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Kapitel 230

Fortsetzung der Szene zwischen den Haupt-Pfaffengeistern und dem ehemaligen Kirchendiener; dessen weitere Reden an seinen gewesenen Herrn. Des Erzbischofs Antwort. Der Meßner gibt denselben noch mehr Licht

1 Spricht ein dem Kardinal zunächst stehender Pfaffe: »Elender! nur der unendlichen Sanftmut und Geduld der alleinheiligen und seligmachenden Kirche hast du es zu verdanken, die im Stillen für dich verlorenes Schaf zu Gott betete, während du dich bemühtest, ihr tötliche Stiche beizubringen; höre aber nun auf, die festlich geschmückte Braut Gottes zu verunglimpfen, sonst wird die Kirche dich in ihrem beständigen Gebete um dein Seelenheil fallen lassen; dann wird sich der Erdboden unter deinen Füßen öffnen und dich auf ewig verschlingen!«

2 Hier fängt der Kirchendiener hell zu lachen an und sagt dann in einem ganz lakonischen Tone: »O, du allersanftmütigstes Mutterl du!! Oh, oh, oh! wenn sie mit der höllischesten Grausamkeit, und solle diese nichts fruchten, darauf mit der Dummheit nichts ausrichtet, dann wird der Wolf sogleich wieder in das zarteste Lammfell eingenäht, und muß ein so sanftes Gesicht machen, als wie die Naturgeschichte vom Kuckuck erzählt, daß er die Vögelein bloß durch seine Sanftmut vom Nestchen treibe, um dann ungestört ihre Eier austrinken zu können, und dann seine eigenen dafür einzulegen. O über so eine Sanftmut und Geduld steht doch wohl nichts auf!

3 Wie sanft ist die Kirche geworden bei den berühmten Kreuzzügen? Wie freudig hat sie die verlassenen Witwen und Waisen, deren Männer sie im Morgenlande durch die damals übermächtigen Sarazenen umbringen ließ, in wohlverwahrte Klöster aufgenommen, nachdem sie sich vorerst ihre Güter und Schätze schenken ließ, um keine Erbsteuer zahlen zu dürfen. O du göttliche Sanftmut, die du der heiligen Kirche um's bare Geld noch nie gemangelt hast! Als ich noch auf der Welt gelebt habe (denn das werden die Herren doch hoffentlich wissen, daß wir alle schon lange nicht mehr auf der eigentlichen materiellen Erde im Fleische uns befinden)« –

4 Sagt ein Pfaffe dazwischen: »Das ist erlogen! Wir leben noch alle in der Welt, denn sonst müßten wir entweder in der Hölle oder im Fegfeuer oder gar im Himmel uns befinden.« –

5 Spricht der Kirchendiener: »Das ist nun gleich, wir sind einmal in der Geisterwelt, ob ihr es glaubet oder nicht, und darum sage ich: Als ich noch auf der Welt war, da glaubte ich der Kirche auch so manches; aber als zu uns die Nachrichten von der heiligen spanischen Inquisition gekommen sind, wie zart und sanft sie daselbst mit ihren verlorenen Lämmern umgehe, da habe ich von der heiligen Kirche sogleich ganz andere Begriffe bekommen. Was haben denn Hunderttausende verschuldet, daß sie so grausamst ad majorem Dei gloriam mußten verbrannt werden? So fragte ich ganz erstaunt um den Grund solch eines Attentates auf die Menschheit; und die Antwort auf solch meine Frage lautete schroff und laut genug, um sie vom Nordpol bis zum Südpol der Erde vernehmen zu können: Weil sie die Bibel gelesen haben und somit zu den allerverdammlichsten Ketzern geworden sind! – O Herr! rief ich in mir aus, ist es denn möglich, daß Menschen, die sich um Dein heiligstes Wort bewarben, von den römischen Bestialpfaffen solch einen Lohn auf dieser Welt finden müssen? Herr! hast Du keinen Schwefel, keine Blitze und keine Sündflut mehr, um Spanien und Rom zu vertilgen für ewig?

