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1. Mit Anfang des folgenden Jahrs loseten die Consuln und Prätoren um ihre Standplätze. Den Consuln konnte kein andrer angewiesen werden, als Ligurien. Den Marcus Ogulnius Gallus traf die Rechtspflege in der Stadt, den Marcus Valerius die über die Fremden; von den beiden Spanien das diesseitige den Quintus Fulvius Flaccus, das jenseitige den Publius Manlius; den Lucius Cäcilius Denter Sicilien, den Cajus Terentius Istra Sardinien. Die Consuln erhielten Vollmacht zur Werbung. Quintus Fabius nämlich hatte aus Ligurien geschrieben, die Apuaner träfen Anstalten zur Erneuerung des Krieges, und es sei von ihnen ein Einfall in das Gebiet von Pisä zu fürchten. Auch wußte man aus beiden Spanien, daß das diesseitige in den Waffen und der Krieg mit den Celtiberern im Gange sei; daß im jenseitigen, bei der langen Krankheit des Prätors, Ausgelassenheit und Unthätigkeit alle Kriegszucht aufgelöset habe. Deswegen beschloß man, neue Heere zu werben; vier Legionen für Ligurien., so daß jede fünftausend zweihundert Mann zu Fuß und dreihundert Ritter hatte: dazu kamen noch an Latinischen Bundestruppen funfzehntausend Mann zu Fuß und achthundert Ritter. Dies sollten die beiden consularischen Heere sein. Die Prätoren mußten zu Latinischen Bundestruppen siebentausend Mann zu Fuß aufbringen und vierhundert Ritter, und sie nach Gallien zum Marcus Marcellus gehen lassen, dem man den Oberbefehl nach seinem Consulate verlängert hatte. Auch mußten, mit der Bestimmung für beide Spanien, viertausend Römische Bürger als Fußvolk nebst zweihundert Rittern, und siebentausend Bundestruppen zu Fuß nebst 88 dreihundert Rittern ausgehoben werden. Ferner wurde dem Quintus Fabius Labeo bei dem Heere, welches er in Ligurien hatte, der Oberbefehl auf ein Jahr verlängert.
2. Der Frühling war in diesem Jahre sehr stürmisch. Am Tage vor dem Parilienfeste beinahe um Mittag brachte ein fürchterliches Ungewitter, das mit Sturm ausbrach, Verheerung über manche geweihete und ungeweihete Stäte, warf auf dem Capitole eherne Standbilder nieder, hob am Tempel der Luna auf dem Aventinus einen Thorflügel aus und führte ihn fort, daß er hinten am Tempel der Ceres hängen blieb. Noch andre Standbilder auf der großen Rennbahn stürzte er mit den Säulen um, auf denen sie standen, riß an mehreren Tempeln die Stirngiebel von ihren Firsten und warf sie in kläglichen Trümmern umher. Natürlich wurde ein solches Wetter für ein Schreckzeichen genommen, und die Opferdeuter fanden die Sühne nöthig. Zugleich veranstaltete man eine Sühne wegen der Meldung, daß zu Reate ein dreibeiniges Maulthier zur Welt gekommen, zu Formiäet a Formiis]. – Ich folge hier Drakenborchs Vorschlage, theils in Rücksicht auf den Julius Obsequens, theils weil in den besten Msc. das a vor Formiis und das ac vor Caietae fehlen. Drakenb. lieset so: et Formiis aedem Iovis, item aedem Apollinis Caietae de c. t., daß also der Abschreiber aus dem ersten aedem in das zweite übergegangen sei. Auf diese Art (sagt Drak.) könnte schon in dem Exemplare, welches Julius Obsequens vor sich hatte, der Tempel Jupiters ausgelassen sein. Daß aber Formiä einen Jupiterstempel gehabt habe, zeigt Drak. aus XXXII, 1. [ Jupiters?] Tempel, zu Cajeta der des Apoll vom Blitze getroffen sei. Dieser Schreckzeichen wegen wurde ein Opfer mit zwanzig großen Thieren gebracht und ein Bettag gehalten. In diesen Tagen erfuhr man aus einem Schreiben des Proprätors Aulus Terentius, daß im jenseitigen Spanien Publius Sempronius, nachdem er über ein Jahr krank gelegen, gestorben sei. Um so viel früher mußten die Prätoren nach Spanien abgehen. Nun wurden die über Meer gekommenen Gesandschaften vor den Senat geführt. Die erstenPrima Eumenis]. – Ich lese mit Crevier so viel lieber Primae, weil sich das nächstfolgende Wort mit e anfängt. Prima stände hier freilich für primum, so wie auch primae; nur sehe ich nicht, wie der Singular prima auf alle drei bezogen werden könne. Eben so Cap. 20. im Anf. regum prim as, Eumenis et Ariarathis etc. – Die Sachen erläutert Drakenborch: Eumenes und Pharnaces (Großvater Mithridats des Großen) führten Krieg. Pharnaces hatte die freie Stadt Sinope (am Pontus) unterjocht. Ihre Bürger können also nicht selbst kommen; sondern ihre Klage führen ihre Verbündeten, die Rhodier, die ihnen schon gegen des Pharnaces Vater, Mithridates den IV., beigestanden hatten. waren die der Könige Eumenes und Pharnaces, 89 und die von den Rhodiern, welche über das Unglück der Stadt Sinope Klage führten. Um dieselbe Zeit kamen auch Gesandte von Philipp, von den Achäern und von den Lacedämoniern. Diese erhielten ihre Antwort erst, nachdem man zuvor den Marcius vernommen hatte, welcher hingeschickt gewesen war, sich über den Zustand der Dinge in Griechenland und Macedonien zu unterrichten. Asiens Könige und die Rhodier bekamen zur Antwort, der Senat werde zur Ansicht dieser Dinge Gesandte abgehen lassen.
