Titus Livius
Römische Geschichte
Titus Livius

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28. In diesem Jahre nahm in Rom die Freiheit der Bürgerlichen gleichsam einen zweiten Anfang, weil die Verhaftung der Verschuldeten aufhörte. Daß dies gerichtliche Verfahren abgeschafft wurde, daran war ein einziger Wucherer durch seine mit auffallender Grausamkeit geparte 203 Unzucht Schuld. Er hieß Lucius Papirius. Ihm hatte sich Cajus Publilius väterlicher Schulden wegen zum Sklaven in Haft gegeben, dessen Jugend und Schönheit den Wucherer, statt ihm ein Mitleid abzugewinnen, zur Unzucht und Mishandlung entflammten. Er glaubte, sein Capital biete ihm den Genuß dieser Jugendblüte als einen Nebengewinn, und versuchte es anfangs, den Jüngling durch unkeusche Reden zu verführen. Als dieser die schändliche Zumuthung mit Abscheu hörte, schreckte er ihn durch öftere Drohungen und erinnerte ihn zu wiederholtenmalen an seine Lage: zuletzt, als er sah, daß jener lieber seiner gegenwärtigen Umstände, als seiner ehrlichen Geburt vergaß, befahl er ihn zu entkleiden und Peitschen herzubringen. Von Hieben zerfleischt entsprang der Jüngling auf die Gasse, unter lauten Klagen über die Unzucht und Grausamkeit des Wucherers: eine große Menge Menschen, welche theils das Mitleiden mit seiner Jugend und seine ärgerliche Mishandlung, theils die Rücksicht auf ihre eigne Lage und auf ihre eignen Kinder in Feuer setzte, sammelte sich auf dem Markte und ging von hier in einem ordentlichen Zuge vor das Rathhaus. Und als die Consuln, durch den plötzlichen Auflauf genöthigt, den Senat beriefen, warfen sich die Leute den Vätern, so wie jeder in das Rathhaus trat, zu Füßen und zeigten ihnen den zerfleischten Rücken des Jünglings. So erlag an diesem Tage der unvernünftigen Härte eines Einzigen das starke Band des Credits, und die Consuln wurden bevollmächtigt, bei dem Gesamtvolke darauf anzutragen, daß niemand, außer eines Verbrechens wegen, bis zu seiner Bestrafung in Fesseln oder in den Spannstock gelegt werden solle; für geliehene Gelder solle der Schuldner mit seinen Gütern haften, aber nicht mit seiner Person. Nun wurden alle Schuldsklaven losgelassen, und ihre Verhaftung auf die Zukunft verboten.

29. Zu der Sorge, welche in diesem Jahre der Krieg mit den Samniten schon für sich allein, ferner der plötzliche Abfall der Lucarier, und die Urheber dieses Abfalls, die Tarentiner, den Vätern machten, kam auch noch das, 204 daß das Vestinische VolkDie Vestiner, die den Sabinern gegen Morgen wohnten, hatten selbst gegen Morgen das Adriatische Meer. Im Norden waren die Picenter ihre Nachbarn; im Süden die vom Adriatischen Meere aus westlich auf einander folgenden Marruciner, Peligner und Marser; und diesen beiden letztern südlich lag Samnium. sich mit den Samniten verband. Blieb dies Ereigniß freilich in diesem Jahre mehr ein Gegenstand der Volksgespräche, als irgend einer öffentlichen Berathschlagung; so fanden doch die Consuln des folgenden Jahrs, Lucius Furius Camillus (zum zweitenmale) und Junius Brutus Scäva, zu einem Antrage im Senate nichts dringender und wichtiger. Der Neuheit der Sache war die Verlegenheit der Väter angemessenIch folge Stroths Lesart: Et, quam nova res erat, tanta cura patres incessit, ut u. s. w., so daß sie beides, sich darauf einzulassen, und sie aus der Acht zu lassen, gleich bedenklich fanden; weil die Vestiner bei völliger Ungestraftheit aus Muthwillen und Übermuth, oder bei der durch Krieg beabsichtigten Bestrafung die Völker ihrer Nachbarschaft durch die sich ihnen nähernde Gefahr und eigne Unzufriedenheit in Bewegung setzen konnten. Und dieser ganze Völkerstamm war als kriegende Macht reichlich so stark, als die Samniten, und bestand aus den Marsern, Pelignern und Marrucinern, welche man insgesamt, sobald man sich an den Vestinern vergriff, zu Feinden haben mußte. Dennoch siegte die Partei, welche für jetzt mehr Entschlossenheit, als Klugheit zu besitzen schien: allein der Ausgang zeigte, daß das Glück auf die Seite des Muthes trete. Der Krieg gegen die Vestiner wurde nach einem Gutachten der Väter vom Gesamtvolke beschlossen. Die Führung desselben erlosete Brutus, Camillus Samnium. Nach beiden Orten rückten Heere aus, und die Aufmerksamkeit auf die Beschützung ihres eigenen Gebiets verhinderte die Feinde, ihre Waffen zu vereinigen. Doch wurde der eine Consul, Lucius Furius, auf dem die Bürde der wichtigeren Unternehmung ruhte, vom Schicksale durch eine ihm zugestoßene schwere Krankheit dem Kriege entzogen; und er ernannte, als ihm die Ernennung eines Dictators zur Führung des Oberbefehls aufgetragen wurde, den damals berühmtesten Krieger, den Lucius Papirius Cursor, der den Quintus Fabius Maximus Rullianus zum Magister Equitum nahm: ein durch ihre in diesem Amte verrichteten Thaten denkwürdiges Par, denkwürdiger noch durch ihren Zwist, der beinahe zum äußersten Kampfe gedieh.

