Titus Livius
Römische Geschichte
Titus Livius

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20. Hier hatten sie einen neuen, fürchterlichen Anblick, weil [die Arverner?]quod armati]. – Der Name eines besondern Gallischen Volks ist hier weggefallen; das sieht man aus den nachher folgenden Worten: Eadem ferme in ceteris Galliae conciliis dicta auditaque. Aber welches? Gronov, der Vater, zeigt aus XXVII. 39, daß die Arverner das erste Gallische Volk waren, zu welchem man über die Pyrenäen aus Spanien gelangte. Deswegen will er das Cap. so anfangen: In Arvernis nova terribilisque species u. s. w. Ich benutze seine Weisung, stelle aber das Wort Arveni vor armati, weil ich mir dann eher erklären kann, warum es die Abschreiber wegfallen ließen, und lese so: In his nova terribilisque species visa est, quod Arverni armati (ita mos gentis – i. e. omnium Gallorum – erat) in concilium venerunt.in der Versammlung des Volks – so war es bei der Nation Sitte – bewaffnet erschienen. Als die Gesandten nach einer Schilderung, in der sie den Ruhm und die Tapferkeit des Römischen Volks und die Größe seiner Herrschaft priesen, ihre Bitte vortrugen, die Gallier möchten dem Hannibal zu seinem 435 Angriffe auf Italien den Durchzug durch ihre Länder und Städte nicht gestatten; so soll ein so lautes Getöse und Gelächter entstanden sein, daß kaum die Obrigkeiten und Greise die Jüngeren zum Schweigen bringen konnten. So albern und unverschämt fanden es die Gallier, daß man ihnen zumuthe, sie sollten, um den Krieg nicht durchziehen zu lassen, ihn auf sich selbst ableiten, und ihr eignes Land einem Fremden zum Besten der Verheerung preisgeben. Als endlich das Getöse gestillet war, gaben sie den Gesandten die Antwort: «Weder die Römer hätten sich um sie so verdient gemacht, noch die Carthager an ihnen so schlecht gehandelt, daß sie entweder für die Römer, oder gegen die Carthager zu den Waffen greifen möchten. Im Gegentheile müßten sie hören, daß Völker ihres Stammes von den Römern aus Italiens Gebiete und Gränzen vertrieben würden, daß sie Tribut zahlten und andre Unwürdigkeiteu zu leiden hätten.» Die Anträge der Gesandten und die Antworten darauf waren in den übrigen Versammlungen Galliens fast dieselben: und die Sprache der gastlichen und wohlmeinenden Aufnahme hörten sie nicht eher, als bis sie nach Massilia kamen. Hier wurden sie nach den mit treuer Sorgfalt angestellten Erkundigungen dieser Bundesgenossen von Allem unterrichtet; «Daß Hannibal in der Bewerbung um die Freundschaft der Gallier ihnen schon früh zuvorgekommen sei; daß aber diese Nation bei ihrer Wildheit und Rohheit auch gegen ihn nicht so ganz gefällig sein werde, wenn er nicht von Zeit zu Zeit das Wohlwollen der Oberhäupter durch Gold gewönne,» auf welches die Nation außerordentlich erpicht ist. So trafen die Gesandten, nachdem sie die Völkerschaften Spaniens und Galliens bereiset hatten, zu Rom nicht lange nachher ein, als die Consuln zu den Heeren abgegangen waren. Hier fanden sie die ganze Stadt bei der Aussicht auf den Krieg in Regung: denn das Gerücht, daß die Punier schon über den Ebro gegangen waren, wurde allgemein bestätigt.

21. Hannibal war nach der Eroberung Sagunts in die Winterquartiere nach Neu-Carthago gegangen. Und 436 hier, wo er die Verhandlungen und Beschlüsse von Rom und Carthago erfuhr, und daß er nicht bloß als der Feldherr, sondern auch als der Urheber dieses Krieges angesehen werde, ließ er, nach Austheilung und Verkaufung der noch übrigen Beute, die gebornen Spanier seines Heeres zusammenrufen, weil er nun nicht länger säumen wollte. «Ich glaube,» sprach er, «es werde euch, Bundesgenossen, ebenfalls einleuchten, daß wir, nach Beruhigung der sämtlichen Völkerschaften Spaniens, entweder unsern Kriegsdienst aufgeben und die Heere entlassen, oder den Kriegesschauplatz in andre Länder verlegen müssen: denn nur dann werden sich diese Nationen nicht bloß der Segnungen des Friedens, sondern auch der des Sieges zu erfreuen haben, wenn wir auf Beute und Ruhm bei andern Völkern ausgehen. Da uns also ein Dienst fern von der Heimat bevorsteht, und es ungewiß ist, wann ihr eure Häuser und was ein Jeder dort Liebes hat, wiedersehen werdet; so gebe ich Jedem von euch, der die Seinigen besuchen will, hiemit Urlaub. Mit dem Eintritte des Frühlings – dies ist mein Befehl – findet euch wieder ein, um unter dem Beistande der Götter einen Krieg zu beginnen, der uns mit Ruhm und Beute überhäufen wird.»

So ziemlich Allen war die ungesuchte Vergünstigung, ihre Heimat besuchen zu dürfen, sehr willkommen, weil sie theils schon nach den Ihrigen sich sehnten, theils auf die Zukunft eine längere Entbehrung voraussahen. Diese während des ganzen Winters zwischen den schon überstandenen und demnächst zu überstehenden Beschwerden genossene Ruhe gab ihnen neue Körperkraft und Muth, Alles wieder von vorn an zu bestehen. Mit dem Anfange des Frühjahrs stellten sie sich seinem Befehle.

Als Hannibal die Hülfstruppen der sämtlichen Völker gemustert hatte, reiste er nach Gades, bezahlte dem Hercules seine Gelübde, und machte sich, wenn ihm seine Unternehmungen ferner gelängen, zu neuen verbindlich. Und nun beschloß er, zufolge seiner auf Angriff und Sicherstellung zugleich vertheilten Maßregeln, damit nicht die Römer von Sicilien aus, während er zu Lande durch 437 Spanien und Gallien gegen Italien heranzöge, Africa wehrlos und offen finden möchten, letzteres durch ein starkes Truppenkohr zu sichern. Zum Ersatze ließ er sich aus Africa eine Verstärkung größtentheils von leichtbewaffneten Wurfschützen geben, so daß in Spanien Africaner, in Africa Spanier Kriegsdienste thaten, beide in der Ferne von Hause bessere Soldaten werden und sich einander gleichsam durch wechselseitige Unterpfänder Bürgschaft stellen mußten. Dreizehntausend achthundert und fünfzig Mann Fußvolk mit kleinen Spanischen Schilden schickte er nach Africa, Balearische Schleuderer achthundert und siebzig, und an Reuterei, aus mehreren Völkern gemischt, tausend zweihundert. Diese Truppen bestimmte er theils zur Besatzung von Carthago, theils zur Vertheidigung in Africa. Auch mußten viertausend der auserlesensten Jünglinge, die er durch seine Werber in den Staten ausheben ließ, als Besatzung zugleich und als Geisel, nach Carthago gebracht werden.