6 Aber die Antwort Gottes kam langsam, aber sicher aus den hohen Himmeln. Ich erlebte sie auf der Erde zwar nicht mehr, aber dafür desto heller in dieser Geisterwelt. Wo ist nun das stolze, übermütige Rom? Was ist nun der Papst? Bis auf einige wenige stockblinde Esel und Ochsen, die ihm, dem stolzesten Stellvertreter Gottes, noch anhängen, lacht man ihm in's Gesicht, und hat vor ihm gerade einen solchen Respekt, wie vor der schwarzen Pest, und haßt und verachtet ihn aller Orten. Dieser primo Padrone aus den Abruzzen kann nun die Sanftmut predigen, wie er will; die wahren Vögelein des Himmels kennen nun nur zu gut ihren Kuckuck; und wie er sich einem Menschen nur nähert, so werden ihm sogleich eine Masse Federn mit den kleinen, aber scharfen Schnäbelchen ausgerupft, die ihm dann wohl nimmer wachsen dürften, und er dadurch von Tag zu Tag unfähiger wird, sich in die hohen Lüfte von neuem emporschwingen zu können.

7 Schon fängt man selbst in Italien einen Erzbischof um den anderen an einzunä- hen, und das mit vollstem Rechte; denn für die Herrscher aus den Abruzzen gebührt sich nichts anderes; denn sie waren allezeit und sind noch immer die größten Feinde der Menschheit, aber dafür desto größere Freunde des Goldes und des Silbers, und der kostbaren Perlen und Edelsteine.

8 Ein Petrus, als dessen Nachfolger sich ein jeder Papst ausposaunt, sagte einst zu einem armen Teufel, der – ich weiß es nicht recht genau – lahm oder blind war und den guten Petrus um ein Almosen anging: »Gold und Silber habe ich nicht; aber was ich habe, das gebe ich dir.« Könnte das wohl ein Papst, ohne bis zur kleinen Zehe schamrot zu werden, auch einem Armen sagen? Und er nennt sich einen Nachfolger Petri! O du verfluchte Nachfolgerschaft Petri! So ein sauberer Nachfolger Petri könnte nur sagen: »Ich habe zwar des Goldes und des Silbers im höchsten Überflusse, aber das gebe ich dir nicht, sondern meinen apostolischen Segen, der mich nichts kostet, den gebe ich dir, und dann fahre hin im Frieden! So du unterwegs auch vor Hunger stirbst, so wird deine Seele aber dennoch nach einem dreitägigen Fegfeuer sogleich in's Paradies kommen, wo es dir dann gut genug gehen wird.« – Und so ein Papst also sagen würde, so redete er einmal die einzige Wahrheit, die je über seine Lippen gekommen ist; denn sonst darf ein jeder Papst die Wahrheit, die er vor dem Volke geredet hat, mit allen Laternen suchen gehen, und er wird sie nicht finden, dafür stehe ich ihm.

9 Hat der große Paulus nicht geeifert wie ein Löwe wider die Feiertage und verbrämten Kleider, so über jede Würde, die sich die Menschen nur gar zu gern beilegen? Wann hat Christus, Der Selbst sagte: »Es kommt die Stunde, und ist schon da, wo man Gott weder im Tempel zu Jerusalem, noch auf dem Berge Garizim anbeten wird; denn Gott ist ein Geist, und muß im Geiste und in der Wahrheit angebetet werden« – anbefohlen, Tempel und Bethäuser um's sündigst teure Geld zu erbauen und dafür tausend Arme verhungern zu lassen? Welcher Apostel hat die lateinische Sprache denn zur göttlichen erhoben, als ob Gott der Herr, Der sicher alle Sprachen versteht, nur bloß an der lateinischen das größte Wohlgefallen hätte? Beweiset mir das aus der Schrift, dann will ich's euch glauben; könnet ihr aber das nicht, wie ich's zu Gott hoffe, so seid ihr die leibhaftesten Antichristen, wie sie Daniel und der Apostel Johannes in seiner Offenbarung nur zu klar beschrieben hat.«