Der andre Consul hatte im Vestinischen Gelegenheit, sich auf die vielfachen Arten des Krieges einzulassen, ohne irgendwo einen Wechsel des Glücks zu erfahren. Er verwüstete das Land allenthalben, zog die Feinde, durch Verheerung und Niederbrennung ihrer Häuser und Saten, wider ihren Willen in eine Schlacht, und beugte die Macht der Vestiner durch dies einzige Treffen, obgleich nicht ohne vieles Blut auf seiner Seite, so sehr, daß sie nicht bloß in ihr Lager zurückflohen, sondern, selbst nicht mehr durch Wall und Graben gesichert, in die Städte sich verliefen, um sich durch deren feste Lage und hinter Mauern zu schützen. Als er endlich auch diese mit Sturm angriff, half ihm der außerordentliche Eifer seiner Soldaten, oder ihre Erbitterung wegen ihrer Wunden, weil fast kein einziger mit heiler Haut aus der Schlacht zurückgekommen war, zuerst Cutina mit Leitern ersteigen, und dann auch Cingilia. In beiden Städten überließ er die Beute den Soldaten, weil keine Thore, keine Mauern der Feinde sie hatten zurückweisen können.

30. Den Zug gegen Samnium unternahm man, ohne der Götterleitung gewiß zu sein: doch das hiebei begangene Versehen schlug nicht zu einer Wendung des Krieges aus; denn dieser wurde mit Glück geführt; sondern zu einer wüthenden Erbitterung der Feldherren gegen einander. Denn da der Dictator Papirius auf eine warnende Anzeige des Hühnerwärters, um sich der Götterleitung von neuem zu versichern, nach Rom reisen mußte, so befahl er dem Magister Equitum, in dieser Lage stehen zu bleiben und sich in seiner Abwesenheit nicht mit dem Feinde einzulassen. Als Fabius nach der Abreise des Dictators durch Kundschafter erfahren hatte, daß bei den Feinden in allen Stücken eine solche Nachlässigkeit herrsche, als stände 206 nicht ein einziger Römer in Samnium; so brach er, entweder als muthvoller Jüngling darüber unwillig, daß Alles auf dem Dictator beruhen sollte, oder durch die Gelegenheit zu einer glücklichen That gelockt, mit seinem wohlgestellten und schlachtfertigen Heere nach Imbrinium auf – so heißt der Ort – und lieferte den Samniten ein Treffen. Das Glück dieser Schlacht war so vollständig, daß selbst die Möglichkeit eines besseren Erfolgs, wenn der Dictator zugegen gewesen wäre, wegfiel: der Feldherr that Alles für sein Heer, das Heer für seinen Feldherrn. Auch die Reuterei, die in wiederholtem Angriffe die feindliche Linie nicht durchbrechen konnte, zog auf das Wort des Obersten Lucius Cominius ihren Pferden die Zügel ab, und machte sie so, da sie zum vollen Laufe gespornt auf die Feinde stürzten, jedem Widerstände unaufhaltbar. Durch Waffen, durch Glieder hindurchsprengend streckten sie weit und breit Alles zu Boden. Das Fußvolk, das sich an die hineinstürmenden Reuter schloß, fand den Weg in die zerrütteten Reihen geöffnet. Zwanzigtausend Feinde sollen an dem Tage gefallen sein.

Nach einigen Angaben schlug man in des Dictators Abwesenheit mit dem Feinde zweimal und erfocht beidemal einen herrlichen Sieg. Bei den ältesten Schriftstellern findet sich nur die Eine Schlacht, und in einigen Jahrbüchern ist die ganze Sache übergangen.

Da der Magister Equitum von einer so großen Menge Erschlagener eine ansehnliche Beute gewann, so zündete er die in einen großen Haufen zusammengetragenen feindlichen Waffen an und verbrannte sie; entweder weil er das irgend einem Gotte als Gelübde versprochen hatte, oder wir glauben dem Geschichtschreiber Fabius, um nicht die Früchte von seinem Siege den Dictator ernten, ihn nicht hier durch Unterschrift seines Namens sich verewigen, oder mit der Beute im Triumphe prunken zu lassen. Auch war der Brief, den er über seinen Sieg an den Senat, nicht an den Dictator abgehen ließ, ein Beweis, daß er gar nicht Willens sei, sein Lob mit ihm zu theilen. Wenigstens nahm der Dictator das Ganze so auf; daß er, bei der Freude 207 aller Andern über den erfochtenen Sieg, Zorn und Verdruß ohne Rückhalt äußerte. Er entließ sogleich den Senat, rannte zum Rathhause hinaus und versicherte zu wiederholtenmalen: «Wenn dem Magister Equitum diese Nichtachtung des Oberbefehls ungestraft bliebe, dann habe er in der That die Samnitischen Legionen nicht eigentlicher besiegt und über den Haufen geworfen, als die Hoheit eines Dictators und die ganze Kriegszucht.» Unter Zorn und Drohungen reiste er zum Lager ab; allein auch durch die stärksten Tagereisen konnte er doch dem Rufe seiner Ankunft nicht zuvorkommen. Schon waren ihm Manche aus der Stadt mit der Anzeige vorangeeilt, der Dictator komme, Rache dürstend, und führe, fast ein Wort um das andre, den Titus Manlius als sein Muster an.