22. Um aber auch Spanien nicht außer Acht zu lassen, – und gerade dies(atque ideo haud minus, quod haud ignarus]. – Das erste haud, welches Gronov und Crevier geradezu wegstreichen wollen, weil es dem Sinne durchaus zuwider ist, und Drakenborch, ob es gleich auch ihm misfällt, der Handschriften wegen, welche Dukers Verteidigung unterstützt, nicht ganz auszumerzen wagt, ließe sich vielleicht zur Hälfte beibehalten, wenn man annähme, daß es ursprünglich hanc geheißen habe. um so viel weniger, weil ihm nicht unbekannt war, daß eine Römische Gesandschaft mit Anträgen an die Großen es bereiset habe – bestimmte er dies seinem Bruder Hasdrubal, einem Manne von Thätigkeit, zu seiner Provinz, und versah ihn mit einem Heere größtentheils Africanischer Truppen, mit einem Fußvolke von elftausend achthundert und fünfzig Africanern, dreihundert Liguriern, fünfhundert Balearen. Außer dieser Macht zu Fuß gab er ihm an Reuterei dreihundert Libyphönicier, ihrer Abkunft nach halb Punier, halb Africaner; an tausend achthundert Numider und Mauren, Anwohner des Oceans; und eine kleine Schar Ilergeten aus Spanien, zweihundert Reuter; und um es ihm an keinem Erfordernisse einer Landmacht fehlen zu lassen, vierzehn 438 Elephanten. Ferner gab er ihm eine Flotte zum Schutze der Seeküste – denn es ließ sich vermuthen, daß sich die Römer auch jetzt wieder auf diesen Zweig der Kriegsführung einlassen würden, der ihnen vorhin den Sieg verschafft hatte – fünfzig Fünfruderer, zwei Vierruderer und fünf Dreiruderer: allein segelfertig und bemannet waren nur zweiunddreißig Fünfruderer und die fünf Dreiruderer.

Von Gades kehrte er nach Neu-Carthago in das Winterlager seines Heeres zurück, und nach seinem Aufbruche von hier rückte er bei der Stadt Etovissa vorbei gegen den Ebro und die Seeküste. Hier, heißt es, sah er im Traume einen Jüngling von göttlicher Gestalt, der ihm sagte, Jupiter schicke ihn dem Hannibal zum Wegweiser nach Italien, Er möge also folgen und seine Augen nach keiner Seite von ihm abwenden. Anfangs sei er schüchtern, ohne seitwärts oder hinter sich zu blicken, ihm nachgegangen; dann aber habe er, vermöge der menschlichen Neugierde, darüber unruhig, was da sein möge, wonach er sich nicht umsehen solle, die Augen nicht länger in seiner Gewalt gehabt. Da habe er denn einen Drachen von erstaunlicher Größe gesehen, der über niedergebrochene Bäume und Gebüsche ihm nachstürzte, und im Hintergrunde eine Wetterwolke, die am krachenden Himmel heraufzog. Auf seine Frage, was die Riesenschlange und das ganze furchtbare Bild bedeute, habe er die Antwort bekommen: «Das sei die Verheerung Italiens: er möge weiter gehen, nicht nach Mehrerem fragen und die Zukunft in ihrem Dunkel ruhen lassen.»

23. Des Traumes froh, setzte er sein Heer in drei Abtheilungen über den Ebro, nachdem er Einige voraufgeschickt hatte, die ihm für seinen Durchzug die Gallier jener Gegenden durch Geschenke gewinnen und die Wege über die Alpen erspähen sollten. Es waren neunzigtausend Mann zu Fuß und zwölftausend zu Pferde, die er über den Ebro führte. Darauf unterwarf er sich die Ilergeten, Bargusier, Ausetaner und Lacetanien, welches am Fuße der Pyrenäen liegt, und setzte den Hanno über diese ganze Gegend, um den Paß, durch welchen Spanien mit 439 Gallien zusammenhängt, in seiner Gewalt zu haben. Zur Behauptung dieser Länder ließ er dem Hanno zehntausend Mann zu Fuß und tausend zu Pferde.

Als das Heer den Zug über die Pyrenäischen Gebirge begann, und unter seinen fremden Truppen das Gerücht von einem Römischen Kriege sich mit einiger Gewißheit verbreitete, wandten sich dreitausend Mann Carpetanisches Fußvolks hinter ihm ab. Man erfuhr, daß nicht sowohl der Krieg selbst sie geschreckt habe, als der weite Weg und die Unmöglichkeit, die Alpen zu übersteigen. Hannibal, der aus Besorgniß, auch den Trotz der Übrigen zu wecken, es zu gewagt fand, jene umzurufen oder mit Gewalt festzuhalten, schickte noch über siebentausend Mann, denen er eine gleiche Unlust zum Dienste angemerkt hatte, nach ihrer Heimat zurück und gab sich den Schein, auch die Carpetaner entlassen zu haben.

24. Nun zog er mit den übrigen Truppen, um sie nicht durch Aufenthalt und Unthätigkeit schwierig werden zu lassen, über die Pyrenäen, und lagerte sich bei der Stadt Illiberi. Die Gallier hörten zwar, daß der Krieg Italien gelte; und dennoch sammelten sich auf das Gerücht, daß man die Spanier jenseit der Pyrenäen zur Unterwerfung gezwungen und mit starken Besatzungen belegt habe, mehrere Völkerschaften, die aus Furcht vor der Sklaverei zu den Waffen herbeistürzten, zu Ruscino. Als dies dem Hannibal gemeldet wurde, ließ er, mehr den Aufenthalt, als ihre Kriege fürchtend, ihren Fürsten sagen: «Er wünsche sich persönlich mit ihnen zu unterreden, entweder möchten sie naher an Illiberi kommen, oder er wolle nach Ruscino vorrücken, um die Zusammenkunft durch die Nähe zu erleichtern: er werde sie mit Freuden in sein Lager aufnehmen und eben so ohne Bedenken sich bei ihnen einfinden; denn er sei nach Gallien als Gastfreund, nicht als Feind gekommen. Auch werde er, wenn es die Gallier geschehen ließen, sein Schwert nicht eher ziehen, bis er in Italien angelangt sei.» So weit die Bestellung durch die Abgeordneten. Als sich nun die Fürsten der Gallier, nach sogleich 440 veranstaltetem Aufbruche bis Illiberi, ohne Anstand bei dem Hannibal eingefunden hatten, wurden sie durch Geschenke gewonnen, und ließen sein Heer ungestört durch ihr Gebiet, bei der Stadt Ruscino vorüberziehen.