3. Die Besorgniß wegen Philipp hatte Marcius noch vergrößert. Denn er gestand, der König habe das, was ihm vom Senate zugemuthet sei, so gethan, daß man deutlich gesehen habe, er werde es nicht länger thun, als es die Noth gebiete. Und es ließ sich nicht verkennen, daß er den Krieg erneuern werde: alle seine damaligen Handlungen und Äußerungen hatten darauf Bezug. Gleich zuerst versetzte er aus den Seestädten fast die ganze Bürgermenge mit ihren Familien in das jetzige Emathien – ehemals hieß es Päonien, – und gab die Städte Thraciern und andern Barbaren zu bewohnen, weil er sich von dieser Art Menschen einst im Kriege gegen Rom mehr Zuverlässigkeit versprach. Dies erregte in ganz Macedonien ein lautes Murren. Nur wenige hielten, wenn sie jetzt mit Weib und Kind ihre Hausgötter verließen, schweigend mit ihrem Schmerze an sich, und aus den Zügen der Wandernden ertönten, weil der Haß die Furcht überwog, Verwünschungen gegen den König. Ihm, hierüber innig empört, wurden nun alle Menschen, jede Gegend und Zeit verdächtig. Endlich ließ er sich ohne Rückhalt in die Erklärung aus: es gebe für ihn nirgend völlige Sicherheit, wenn er nicht die Söhne derer, die er 90 habe hinrichten lassen, einziehen und verwahren ließe, und den Einen dann, den Andern ein ander Mal, aus der Welt schaffte.
4. Diese Grausamkeit, schon an sich scheußlich genug, wurde durch das Unglück Einer Familie noch scheußlicher. Er hatte vor vielen Jahren einen der Thessalischen Großen, Herodicus, umbringen lassen. Nachher ermordete er auch dessen Schwiegersöhne. Die Töchter, nunmehr hinterlassene Witwen, hatten jede einen noch kleinen Sohn. Theoxena und Archo hießen diese Frauenzimmer. Theoxena schlug, bei mehreren Anträgen, eine zweite Ehe aus. Archo vermählte sich mit einem gewissen Poris, bei weitem dem angesehensten Manne seines Volks, der Äneaten. Ihm gebar sie mehrere Kinder, und hinterließ bei ihrem Tode sie alle noch sehr klein. Theoxena, um die Erziehung ihrer Schwestersöhne selbst zu leiten, gab sich dem Poris zur Frau, und gleich als hätte sie alle selbst geboren, widmete sie ihrem eigenen und ihrer Schwester Söhnen gleiche Sorgfalt. Als sie den königlichen Befehl vernahm, die Kinder der Hingerichteten sollten eingezogen werden, so verfiel sie über den Gedanken, sie künftig nicht bloß den Lüsten des Königs, sondern auch ihrer Hüter, preisgegeben zu wissen, auf einen schrecklichen Entwurf; und hatte den Muth, zu erklären: Ehe sie die Kinder in Philipps Gewalt kommen lasse, wolle sie lieber mit eigner Hand sie alle ermorden. Poris, der die Erwähnung einer so schrecklichen That schon um der Vorbedeutung willen abscheulich fand, versprach, sie nach Athen zu sichern Gastfreunden zu bringen und selbst mit ihnen die Flucht zu nehmen. Sie reisen von Thessalonich nach Änea zu einem festgesetzten Opfer, welches dem Erbauer Äneas jährlich mit großer Feierlichkeit gebracht wird. Nachdem sie den Tag bei dem festlichen Mahle hingebracht haben, besteigen sie, indeß Alles schläft, um die dritte Nachtwache das von Poris bereit gehaltene Schiff, als zur Rückfahrt nach Thessalonich; ihr Vorsatz aber ist, nach Euböa überzugehen. Allein nach vergeblichem Kampfe mit dem 91 widrigen Winde überrascht sie noch nahe an der Küste der Tag; und die königliche Besatzung des Hafens schickte eine bewaffnete Jacht ab, jenes Schiff ans Land zu ziehen, mit dem ernstlichsten Befehle, nicht ohne dasselbe zurückzukommen. Schon nahen diese: und Poris bietet Alles auf, seine Ruderer und Schiffer zu ermuntern, zuweilen fleht er mit zum Himmel erhobenen Händen zu den Göttern, hier zu helfen. Unterdessen rührt sie, auf ihre längst überdachte That zurückgebracht, voll muthigen Trotzes, Gift ein und holet Waffen, stellt den Becher mit den gezogenen Dolchen vor ihren Augen hin und spricht: «Tod ist die einzige Rettung. Hier habt ihr Wege zum Tode. Entfliehet, auf welchem jeder am liebsten will, der Tyrannei des Königs. Auf! meine Jünglinge, greift ihr zuerst, als die Ältesten, nach dem Stahle, oder zieht ihr den minder raschen Tod vor, so trinkt.» Von dort kamen die Feinde heran, hier wurde die Auffordrerinn zum Tode zugleich die Dringende. Der eine dieses, der andre jenes Todes Opfer, wurden sie noch halblebend über Bord geworfen. Dann stürzte sie sich, ihren Mann, ihren Begleiter im Tode, umarmend, ins Meer. So bekamen die königlichen Soldaten das Schiff, als seine Besitzer es geräumt hatten.