31. Fabius, der sogleich eine Versammlung berief, beschwur die Soldaten: «Sie möchten mit eben dem Muthe, womit sie den Stat gegen seine bittersten Feinde vertheidigt hätten, auch ihn, unter dessen Führung und Götterleitung sie gesiegt hätten, gegen die ungezügelte Grausamkeit des Dictators in Schutz nehmen. Er komme, rasend vor Neid; zürnend auf Anderer Tapferkeit und Glück. Er sei darüber in Wuth, daß in seiner Abwesenheit der Stat so herrlich berathen gewesen sei: er würde, wenn die Abänderung des Schicksals bei ihm stände, den Sieg lieber auf Samnitischer, als auf Römischer Seite sehen. Er spreche von nichts, als von Hintansetzung des Oberbefehls; gerade als ob ihn nicht bei dem Verbote zu schlagen dieselbe Gesinnung geleitet habe, die ihn jetzt über die Schlacht mit Schmerz erfülle. Er habe eben so wohl damals aus Neid fremdes Verdienst hindern, und so muthvollen Truppen die Waffen wegnehmen wollen, damit sie in seiner Abwesenheit nichts unternehmen könnten; als er jetzt darüber wüthe, und das ihm wehe thue, daß die Soldaten ohne den Lucius Papirius nicht wehrlos, nicht Krüppel gewesen seien; daß ein Quintus Fabius sich als Magister Equitum, nicht als Scherge seines Dictators, gefühlt habe. Was er wohl dann gethan haben würde, wenn die Schlacht, was doch dem Zufalle 208 während des Gefechts und dem gemeinschaftlichen Kriegsglücke möglich war, nachtheilig ausgefallen wäre, da er jetzt, nach Besiegung der Feinde, nach einem so herrlichen Erfolge für das Ganze, daß ihn jener einzige aller Feldherren nicht glorreicher habe machen können, ihm, einem Magister Equitum, mit der Todesstrafe drohe? Doch seine Erbitterung sei gegen den Magister Equitum nicht größer, als gegen die Obersten, gegen die Hauptleute, gegen das ganze Heer. Er werde, wenn es ihm möglich sei, gegen Alle wüthen; da dies nicht angehe, wüthe er gegen Einen. Der Neid schlage eben so, wie die Flamme, immer nach oben hin: er halte sich an das Haupt der Unternehmung, an den Führer selbst. Habe er erst ihn mit dem Ruhme dieses Sieges vernichtet, dann werde er mit dem ganzen Heere, wie mit Gefangenen schalten, und was ihm am Magister Equitum gestattet gewesen sei, sich gegen jeden Soldaten erlauben. Also möchten sie in seiner Sache die Freiheit Aller vertheidigen. Wenn jener sehen werde, daß das Heer mit derselben Einigkeit, die es im Treffen bewiesen habe, auch seinen Sieg verfechte, und daß die Rettung des Einen die Sache Aller sei, so werde er sich zu einem gelinderen Richterspruche herabstimmen. Kurz er stelle sein Leben und sein ganzes Schicksal ihrer Treue, ihrem Muthe anheim.»

32. Die ganze Versammlung brach in das Geschrei aus, er solle guten Muth haben: so lange noch Römische Legionen beständen, solle ihm niemand Leides thun. Bald darauf kam der Dictator an, und ließ sogleich durch die Trompete zur Versammlung rufen. Der Herold gebot Stille, und forderte den Magister Equitum Quintus Fabius. Sobald dieser unten vom Platze zum Richterstuhle hinauftrat, fing der Dictator an:

«Ich verlange von dir zu wissen, Quintus Fabius, da einem Dictator der höchste Oberbefehl zusteht, und ihm die Consuln in ihrer königlichen Würde gehorchen, und eben so die Prätorn, ob sie gleich mit eben der heiligen Feierlichkeit gewählt werden, wie die Consuln; ob du es für Recht haltest, oder nicht, daß seinem Befehle ein 209 Magister Equitum Gehorsam leiste. Desgleichen befrage ich dich hierüber: da ich wußte, daß ich bei zweifelhaft gebliebener Götterleitung von Hause abgegangen war, ob ich, bei unserm unberichtigten Verhältnisse zu den Göttern, die Sache des Stats auf das Spiel setzen durfte, oder mir neue Zustimmung des Himmels einholen mußte, um mich nicht bei der Ungewißheit des Götterwillens auf Unternehmungen einzulassen. Auch das noch zugleich: ob es möglich sei, daß an eine heilige Bedenklichkeit, die den Dictator abhalten mußte, sich in Tätigkeit zu setzen, ein Magister Equitum sich nicht zu binden, noch zu kehren brauche. Doch wozu diese Fragen, da du selbst dann, wenn ich ohne ein Wort zu sagen abgereist wäre, deine Entschlüsse nach der Deutung meines Willen hättest regeln müssen. Antworte lieber darauf, ob ich dir nicht verboten habe, in meiner Abwesenheit irgend etwas zu unternehmen; ob ich dir nicht verboten habe, dich mit dem Feinde einzulassen: da du hingegen mit Verachtung dieses meines Befehls dich erfrechet hast, bei unausgemachter Zustimmung des Himmels, bei unberichtigtem Verhältnisse zu den Göttern; der Kriegessitte, der uralten Zucht, dem Winke der Götter zum Trotze, mit dem Feinde zu schlagen. Auf diese, dir vorgelegten Fragen hast du zu antworten. Außerdem aber laß dir kein Wort entfahren! – Tritt heran, Lictor!»