25. Nach Italien war unterdeß noch keine weitere Nachricht gelangt, als durch die Massilischen Gesandten nach Rom, daß Hannibal über den Ebro gegangen sei: und dennoch empörten sich sogleich, nicht anders, als hätte er schon die Alpen zurückgelegt, die Bojer, von denen die Insubrier schon aufgewiegelt waren, nicht sowohl aus alter Erbitterung gegen Rom, als, weil es sie verdroß, daß neulich in der Nähe des Po Pflanzungen nach Placentia und Cremona auf das Gallische Gebiet ausgeführt waren. Plötzlich griffen sie zu den Waffen und setzten Alles durch ihren Einfall gerade in diese Gegend so in Schrecken und Aufstand, daß nicht bloß eine Menge Landbewohner, sondern selbst die Römischen Dreiherren, die zur Landvermessung hieher gekommen waren, Cajus Lutatius, Cajus Servilius, Titus Annius, weil ihnen Placentia nicht fest genug schien, nach Mutina flüchteten. Über den Namen des Lutatius finde ich keinen Zweifel. Statt des Cajus Servilius und Titus Annius haben einige Jahrbücher den Quintus Acilius und Cajus Herennius, andre den Publius Cornelius Asina und Cajus Papirius Maso. Auch das ist ungewiß, ob sich die Bojer an den Gesandten vergriffen, welche sie zur Rede stellen sollten, oder ob sie die Dreiherren bei der Vermessung des Landes anfielen. Die Gallier, von welchen sie zu Mutina eingeschlossen waren, und die, als ein mit dem Sturme auf Städte zu unbekanntes und zur Anlegung von Werken viel zu träges Volk, ohne Erfolg vor den unberührten Mauern lagen, ließen sich zum Scheine auf Friedensunterhandlungen ein. Die von den Häuptern der Gallier zur Unterredung herausgerufenen Gesandten wurden nicht nur gegen das Völkerrecht, sondern auch dem auf diese Zeit gegebenen Worte zuwider, verhaftet; und die Gallier weigerten sich, sie loszulassen, wenn ihnen nicht ihre Geisel zurückgegeben würden.

441 Auf diese Nachricht über die Gesandten, und bei der Gefahr, in welcher Mutina mit seiner Besatzung schwebte, rückte der Prätor Lucius Manlius in vollem Zorne, ohne sein Heer im Schlusse zu halten, gegen Mutina. Auf beiden Seiten des Weges stand damals noch ein Wald, weil die Gegend meistens noch unbeackert war. Hier fiel er, weil er ohne eingezogene Kunde sich aufgemacht hatte, in einen Hinterhalt. Nicht ohne großen Verlust an Leuten und nur mit Mühe rettete er sich in die freien Ebenen, wo er ein Lager aufschlug, und weil die Gallier keinen Angriff auf dieses wagten, den Muth seiner Truppen wieder herstellte, ob sie gleich ihre Gefallenen auf sechshundertDie Schreibart ADDCCECIDISSE, welche die Abschreiber ad DC cecidisse hätten lesen sollen, veranlassete die unrichtigen Lesarten: ad cecidisse, wo die Zahl ganz wegfiel: in andern adCcecidisse, welches nach den Worten multa cum caede zu wenig scheint. Gronov will in der Lesart ad.C.cecidisse das C in D verwandeln. Ich glaube, es ist nicht so gewaltsam, dies C, das in einer guten Handschrift sich findet, beizubehalten, und das in ad vorhandene D nur noch einmal zu nehmen. Schon Stroth hat dieselbe Vermuthung. berechnen konnten. Sie begannen den Marsch von neuem, und so lange der Zug durch offene Gegenden ging, zeigte sich kein Feind. Kaum aber rückten sie wieder in Gehölze, als ihnen der Feind in den Nachtrab fiel und in der allgemeinen Verwirrung und Bestürzung achthundert tödtete und sechs Fahnen nahm. Diese furchtbaren Angriffe der Gallier und die Verzagtheit der Römer hatten sogleich ein Ende, als diese dem unwegsamen und wildverwachsenen Forste entgangen waren. Von nun an im Freien richteten sie ihren ohne Mühe gesicherten Zug nach TanetumTenedo, in der Nähe von Parma., einem Flecken in der Nähe des Po. Hier behaupteten sie sich gegen die täglich wachsende Menge der Feinde für die erste Zeit durch eine Verschanzung, durch die Zufuhr vermittelst des Flusses und den Beistand der Gallier von BrixiaJetzt Brescia..

26. Als die Nachricht von diesem unerwarteten Aufstande in Rom einlief, und die Väter den Punischen Krieg noch durch einen Gallischen erweitert sahen, befahlen sie 442 dem Prätor Cajus Atilius, mit Einer Römischen Legion und fünftausend Mann Bundesgenossen, welche der Consul durch eine neue Werbung aushob, dem Manlius zu Hülfe zu ziehen; und er kam ohne Schwertschlag, weil sich die Feinde aus Furcht zurückgezogen hatten, nach Tanetum. Auch der Consul Publius Cornelius, der die mit dem Prätor abgeschickte Legion durch eine neugeworbene ersetzte, kam nach seiner Abfahrt von Rom mit sechzig Kriegsschiffen, an der Küste Hetruriens, Liguriens und den Gebirgen der Salyer vorbei nach Massilia, und schlug an der nächsten Mündung der Rhone – denn der Strom theilt sich bei seinem Ausflusse in mehrere – sein Lager auf, ohne daran glauben zu wollen, daß Hannibal schon über die Pyrenäischen Gebirge hinaus sei. Als er nun hören mußte, daß dieser sogar schon auf den Übergang über die Rhone denke, so schickte er, ungewiß, wo er ihm entgegentreten sollte, und weil auch seine Soldaten von der Seekrankheit noch nicht völlig hergestellt waren, vorläufig dreihundert auserlesene Ritter aus, welche von den Massiliern und Gallischen Hülfstruppen geleitet, sich nach Allem erkundigen und aus einem sichern Standorte den Feind beobachten sollten.

Hannibal, der sich bei den übrigen Völkern eine friedliche Aufnahme erzwungen oder erkauft hatte, war jetzt in das Gebiet der Volken, eines mächtigen Volks, gekommen, Sie wohnen an beiden Ufern der Rhone; weil sie sichs aber nicht zutrauten, den Puniern das diesseitige Land verwehren zu können, so schafften sie, um den Strom als Schutzwehr zu nutzen, fast ihr sämtliches Eigenthum über die Rhone und besetzten das jenseitige Ufer mit Bewaffneten. Die übrigen Anwohner des Flusses, und selbst diejenigen von ihnen, welche sich von ihren Wohnungen nicht hatten trennen wollen, wurden theils vom Hannibal mit Geschenken gewonnen, von allen Seiten Schiffe zusammenzubringen und neue zu zimmern; theils war es ihr eigner Wunsch, das Heer übergesetzt und ihr Land baldmöglichst von einem so drückenden Menschengewühle erleichtert zu sehen. Es wurde also eine ansehnliche Menge 443 von Schiffen und Kähnen zusammengebracht, die ohnehin zu allerlei Bedürfnissen der Nähe fertig standen: und man machte noch neue dazu, indem zuerst bloß die Gallier zu jedem Kahne, dem sie kaum den ersten Zuschnitt gaben, einen Baumstamm aushöhlten; dann aber auch die Soldaten selbst, zugleich durch die Menge des Bauholzes und die Leichtigkeit der Arbeit angelockt, weil sie nur darauf zu sehen brauchten, daß sie auf dem Wasser schwimmen und beladen werden könnten, in der Eile eine Menge unförmlicher Kiele bloß dazu fertigten, sich und ihr Eigenthum vermittelst ihrer auf die andere Seite zu schaffen.