5. Das Schreckenvolle dieser That ließ den Haß gegen den König wie zur neuen Flamme auflodern, so daß man im Volk ihm und seinen Kindern fluchte: und bald machten ihn diese Flüche, von allen Göttern erhört, gegen sein eignes Kind zum Tyrannen. Denn da Perseus mit jedem Tage die Liebe und Achtung für seinen Bruder Demetrius bei dem Macedonischen Volke und eben so die Zuneigung der Römer für ihn zunehmen sah, so richtete er in der Voraussetzung, er könne sich die Hoffnung zum Throne nur durch eine Frevelthat offen erhalten, alle seine Gedanken auf diese. Weil er sich aber auch nicht einmal zur Ausführung seines mit weiblicher Leidenschaft ausgedachten Entwurfs die Kraft zutraute, so wurde es nun sein Geschäft, auf jeden von seines Vaters Vertrauten durch umwundene Äußerungen seinen Versuch zu 92 machen. Einige von ihnen, nach deren Erwartung Demetrius weit mehr versprach, gaben sich anfangs die Miene, als würden sie sich nie auf so etwas einlassen. Als sie aber bei Philipps von Tage zu Tage steigendem Hasse gegen die Römer, welchen Perseus nährte, Demetrius hingegen aus allen Kräften bestritt, den Ausgang des gegen die Ränke seines Bruders zu unbehutsamen Jünglings schon im Geiste voraussahen, so schlossen sie sich, klug genug, dahin mitzuwirken, wie es doch kommen mußte, und den Hoffnungen des Mächtigern zu schmeicheln, dem Perseus an. Was sie übrigens zu thun hätten, das Alles versparten sie bis zu seiner Zeit: für jetzt machten sie aus, sie wollten durch jede Einwirkung den König gegen die Römer erbittern und ihn in seinen Entwürfen zum Kriege bestärken, zu denen er ohnehin schon so geneigt sei. Um zugleich den Demetrius mit jedem Tage verdächtiger zu machen, leiteten sie nach einer Verabredung alle Gespräche auf Verachtung der Römer. Wenn in diesen der Eine über ihre Sitten und Einrichtungen, der Andre über ihre Thaten, ein Dritter über das schlechte Äußere ihrer Hauptstadt, die in der Schönheit der öffentlichen und Privatgebäude noch so weit zurück sei, ein Vierter über einzelne Große spottete; so machte der unbehutsame Jüngling, der aus Liebe für Alles, was Römer hieß und aus Rechthaberei gegen seinen Bruder, Alles in Schutz nahm, sich seinem Vater verdächtig und gab der Verläumdung Blöße. Folglich ließ ihn der Vater an den Berathschlagungen über die Verhältnisse mit Rom durchaus nicht theilnehmen, gab sich ganz dem Perseus hin und brütete über Entwürfen, die sich hierauf bezogen, mit diesem Tag und Nacht. Die Gesandten, welche er um diese Zeit zu den Bastarnen geschickt hatte, um Hülfsvölker zu holen, waren zurückgekommen und hatten von dort mehrere vornehme Jünglinge, einige sogar von königlicher Abkunft, mitgebracht. Einer von diesen versprach seine Schwester einem Prinzen Philipps zur Gemahlinn, und die Verbindung mit dieser Nation gab dem Könige neue Aussichten. Da sagte ihm Perseus: «Was hilft das Alles? Wir haben 93 von der Hülfe von außen bei weitem nicht so viel Schutz, als Gefahr von den Ränken im Innern. Einen Verräther – will ich nicht sagen, wenigstens einen Späher, nähren wir am Busen: ihn haben uns, seit er zu Rom Geisel war, dem Körper nach die Römer wiedergegeben; seine ganze Seele haben sie noch. Fast alle Macedonier richten ihre Augen auf ihn, und versprechen sich auf die Zukunft keinen andern König, als den ihnen die Römer gegeben habe.» Reden dieser Art ließen in dem schon wunden Herzen des Greises ihre Stacheln zurück, und gingen tiefer in sein Inneres, als seine Miene merken ließ.
6. Grade jetzt kam für das Heer die Zeit der Musterungsweihe, die in folgender Feierlichkeit besteht. Der Kopf und der Vordertheil eines in der Mitte von einander gehauenen Hundes werden auf die rechte, der Hintertheil mit den Eingeweiden auf die linke Seite des Weges gelegt. Zwischen diesen Stücken des Opferthiers zieht das Heer unter den Waffen vorüber. Dem vordersten Zuge werden die Prachtwaffen aller Macedonischen Könige, die seit der Gründung des Reichs regierten, vorangetragen, dann folgt der König selbst mit den Prinzen; ihm zunächst die königliche Cohorte und die Leibtrabanten; den letzten Zug schließt die Menge der übrigen Macedonier. Den König deckten auf beiden Seiten seine zwei erwachsenen Söhne, Perseus, schon im dreißigsten Jahre, Demetrius fünf Jahre jünger; jener in voller Jugendkraft, dieser in voller Jugendblüte; gereifte Stammhalter eines beglückten Vaters, wenn es um die Herzen richtig gestanden hätte. Es war Sitte, daß das Heer nach vollbrachtem Musterungsopfer seine Übung machte, und in zwei Abtheilungen, die einander als Linien angriffen, ein Treffen im Bilde gab. Anführer bei diesem Lustgefechte waren die Prinzen. Diesmal aber war es nicht bloßes Bild einer Schlacht, sondern der Angriff wurde so hitzig, als kämpften sie um den Thron: es gab mit den Fechtstäben Wunden über Wunden, und zu einer Schlacht in völliger Form fehlte nichts als der Stahl. Die Abtheilung, die 94 unter dem Demetrius stand, hatte bei weitem die Oberhand. Ärgerte dies gleich den Perseus, so waren doch seine weiter sehenden Freunde darüber froh, und sie versicherten ihn, gerade dies werde für ihn zu Beschuldigungen des Jünglings eine neue Quelle werden.