Da es so leicht nicht war, jede dieser Fragen zu beantworten, und Fabius bald in die Klage ausbrach, daß sein Kläger auf Leib und Leben zugleich sein Richter sei, bald in die laute Behauptung, man könne ihm eher das Leben entreißen, als die Ehre seiner That; und wechselnd bald im vertheidigenden, bald im angreifenden Tone sprach, so gab Papirius, mit erneueter Wuth den Befehl, dem Magister Equitum die Kleidung abzureißen und Ruthen und Beile zur Hand zu nehmen. Fabius, als ihm die Häscher an den Kleidern rissen, rief die Soldaten zur Hülfe auf, und flüchtete sich zu den Triariern, welche hintenCrevier erklärt die beiden Worte in concione für unnütz. Und freilich versteht es sich von selbst, daß die Triarier nicht von der Versammlung ausgeschlossen waren. Tan. Faber will lesen: tumultu iam concionem miscentes, und dies wünscht Crevier in den Text aufgenommen. Dann ist freilich jener Einwurf gemieden: allein, da hier concionem so viel als concionem totam bedeuten müßte, so würde dadurch das gleich folgende inde (i. ex concione tota) clamor in totam concionem est perlatus eine Tautologie; weil Livius unmittelbar vorher gesagt hätte, triarios tumultu concionem iam miscuisse. – Der Stellung des Römischen Heers zufolge standen die Triarier auch in der Versammlung am weitesten hinten. Das ergiebt sich auch aus den bald folgenden Worten: Extrema concio et circa Fabium globus: dies waren ja die nämlichen Triarier, zu denen Fabius geflüchtet war. Ich kann daher die Vermuthung nicht unterdrücken, daß in den ältesten Exemplaren gestanden habe: TVMVLTV VLTIA IA IN CONCIONE etc. d. i. tumultum ultima iam in concione miscentes. Die Ähnlichkeit der letzten Silben von tum ultu mit den ersten des Wortes ultima., und der letzten, in ult ima mit dem gleich darauf folgenden iam (vollends in Abbreviaturen) ließ das Wort ultima ausfallen. Livius sagt selbst nachher extrema concio. Extremus und ultimus sind sich aber in der Bedeutung des Orts völlig gleich. Man sehe Gesner. Thes. in Ultimus. Und im Livius selbst hieß es oben VI. 32. Prius itaque moenia intravere hostes, quam Romanus extrema agminis (i. e. ultimum agmen) carpere aut morari posset. Ja in unserm Cap. sagt Livius: Ne ad extremum finem supplicii tenderet, was er in andern Stellen ultimum supplicium nennt. 210 in der Versammlung schon unruhig wurden. Von dort verbreitete sich Geschrei durch die ganze Versammlung: an einigen Stellen hörte man Bitten; an andern Drohungen. Die dem Richterstuhle gerade am nächsten standen und, unter den Augen des Feldherrn, bemerkt werden konnten, baten, er möge des Magisters Equitum schonen und nicht mit ihm das ganze Heer für schuldig erklären. Die Versammlung hinten und der den Fabius umgebende Haufe schalt auf den hartherzigen Dictator, und war dem Aufruhre nahe. Selbst auf der Richterbühne war nicht die hörige Ruhe. Die Legaten umstellten den Stuhl des Dictators und baten ihn, «die Sache bis zum folgenden Tage zu verschieben, seinem Zorne Frist, seiner Überlegung Zeit zu gestatten. Des Fabius Jugend sei gestraft genug; sein Sieg genug verunstaltet: er möge nicht auf die äußerste Strafe dringen; nicht einem so seltenen jungen Manne, noch dessen Väter, einem der angesehensten Männer, noch dem Fabischen Geschlechte, einen solchen Schimpf anthun.»

Da ihre Bitten so wenig, als der ihnen gegebene Vorwand, vermochten; hießen sie ihn auf die tobende 211 Versammlung sehen. Bei dieser erbitterten Stimmung der Soldaten dem Aufruhre Feuer und Brennstoff entgegen zu bringen, sei seinen Jahren, sei seiner Weisheit nicht angemessen. Die Schuld davon werde niemand dem Quintus Fabius beimessen, insofern dieser dadurch der Strafe habe ausweichen wollen; sondern dem Dictator, der von Zorn geblendet durch übel angebrachte Widersetzlichkeit die erbitterte Menge gegen sich gereizt habe. Damit er endlich nicht glauben möge, sie dächten so aus Freundschaft für den Quintus Fabius, so erklärten sie sich bereit, ihn durch einen Eid zu versichern, daß es nach ihrer Überzeugung für das Ganze gefährlich sei, den Quintus Fabius unter solchen Umständen zu bestrafen.»

33. Allein der Dictator, den die Legaten durch diese Vorstellungen nur mehr gegen sich aufbrachten, als gegen den Magister Equitum besänftigten, befahl ihnen, die Richterbühne zu verlassen; und da nach vergeblichen Versuchen, durch den Herold Stille zu gebieten, vor Getöse und Aufruhr so wenig die Stimme des Dictators selbst, als seiner Gerichtsdiener gehört werden konnte, so machte, wie in einem Treffen, die Nacht dem Streite ein Ende. Der Magister Equitum, der sich am folgenden Tage wieder stellen sollte, entwich, da ihn Alle versicherten, der Grimm des Papirius, schon durch den Widerstand angefacht und erbittert, werde so viel heftiger auflodern, heimlich zu dem Lager nach Rom: und gerade, als er im Senate, den er sogleich auf den Rath seines Vaters Marcus Fabius, eines dreimaligen Consuls, auch gewesenen Dictators, berufen hatte, seine Klagen über die Gewaltthätigkeit und Ungerechtigkeit des Dictators den Vätern vortrug, hörte man plötzlich vor dem Rathhause das Geräusch der Platz machenden Beilträger: und er selbst erschien in seinem Grimme, da er, auf die Nachricht von des Fabius Abreise aus dem Lager, mit einer leichten Bedeckung von Reuterei ihm gefolgt war. Nun erneuerte sich der Streit, und Papirius befahl, den Fabius zu verhaften. Als hier der Hartherzige gegen die von den Ersten der Väter und vom 212 ganzen Senate eingelegten Fürbitten auf seinem Vorhaben beharrete, da sprach der Vater Marcus Fabius:

«Weil denn das Ansehen des Senats, und mein Alter, das du kinderlos machen willst, und die Tapferkeit und der Rang eines Magisters Equitum, den du selbst ernannt hast, eben so wenig als flehentliches Bitten etwas über dich vermag, das doch oft Feinde besänftigte, und erzürnte Götter versöhnt; so flehe ich zu den Bürgertribunen um Schutz, und spreche das Gesamtvolk an. Und so fordere ich dich, da du dem Spruche deines Heeres, da du dem Spruche des Senats den Rücken kehrst, vor diesen Richter, der, wenn auch allein, wenigstens mehr als deine Dictatur, kann und vermag. Ich will doch sehen, ob du dich der Ansprache fügen werdest, da ihr ein König über Rom, Tullus Hostilius, sich fügte.»

Nun ging es aus dem Rathhause in die Volksversammlung. Als hier der Dictator nur mit einigen Wenigen, der Magister Equitum mit dem ganzen Zuge der Greisen die Erhöhung betrat, ließ Papirius diesen von der Rednerbühne herab, unten hin, führen. «Das machst du gut,» rief der dem Sohne folgende Vater, «daß du uns den Platz hier unten geben lässest, wo wir auch als Unbeamtete uns hören lassen dürfen.» Hier hörte man anfangs nicht sowohl zusammenhängende Reden, als Gezänk. Endlich überwand die Stimme und der Unmuth des Greises Fabius, der auf den Übermuth und die Grausamkeit des Dictators schalt, das Getöse.

«Auch er sei zu Rom Dictator gewesen; aber niemand, auch nicht ein einziger Bürgerlicher, sei von ihm gemishandelt, kein Hauptmann, kein Soldat: nur Papirius bereite sich einen Sieg, einen Triumph, über einen Römischen Feldherrn, wie über feindliche Heerführer. Welch ein himmelweiter Unterschied zwischen der Mäßigung der Alten und dem Übermuthe und der Grausamkeit der jetzigen Welt sei. Quinctius Cincinnatus habe als Dictator den Consul Lucius Minucius, den er doch aus einer Einschließung befreiet hatte, nicht härter angelassen, als daß er ihn nicht länger als Consul, sondern als 213 Legaten bei dem Heere bleiben ließ. Marcus Furius Camillus habe gegen den Lucius Furius, der als Verächter seines Alters und seines Ansehens sich so schimpflich schlagen ließ, seinen Zorn nicht bloß für dasmal so sehr gemäßigt, daß er über seinen Amtsgenossen dem Volke oder Senate nicht das mindeste Nachtheilige berichtete; sondern auch nach seiner Rückkehr gerade auf ihn unter allen Consulartribunen sein Augenmerk gerichtet, bei der vom Senate ihm freigestellten Wahl unter seinen Amtsgenossen, sich diesen zu seinem Mitbefehlshaber auszubitten. Denn was das Volk betreffe, dem doch die höchste Gewalt über Alles zustehe, so habe es selbst gegen die, die durch Unbesonnenheit und Unwissenheit ganze Heere eingebüßt hätten, seinen Zorn nie weiter getrieben, als daß es sie um Geld gestraft habe. Über Unglück im Kriege sei man bis auf den heutigen Tag noch keinem Feldherrn an das Leben gegangen. Jetzt aber würden gegen Heerführer des Römischen Volks, was man sich gegen sie als Besiegte nie habe erlauben dürfen, selbst wenn sie gesiegt und die vollständigsten Triumphe verdient hätten, Ruthen und Beile gezückt. Was denn sein Sohn noch weiter hätte leiden sollen, wenn er sein Heer verloren hätte, wenn er geworfen, geschlagen und seines Lagers verlustig geworden wäre? Ob der Dictator in diesem Falle seinen Grimm, seine Gewalttätigkeit noch höher würde haben treiben können, als daß er ihn peitschen und hinrichten ließe? Wie das zu einander stimme? der Stat durch Quintus Fabius in Freude, Siegsfeier, Dankfesten und Glückwünschungen: und er, um dessentwillen die Tempel der Götter offen ständen, die Altäre von Opfern dampften, mit Weihrauch und Gaben behäuft würden, in seiner Blöße vor den Augen des Römischen Volks mit Ruthenhieben zerfleischt, nach dem Capitole, nach der Burg und den Göttern hinaufblickend, die er in zwei Gefechten nicht ungehört angerufen habe? Mit was für Empfindungen das Heer, das unter seiner Führung und Götterleitung gesiegt habe, dies aufnehmen; welche Trauer dies im Römischen Lager wecken werde, 214 welche Freude bei den Feinden?» Und diesen Vortrag, gewebt aus Vorwürfen, Klagen und Aufrufungen aller Götter und Menschen, wobei er den Sohn in seine Arme schloß, begleiteten seine reichlichen Thränen.