27. Als schon Alles zur Überfahrt in gehörigem Stande war, so mußte man nun noch die Feinde gegenüber fürchten, die das ganze Ufer mit Reuterei und Fußvolk besetzt hielten. Um diese zu vertreiben, gab er dem Hanno, einem Sohne Bomilcars, Befehl, mit einem Theile der Truppen, vorzüglich Spaniern, stromaufwärts einen Tagesmarsch zu machen und, wenn er dann, wo es sich am ersten thun ließe, so unbemerkt als möglich über den Strom gegangen sei, sich mit seinem Kohre herumzuziehen, um den Feind zu rechter Zeit im Rücken anzugreifen. Die hierzu mitgegebenen Gallischen Wegweiser belehrten ihn, daß der Fluß, beinahe fünfundzwanzig tausend Schritte weiter aufwärts, wo er eine kleine Insel umschließe, weil er sich hier theile, bei einem breiteren und eben darum nicht so tiefen Bette, einen Übergang gestatte. Hier wurden sogleich Bäume gefället und Flöße gezimmert, um auf diesen Pferde und Leute und andre Lasten überzusetzen. Die Spanier schwammen, ohne große Zurüstungen, auf Schläuchen, nachdem sie ihre Kleidung hineingesteckt und ihre Rundschilde unter sich genommen hatten, über den Fluß. Das übrige Heer, das auf verbundenen Flößen übersetzte, hielt in einem nahe am Flusse bezogenen Lager, wegen seiner Ermüdung vom nächtlichen Marsche und von der beschwerlichen Arbeit einen Rasttag, während daß der Anführer sich anschickte, den Plan zu rechter Zeit auszuführen. Am folgenden Tage gaben sie, nach ihrem Aufbruche aus dieser Stellung, das Zeichen durch Rauch, daß 444 sie über den Fluß gegangen und nicht mehr fern waren.

Sobald dies Hannibal hörte, gab auch er, um den Augenblick nicht zu versäumen, Befehl zum Übergange. Schon war das Fußvolk mit seinen Kähnen fertig und im Stande. Der Zug von Schiffen, der so ziemlich die ganze Reuterei neben den schwimmenden Pferden, und zwar um den Andrang des Stromes aufzufangen; oberhalb hinübertrug, gewährte den unterhalb übersetzenden Kähnen ein stilles Wasser. Die Pferde wurden großentheils schwimmend von den Hintertheilen der Schiffe an Riemen nachgezogen, bis auf die, welche man gesattelt und gezäumt auf die Schiffe genommen hatte, damit sich der Reuter, so wie er ans Land stiege, ihrer sogleich bedienen könnte.

28. Die Gallier kamen ihnen unter mancherlei Geheule und Gesänge nach ihrer Sitte, an das Ufer entgegengelaufen, schlugen über ihrem Kopfe auf ihre Schilde und schwangen in ihrer Rechte die Waffen; wiewohl auch sie eine so große Menge von Schiffen vor ihnen, so wie der lautrauschende Strom und das mannigfache Geschrei der Schiffer und Soldaten, welche hier den treibenden Strom zu durchbrechen strebten, dort vom andern Ufer den übersetzenden Ihrigen Ermunterungen zuriefen, in Schrecken setzte. Schon bestürzt genug über das Getümmel, das sie vor sich sahen, wurden sie im Rücken von einem noch fürchterlicheren Geschreie überfallen, weil Hanno ihr Lager erobert hatte. Gleich darauf war er selbst da, und der Schrecken umringte sie von zwei Seiten, da von den Schiffen her eine solche Menge Bewaffneter das Ufer gewann, und ein nicht erwartetes Heer sie im Rücken bedrängte. Als die Gallier, die gegen beide Seiten Gewalt zu brauchen versuchten, sich geschlagen sahen, brachen sie durch, wo ihnen der Weg am meisten offen schien und verliefen sich als Gescheuchte nach allen Seiten in ihre Dörfer. Hannibal, dem seit diesem Tage die lärmenden Angriffe der Gallier wenig Besorgniß machten, schlug ein Lager auf, nachdem er seine übrigen Truppen in aller Ruhe übergesetzt hatte.

Die Elephanten überzusetzen, kam man vermuthlich auf mehr als Einen Anschlag; wenigstens erzählt man den 445 Vorgang auf mancherlei Art. Einige berichten: Nachdem man die Elephanten zusammen an das Ufer getrieben, habe der wildeste von ihnen, den man durch seinen Führer necken ließ, dadurch, daß er den ins Wasser flüchtendennantem sequeretur]. – Ich lese mit Hn. Walch: nando insequeretur. Man s. die folgende Anmerk. schwimmend verfolgte, die ganze Heerde hinter sich hergezogen, da selbst die Gewalt des Stroms jeden einzeln, so wie ihm bei seiner Scheu vor der Tiefe derUt quemque timentem altitudinem destituerat vadum, impetu ipso fluminis.] – Ich habe die Stelle so zu übersetzen gesucht, wie sie da steht. Auch scheint mir Stroths doppelte Rüge unnöthig. Er sagt 1) Man sieht nicht ein, warum die Worte timentem altitudinem zu dem folgenden destituerat vadum gesetzt werden. Deswegen will er durch eine Versetzung die Worte: traxisse gregem timentem altitudinem zusammennehmen; und dann wieder anfangen: ut quemque destituerat vadum u. s. w. Allein wenn gleich der erste Elephant, weil er böse gemacht war, in der Wuth die Tiefe nicht achtete, und schwimmend (nando) den flüchtenden Führer verfolgte, so war doch den übrigen (ut quemque), die nicht gereizt waren, die jenem bloß folgten, weil er voranging, die Scheu vor der Tiefe nicht benommen; sie waren immer noch timentes altitudinem. 2)  Stroths zweite Rüge betrifft die Worte impetu ipso fluminis in alteram ripam rapiente. Man sieht nicht, sagt er, warum der Fluß den Elephanten an das Ufer gegenüber treiben muß, da er ihn vielmehr mitten in seinem Bette fortreißen mußte. Wenn aber die westliche Hälfte des Stroms, von welcher Hannibal nach dem östlichen Ufer überging, durch einen Zug von Elephanten, Fahrzeugen und Reutern gestauet wurde, so blieb für die an dieser Stauung sich brechenden Wellen kein andrer Platz übrig, als über die Tiefe der Mitte zum östlichen Ufer hinzuströmen. Grund ausging, an das andre Ufer hinüberriß. Allein Mehrere kommen darin überein, daß sie auf Flößen übergesetzt sind. Und so wie diese Maßregel vor der Ausführung die sicherste gewesen sein müßte, so wird sie auch dadurch, daß die Sache gelang, so viel wahrscheinlicher. Sie ließen ein zweihundert Fuß langes, fünfzig Fuß breites Floß vom Lande in den Strom herüberragen. Nachdem sie dies am oberen Ufer mit mehreren starken Seilen festgebunden hatten, damit es nicht mit dem Strome fortgehen konnte, beschütteten sie es gleich einer Brücke mit darauf gebrachter Erde, so daß es die Thiere, wie einen festen Boden, ohne Scheu betreten konnten. Ein zweites Floß, eben so breit, aber nur hundert Fuß lang, und zur Überfahrt eingerichtet, wurde mit jenem in Verbindung gesetzt; und sobald die Elephanten, die auf dem festen Flosse, als 446 auf einem Heerwege, den voraufgehenden Weibchen nachgetrieben wurden, auf das kleinere angehängte hinübergegangen waren, wurden die Seile, womit es an jenem nur leicht befestigt war, sogleich gelöset, und das Floß von einigen Ruderschiffen zum andern Ufer hinübergezogen. Wenn man so die ersten gelandet hatte, holte man wieder andre und setzte auch diese über. So lange sie noch wie auf einer festen Brücke gingen, zeigten sie nicht die mindeste Scheu. Nur dann erst äußerten sie Ängstlichkeit, wenn das ganzab ceteris]. – Et rate et elephantis; ab omni solido. abgelösete Floß sie in die Mitte des Stromes fortführte: hier bezeigten sie sich sehr unruhig, drängten sich unter einander und die äußersten zogen sich vom Wasser zurück, bis endlich die Furcht selbst, wenn sie nichts als Wasser um sich sahen, sie ruhig machte. Auch stürzten einige zu unbändige in den Fluß; indeß da schon ihre Schwere sie im Stehen erhielt, warfen sie ihre Führer herunter, suchten selbst Fuß vor Fuß die seichten Stellen und kamen glücklich an das Land.

