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Kapitel 197

Ein Blick durch die geöffnete Pforte zeigt die erscheinliche Stadt Wien. Ein Wort über Erscheinlichkeiten. Unreines kann nicht in die Himmel eingehen! Kados göttliche Weisheit

1 Damit tritt Robert sogleich zur Pforte hin, macht mit leichter Anstrengung seiner Kräfte den Versuch und der hohen Pforte breite und schwere Flügel gehen ohne allen Anstand auf. –

2 Als nun die Pforte also eröffnet dastehet, fängt der Robert an, hellauf aufzulachen und sagt: »Nun da haben wir nun den Himmel in der für diese Welt wahrlich allerseltsamsten Art vor uns. Nein, das ist wahrlich komisch über komisch! Geh' Helena, komm' her und schaue!« –

3 Helena kommt und sieht schnell mit großer Aufmerksamkeit durch die geöffnete Pforte und sagt nach einer kurzen Weile: »Je, je, das ist ja Wien, wie es leibt und lebt, und wir stehen hier wie am Weinberge bei der Spinnerin am Kreuze. O du himmlische Süßigkeit übereinander! Wien und nichts als Wien! Also das ist das glorreiche vierte himmlische Gemach deines Hauses! Ach, Respekt! Nun, jetzt können wir uns nachher in Wien gleich wieder um ein Dienstl umsehen oder weißt du was, wir fangen auf den Basteien ein bißchen zu spuken an, zünden – natürlich unsichbarer Weise – eine Kanone um die andere los; am End' hebt so was für die armen Wiener den Belagerungsstand auf. Nein, aber Spaß beiseite, komisch ist das wohl, Himmel erwarten und nach Wien auf d' Erd' dafür kommen! Nun, was sagst du dazu?« –

4 Spricht Robert: »Ich hab' es dir ja ehedem gesagt, als du mit der Minerva gar so gewaltig geoberlerchenfeldelt hast: daß wir statt in die reinen Gotteshimmel noch ganz rein nach Oberlerchenfeld kommen werden; und da siehe, meine Prophezeiung ist in die Erfüllung gegangen. Vor Wien stehen wir bereits und so werden wir wohl auch noch nach Oberlerchenfeld kommen! Muß nun aber doch auch unseren Freund Kado herführen, damit er die liebe Wienerstadt sieht.«

5 Robert beruft den Kado, der unterdessen dahin seine Beobachtungen machte, von woher die große Gesellschaft ziehe. Kado geht sogleich hin und Robert sagt zu ihm: »No Freund! wie gefällt dir denn der Himmel des irdischen Hauses Österreich? A saub'res himmlisches Jerusalem das! Siehst du die Pallisaden, die Schießscharten und die schönen Kanonen, Mörser und Bombenkessel; nimmst du die Wachen aus und ihre herrlichen Blockhäuser? Ach, das ist wirklich schön, die himmlische Stadt auch im Belagerungszustand!« –

6 Spricht die Helena: »Du Freund Kado! sage mir, ob wir uns für die Sterblichen nicht könnten auf eine kurze Zeit sichtbar machen, aber gleich darauf wieder unsichtbar? Weißt du, so ein bißchen nur möchte ich mir den Spaß machen, die lustigen Wiener ein wenig zu necken; vielleicht brächte sie so eine Neckerei auch um den Belagerungszustand. Und sollen Robert, ich und du etwa gar in dieser Welt Wohnung nehmen, so werden wir etwa doch den Belagerungszustand eher kassieren?« – Spricht Kado: »Aber liebste Helena! Meinst denn du doch im Ernste, daß dies das wirklich irdische Wien sei? Siehe, das ist ja nur eine Erscheinlichkeit und sonst nichts! Hat doch Robert zuvor von einer engen Pforte geredet, durch die man ins Himmelreich einziehen solle; und siehe, da steht sie schon vor uns! Ihr werdet bei dem Durchgange noch auf so manche Engstellen kommen, die euch sehr genieren werden; aber es wird dennoch zum Durchkommen sein.« –

7 Spricht Robert: »Das meine ich auch, aber wie? Das ist wieder eine andere Frage! Wenigstens muß dies erscheinliche Wien doch eine Abbildung vom wirklichen irdischen sein, sonst könnte es ihm doch nicht gar so auf ein Haar gleich sehen.«

