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Fortsetzung der Lebensgeschichte der Mathilde. Gegenseitige, vorerst stille Überraschungen und dann Enthüllungen sehr trauriger Art, danach naht das Heil
Am 8. September 1850
1 Spricht die Mathilde, so wie in sich, etwas abgewendet vom Offizier: »Das sind ja ganz die Worte von meinem himmlischen Lehrer: »Bei Gott sind alle Dinge möglich,« das war sein Wahlspruch; dann der herrlichste Satz: »Gottesfurcht ist die erste Stufe zur Weisheit; Gott über alles lieben aber ist der Weisheit Vollendung und somit die höchste Seligkeit,« das ist ja wieder ganz der meines Lehrers. Er sieht ihm auch so ziemlich ähnlich; nur etwas zu jung kommt er mir vor, sonst wäre alles ganz frappant übereinstimmend. So mag er ausgesehen haben, als er etliche und zwanzig Jahre alt war. Ich möchte schon alles darauf setzen, daß er es ist; aber nur stille, mein armes Herz! Du darfst ihn ja nicht merken lassen, als ahntest du, daß er es ist; befolge aber seine göttliche Lehre, und du wirst sie dann sicher ernten – die goldene Frucht, die aus den vom himmlischen Lichte umstrahlten Ästen solcher Lehre, so sie befolgt wird, reichlichst hervorknospet. Ach Gott, ach Gott! Das kann nur er sein, nur in seinem engelreinsten Herzen können solche Lehren gleich den hellsten Sternen der Himmel Gottes emporkeimen, und in seines Geistes Gotteslichte und Lebenswärme schnell heranreifen zur gesegnesten Tat, zur heiligen Gottähnlichkeit.«
2 Der Offizier sagt bei sich, da er diese Worte in sich auch vernimmt: »O welch ein herrlicher Geist in dieser aber gar so entsetzlichen Seele! Wenn ich aber nur erfahren könnte, wo es denn bei der stecken muß! Wie kann ein solch herrlicher Geist voll Liebe, Wahrheit und Demut seine Seele denn gar so entsetzlich vernachlässiget haben? Mann sollte ja doch der Meinung sein, daß vor Gott dem Herrn ein reines Herz, ein Herz voll Liebe, Wahrheit, Duldsamkeit und Demut schon die vollste Vollendung der Seele zur Folge haben müßte, aber wie Figura zeigt, ist es hier durchaus nicht der Fall; sonderbar, sonderbar! Es muß mit ihr in der späteren Zeit, die mir nicht mehr bekannt ist, etwas vorgefallen sein, sonst könnte ich mir die Sache unmöglich erklären. Nein, wenn ich so zurückdenke, wie dies Wesen zwar freilich noch in ihrem Fleische als Mädchen doch gar so strotzend üppig war! Kurz, sie hätte jedem Maler, dem eine Aufgabe würde – die reizendste Schönheit in der blühendsten Fülle der Gesundheit zu malen, als ein bestes Modell dienen können, und jedem Engel als Gesellschafterin; und nun hier, o Gott, o Gott, ist sie ein Bild des größten Elends und der größten Not! – Dürftigste Lumpen bedecken ihre Skelettform, kaum hinreichend ihre Scham zu verbergen. Mein Gott, mein Gott, sei doch diesem armen Wesen gnädig und barmherzig!«
3 Nach diesen Worten wendet sich der Offizier wieder ganz freundlich zur Mathilde und sagt: »Höre, du meine liebe Freundin! Möchtest du mir denn nicht so im Vertrauen sagen, wie es denn doch etwa kommen konnte, daß du gar so in deiner Seele, wie man sagt, ganz rein auf den Hund gekommen bist? Denn ich erinnere mich, dich in der Blüte deiner irdischen Jahre hier in Wien irgendwo gesehen zu haben; da warest du ja ein Muster weiblicher Fülle und Üppigkeit, und alles war glücklich, dich nur von Ferne ansehen zu dürfen; und nun? Kurz, da ist gar nichts zu reden; ich mache dich nur traurig, ja über die Maßen traurig, so ich dich daran erinnere. Also, so es dich nicht etwa zu sehr geniert, da gib mir den Grund an, wie und warum du gar so herabgekommen bist in deiner Seele bei einem so herrlichen Geiste.«