29. Während die Elephanten übergesetzt wurden, hatte Hannibal fünfhundert Numidische Reuter gegen das Römische Lager geschickt, um den Standort, die Stärke der Truppen und ihre Unternehmungen zu erspähen. Auf dies Geschwader stießen die dreihundert Römischen Ritter, die, wie oben gesagt, von der Mündung der Rhone abgeschickt waren. Es kam zu einem Gefechte, das weit ernsthafter war, als es die geringe Anzahl der Kämpfenden erwarten ließ. Denn außer vielen Wunden auf beiden Seiten war auch der Verlust beinahe gleich und den schon sehr entkräfteten Römern gab nur die Flucht und Bestürzung der Numider den Sieg. Von den Siegern fielen an hundert und sechzig, und nicht einmal lauter Römer, sondern zum Theile Gallier; von den Besiegten über zweihundert. Dieser Anfang des Krieges beschied den Römern zugleich als Vorbedeutung zwar im Ganzen einen glücklichen Erfolg, aber auch einen blutigen Sieg und mißlichen Kampf.

447 Als beide Theile nach diesem Versuche zu ihrem Feldherrn zurückkamen, so konnte hier Scipio zu keinem weiteren Entschlusse kommen, als daß sich seine Maßregeln nach den Entwürfen, und Unternehmungen des Feindes richten sollten; und dort bestimmte den Hannibal, der eben so unschlüssig war, ob er seinen angetretenen Zug nach Italien fortsetzen, oder mit dem ersten sich darbietenden Römischen Heere schlagen sollte, die Ankunft der Bojischen Gesandten und des Fürsten Magalus, sich für jetzt auf keine Schlacht einzulassen, weil sie sich zu Wegweisern und Theilnehmern des Wagestücks erboten und der Meinung waren, man müsse den Sturm des Krieges ungebrochen, und ohne vorher an Kräften das mindeste aufzuopfern, Italien treffen lassen. Der Soldat im Allgemeinen fürchtete zwar den Feind, weil das Andenken des vorigen Krieges noch nicht in ihm erloschen war, noch besorgter aber machten ihn der ungeheure Weg und die Alpen, die der Ruf Leuten, welche sie nie gesehen hatten, noch fürchterlicher schilderte.