10 Sagt darauf ein vor geheimer Wut stark schnaubender, sehr alt aussehender Erzbischof: »Hat Christus der Herr nicht Seiner Kirche, d.h. Petrus und all' dessen Nachfolgern, vor Seinen Aszension die ausschließende Macht zu lösen und zu binden gegeben? Er hauchte Seine Apostel an und sprach: »Nehmet hin den heiligen Geist! Denen ihr die Sünden erlassen werdet, denen sollen sie auch erlassen sein; denen ihr aber die Sünden vorenthalten werdet, denen sollen sie auch vorenthalten sein.« – Und ein anderesmal sagt Jesus ebenfalls zu Seinen Aposteln: »Was ihr lösen oder binden werdet auf Erden, das solle auch im Himmel gelöset oder gebunden sein.« Ich meine, darin liege des Beweises zur genüge, daß es da der wahren Kirche von Gott aus ganz übervoll rechtlich zusteht, neue Gesetze zu geben, so sie es für nötig erachtet, und andere selbst von Gott dem Herrn gegebene aufzuheben, so sie sieht, daß sie unter gewissen Verhältnissen dem Heile der Seelen nicht gedeihlich sind.

11 Daß die Kirche aber in ihrem gottesdienstlichen Ritus sich der lateinischen Sprache bedient, hat einen höchst weisen Doppelgrund: Für's erste ist das allezeit die ausgebildeteste Sprache gewesen, somit auch die einstimmig würdigste, um Gott besonders damit zu ehren und anzubeten; und für's zweite ward die lateinische Sprache gegenüber dem gemeinsten und ungläubigsten Pöbel als eine Schutzwehr für die besonders heiligen Kraftgeheimnisse des Wortes Gottes aufgestellt, auf daß solche Kraftgeheimnisse vom Pöbel nicht könnten profanisiert werden. Das sind die zwei Kardinalgründe; ein dritter aber besteht in der Plenipotenz (Vollmacht) der Kirche, der zufolge sie auch gesetzlich die lateinische Sprache zur allgemeinen Ritualsprache fest und unabänderlich bestimmen kann. Ich meine, das wird etwa doch aus der heiligen Schrift genug erwiesen sein, mein hochweiser Herr Kirchendiener!«

12 Sagt der Kirchendiener: »Aus der heiligen Schrift waren die zwei angeführten Texte wohl; nur haben sie alles eher bewiesen als das, was eure Eminenz damit entweder gern bewiesen hätten oder beweisen haben wollen. Hätte Christus der Herr auf die Art, wie eure Emiminz es auffassen, der Kirche eine Plenipotenz erteilen wollen, da hätte Er wahrlich nicht nötig gehabt, drei volle Jahre und vielleicht auch schon bei früheren Gelegenheiten im Schweiße Seines Angesichtes die Apostel und noch gar viele andere Jünger zu lehren das große Gesetz der Liebe, das Gesetz des Lebens und die großen Geheimnisse des Himmelreiches; sondern da würde Er bloß Seinen Aposteln und Jüngern ohne vorhergehenden Unterricht die Plenipotenz in dem Maße erteilt haben, daß sie als von Ihm bloß Aufgenommene nun tun können, was sie wollen, und es wird dem Vater im Himmel alles ganz vollkommen recht sein. Sagen eure Eminenz sich selbst, ob es wohl von einer Gottheit möglich zu denken ist, daß sie so eine unter aller Kritik elendeste Plenipotenz Ihren Jüngern je habe erteilen können in dem Sinne, wie eure Eminenz es verstehen? Ich frage dabei bloß, zu was die Gottheit Selbst ehedem durch drei Jahre ein weisestes Lehramt ausgeübt habe? Zu was eine heilige Lehre des Lebens den Menschen durch Ihren höchst eigenen Mund geoffenbart, so Sie, die Gottheit nämlich, hernach durch einen einzigen Text, der quasi eine unumschränkte Gewalt den Jüngern einräumt, alles dies über den Haufen würfe,

13 wie es sich auch bei der römischen Kirche buchstäblich zeigt, da eben in dieser Kirche außer dem Namen des Herrn und Seiner Jünger nichts mehr anzutreffen ist; keine Demut, keine Sanftmut, kein Funke von einer Geduld, und noch weniger von einer Liebe zu dem Nächsten. Vom Glauben reden wir ohnehin keine Silbe mehr; von einem Glauben an die Macht des Goldes und des Silbers ja; der steht noch fest; nur solle er jetzt auch schon sehr schwach geworden sein, weil etwa die Menschen glauben sollen, daß das Papier auch Silber oder Gold sei. Auch der gegenwärtige Papst solle von einer gewissen Not gedrungen sein, sich solch einem papiernen Glauben in die Arme zu werfen. – Vielleicht ist so ein papiernes Glaubenspflaster gerade dazu gut, um den Papst einmal zu dem Glauben zu bringen, daß das Reich Gottes nicht in den großen Schätzen der Welt, sondern allein nur in denen eines reinen, demütigen, mit Liebe erfüllten Herzen besteht.