Am 30. Mai 1850

Spricht wieder Robert Uraniel nach einer Weile, sagend: »Erlaube mir, lieber Freund, daß ich dich noch mit einer Frage belästige! Du sagtest ehedem, daß dies Wien nur so bloß eine Erscheinlichkeit ist und sonst nichts. Und doch steht es so klar vor uns, als wie wir uns selbst klar gegenüber stehen; sind demnach wir uns gegenseitig auch nur pure Erscheinlichkeiten oder sind wir wirklich das, was wir zu sein scheinen? Ist diese Pforte etwa auch nur eine bloße Erscheinlichkeit und sonst nichts? Ich kann mich hier in den Begriff »Erscheinlichkeit« noch immer nicht finden; denn nach meiner Beurteilung ist eine Erscheinlichkeit nichts anderes, als entweder ein Reflex eines irgend wirklich vorhandenen Dinges oder Wesens oder sie ist zur Erklärung eines Begriffs oder zur Prüfung eines Geistes bloß nur für einen nutzbaren Moment erschaffen; hat sie aber ihren Dienst verrichtet, so tritt sie dann wieder aus der Sphäre jedes Daseins. Das ist so meine Idee über den Begriff »Erscheinlichkeit«; und ich meine, es wird sehr schwer halten, ihr eine andere Erklärung beizulegen. Es muß mir aber darüber vollste Klarheit werden, sonst bin ich genötigt, alles für eine bloße Erscheinlichkeit zu halten, was mir seit meinem überirdischen Hiersein nur immer unter die Augen gekommen ist.« –

8 Spricht Kado: »Du hast ohnehin eine ganz richtige Idee von der Erscheinlichkeit und ich werde dir darüber dann wenig mehr zu sagen brauchen. Nur das ist etwas unrichtig, daß da eine Erscheinlichkeit etwas ganz Leeres sein solle, weil sie vorderhand nur bloß eine Erscheinlichkeit ist. Siehe, eine Erscheinlichkeit ist hier, nach meinem Urteile, entweder wirklich nur ein Abbild eines schon in der Wirklichkeit vorhandenen Dinges oder sie ist ein Probeplan zu einer neuen Schöpfung zuerst beschaulich dem Herrn allein, dann aber auch jedem Geiste, der seinem Innern nach mit der neu erscheinlichen Idee des Herrn in irgend einem sage wesentlichen Liebeauswirkungsverbande steht. Daß aber solch eine Idee mit der moralischen Sphäre des Beschauers auch stets in eine solch entsprechende Stellung kommt wie eine Parabel, das ordnet des Herrn unbegrenzteste Weisheit also und das solange fort, bis der Geist jene Kraft und Stärke erreicht, selbst in dem Erscheinlichen das Wirkliche und Unvergängliche zu konstatieren.

9 Denn der zuerst hier anlangende Geist ist gewisserart noch viel zu zart und schwach, als daß man ihm sogleich die kräftigsten geistigen Wirklichkeiten entgegen stellen könnte, weil er sich an ihnen sehr stoßen und am Ende aufreiben würde, gleich als so man auf der Erde ein neugeborenes Kind, anstatt es in weiche Windeln auf hartes Holz und Steine legen würde, was ihm sicher sehr übel bekommen dürfte. Aber nicht alles, was ein noch mehr oder weniger neu hier angekommener Geist zu Gesichte bekommt, ist pure Erscheinlichkeit, sondern zumeist nach der Kraft des Geistes auch zum größten Teile Wirklichkeit.

10 Die Pforte hier ist eine geistige Wirklichkeit und wir uns gegenüber auch; aber jenes Wien dort ist nur eine Erscheinlichkeit, aber so, als wie du es selbst bemerkt hast, also als ein Abbild der wirklichen irdischen Stadt Wien, das ihr beide von Zug zu Zug in eurer eigenen Seele beschaulich berget; dies Bild aber graviert eure Seele noch dann und wann, und erzeugt auch dann und wann Unlauteres in ihr, das sich in irgend einem etwas mehr gereizten Lebenszustande den Weg bahnt, und in die »redende Erscheinlichkeit« tritt; solches kann aber im reinsten Gottesliebelichte, das da ist der reinste Himmel, nicht Eingang finden und daselbst bestehen, da etwas nur im geringsten Unreines in die Himmel Gottes unmöglich eingehen kann. Und so tritt denn nun aus eurer Seele, die sich vor dem Eingange in die reinsten Gotteshimmel befindet und schon von der reinsten Himmelsluft angewehet wird, das letzte unreine Bild der Stadt Wien heraus, auf daß ihr es beschauen und darauf für immer aus euch verbannen möget und könnet;