30. Hannibal also, sobald sein Schluß, weiter zu ziehen und sich nach Italien zu wenden, gefaßt war, ließ das Heer zur Versammlung rufen und bearbeitete den Muth der Soldaten auf mancherlei Weise, durch Beschämung und Ermunterung. «Er begreife nicht, was für ein plötzlicher Schrecken ihre sonst immer furchtlose Brust befallen habe. Seit so vielen Jahren dienten sie als siegreiche Krieger, und hätten Spanien nicht eher verlasen, als bis die sämtlichen Nationen und Länder, welche von den beiden einander gegenüber liegenden Meeren umschlossen würden, Carthago gehört hätten. Nur der Unwille darüber, daß das Römische Volk alle Belagerer Sagunts, gleich als Verbrecher, habe ausgeliefert wissen wollen, habe sie über den Ebro geführt, um den Römischen Namen zu vertilgen und die Welt zu befreien. Da habe keinem der Zug lang geschienen, als sie ihn vom Untergange der Sonne ihrem Aufgange entgegen begonnen hätten. Jetzt, da sie bei weitem den größeren Theil des Marsches zurückgelegt sähen, unter einer Menge der 448 wildesten Völker den Pyrenäischen Gebirgswald überstiegen hätten, die Rhone, einen so großen Fluß, den ihnen die Gallier zu Tausenden hätten sperren wollen, selbst mit Besiegung des reißenden Stromes überschritten hätten, und die Alpen vor Augen sähen, deren andere Seite Italien zugehöre, jetzt, schon an den Thoren der Feinde, blieben sie als die Erschöpften stehen; vielleicht in der Meinung, als wären die Alpen – – was denn sonst, als Berghöhen? Gesetzt, diese wären auch höher, als die Rücken der Pyrenäen; so reiche doch nirgendwo der Erdboden an den Himmel, und sei nie dem menschlichen Geschlechte unersteiglich. Die Alpen würden sogar bewohnt, beackert; sie erzeugten und nährten lebende Geschöpfe. Menschen in geringer Anzahl gingen hinüber, und sie wärenPervias paucis esse, exercitibus invias?]. – Drakenborch beschuldigt den Doujat, er habe diese Stelle unrichtig in dem Sinne genommen, daß Hannibal durch seine Frage die Unwegsamkeit der Alpen für ganze Heere habe leugnen wollen; in diesem Sinne: num eas, quae vel paucis perviae sint, totis exercitibus crederent esse insuperabiles: und dies werde ja durch die großen Schwierigkeiten, welche Hannibal nachher auf seinem Zuge über die Alpen gefunden habe, widerlegt. Hier thut Drakenborch offenbar (wie öfters) dem Doujat unrecht. Denn wenn auch Hannibal alles Ungemach, das ihn nachher auf den Alpen traf, vorhergewußt hätte, so wäre es doch von ihm sehr unweise gewesen, wenn er jetzt, da er den Soldaten Muth machen will, nicht gerade das Gegentheil behauptet hätte. Drakenborch selbst will die Frage als Einwurf verstanden wissen: «Ihr sagt vielleicht, in kleiner Anzahl kann man hinüber kommen, aber ganzen Heeren sind sie unübersteiglich.» Allein dieses so wenig, als jenes, kann Livius hier, nach Stroths richtiger Ansicht, den Hannibal sagen lassen. Er selbst mag den Satz: «Die Alpen sind einer kleinen Menschenzahl ersteiglich», als erwiesen, voraufschicken, um (wie Doujat will) daraus ihre Zugänglichkeit für ganze Heere zu erweisen; oder (nach Drakenborch) sich von seinen Soldaten den Einwurf machen lassen, daß sie zwar von einzelnen Leuten überstiegen würden, aber nur nicht von ganzen Heeren, so hatte er ja nicht nöthig, unmittelbar darauf die Gallischen Gesandten als einen Beweis aufzustellen, daß man sich in kleinerer Gesellschaft über die Alpen wagen könne. Wozu der Beweis zu einem Satze, den er, wenn wir die Frage beibehalten, entweder selbst vorher schon als angenommen aufgestellt hatte, oder sich von Andern in ihrem Einwurfe als zugestanden aufstellen ließ? Stroth hat meiner Meinung nach Recht, ein ausgelassenes nec hier einzuschieben, und den Satz nicht als eine Frage anzusehen; nur finde ich es nicht so wahrscheinlich, als er selbst, daß dies nec wegen des folgenden ex weggefallen sei. In allen Handschriften lieset man: pervias paucis esse exercitibus. eos ipsos u. s. w. Das in allen ausgefallene Wort invias also fand kein Abschreiber hinter dem Worte exercitibus. Daß es aber in früheren Handschriften sich gefunden haben müsse, sieht man aus der Aufnahme desselben in die Mailänder Ausgabe, und auch daraus, daß es an den Rand eines Palatinischen Codex geschrieben ist. Für die Kritik ist hier die Frage nicht gleichgültig: Wo soll es seine Stelle haben? Wenn ich annehmen dürfte, daß die ursprüngliche Lesart folgende gewesen sei: pervias paucis esse; nec invias esse exercitibus, so würde sich daraus die Entstehung der Lücke erklären lassen. Als der Abschreiber das erste esse geschrieben hatte, glaubte er schon das zweite geschrieben zu haben, und so fielen die drei Wörter nec invias esse weg. Die hier vorausgesetzte Wiederholung des esse darf so wenig Anstoß erregen, daß sie vielmehr nach der Menge von Beispielen, welche Drakenborch dafür angeführt hat, ächt Livianisch ist. Nam, ut Gronovius docet (sagt er zu I. 41, 5.) Livius eam vocem in orationibus subinde repetere solet. – Für den Satz pervias paucis esse will Hannibal im Folgenden noch den Beweis geben; also darf er ihn nicht in einer Frage als schon erwiesen voraussetzen. auch für Heere nicht unwegsam. Selbst 449 die Gesandten, die sie hier sähen, wären ja nicht, auf Flügeln durch die Luft getragen, über die Alpen gekommen. Auch die Vorfahren dieser Gallier wären keine Eingeborne; sondern hier als Fremdlinge, als Landbewohner Italiens, wären sie über diese nämlichen Alpen oft in großen Zügen mit Weib und Kind nach Art wandernder Völker ohne alle Gefahr herübergekommen. Und einem bewaffneten Krieger, der nichts als die Bedürfnisse des Krieges mit sich führe, was dem wohl unwegsam oder unübersteiglich sei? Wie viele Gefahren, wie viele Beschwerden sie acht Monate lang erduldet hätten, um Sagunt zu erobern? Und im Anzuge gegen Rom, die Hauptstadt der Welt, wollten sie irgend etwas so rauh und steil finden, daß es sie in ihrer Unternehmung aufhalten könne? Gallier hätten einst die Stäte sogar erobert, welche nur betreten zu können der Punier die Hoffnung aufgebe. Also möchten sie entweder einem Volke, das sie in diesen Tagen so oft besiegt hätten, den Preis des Muths und der Tapferkeit einräumen, oder das Ziel ihres Marsches auf dem Felde zwischen der Tiber und Roms Mauern erwarten.»

31. Als er sie durch diese Ermunterungen angefeuert hatte, hieß er sie sich pflegen und sich zum Marsche bereit halten. Den folgenden Tag zog er, am Ufer der Rhone aufwärts, tiefer in Gallien hinein, nicht etwa, weil dies ein geraderer Weg zu den Alpen gewesen wäre, sondern, weil er, je weiter er sich vom Meere entfernte, so viel 450 weniger auf die Römer zu stoßen hoffte, mit denen er sich vor seiner Ankunft in Italien nicht einzulassen beschlossen hatte. In vier Märschen kam er an die sogenannte Insel, wo sich die beiden Ströme IsereMehrere Kritiker sind darüber eins, daß man hier statt Arar lieber Isara lesen müsse. Auch hat wirklich Eine Handschrift Ibi Ara Rhodanusque; andre ibique Arar Rhodanusque. Man sieht leicht, daß statt IBIISARARHOD. ibiq RARrhod. gelesen werden konnte. Der Arar oder die Saone ist hier viel zu weit nördlich hinauf. und Rhone, die von zwei entgegengesetzten Seiten der Alpen herabkommen und einen großen Strich Landes umschließen, mit einander vereinigen. Die Ebenen zwischen beiden haben den Namen Insel erhalten. Da herum wohnten die AllobrogenIhre Hauptstädte waren (nach Perrot d'Ablancourt) Vienne an der Rhone, Grenoble und Genf., ein Volk, das schon damals keinem Gallischen Volke an Macht und Rufe nachstand; jetzt aber herrschte in demselben Mishelligkeit. Zwei fürstliche Brüder stritten um den Thron. Der ältere, der auch schon geherrscht hatte, Namens Brancus, wurde von seinem jüngeren Bruder und dessen Anhange unter der Jugend, weil ihm dieser an Macht, wenn gleich nicht an Recht, überlegen war, verdrängt. Da die ihm vorgelegte Entscheidung dieses Streits dem Hannibal sehr erwünscht kam, so gab er, als ernannter Schiedsrichter über den Thron, was der Senat und die Vornehmen gewollt hatten, dem älteren die Regierung wieder. Dieses Verdienstes wegen unterstützte man ihn mit Zufuhr und allem Überflusse, vorzüglich an Kleidungsstücken, womit er sich gegen die verrufene Alpenkälte versehen mußte.