7. Ihren Jugendfreunden, welche die Übung mitgemacht hatten, gaben an diesem Tage beide Prinzen einen Schmaus; denn Perseus hatte die Einladung, bei dem Demetrius zu speisen, nicht angenommen. An einem so festlichen Tage, bei gastfreier Nöthigung, bei jugendlicher Heiterkeit, wurde im Weine an beiden Tafeln mehr gethan. Es fehlte nicht an Erwähnungen des Kampfspiels, nicht an witzigen Scherzen über die Gegenpartei, und selbst die Anführer wurden nicht geschont. Einer von des Perseus Gästen, als Horcher abgeschickt, solche Äußerungen aufzufangen, ist bei seinem Auf- und Abgehen nicht vorsichtig genug, läßt sich von einigen jugendlichen Gästen, die einmal aus dem Speisesale gehen, ertappen und wird übel zugerichtet. Demetrius, der nichts davon weiß, sagt: «Warum schwärmen wir nicht zu meinem Bruder hinüber, und besänftigen den Zorn, der ihm vom Kampfe noch geblieben sein könnte, durch unsre Offenheit und Heiterkeit?» Alle schrieen: «Wir gehen mit!» nur schwiegen die, welche für die dem Späher gegebenen Schläge auf der Stelle Vergeltung zu fürchten hatten. Da sie nun Demetrius dennoch mit fortzog, so steckten sie Dolche unter die Kleider, um sich im Falle eines Angriffs zu wehren. Bei Zwietracht in Familien kann nichts verborgen bleiben; und in beiden Häusern gab es Späher und Verräther genug. Ein Angeber läuft zum Perseus voraus und meldet, Demetrius komme mit vier Jünglingen, welche versteckte Waffen hätten. Leuchtete ihm gleich die Ursache ein – denn er hatte schon gehört, daß sie seinen Gast geschlagen hatten – so ließ er doch, um der Sache einen bösen Ruf zu geben, seine Thür verriegeln, und versagte vom oberen Stockwerke und aus den Fenstern nach der Straße herab, den Nachtschwärmern, als kämen sie, ihn zu morden, den Zutritt in sein Haus. 95 Demetrius, den der Wein ein Weilchen laut werden ließ, weil er sich so abgewiesen sah, ging, mit der ganzen Sache unbekannt, wieder zu seiner Gesellschaft.
8. Als Perseus am folgenden Tage, sobald er bei seinem Vater Zutritt haben konnte, in den Pallast gegangen war, stellte er sich mit verstörtem Blicke, schweigend und in einiger Ferne dem Vater vor die Augen. Auf des Vaters Frage, ob ihm etwas zugestoßen sei, und was diese Traurigkeit bedeute, antwortete er: «Du kannst von Glück sagen, daß ich noch lebe. Schon legt mir mein Bruder seine Fallen nicht mehr heimlich, In dieser Nacht kam er mit Bewaffneten, mich zu morden, vor mein Haus; und nur die verschlossenen Thorflügel und der Schutz der Wände retteten mich vor seiner Wuth.» Als er so den Vater in Bestürzung und Staunen gesetzt hatte, fuhr er fort: «Und doch will ich dich, wenn du dein Ohr dazu hergeben kannst, dahin bringen, daß die Sache erwiesen vor dir liegen soll.» «Allerdings will ich das hören,» sagte Philipp, befahl, sogleich den Demetrius zu rufen, und ließ zwei seiner älteren Günstlinge holen, die an den Streitigkeiten der Brüder ohne Theilnahme waren und nur hoch selten bei Hofe erschienen, den Lysimachus und Onomastus, die seine Beisitzer sein sollten. Bis die Räthe kamen, ging er allein, während der Sohn in einiger Ferne stand, unter mancherlei Überlegungen auf und ab. Als man sie meldete, begab er sich mit diesen zwei Vertrauten und eben so viel Trabanten in eins der innern Zimmer, und gab jedem Sohne die Erlaubniß, drei Unbewaffnete mit sich einzuführen. Als er sich hier gesetzt hatte, sprach er:
«Da sitze ich, der unglücklichste Vater, Richter zwischen meinen zwei Söhnen, dem Kläger auf Brudermord und dem Beklagten, um den Schandfleck entweder der erlogenen oder der verwirkten Beschuldigung auf den Meinigen haften zu sehen. Schon lange befürchtete ich diesen drohenden Sturm, wenn ich eure gegenseitigen gar nicht brüderlichen Blicke sah, wenn ich diese und jene Worte hörte. Doch zuweilen hoffte mein Herz, euer 96 Grimm sollte verlodern, euer gegenseitiger Argwohn sich aufklären. Hatten doch selbst Feinde mit Niederlegung der Waffen sich zu Bündnissen vertragen, und so viele Andre ihre Privatfeindschaft aufgegeben. So werde auch einst bei euch die Erinnerung an eure brüderliche Abstammung, an eure ehemalige kindliche Offenheit und Vertraulichkeit, ja selbst an meine Lehren erwachen, die ich – ich fürchte! – tauben Ohren gepredigt habe. Wie oft bezeigte ich, so daß ihr es hören mußtet, über Beispiele der Zwietracht unter Brüdern meinen Abscheu, erzählte euch die schauderhaften Folgen, durch welche sie sich und ihren Stamm, ihre Königsburg und ihr Reich zu Grunde richteten. Auf der andern Seite stellte ich euch auch erfreulichere Beispiele auf; die verträgliche Gemeinschaft in jedem Lacedämonischen Königspare, die viele Jahrhunderte lang ihnen und dem Vaterlande so heilsam war; den Untergang eben dieses States, sobald es Sitte wurde, daß Jeder die Alleinherrschaft an sich reißen wollte. Ferner, daß sich die Brüder Eumenes und Attalus, durch nichts so sehr, als durch ihre brüderliche Eintracht, von einem so kleinen Anfange, daß sie sich selbst des königlichen Titels beinahe schämten, zu einer Macht von gleichem Range mit mir und dem Antiochus, und jedem Könige unsres Zeitalters gehoben haben. Selbst Römische Beispiele ließ ich nicht unangeführt, mochte ich sie gesehen, oder von ihnen gehört haben; das der beiden Quinctier, Titus und Lucius, die ich im Kriege mir gegenüber hatte; das der beiden Scipione, Publius und Lucius, die den Antiochus besiegt haben; und ihres Vaters und Oheims, für deren im Leben ununterbrochene Eintracht selbst der Tod zum neuen Bande ward. Ihr habt euch eben so wenig durch den Frevel der Erstern und die ihrem Frevel entsprechenden Schicksale von eurer unsinnigen Zwietracht abschrecken lassen, als die guten Gesinnungen der Letzteren und ihr segensreicher Erfolg zu eurer Genesung gefruchtet haben. Ich lebe und athme noch, und ihr habt Beide schon, mit eben so strafbarer Hoffnung als 97 Gier, meine Erbschaft angetreten. Ihr wollt, daß ich so lange leben soll, bis ich, den einen von euch beiden überlebend, den andern durch meinen Tod zum unbezweifelten Könige mache. Ihr könnt so wenig Bruder, als Vater ertragen. Nichts ist euch theuer, nichts euch ehrwürdig: in die Stelle aller dieser Empfindungen tritt bei euch eine unersättliche Begierde nach dem Einzigen, dem Throne. Wohlan! entweihet eures Vaters Ohren zu Mitwissern um eure Frevel: bekämpft euch mit Beschuldigungen, ihr, die ihr euch bald mit dem Schwerte bekämpfen werdet! saget laut heraus, was ihr entweder mit Wahrheit sagen könnt, oder was euch zu erfinden beliebt. Mein Ohr ist euch aufgethan; aber allen gegenseitigen Beschuldigungen hinter des Andern Rücken wird es künftig geschlossen sein.» Als er so, wüthend vor Zorn, gesprochen hatte, kamen Allen die Thränen, und lange herrschte eine traurige Stille.