4 Sagt die Mathilde: »Edler Freund, der du mit mir viel Mitleid zu haben scheinst, ich habe hier wohl keinen Grund mehr, mich irgendwie beschönigen zu wollen, denn das Elend ist der Tod der Schamhaftigkeit schon an und für sich, und hier in der Geisterwelt gar, wo einem von den Dächern verkündet wird, wie man auf der Erde im Fleische gelebt hat. Es ist wahr, daß mein Geist gewiß zu denjenigen gehört und gehört hat, die wahrlich der schlechtesten Gattung nicht angehören; aber diesem Geiste ward leider eine zu üppige Fleischmasse gegeben, die, je ausgebildeter sie wurde, auch desto sinnlich begehrender ward. – Mein Stand erlaubte es aber nicht, mein Fleisch auf jene natürliche Weise zu befriedigen, auf welche Weise tausend gemeine und feile Dirnen dem Begehren ihres Fleisches zu Hilfe kommen. Ich war teils durch einen verderblichen Umgang mit Mädchen meines Standes, Wesen, die schon frühzeitig die schlechte Pariserschule müssen durchgemacht haben, und teils durch meine sehr geil gewordene Natur auf Mittel gekommen, mich künstlich zu befriedigen. Das schadete aber meiner Natur derart, daß ich in kurzer Zeit darauf die sogenannte Bleichsucht über alle Maßen bekam. Die Eltern wußten sich nicht zu helfen, noch zu raten. Ein Arzt um den anderen ward geholt und gefragt; da regnete es Rezepte und Medizinen, durch die meine Natur noch aufgeregter ward, als sonst, und ich desto anhaltender mit der künstlichen Selbstbefriedigung, deren ich mich heimlich bedienen mußte, um nicht zu verzweifeln.
5 So wahr ich lebe, zweimal war ich daran, mir das Leben zu nehmen! Schon in meinem 17. Jahre hat mein Fleisch einen solchen Grad der Geilheit erreicht, daß ich mir aus purster Geilheit mit einer unbeschreiblichen Wollust hätte mögen selbst ein Stück Fleisch um das andere vom Leibe schneiden. Wenn ich mir dann und wann mit einer Hundspeitsche auf die nackte Haut nur einige Schläge, die mich zwar sehr schmerzten, habe versetzen können, so geschah mir sogleich leichter. Kurz, wenn ich nicht nach dem Rate eines vernünftigen Arztes noch im selben Jahre geheiratet hätte, so wäre ich im nächsten Jahre darauf sicher als eine verstümmelte Leiche irgendwo aufgefunden worden.
6 Es ist merkwürdig! – Mein Geist blieb dabei stets hell und voll der besten Vorsätze, aber sie waren leider zu ohnmächtig, um den Stürmen des Fleisches Widerstand zu leisten, wann dieselben zu toben und zu wüten begannen. Ich weinte oft wie ein Kind im geheimen über meine Unnatur; aber das half alles nichts; es mußte ein Mann mir werden, sonst gab es keine Ruh' und keine Rast in meinem Fleische. – Wie schon gesagt, ich bekam zum Glücke meines Fleisches einen sehr sinnlichen Mann; der heilte zwar mein Fleisch mit dem, daß er mich im ersten Jahre schwängerte und somit aus meinem entarteten Fleische die letzte doch noch übrig gebliebene Frucht sich holte, und in kurzer Zeit darauf den Tod.
7 Ich ward darauf zwar nüchternen Fleisches, und bekam auch wieder ein recht gutes Aussehen, aber in meiner Seele gewahrte ich dennoch fort und fort ein gewisses ganz unbehagliches Siechen, das sich durch eine gewisse Unlust zu allem Schönen, Guten und Wahren nur zu fühlbar aussprach. – Ich besuchte Gesellschaften, Theater, Konzerte, reiste im Sommer von einem Bade zum anderen, versammelte im Winter um mich einen Kreis von den geistreichsten Damen und Männern; aber es war umsonst, meiner Seele Zehrfieber war nimmer zu verscheuchen.