11 aber, wie schon früher einmal bemerkt, es wird euch noch einige Mühe und Arbeit kosten! – Aber mit der beständigen Hilfe des Herrn wird sich auch das machen und leichter als ihr es meinet; darum seid mutig im Herrn, so wird alles leicht und fertig gehen.«

12 Spricht Robert Uraniel: »Aber liebster Freund! sage mir bloß das noch, woher du nur deine Weisheit nimmst? Denn das war schon wieder also geredet, als wie aus dem heiligsten Munde des Herrn Selbst; geh' und erkläre mir das! Denn ich bin früher stets der Meinung gewesen, daß du darum mit uns hierher gezogen bist, auf daß du durch mich und die Helena für die Himmel Gottes möchtest vorbereitet und tüchtig gemacht werden. Und nun geschieht gerade das allerblankeste Gegenteil! Du bist unser allervollendetster Meister und wir beide haben kaum die hinreichende Fassungkraft, dich so viel als möglich zu verstehen. Sage mir, bist du wohl im Ernste derselbe Kado, der auf dem Hügel dort im Norden die Minerva schlug mit Wort und Tat oder bist du bloß so als ein Kado maskieret und bist in der Tat irgend ein allererster Erzengel Gottes? Denn nur auf diese Art läßt sich deine Weisheit begreifen; sonst bleibt sie mir ein Rätsel. Ich bin Gott Lob doch auch gerade nicht eines total verschlagenen Kopfes und Herzens; aber so du deinen Mund nur aufmachst, da bin ich schon geschlagen wie mit zehntausend Blitzen auf einen Schlag. Also, liebster Freund, sag' es mir, woher du deine Weisheit borgest!« –

13 Spricht Kado etwas lächelnd: »So es an der rechten Weile sein wird, wirst du alles erfahren; nun aber ist das die Hauptsache nicht; darum kümmere dich vorderhand dessen nicht, indem viel wichtigere Dinge vor dir stehen. Sieh', die große Gesellschaft kommt, trete darum in die Pforte!« –

14 Spricht Robert: »Ganz wohl, ganz überaus wohl, aber du allerliebster Freund mußt auch mit mir gehen; denn du bist doch zehntausend Male reifer für die reinsten Himmel als ich.« – Spricht Kado: »Nun ja, das versteht sich doch von selbst, daß ich dich nicht allein werde gehen lassen und eben so wenig die allerherzlichste Helena, die ich ebenfalls sehr lieb habe.« – Spricht Robert: »Aber wie werde ich denn die große Gesellschaft nun hier in der Pforte stehend empfangen? Mit welchen Worten werde ich sie anreden? Was werde ich zum Herrn sagen, wie mich über meine Dummheit bei Ihm entschuldigen, wie bei den Propheten, bei den Aposteln und wie bei den vielen anderen Weisen, die auch bei dieser wahrhaft heiligsten Gesellschaft sich befinden? O Freund! helfe mir da nur ein wenig aus meiner neuen Not!« –

15 Spricht Kado: »Aber ich bitte dich, Freund Robert, sei nicht läppisch und kindisch! Kindlich magst du zwar sein, so stark du es nur immer sein kannst, aber nur kindisch nicht. Denn kindisch ist der Verstand der Kinder und der ist kein nütze; aber kindlich ist ihr Gemüt und das ist vom größten Werte vor Gott. Ich werde dir es schon heimlich eingeben, was du wirst zu reden haben vielleicht, aber das wenige muß gut sein.« –

16 Spricht Robert: »Ja, wie wirst du mir denn heimlich eingeben können? Da müßtest du ja förmlich ein Gott sein oder der Herr müßte dir zudem eine eigene Kraft verliehen haben.« – Spricht Kado: »Ei, ei, bist du aber doch ein lästiger Grübler! Muß man denn gleich alles bis auf den letzten Grund einsehen? Schau, die Ewigkeit ist ja doch so hübsch lang und es wird sich in ihr noch gewiß sehr viel einsehen und begreifen lassen. Gebe nun acht, die Apostel kommen, voran Petrus, Johannes und Paulus als die ersten; mit ihnen wirst du also zuerst etwas zu tun bekommen.«


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