9. Darauf sprach Perseus: «Allerdings mußte ich in der Nacht meine Thür öffnen, mußte die bewaffneten Schwärmer einlassen und meinen Hals ihrem Mordstahle darbieten; weil man freilich hier eine Frevelthat nicht eher glaublich findet, bis sie vollbracht ist; und weil ich, dessen Leben es galt, mit dem Straßenräuber und Auflaurer einerlei anzuhören bekomme. Nicht umsonst sagen jene Elenden, du habest im Demetrius deinen einzigen Sohn, und nennen mich den Untergeschobenen, den Jungfernsohn. Denn wenn ich bei dir Rang und Werth eines Sohnes hätte, so würdest du nicht gegen mich toben, wenn ich dir klage, einen Anschlag auf mein Leben entdeckt zu haben, sondern gegen den, der ihn gemacht hatte; und mein Leben würde nicht bei dir in so geringem Preise stehen, daß du bei der Gefahr, der ich entging, die mir aber, wenn die Meuchler ungestraft bleiben, noch bevorsteht, der Gleichgültige bleiben könntest. Wenn ich also den Tod leiden soll, ohne zu mucksen, so will ich schweigen und nur noch die Götter bitten, daß der eingeleitete Frevel bei mir sein Ende finden möge und der Stoß durch meine Brust nicht 98 auf dich gehe. Wenn aber auch ich, so wie dem überfallenen Einzelnen die Natur selbst es eingiebt, Menschen, die er nie vorher gesehen hatte, dennoch um Hülfe anzurufen; wenn ich eben so bei dem Anblicke des auf mich gezückten Dolchs meine Stimme erheben darf; so bitte ich dich um dein selbst, um deines Vaternamens willen – du fühltest es längst, wem von uns beiden er heiliger sei – höre mich jetzt so, als wärest du, von meiner Stimme, von meiner nächtlichen Wehklage geweckt, auf mein Hülferufen dazugekommen, und fändest den Demetrius mit seinen Bewaffneten in tiefer Nacht auf meinem Vorplatze über der That. Was ich dir da im Augenblicke der Gefahr, als der Bestürzte entgegenschreien würde, das klage ich dir jetzt, den Tag nachher.»
«Bruder, wir leben unter uns schon lange nicht mehr auf den Fuß nachtschwärmender Zecher. Du willst durchaus regieren. Entgegen steht dieser deiner Hoffnung mein Alter, entgegen steht ihr das Völkerrecht entgegen Macedoniens alte Sitte, entgegen endlich selbst des Vaters Ausspruch. Über das Alles hinaus kannst du nicht anders, als durch mein Blut. Du bietest Alles auf, du versuchst Alles. Bis jetzt hat entweder meine Vorsicht oder mein Glück deinem Brudermorde gewehret. Am gestrigen Tage, bei der Musterungsweihe, bei Entwickelungen zur Übung, bei einer zum Spiele nachgebildeten Schlacht, machtest du das Gefecht beinahe zum Leichenzuge, und ich rettete mich nur dadurch vom Tode, daß ich mich und meine Leute besiegen ließ. Nach diesem feindlichen Treffen wolltest du mich, als wäre dies ein brüderliches Spiel gewesen, an deine Tafel locken. Glaubst du, Vater, daß ich dort unter unbewaffneten Gästen würde zu Tische gesessen haben, da sie mit ihren Waffen zu mir herüber geschwärmt sind? Glaubst du, daß ich bei Nacht nichts von ihren Dolchen zu fürchten gehabt hätte, da sie mich vor deinen Augen beinahe mit Fechtstäben mordeten? Warum kamest du, zu dieser Nachtzeit? warum als Feind zu dem 99 Zürnenden? warum mit heimlich bewaffneten Jünglingen? Ich hatte es nicht gewagt, mich dir als Gast anzuvertrauen, und sollte dich aufnehmen, wenn du schwärmend mit Gewaffneten kamest? Stand meine Thür offen, Vater, so dachtest du in diesem Augenblicke, da du meine Klage hörst, auf meine Beerdigung. Ich lasse mich nicht darauf ein, im Tone des Anklägers die Sache zu verschlimmern oder ungewisse Beschuldigungen durch Folgerungen aufzustellen. Denn wozu? Leugnet er etwa, daß er mit einem Schwarme vor meine Thür gekommen sei? daß er heimlich Bewaffnete bei sich gehabt habe? Laß sie rufen, so wie ich sie dir nennen werde. Leute, die sich hierzu erfrechen konnten, können zwar Alles wagen; aber dies zu leugnen unterstehen sie sich nicht. Brächte ich sie, als innerhalb meiner Schwelle Ergriffene, mit ihren Dolchen vor dich, so nähmest du die Sache für erwiesen: so sieh sie doch, da sie Alles eingestehen, als Ergriffne an.»