34. Hier standen mit ihm der Senat in seiner Hoheit, die Gunst des Volks, der Schutz der Tribunen, die Rücksicht auf das abwesende Heer. Von der andern Seite stellte man «die Unverletzlichkeit des vom Römischen Volke verliehenen Oberamtes auf, die Kriegszucht, den Befehl eines Dictators, der immer für einen Götterwink gegolten habe, die Mannszucht eines Manlius und die von ihm dem Vortheile des Stats nachgesetzte Liebe zu seinem Sohne. So habe sich auch ehemals Lucius Brutus, der Schöpfer der Römischen Freiheit, gegen seine beiden Söhne benommen. Jetzt aber wären die liebevollen Väter, diese gutwilligen Greise, bereit, nur dann, wenn die Jugend den Oberbefehl eines Dritten verachtet habe, ihr eine solche Kleinigkeit, als der Umsturz der Kriegszucht sei, zu verzeihen. Er für seine Person werde bei seinem Vorhaben beharren, und dem, der gegen seine ausdrückliche Andeutung, bei gestörtem Vertrauen auf die Götter, bei ungewisser Zustimmung des Himmels, eine Schlacht gewagt habe, nicht das Mindeste von der gerechten Strafe erlassen. Ob die Hoheit des Oberbefehls bleibend sein solle oder nichtIch weiß, daß die Worte perpetua ne esset, so viel heißen können, als perpetua, nec ne, esset. Da indeß bei Drakenborch zwei Handschriften die Lesart haben: perpetua nec esset, und eine dritte necesset lieset, so könnte es sich fragen, ob Livius an unsrer Stelle nicht wirklich geschrieben habe: perpetua, nec ne, esset. Daß aber dieses ne hier den Sinn eines ut non haben solle, den ich ihm in einer der neuern Übersetzungen gegeben sehe, ist mir darum nicht wahrscheinlich, weil Livius das ne alsdann nicht angehängt, sondern vorangesetzt haben würde., das stehe nicht in seiner Macht: allein die Rechte desselben werde nie ein Lucius Papirius schmälern lassen. Sein Wunsch sei der, daß die Tribunen, so wie sich niemand an ihrem Amte vergreifen dürfe, sich ebenfalls nicht durch ihre Einsage am Oberamte Roms vergreifen möchten; und daß das Volk nicht gerade in ihm den Dictator und die Rechte der Dictatur erlöschen lassen 215 wolle. Thue es dies, so würden die Nachkommen nicht über den Lucius Papirius, nein, über die Tribunen, über den tadelnswerthen Urtheilsspruch des Volks ihre zu späte Klage erheben; dann nämlich, wenn nach einmal gestatteter Mishandlung der Kriegszucht, der Soldat seinem Hauptmanne, der Hauptmann den Obersten, der Oberste dem Legaten, der Legat dem Consul, der Magister Equitum dem Dictator nicht ferner Gehorsam leisten werde; wenn sich niemand weiter an Menschen, an Götter kehre; wenn man auf Befehle der Feldherren, auf Götterleitungen nicht mehr achte; wenn die Soldaten, ohne Urlaub sich verlaufend, in Freundes-, in Feindeslande umherschwärmten; wenn sie, ihres Soldateneides unbekümmert, sich selbst bloß durch ihre Ungebundenheit, sobald sie wollten, verabschiedeten und die Fahnen unbesetzt ließen; wenn sie nicht mehr auf Befehl sich einstellten; nichts mehr darauf ankomme, ob sie die Treffen bei Tage oder bei Nacht, auf günstigem oder ungünstigem Kampfboden, mit oder ohne Befehl des Feldherrn lieferten; wenn sie weder der Fahne, noch dem Gliede folgten, und statt eines verfassungsmäßigen und heilig beschwornen Dienstes, wie die Straßenräuber blindlings und auf gut Glück zu Werke gingen. Diesen Anklagen, ihr Bürgertribunen, stellet euch auf alle Jahrhunderte bloß, und bringet, der Ungestraftheit des Quintus Fabius zu Liebe, eure Häupter als die schuldbeladenen dar.»

35. Da standen die Tribunen, betreten und schon mehr für sich selbst besorgt, als für das Schicksal dessen, der sie um ihren Beistand bat; als sie aus ihrer peinlichen Lage das Römische Volk durch die Einmüthigkeit rettete, mit der es unter Bitten und Beschwörungen den Dictator anging, ihm zu Liebe dem Magister Equitum die Strafe zu erlassen. Auch die Tribunen stimmten in den Ton der allgemeinen Bitte und drangen flehentlich in den Dictator, er möge einem menschlichen Fehltritte, er möge den Jugendjahren des Quintus Fabius Verzeihung angedeihen lassen: er sei ja schon gestraft genug. Hier fiel der Jüngling selbst, nun auch der Vater Marcus Fabius, alles 216 Wortwechsels vergessend, dem Dictator zu Füßen, und baten ihn, nicht länger zu zürnen. Da gebot der Dictator Stille, und sprach:

«Es steht Alles gut, Quiriten! die Kriegszucht bleibt oben! die Heiligkeit des Oberbefehls oben! da sie beide Gefahr liefen, mit dem heutigen Tage aufzuhören. Quintus Fabius, der gegen den Befehl seines Oberfeldherrn schlug, wird nicht der Strafbarkeit entnommen, sondern als der verurtheilte Strafbare dem Römischen Gesamtvolke geschenkt, geschenkt dem tribunicischen Amte, das sich durch Bitten, nicht auf das Recht seiner Sache, für ihn verwandte. So lebe denn, Quintus Fabius, und rechne diese Vereinigung des gesamten States zu deinem Schutze für dein schöneres Glück, als den dich eben noch mit Stolz erfüllenden Sieg. Lebe, nach Unternehmung einer That, die dir selbst dein Vater, wenn er auf des Lucius Papirius Posten stand, nicht würde verziehen haben. Mit mir kannst du dich nach eignem Belieben aussöhnen. Gegen das Römische Volk aber, dem du dein Leben verdankst, wirst du dich nicht verbindlicher betragen können, als wenn du vom heutigen Tage die bleibende Belehrung nimmst, im Kriege und im Frieden gesetzmäßigem Oberbefehl dich zu unterwerfen.»

