muß man Dich ja aus dem freiesten Herzen von selbst über alles lieben. Da braucht man wahrlich kein Fegfeuer, keine Hölle und keinen Himmel dazu. Wer Dich nicht erkennt, wie Du bist, der trägt in seiner Blindheit und Dummheit Fegfeuer und Hölle in sich; wer Dich aber erkennt, wie wir nun, bei dem haben sich mit einem Schlage Fegfeuer und Hölle in den Himmel der Himmel verwandelt.

9 Aber wer kann dafür, daß die Menschen auf der Erde gar so dumme Begriffe von Dir haben? Am meisten trägt dazu wohl die Lehre Roms bei; diese lehrt ihre Bekenner einen Gott kennen, von Dem man wohl, so man glaubt, die scheußlichste Angst, nie aber eine Liebe zu Ihm haben kann. Man wird dabei wohl voll von aller Hölle und ihren Schrecken; aber von der Liebe kann da keine Rede sein; denn wo die Furcht das Zepter führt, da ist die Liebe fern. Wir dachten oft darüber auf der Welt nach, worin denn davon der Grund liegen könne, daß man sich als ein schlichter Bürger doch unmöglich in eine stolze Prinzessin verlieben könnte, und so man es im Herzen auch versucht, so geht es eben so wenig als wie mit einer Fahrt in den Mond. Kommt man aber zu einer so recht freundlichen, hochmutslosen, schlichten Bürgerstochter, da gibt es im Herzen sogleich Feuer und Flammen der heißesten Liebe im größten Überflusse.

10 Jetzt begreifen wir das auf ein Haar. Die Liebe webt und wirkt nur in engen, aber in sehr klaren Kreisen, sie erwärmt nur also den Großen wie den Kleinen, den Künstler und den Weisen. Wahrlich, sie allein ist alles in allem; sie ist die wirkliche Sonne; alles andere ist nur Schein und ein wesenloses Abbild. O Herr, wie gut bist Du!«


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