Als er jetzt nach beigelegtem Zwiste der Allobrogen den Alpen näher rückte, nahm er seinen Weg nicht gerade aus, sondern wandte sich links in das Gebiet der Tricastiner; von da zog er durch die äußerste Ecke des Voconzischen in das Gebiet der Tricorier, ohne den Weg beschwerlich zu finden, bis er an den Fluß Druentia kam. Dieser, ebenfalls ein Alpenstrom, hat unter allen Flüssen Galliens beim Übergange die meisten Schwierigkeiten. Denn bei den großen Wassermassen, in denen er 451 fortströmt, kann er doch keine Schiffe tragen, weil er, ohne sich auf Ufer einzuschränken, zugleich in mehrere und nicht immer dieselben Betten vertheilt ist, und bei immer neuen Untiefen und neuen Tiefen – gerade dies macht auch dem Fußgänger den Durchweg gefährlich – und bei seinem treibenden Grunde, nirgend einen festen und sichern Tritt gewährt. Auch damals machte er ihnen, noch dazu durch Regengüsse angeschwollen, beim Übergange nicht geringe Noth, da ihnen, alles Übrige abgerechnet, schon ihre eigne Verlegenheit und so mancherlei irre machendes Geschrei die Fassung nahm.

32. Der Consul Publius Cornelius war etwa drei Tage nach Hannibals Aufbruche von der Rhone, in Schlachtordnung bei dem feindlichen Lager angekommen, sogleich zu schlagen bereit. Wie er aber die Verschanzungen verlassen sah, und daß er die so weit Voraufgekommenen so leicht nicht werde einholen können, kehrte er an das Meer und zu seinen Schiffen zurück, um so desto sicherer und leichter dem Hannibal, bei seinem Herabsteigen von den Alpen, entgegen zu kommen. Um aber Spanien, die durch das Los ihm gewordene Provinz, nicht ohne Römische Unterstützung zu lassen, schickte er seinen Bruder Cneus Scipio mit dem größten Theile seiner Truppen gegen den Hasdrubal, nicht bloß zum Schutze der alten Bundsgenossen und zu Verbindungen mit neuen, sondern sogar den Hasdrubal aus Spanien zu treiben. Er selbst ging nach Genua nur mit sehr wenig Truppen zurück, weil er Italien mit dem am Po stehenden Heere vertheidigen wollte.

Hannibal war von der Druentia meistens durch Ebenen, ohne von den Bewohnern jener Gegenden, den Galliern, gehindert zu werden, bis an die Alpen gekommen. Hatten sich gleich die Soldaten von diesen schon eine Vorstellung gemacht, wie der Ruf sie gab, der ungekannte Dinge gern über die Wahrheit hebt; so erregten doch jetzt die Höhe der Gebirge, als sie sie in der Nähe sahen; die fast mit dem Himmel zusammenhängenden Schneemassen; die elenden auf Klippen angebrachten Hütten; die Heerden und das Zugvieh, vor Kälte verschrumpft; die Menschen, 452 ungeschoren und verwildert; die ganze lebende und leblose Natur starrend von Frost, und alle übrigen Erscheinungen, die im Anblicke noch gräßlicher wurden, als in der Schilderung, ihr Entsetzen von neuem. Als der Zug zu den vorderen Hügeln hinanging, wurden sie gewahr, daß die Bergbewohner die Höhen über ihnen besetzt hielten. Hatten diese die versteckteren Thäler besetzt, so würden sie durch einen plötzlichen Angriff eine allgemeine Flucht und Niederlage bewirkt haben. Hannibal ließ Halt machen, und da er durch die zur Besichtigung der Gegend voraufgeschickten Gallier erfuhr, daß hier kein Durchgang möglich sei, so nahm er in einem so ausgedehnten Thale, als er konnte, zwischen lauter Felsstücken und Klippen sein Lager. Da er nun durch eben jene Gallier, welche in Sprache und Sitten von den Bergbewohnern wenig unterschieden sich in ihre Gespräche gemischt hatten, belehrt wurde, daß der Waldpaß nur bei Tage besetzt sei, daß sie sich sämtlich des Nachts in ihre Wohnungen verliefen; so rückte er mit dem Morgenlichte an den Fuß der Hügels, als ob er vor ihren Augen bei hellem Tage sich den Paß erzwingen wolle. Als nun die Punier auf derselben Stelle, wo sie stehen geblieben waren, mit Verschanzung eines Lagers, einer scheinbaren Beschäftigung, die ganz etwas Anderes bezweckte, den Tag hingebracht hatten; so drang Hannibal, sobald er sah, daß die Bergmänner von den Höhen herabgegangen waren und ihre Posten nur einzeln standen, nachdem er zum Scheine mehrere Feuer hatte anzünden lassen, als die Zahl der Bleibenden erforderte, mit Hinterlassung seines Gepäcks, seiner Reuterei und des größten Theils vom Fußvolke, an der Spitze seiner unbelasteten Kerntruppen, eiligst durch den Paß, und nahm seine Stellung auf denselben Höhen, welche die Feinde besetzt gehabt hatten.