8 Nur der geheime Gedanke an meinen einstigen Lehrer vermochte allein meine Seele auf Augenblicke in eine bessere Stimmung zu bringen, aber leider nur auf Augenblicke, die sehr jenen wärmlichen sonnigen Mittagsstunden des Novembers glichen, auf die nur zu bald Frost und Kälte und der starre Winter folgen. Mein Geist ward wohl der gleiche, voll des besten Willens, aber das Fleisch der Seele ist ganz impertinent schwach geworden, und ich konnte mich trotz des besten Willens nicht mehr erholen, weder auf der Erde, und noch weniger dieseits in der Geisterwelt, ° die zwar bis jetzt der Naturwelt so gleichgesehen hat, wie beinahe ein Auge dem anderen, aber nichts weniger als eine Naturwelt ist, weil es denn doch nebst dem, daß die Formen ihr Aussehen behalten, recht viele und manchmal nur zu handgreifliche Unterschiede gibt zwischen den Erscheinungen dieser und zwischen jenen der früheren Naturwelt.
9 Nun wissen sie alles, und ich meine, sie werden nun leicht den Grund einsehen, warum ich zu dieser elenden Gestalt gekommen bin. Wäre mein Lehrer nie von meiner Seite gekommen, da stünde es um mich nun sicher anders; aber Gott dem Herrn gefiel es wahrscheinlich nicht, einen Engel in einem Hause des Hochmutes und des Stolzes fallen zu lassen; daher nahm Er dem Hause den Schutzengel, und das Haus verfiel darauf bald in allerlei Laster der Großen und der Toren, und ich, dessen einzige Tochter, mit. – Ich bin zwar nun da, so elend als möglich; wo aber etwa meine Eltern sich befinden, und wie es ihnen etwa ergeht, und auch meinem Gemahle, das wird der Vater im Himmel sicher besser wissen, denn ich arme, elende Seele. Ich wünsche zwar allen ein besseres Sein, als wie da ist das meinige; aber leider, mein Gefühl sagt es mir, wird es ihnen wohl kaum besser ergehen, denn mir. Wenn sie nur samt und sämtlich nicht irgend ganz und gar verloren sind!«
10 Sagt der Offizier: »Meine Liebste! da hat es mit dir leider eine schlimme Bewandnis gehabt, aber verzweifle deshalb nicht, sondern gehe nun sogleich mit mir zum Herrn hin, Der hier ist, um allen zu helfen, die Seinen Namen anrufen und sich an Ihn wenden. Folge mir aber ohne Furcht und Scheu, denn niemand kann dir helfen, als Gott der Herr allein; denn nur bei Ihm sind alle Dinge möglich; darum also folge mir.« –
11 Der Offizier eilt nun mit der Mathilde schnell zu Mir hin und sagt: »Herr, Du allerheiligster bester Vater! Ich brauche Dir sicher nicht kundzutun, was diesem Wesen fehlt; denn Du, Dem alle Dinge, Sachen und Verhältnisse schon von Ewigkeit her bekannt sind, weiß es am besten. Ich kann darum auch hier nichts anderes tun, als Dich, o Herr, kniefälligst mit dem teilnehmendsten Herzen bitten, daß Du diesem Wesen, diesem armen Weibe gnädig und barmherzig sein wollest. Dein heiligster Vaterwille geschehe!«
12 Sage Ich: »Weib, was willst du denn, daß Ich dir tun solle? Rede!« – Sagt die Mathilde: »Herr! Du allmächtiger ewiger Gott, Schöpfer aller Kreatur und heiligster Vater aller Menschen und Engel! Du siehst hier eine große geheime Sünderin vor Dir. Du wirst am besten wissen, welche Geister, ja welche Teufel mein Fleisch und mit diesem auch die Seele so übel zugerichtet haben. Ich war es nicht; denn mein Wille war nach meiner reinen Erkenntnis stets dagegen, und ich warnte jeden Menschen vor dem großen Übel der Selbstbefriedigung; und doch war aber ich gerade wie ausersehen für dies fürchterliche Übel; ich – im Geiste die größte Feindin davon – mußte dem Drachen des Fleisches geradewegs zum Opfer werden.