Als er nach gefälletem Ausspruche, der Magister Equitum sei hiemit entlassen, von der geweiheten Stäte herabstieg, schloß sich der Senat voll Freude, und mit noch größerer das Volk, da sich beide unter Glückwünschungen hier um den Magister Equitum, dort um den Dictator sammelten, an sein Gefolge; und nach aller Meinung hatte der Oberbefehl im Kriege durch die Gefahr des Quintus Fabius an Festigkeit nicht weniger gewonnen, als durch die traurige Hinrichtung des jungen Manlius. Es traf sich immer so in diesem Jahr, daß die Feinde in Samnium, bei der jedesmaligen Entfernung des Dictators vom Heere, eine Bewegung machten. Allein dem Legaten Marcus Valerius, der dem Lager vorgesetzt war, stand Quintus Fabius als Warnung vor Augen, so daß er eben so wenig Lust hatte, sich mit dem furchtbaren Zorne des Dictators 217 einzulassen, als mit dem eindringenden Feinde. Als daher ein auf Getreideholung ausgeschicktes Kohr, das in einen Hinterhalt fiel, bei dieser Stellung im Nachtheile, niedergehauen wurde, so glaubte man allgemein, der Legat hätte ihnen zu Hülfe kommen können, wenn ihn nicht die strengen Befehle geschreckt hätten. Auch dies wurde für die Soldaten eine Ursache der Unzufriedenheit mit dem Dictator, da sie schon früher deswegen auf ihn böse geworden waren, weil er sich gegen den Quintus Fabius so unversöhnlich benommen, und doch eben die Bitte, die er ihnen abschlug, dem Römischen Volke zugestanden hatte.

36. Als der Dictator, der dem Lucius Papirius Crassus als neuem Magister Equitum die Stadt übergab, und dem Quintus Fabius jedes Amtsgeschäft untersagte, ins Lager zurückkam, erregte seine Ankunft weder bei seinen Bürgern sonderliche Freude, noch bei den Feinden die mindeste Besorgniß. Denn schon am folgenden Tage rückten sie, entweder, weil sie nicht wußten, daß der Dictator gekommen war, oder, weil es ihnen wenig verschlug, ob er zugegen sei, oder nicht, in Schlachtordnung gegen das Lager an. Allein so wichtig war der Ausschlag, der hier auf dem einzigen Manne, dem Lucius Papirius, beruhete, daß nach dem Geständnisse Aller die Samniten an dem Tage zu Grunde gerichtet sein würden, wenn die Soldaten die Entwürfe des Feldherrn wohlwollend befolgt hätten: so hatte er bei der Stellung seines Heers für Ort und Deckung gesorgt; so durch alle Kriegskunst ihm die Überlegenheit gesichert. Der Soldat that seine Schuldigkeit nicht, und hinderte den Sieg geflissentlich, um der Ehre des Feldherrn entgegen zu arbeiten. Die Samniten hatten mehr Todte; die Römer mehr Verwundete. Der erfahrne Feldherr begriff, was seinen Sieg gehindert habe; daß er seine Gemüthsstimmung beherrschen, und Güte seine Strenge mildern müsse. Also ging er selbst mit Zuziehung der Legaten bei den verwundeten Soldaten herum, steckte den Kopf in die Zelte, fragte jeden nach seinem Befinden, empfahl die Sorge für sie namentlich den Legaten, den Obersten, der Römer sowohl, als der Bundesgenossen, und 218 benahm sich bei diesem an sich schon Liebe erwerbenden Geschäfte so glücklich, daß während der Ausheilung ihrer Körper die Herzen der Soldaten schon längst dem Feldherrn wieder gehörten, und die Erkenntlichkeit, mit der sie seine Fürsorge aufnahmen, das wirksamste Mittel zu ihrer Genesung wurde.

Als er nach Wiederherstellung des Heeres, das jetzt des Erfolgs so gewiß war, als er selbst, mit dem Feinde zusammentraf, erfocht er einen so vollständigen Sieg, daß die Samniten seit diesem Tage zu keiner neuen Schlacht gegen den Dictator auftraten. Nun erschien das Heer der Sieger allenthalben, wo Beute zu hoffen war, und durchsuchte des Feindes Land, ohne eine Bewaffnung oder Gegenwehr, so wenig im Felde, als in einem Hinterhalte, anzutreffen. Ihre Thätigkeit erhöhete noch der Umstand, daß der Dictator die sämtliche Beute den Soldaten zugesprochen hatte, und ihr eigner Gewinn, eben so sehr, als der Haß gegen den öffentlichen Feind, für sie zum Sporne ward. Gedemüthigt durch diesen vielfachen Verlust baten die Samniten den Dictator um Frieden: und da sie von ihm unter der Bedingung, jedem Soldaten ein Kleid und den Sold eines Jahres zu liefern, die Erlaubniß erhielten, an den Senat zu gehen, so antworteten sie, sie wünschten lieber dem Dictator zu folgen, dessen Rechtschaffenheit und Zuverlässigkeit sie ihre Sache anheim stellten. So wurde das Heer aus dem Samnitischen abgeführt.