33. Mit frühem Morgen brach das Lager auf und der Zug der Zurückgebliebenen begann. Schon wollten sich die Bergbewohner auf das aus ihren Burgen gegebene Zeichen zu ihrem gewöhnlichen Posten sammeln, als sie unerwartet einen Theil der Feinde, nach Besetzung ihrer 453 Anhöhe, über ihren Häuptern stehen, die andern durch die Straße ziehen sahen. Über beide zu gleicher Zeit sich darbietende Erscheinungen standen sie anfangs mit stierem Blicke und starr vor Staunen ohne Bewegung. Als sie aber das Gedränge im Passe, und den Zug schon durch sein eignes Getümmel, hauptsächlich über die scheu werdenden Pferde, in Verwirrung sahen, so kamen sie in der Überzeugung, daß dem Feinde selbst der kleinste Zuwachs seiner Bestürzung verderblich werden müsse, auf allen Seitenperversis]. – Statt dessen folge ich der von Hrn. Walch in diversi verbesserten Lesart des Cod. Pal. 2. diversis., der Unwege eben so wie der Umwege gewohnt, von den Klippen herabgerannt. Da sahen sich die Punier zugleich dem Kampfe mit den Feinden und mit der nachtheiligen Gegend ausgesetzt; und da Jeder nur für sich dahin strebte, der Gefahr am geschwindesten zu entkommen, so hatten sie mehr Streit unter einander selbst, als mit den Feinden. Vorzüglich machten den Zug die Pferde unsicher, weil sie geschreckt durch das mistönende Geschrei, welches die Haine und wiederhallenden Thäler noch verstärkten, lauter Sprünge machten, und wenn sie einen Schlag oder eine Wunde bekamen, so wild wurden, daß sie eine Menge Menschen und Gepäck aller Art zu Boden stießen; Viele warf auch das Gedränge, da der Paß auf beiden Seiten steil und abgerissen war, in den Abgrund hinunter, ja selbst einige Soldaten; die Packthiere aber rollten, als stürzten große Gebäude ein, mit ihren Lasten bergab. So gräßlich dies anzusehen war, so blieb Hannibal dennoch anfangs stehen und hielt seine Leute zurück, um das Getümmel und die Verwirrung nicht noch zu vermehren. Dann aber, als er sah, daß der Zug durchbrochen werde, und er Gefahr laufe, sein Heer, wenn auch ungeschlagen, doch von allem Gepäcke entblößt, über den Paß hinausgebracht zu haben, eilte er von der Höhe herbei; und hatte er gleich durch den bloßen Angriff die Feinde zerstreuet, so hatte er doch auch bei seinem Heere die Verwirrung vermehrt. Indeß diese Verwirrung ward 454 im Augenblicke, sobald durch die Flucht der Bergbewohner die Wege frei geworden waren, geschlichtet, und bald erfolgte der völlige Durchzug nicht nur in aller Ruhe, sondern beinahe in der Stille. Darauf eroberte er eine Schanze, die Hauptfestung jener Gegend, und einige umherliegende Flecken, und erhielt drei Tage lang sein Heer von den erbeuteten SpeisevorräthenEt captivorum pecoribus.] – Alle Handschriften haben: et captivo ac pecoribus. Stroth verwirft die von Valla vorgeschlagene und von den übrigen Editoren in den Text aufgenommene Lesart: et captivorum pecoribus, aus zwei Gründen. 1) Weil er das Wort captivorum hier in dem Sinne nimmt: der im Treffen Gefangenen; und deswegen fragt er: «Sind denn die Bergbewohner in der Schlacht samt ihren Heerden gefangen? und verzehrte Hannibals Heer nicht auch anderes Vieh, als das, was den Gefangenen gehörte?» Ich antworte: Wenn die Lesart captivorum an sich die wahre wäre, so würden captivi hier nicht die im Treffen Gefangenen, sondern die Unterjochten sein. Gesner im Thes. sagt: captivus, i. in potestatem redactus; und Livius hatte ja unmittelbar vorhergesagt: castellum – viculosque circumiectos capit; auch die nimmt ja Hannibal nicht in der Schlacht gefangen. Von den Heerden dieser Bezwungenen zehrte Hannibals Heer. 2) Weil Polybius sagt: σίτου καὶ θρεμμάτων, so schiebt Stroth das Wort frumento ein. Σι̃τος ist aber auch cibus, nicht bloß frumentum. Und vermuthlich sollen wir hier nicht an Getreide denken. Denn Livius sagt gleich im Folgenden, Hannibal sei bald nachher in eine Gegend gekommen, die nach der Art, daß hier nichts als Gebirge waren, noch ziemlich viel Landbauer hatte. Wie viel weniger war also in jener Gegend an Getreide zu denken, wo er die kleinen Eroberungen gemacht hatte? Wie, wenn Livius das Wort frumento absichtlich gemieden, wenn er Beeren, Wurzeln, Obst, Käse und ähnliche Speisen der Bergbewohner gemeint hätte? Auch hat das Wort frumento nicht die mindeste Ähnlichkeit mit den daneben stehenden, wodurch es in allen Msc. verdrängt sein könnte. Sollten im Worte captivo vielleicht die beiden letzten Silben tivo Schuld gewesen sein, ein folgendes cibo ausfallen zu lassen? Drakenborch hat im Buchstaben C Beispiele genug angegeben, daß c und t, bei der Rundung, die das t in den Handschriften höheres Alters hat, daß accingere und attingere, cui und tui, maceria und materia, cautus und tantus u. s. w. verwechselt werden. Dann ließe sich dies cibo von jeder bei dem mit dem Ackerbaue unbekannten Bergbewohner üblichen Speise verstehen, und captivo wäre die erbeutete; so wie ich übersetzt habe; als ob captivo cibo ac pecoribus im Texte stände. und Heerden. Und weil es weder durch die Bergbewohner, die noch im ersten Schrecken waren, noch auch durch die Gegend sonderlich aufgehalten wurde, so legte er in diesen drei Tagen einen nicht unbedeutenden Theil des Weges zurück.

34. Von dort kam er zu einer andern Völkerschaft, die nach Verhältniß einer Gebirgsgegend, eine Menge Landbauer hatte. Hier lief er Gefahr, nicht in offenem 455 Kriege, sondern durch seine Künste, durch Täuschung und Nachstellung, überwältigt zu werden. Die Oberhäupter der kleinen Festungen, Männer von hohem Alter, fanden sich als Gesandte bei dem Punischen Feldherrn ein und sagten: «Das Unglück Anderer habe sie, als ein heilsames Beispiel den Wunsch gelehrt, lieber die Freundschaft, als die Übermacht der Punier zu erfahren. Also würden sie gehorsam alle Befehle vollziehen. Er möge Lebensmittel, Wegweiser und für die Sicherheit ihrer Versprechungen Geisel annehmen.»Hannibal, der, ohne ihnen geradezu zu glauben, und ohne sie abzuweisen, damit sie nicht als Zurückgestoßene offenbar Feinde würden, eine gütige Antwort ertheilte, die Geisel, die sie ihm gaben, annahm, und von den Lebensmitteln, die sie ihm selbst auf die Straße brachten, Gebrauch machte, folgte ihren Wegweisern mit völlig geordnetem Heere, gar nicht, als in Freundes Lande. Die Elephanten und die Reuterei waren die ersten des Zuges: er selbst folgte mit dem Kerne seines Fußvolks, nach allen Seiten der Achtsame und auf seiner Hut. Kaum war er in einen schmaleren Weg gekommen, der einer zur Seite ragenden Höhe ausgesetzt war, so brachen die Barbaren allenthalben von vorn und von hinten aus ihrem Hinterhalte hervor, und griffen aus der Nähe und aus der Ferne an; sie wälzten große Steine auf den Zug hinab, und ihr größter Haufe warf sich in seinen Nachtrab. Der Umstand, daß jetzt die Punier ihr Fußvolk in Linie sich gegen diese wenden lassen konnten, machte es ihnen augenscheinlich, wie groß ihr Verlust in diesem Gebirgspasse gewesen sein würde, wenn ihr Zug im Rücken nicht gedeckt gewesen wäre. Selbst jetzt sahen sie sich in der äußersten Gefahr und am Rande des Verderbens. Denn während Hannibal Anstand nahm, mit seinem Heerestheile in den Paß hin einzurückenDemittere agmen]. – Dieser Lesart einiger Msc. folgt Drakenborch. Dimittere läßt sich, meiner Meinung nach, nicht vertheidigen: so hätte ja Hannibal als der dimittens allein stehen bleiben müssen., weil das Fußvolk, mit welchem er selbst die Reuterei deckte, nicht eben so einen Schutz im Rücken hatte, so pflanzten 456 sich die von der Seite heranstürzenden Bergbewohner, da der Zug in der Mitteperrupto medio agmine]. – Ich lese mit J. F. Gronov aus der Schreibart aller Msc. montanierupto (und Drakenb. billigt es) montani interrupto. Die Bergbewohner hatten nicht nöthig, perrumpere agmen. Dadurch, daß die Reuterei weiterzog, und Hannibal nicht nachrückte, entstand von selbst ein agmen interruptum. getrennt war, selbst in dem Wege auf, und Hannibal war Eine Nacht ohne Reuterei und Gepäcke.


 << zurück weiter >>