14 Die Plenipotenz, die der Herr Seinen Jüngern scheinbar erteilt hat, war und ist nur eine Plenipotenz des heiligen Geistes Gottes im Menschen. Wer nach dem Worte Gottes lebt, durch das alle Dinge und Wesen gemacht worden sind, der überkommt auch den Geist Gottes; denn Gottes Wort ist eben der heilige Geist, aus dem Munde Gottes in alle Menschenherzen übergehend, die das Gotteswort werktätig in sich aufnehmen. – Mit solchem Besitze des Gottesgeistes, der mein Herz zu einem Tempel der tiefsten Weisheit aus Gott macht, kann ich dann gleichwohl zu einem sündigen Bruder sagen, so er Reue und Besserung zeigt: Deine Sünde ist dir vergeben! Ist er aber hartnäckig und will nicht lassen von der Falschheit und Bosheit, die gewöhnlich eine Tochter der ersteren ist, so kann der vom Gottesgeiste Erfüllte auch sagen: Freund! bei solch deiner bösen Beharrlichkeit kann dir die Sünde nicht erlassen werden. – Aber zu glauben, man überkomme den heiligen Geist durch eine gewisse sakramentalische Zeremonie, als da ist die nichtige leere Wassertaufe, die Backenstreichfirmung und gar die allerläppischeste auf eine pure Zeremonie berechnete und darauf beruhende Priesterweihe, nach der der Neugeweihte eben so ein Strumpf bleibt, als er ehedem war, das gehört doch auf den allermorschesten Holzweg, und hat nichts als eine schmählichste und unerträgliche rein ägyptische Kastenbildung zur Folge, von der der heilige Geist bei weitem ferner ist, als Himmel und Erde von einander abstehen. So ein neugebackener Alumnus hat noch nie aus höchst eigenem Ernste auch nur einen einzigen Vers des Evangeliums, außer dem der vermeintlichen Plenipotenz, zu seiner Lebensrichtschnur gemacht und auch nicht machen können, da er für's erste alles unter einem gewissen kirchlichen Kastenzwange hat studieren und tun müssen, und für's zweite gar noch nie eine volle heilige Schrift zu Gesichte bekam, aus der allein er die Wege zum Empfange des heiligen Geistes hätte ausfindig machen können.

15 Der Herr sagt: »Seid nicht eitle Hörer, sondern Täter Meiner Lehre, Meines Wortes, so werdet ihr erst in ihr die Kraft des Gottesgeistes erkennen lernen.« Wie solle aber solch ein neugeweihter Alumnus je zu dieser heiligen Erkenntnis gelangen, so ihm das Lesen der Bibel sogar bei scharfer Ahndung untersagt ist? – Er kann sonach nicht einmal auch vielleicht beim besten Willen ein eitler Hörer, geschweige denn erst ein Täter des Wortes Gottes werden. So er aber dieser bedingenden lauten Anforderung Christi nicht Folge leisten kann, sage, woher solle ihm dann jener mächtige Geist Gottes werden, ohne den man sich nur als ein Frevler alles Frevels eine göttliche Plenipotenz usurpatorisch anmaßen kann, aber in der Wirklichkeit von ihr unendlich weit entfernt ist und bleibt? –

16 O du meine liebe Eminenz! Denke nach, wie schlecht jene Texte auf die heidnischeste Kastenkirche in Rom passen und sage: Mea culpa, mea quam maxima culpa! Ich bin leider auch so ein recht bocksbeinfester heiligen Geistes Usurpator gewesen; Herr! vergib es mir, denn ich war stockblind, geblendet von allerlei Anlockungen der Welt und des Teufels, und wußte daher auch nicht, was ich tat! – Vielleicht erbarmt sich der Herr deiner armseligsten Menschheit, wenn schon sicher nimmer deiner kardinalischen Eminenz; denn Eminenzen hat Christus der Herr wohl nie eingesetzt; auch der Petrus und der Paulus nicht.«


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