10. «Verfluche nun die Herrschsucht, und ruf die Rachgöttinnen des Bruderhasses auf. Allein damit deine Flüche, Vater, nicht blindlings treffen, so unterscheide und sondere den Laurer von dem Belauerten. Belege mit ihnennexium huic esse caput]. – Ich folge dem von Crevier ergänzten Vorschlage des Rubenius, und lese noxium his incesse caput. Die falsche Lesart, huic esse, entstand aus hiſīceſſe. Wenn der Kopf des ſ mit dem Striche über dem i erloschen oder nur durch einen Fleck verdeckt war, so war die Lesart huic esse gemacht. Selbst die Zahl der Buchstabenstriche trifft zu. Es läßt sich ohnehin wünschen, da bei incessere, in dieser Bedeutung, gewöhnlich ein Ablativ steht (lapidibus, maledictis, diris etc. etc.), daß er hier nicht fehle. Und Crevier sagt bei Drak. ausdrücklich, er setze dies his hinzu, 1) ut sensus clarior fiat; 2) ut verba propius ad veteris scripturae vestigia accedant. Drakenb. will dem Rubenius, welcher (ohne his) bloß incesse vorschlug, darum lieber folgen, weil dies der Lesart zweier Msc., hinc esse, so nahe komme. Aber auch selbst in diesen beweiset ja das h, das er nun ganz herauswerfen muß, daß his dagestanden habe. das Haupt des Schuldigen. Wer seinen Bruder morden wollte, dem bleibe der Zorn der väterlichen Götter: Wer durch das Bubenstück des Bruders fallen sollte, dem bleibe in des Vaters Erbarmung und Gerechtigkeit eine Zuflucht. Denn wohin sonst soll ich 100 flieheu, ich, dem die Opferfeier bei deiner Heeresmusterung, dem die Übungen deiner Truppen, sein eignes Haus, sein Gastmahl, dem selbst die Nacht, die durch die Wohlthat der Natur den Sterblichen zur Ruhe beschieden ist, keine Sicherheit gewähren? Gehe ich auf seine Einladung zu meinem Bruder hin, so muß ich sterben: lasse ich meinen Bruder als herübergekommenen Trinkbesuch in meine Thür, so muß ich sterben. Ich mag gehen oder bleiben, ich entwinde mich der Schlinge nie. Wohin soll ich mich wenden? Ich habe mich an niemand gehalten, als an die Götter und an dich, Vater. Ich habe keine Römer, zu denen ich fliehen könnte. Mein Tod käme ihnen erwünscht, weil es mir wehe thut, wenn sie dich kränken; weil ich mich ärgere, daß sie dir so viele Städte, so viele Völker nahmen, und so eben noch die ganze Küste Thraciens. So lange ich und du leben, das sehen sie voraus, gehört Macedonien nicht ihnen. Nimmt aber mich meines Bruders Bubenstück, dich das Alter hinweg, oder wird auch dies nicht einmal abgewartet, dann wissen sie, sind der König und das Reich von Macedonien ihr Eigenthum. Hätten dir die Römer irgend etwas außerhalb Macedonien gelassen, so wollte ich glauben, dies sei auch mir als Zufluchtsort gelassen. Du hast ja, ruft man mir zu, Schutz genug an den Macedoniern. Gestern hast du den Angriff der Truppen auf mich gesehen. Was fehlte diesen, als das Schwert? Und was diesen bei Tage fehlte, nahmen sich meines Bruders Gäste bei Nacht. Und was soll ich von so vielen der Großen sagen, welche die ganze Hoffnung ihres Ansehens und Glücks auf die Römer gesetzt haben, und auf ihn, der bei den Römern Alles vermag? und ihn nicht bloß mir, dem älteren Bruder vorziehen, sondern beinahe selbst dir, seinem Könige und Vater? Denn er ist es ja, dem du die Wohlthat der vom Senate erlassenen Strafe zu verdanken hast, unter dessen Schutze du jetzt von den Römern unangegriffen bleibst, nach dessen Meinung dein Alter seiner Jugend verpflichtet und unterwürfig sein 101 muß. Für ihn stehen die Römer, für ihn alle von deiner Oberherrschaft befreieten Städte, für ihn die Macedonier, die sich den Frieden mit Rom gefallen lassen. Wo aber giebt es für mich außer bei dir, Vater, irgend eine Aussicht oder Schutz?»