13 O Herr, das ist hart; das ist sehr hart! Wer pflanzte denn solch einen verderblichen Stachel in mein Fleisch? Ich selbst unmöglich! Ich war ja nur das höchst leidige Opfer dieses Stachels. Ich ward getrieben wie mit glühenden Ruten, und gerade wann ich mir oft die ernstesten Vorsätze gemacht habe, dies Übel um Deines heiligsten Namens willen nicht mehr zu begehen, da erst erwachte bald die Gier des Fleisches mit zehnfacher Heftigkeit, und ich unterlag dem Drange ärger denn irgend ein früheres Mal. Nach solch satanisch stummer Befriedigung kam dann freilich allezeit die Reue, diese höchst stiefmütterliche Elegie armer unglücklicher Herzen, über mich, und zerfleischte jede Regung in mir, die mein Innerstes auch nur mit dem leisesten Strahle einer besseren Hoffnung hätte emporrichten können. O Herr, o heiliger Vater! Warum, warum mußte denn gerade ich gar so unglücklich werden? (Es ist doch viel Eigenliebe noch da.)
14 Ich war ja doch bis in mein beinahe 16. Jahr eine so reine Unschuld, wie es deren wenige geben dürfte. Warum mußte ich meinen wahren Schutzgeist von einem Lehrer verlieren? Warum durfte denn der Satan gerade gegen den Mann, der ein Engel war, in der aristokratischen Brust meiner blinden Eltern Verdacht und Haß erregen, und hernach an des Engels Statt und Stelle mir Geister aus der Hölle zu Lehrern geben? O Gott, o Gott, Du Barmherziger! Warum mußte denn ich so unglücklich sein und noch mehr werden zeitlich und vielleicht auch ewig?« – –
15 Rede Ich: »Ja, Meine liebe Tochter! Wie es mit dir steht und wie es mit dir gestanden ist, das habe Ich wohl gar lange schon gewußt, und wie und warum und wodurch auch. Ich fragte dich also nicht darum, sondern nur: »Was willst du, daß Ich dir tun solle;« und siehe, auf diese Frage hast du Mir noch keine Antwort gegeben. Das also, Meine Liebe, rede zuvor; hernach wird sich in der Ewigkeit noch Zeit genug finden, wo du über deine irdischen Lebenserscheinungen in's klare kommen wirst.« – Sagt die Mathilde: »O Herr, Du heiligster Vater! Du siehst es ja am besten, wo es mir fehlt. So es Dein heiligster Wille ist, so hilf mir da, wo es mir fehlt; denn nur Dir allein, o heiligster Vater, sind alle Dinge möglich!«
16 Rede Ich: »Aber glaubst du es wohl, daß Ich eben der so ganz eigentliche wahre, ewige Gott, Schöpfer und Vater bin, bei Dem alle Dinge möglich sind? Denn siehe, Ich bin ja nur ein Mensch, wie du deren hier viele siehst; wie kann denn ein Mensch Gott sein oder ist denn Gott auch nur ein Mensch?!« –
17 Sagt die Mathilde: »Du bist Christus, genannt Jesus, der Heiland der Menschen, und jedes Wort aus Deinem Munde hat das Leben in sich, und dem Du Dein Wort gibst, der hat von Dir auch das ewige Leben empfangen; denn Deine Worte sind nicht wie die Worte eines Menschen, die da tot sind, und kein Leben haben. So aber Deine Worte das Leben in sich tragen, und jedem, der sie aufnimmt, das ewige Leben geben, wie sollest Du hernach nicht Derjenige sein, Dem alle Engel, Sonnen und Welten als ihren alleinig wahren, ewigen, heiligen Vater, Gott, Schöpfer und Richter im Staube ihrer Nichtigkeit anbeten?! Denn ihr Sein bist ja nur Du durch Dein allmächtiges Wort!
18 Als Du, o Herr und Vater, auf der Erde den Weg des Fleisches aus Deiner unendlichen Machtvollkommenheit, Weisheit und Liebe durchmachtest, da sagtest Du eben als auch nur ein Mensch: »Wer Mich sieht, der sieht auch den Vater!« »Denn Ich und der Vater sind eins.« So Du, o Herr Jesus, damals im Fleische eins warst mit dem Vater, wie sollest Du es nun nicht sein? Du allein bist es, und niemand mehr ist Dir gleich! Mein Herz sagt es mir, daß Du die ewige Liebe bist! O so nimm mich in Deine Liebe gnädig auf, Du heiliger Vater!«