11. «Was meinst du, Vater, was bezwecket Titus Quinctius jetzt mit seinem Briefe an dich, wenn er dich versichert, du habest darin deinen Vortheil gekannt, daß du nach Rom den Demetrius schicktest, und dich zugleich auffordert, ihn wieder hinzuschicken, an der Spitze einer zahlreicheren Gesandschaft, und zwar der vornehmsten Macedonier? Titus Quinctius ist jetzt für ihn der Angeber seines ganzen Verhaltens und sein Lehrmeister. Ihn hat er sich, nachdem er sich von dir losgesagt, an deine Stelle gesetzt: dort sind alle die geheimen Anschläge vorher ausgebrütet. Jetzt sucht man für diese Plane auch Helfershelfer, wenn man dich mehrere in seiner Begleitung und die ersten Macedonier senden heißt. Gehen sie von hier unbefangen und unverführt nach Rom, des festen Glaubens, Philipp sei ihr König; so kommen sie als die Eingeweiheten und von Römischen Lockungen Angesteckten zurück. Demetrius allein ist ihr Alles: schon jetzt nennen sie ihn, bei des Vaters Lebzeiten, König! Und wenn ich nun darüber unwillig werde, gleich geben mir nicht allein Andre, sondern selbst du, den Vorwurf anzuhören, daß ich nach dem Throne trachte. Ich aber für mein Theil, wenn der Vorwurf einen von uns beiden treffen soll, kann mich nicht dazu bekennen. Denn wen verdrängte ich denn aus seinem Platze, um selbst an seinen Platz zu treten? Vor mir habe ich den Vater ganz allein; und daß er es noch lange sein möge, darum bitte ich die Götter. Überlebe ich ihn – und dies wünsche ich mir nur, wenn ichs verdienen werde, daß er selbst es mir wünscht – so will ich, wenn ich sie aus Vaterhand erhalte, die Erbschaft des Reiches annehmen. Der aber gieret nach dem Throne, und gieret als Bösewicht nach ihm, wer über die Folgereihe des Alters, der Natur, der 102 Macedonischen Sitte, des Völkerrechts nicht geschwind genug sich wegsetzen kann.» ««Mein älterer Bruder ist mir im Wege, dem der Thron von Rechts wegen, auch nach des Vaters Willen, gebührt. Weg mit ihm! ich werde nicht der Erste sein, der durch Brudermord zum Throne hinansteigt. Der alte Vater, in seiner kinderlosen Einsamkeit, wird um sich selbst zu sehr besorgt sein, als daß er den Mord des Sohnes rächen könnte. Meine Römer werden jubeln, meine That genehmigen, werden sie rechtfertigen.»» «Diese Hoffnungen, Vater, sind noch nicht fest gegründet, aber auch nicht ohne Grund. Denn die Sache steht so: Vor der Lebensgefahr kannst du mich sichern, wenn du diejenigen bestrafst, die um mich zu morden, das Schwert zu sich steckten: gelingt es aber ihrem Frevel, dann wirst du für deine Person meines Todes Rächer nicht sein können.»
12. Als Perseus aufgehört hatte zu reden, richteten die Anwesenden ihre Augen auf den Demetrius, in der Erwartung, daß er sogleich antworten werde. Es erfolgte aber eine lange Stille, und sie sahen Alle, daß der in Thränen Schwimmende nicht reden konnte. Endlich, als sie ihn aufforderten, zu sprechen, besiegte die Nothwendigkeit den Schmerz, und er begann so:
«Vater, mit allem dem, was bis jetzt Beklagten zu statten kommen konnte, hat sich schon mein Ankläger in den Vortheil gesetzt. Durch falsche Thränen, zum Verderben seines Nächsten geweint, hat er dir meine ungeheuchelten verdächtig gemacht. Während er selbst, seit meiner Rückkunft von Rom, Tag und Nacht in geheimen Unterredungen mit seinen Helfern mir Schlingen legt, hängt er noch oben ein mir selbst die Larve des Laurers, ja die des offenbaren Straßenräubers und Meuchelmörders vor. Mit seiner Gefahr setzt er dich in Schrecken, um eben durch dich seinem unschuldigen Bruder den Untergang zu beschleunigen. Für ihn, sagt er, sei in der ganzen Welt keine Zuflucht mehr, damit nur mir, auch nicht einmal bei dir die mindeste Hoffnung übrig bleiben soll. Dem Umstellten, einsam 103 Dastehenden, Hülflosen legt er noch die Liebe im Auslande zur Last, die ohnehin für mich von größerem Nachtheile, als Nutzen, ist. Wie ganz im Geiste des Anklägers weiß er in die Beschuldigung von dieser Nacht jede andre Verunglimpfung meines Wandels einzuflechten, um mich zugleich durch den ganzen übrigen Gang meines Lebens, dieses Vorwurfs, dessen wahre Beschaffenheit du gleich erfahren sollst, verdächtig zu machen, und jene nichtige Verläumdung meiner Aussichten, meiner Wünsche und Anschläge durch dies ersonnene und verabredete Nachtstück zu stützen. Auch sucht er dadurch der Anklage den Schein zu geben, als sei sie Wirkung des Augenblicks und ohne alle Vorbereitung, insofern sie erst durch seine Angst in dieser Nacht und durch den unvorhergesehenen Lärm veranlasset sei. War ich aber meines Vaters und seines Reichs Verräther, hatte ich mit den Römern und andern Feinden meines Vaters mich auf Entwürfe eingelassen, dann, Perseus, mußtest du nicht erst das Mährchen dieser Nacht abwarten, sondern meines Verrathes mich früher zeihen: auch mußtest du jene Anklage, wenn sie nicht etwasi illa separata ab hac vana]. – Ich sehe, daß mehrere Erklärer und Übersetzer das Wort vana, meiner Meinung nach sehr unrichtig, als Ablativ zu ab hac ziehen. Ich kann der Stelle den hier erforderlichen Sinn nicht anders abgewinnen, als wenn ich, nach Drakenb. Vorschlage, annehme, daß wegen des unmittelbar vorhergehenden m von accusatu m die Silbe ni von nisi illa separata für dies m angesehen und so ausgefallen sei. Dann ist, meiner Meinung nach, der schon von Drakenb. nur kürzer angedeutete Zusammenhang dieser: eam quoque accusationem (proditionis a me paratae) hodie aut a te praetermitti oportuit, aut in aliud tempus differri, ut hodie id solum ac potissimum perspiceretur, utrum ego tibi, an tu mihi – – insidias fecisses; nisi metuebas fore, ut illa (proditionis accusatio), separata ab hac (nocturni impetus accusatione), vana fieret, hac ipsa separatione evanesceret, et magis invidiam tuam adversus me, quam crimen meum (proditionis, mihi intentatum) indicaret., getrennt von dieser, unhaltbar wurde, und mehr deinen Haß gegen mich, als den mir gemachten Vorwurf darthat, heute entweder ungerügt lassen, oder bis auf eine andre Zeit verschieben, damit es klar werden konnte, ob ich dir, oder du mir, freilich aus einem seiner Art nach unerhörten und einzigen Hasse, nach dem Leben gestanden 104 habest. Ich aber werde, so viel ich bei diesem plötzlichen Gemüthssturme kann, was du vermengt hast, von einander sondern, und den von dir, oder von mir, in dieser Nacht versuchten Meuchelmord aufdecken.»
«Es soll so scheinen, als hätte ich den Plan gehabt, ihn umzubringen, in der Absicht nämlich; wenn ich den älteren Bruder aus dem Wege geräumt hätte, welchen nach dem Völkerrechte, nach Macedonischer Sitte, ja, wie er sagt, auch nach deinem Willen, der Thron werden soll, daß ich, der jüngere, dann in seine, des Gemordeten, Stelle rückte. Was soll denn nun der andere Punkt seiner Angabe, nach welchem ich mich an die Römer gehalten und mir im Vertrauen auf sie Hoffnung zum Throne gemacht haben soll? Denn wenn ich den Römern so viel Gewicht zutraute, daß sie, wen sie wollten, zum Könige über Macedonien setzen könnten, und mich auf meine Liebe bei ihnen so sehr verließ, wozu bedurfte es dann eines Brudermordes? Etwa dazu, die Königsbinde befleckt mit Bruderblut zu tragen? selbst ihnen, bei denen ich mir entweder durch wahre, oder wenigstens durch geheuchelte Rechtschaffenheit Liebe erwarb, wenn ich mir anders einige erworben habe, der Fluchwürdige und Verabscheuete zu sein? wenn du nicht etwa glaubst, eben der Titus Quinctius, dessen mannhafte Anschläge mich ja jetzt leiten sollen, habe mir bei der zärtlichen Liebe, worin er mit seinem Bruder lebt, zum Brudermorde gerathen. – Derselbe Ankläger, der nicht allein meine Liebe bei den Römern, sondern auch die Urtheile der Macedonier, und, ich möchte sagen, die Beistimmung des Himmels und der Erde als lauter Gründe zusammenstellt, nach welchen er glauben müsse, einst im Kampfe mit mir zu unterliegen; eben der beschuldigt mich, ich hätte, gleich als stände ich in jeder andern Rücksicht ihm nach, meine letzte Zuflucht zum Entwurfe eines Frevels genommen. Willst du bei der Untersuchung uns dies zur Richtschnur annehmen lassen, daß demjenigen von uns beiden, welcher fürchten konnte, der andre möge des Thrones 105 würdiger erscheinen, der Anschlag des Brudermordes zugesprochen werde?«
13. «Doch laßt uns einmal die Beschuldigung, so elend sie zusammengefunden sein mag, in ihrem Gange verfolgen. Er giebt mir Schuld, ihm auf mancherlei Art nachgestellt zu haben; und alle die Einleitungen zum Meuchelmorde stellt er auf Einen Tag zusammen. Ich habe ihn bei Tage ermorden wollen, nach dem Entsündigungsopfer, als wir den Angriff thaten, und – ist es vor Gott erhört? – selbst am Tage der Entsündigungen: ich habe ihn, als ich ihn zur Tafel lud, – vermuthlich mit Gift – hinrichten wollen: ich habe ihn, als in meiner Begleitung Bewaffnete zu ihm hinüberschwärmten, niedermachen wollen. Du siehst, welche Zeiten zum Brudermorde gewählt wurden; die des Lustgefechtes, des Schmauses, des Trinkschwärmens. Und nun? was für ein Tag? Der, an welchem das Heer die Musterungsweihe feierte, an welchem zwischen dem zertheilten Opferthiere, unter Vortragung der königlichen Waffen von allen Macedonischen Königen, die es jemals gegeben hat, wir beiden allein, indem wir dir, Vater, die Seite deckten, voranritten und der Zug der Macedonier folgte. An diesem Tage also, an dem ich, wenn ich vorher etwas Sühnungswerthes begangen hätte, doch jetzt der Gereinigte und Entsündigte war, beschäftigte ich gerade jetzt, als ich das Opfer auf beiden Seiten unsres Ganges vor Augen hatte, meine Gedanken mit einem Brudermorde, mit Gift und Dolchen, die ich für die Nachtschwärmerei bereit halten wollte; um mein von lauter Frevel beflecktes Herz – mit was für Opfern denn nun noch? – entsündigen zu lassen. Doch von Verläumdungssucht geblendet, stößt er, indem er Alles verdächtig machen will, das Eine durch das Andre um. Denn war ich Willens, dich beim Essen zu vergiften, was vertrug sich dann hiermit weniger, als durch einen hartnäckigen Angriff im Wettgefechte dich aufzubringen, so daß du aus gegründeten Ursachen, was du ohnehin gethan hast, die Einladung zum Essen ausschlagen 106 konntest? Und wenn du sie nun aus Verdruß ausgeschlagen hattest, mußte ich nicht dann mir Mühe geben, dich zu besänftigen, um mir, weil ich doch einmal mein Gift in Bereitschaft hatte, eine andre Gelegenheit zu verschaffen; oder mußte ich von diesem Plane auf den neuen gleichsam hinüberspringen, dich durch Dolche, und zwar noch an diesem Tage, unter dem Schutze einen Nachtschwärmerei zu morden? Und wie war es mir nun möglich, wenn ich einmal glaubte, du habest aus Furcht vor Lebensgefahr meine Tafel gemieden, dennoch nicht zu glauben, daß du aus gleicher Besorgniß auch dem Besuche der Trinkgesellschaft ausweichen werdest?»