37. Der Dictator zog triumphirend in die Stadt, und da er seine Dictatur niederlegen wollte, leitete er, auf Geheiß der Väter, noch vor seinem Abgange, die Wahl neuer Consuln, des Cajus Sulpicius Longus zum zweitenmale, und des Quintus Aulius CerretanusPighius und Sigonius beweisen, daß der Name dieses Consuls Q. Aulius Cerretanus (nicht Ämilius) gewesen sei. Denn 1) sagen das die Fasten, und Almeloveen hat auch hier den Namen Aulius; 2) ist der Zuname Cerretanus der Ämilischen Familie fremd, gehört aber den Auliern, wie aus zwei Stellen des Livius selbst (IX. 15 und 22.) erhellet; 3) in vielen Büchern steht statt Ämilius der Name Aurelius, der dem Aulius schon näher kommt, und Diodor nennt ihn Αίλιος (statt Αύλιος) und Cassiodor ebenso Älius statt Aulius; 4)  Livius würde sonst mit sich in Widerspruch gerathen. Denn IX. 15 führt er diesen Q. Aulius Cerretanus zum zweitenmale als Consul an. Er kann also nicht das erstemal solchen Annalen folgen (wenn es deren gab) welche ihn Ämilius nennen, und bloß sagen, einige Annalen nenneten ihn Q. Aulius, und das andremal ihn selbst gerade zu Q. Aulius nennen. Diese Gründe sind auch Drakenborchen so einleuchtend, daß er erklärt: Recte viros doctos Q. Aulium restituisse existimo. Pighius scheint mit seiner Vermuthung völlig Recht zu haben, daß ein früherer Abschreiber statt des Namens Aulius aus Versehen den bekannteren Namen Ämilius hinsetzte. Ein späterer, der in einem andern Exemplare den Namen Aulius fand, setzte also für sich hinzu: Aulium quidam annales habent. Drakenborch würde, glaube ich, die Berichtigung des Namens in den Text aufgenommen haben, wenn es ihm nicht zu gewagt geschienen hätte, außer der Änderung an drei Stellen unsers Capitels, ohne Handschriften die Worte: Aemilium quidam annales habent, als unächt auszulassen. Ich wage es also auch nicht, diese von Pighius gerügte Glosse wegzustreichen. Die Worte: Aemilium quidam annales habent, mögen immerhin, falls sie auch nicht vom Livius sind, stehen bleiben: allein statt Ämilius lese ich hier allenthalben Aulius, und umgekehrt, um wenigstens den Livius vom Widerspruche mit sich selbst und mit den Fastis frei zu machen..

219 Die Samniten nahmen von Rom, ohne den Frieden zu Stande gebracht zu haben, dessen Bedingungen noch nicht ausgemacht waren, einen Waffenstillstand auf Ein Jahr mit. Sie scheuten sich aber nicht, selbst diesen zu brechen: so sehr fühlten sie durch die Nachricht, daß Papirius vom Amte abgegangen sei, ihren Muth zum Kriege gehoben.

Unter den Consuln Cajus Sulpicius und Quintus Aulius (einige Jahrbücher haben den Namen Ämilius) kam zu dem Abfalle der Samniten ein neuer Krieg, der Apulische. Nach beiden Orten sandte man Heere aus. Dem Sulpicius bestimmte das Los die Samniten; dem Aulius die Apulier. Einige melden, der Krieg sei nicht gegen die Apulier selbst gerichtet gewesen, sondern man habe Bundsgenossen dieses Völkerstamms gegen die Gewalttätigkeiten und Bedrückungen der Samniten in Schutz genommen. Allein die damalige Lage der Samniten, die sich selbst kaum der Feinde erwehren konnten, macht es wahrscheinlicher, daß die Apulier nicht von den Samniten angegriffen sind, sondern daß die Römer mit beiden Völkerstämmen zugleich Krieg gehabt haben. Gleichwohl fiel nicht das mindeste Denkwürdige vor: das Land der Apulier und Samnium wurden verwüstet: auf Feinde traf man weder hier, noch dort.

220 Zu Rom setzte ein nächtlicher Schrecken die plötzlich aus dem Schlafe aufgestörten Bürger in eine solche Bewegung, daß sich das Capitol nebst der Burg, auch die Mauern und Thore mit Bewaffneten fülltenStroth, dem die neueren Übersetzer folgen, erklärt dies ut – – fuerint durch ac si, quasi – – fuerint. Allein da weder Drakenborch noch Crevier für diese seltnere Bedeutung des ut für ut si Beispiele anführen, und das ita, ut fuerint in dem gewöhnlichen Sinne beibehalten werden kann, so habe ich ohne Beistimmung einer andern Lesart von diesem nicht abgehen wollen.: und nachdem man allenthalben zusammengelaufen war und zu den Waffen gerufen hatte, zeigte sich bei Tages Anbruch so wenig ein Anstifter dieses Schreckens, als eine Veranlassung. Auch wurde in diesem Jahre nach dem Flavischen Vorschlage über die Tusculaner vor dem Volke Gericht gehalten. Der Bürgertribun Marcus Flavius trug bei dem Volke auf Strafung derjenigen Tusculaner an, mit deren Hülfe und Beistimmung die Veliterner und Privernaten das Römische Volk bekriegt hätten. Das Tusculanische Volk kam mit Weib und Kind nach Rom. Die ganze Schar ging in Trauerkleidern und im Aufzuge der Beklagten bei den Bezirken herum, und warf sich Allen zu Füßen. So half ihnen mehr das Mitleid, sich Verzeihung auszuwirken, als das Recht ihrer Sache, sich von der Anklage zu reinigen. Die Bezirke sämtlich, den Pollischen ausgenommen, verwarfen den Vorschlag. Der Bezirk Pollia stimmte dahin, alle Erwachsenen zu peitschen und hinzurichten, die Weiber und Kinder aber dem Kriegsrechte gemäß öffentlich als Sklaven zu verkaufen: und es ist bekannt, daß ihm die Tusculaner den Vorschlag, sie so hart zu bestrafen, bis auf unsrer Väter Zeiten nachgetragen haben, und daß nicht leicht jemand vom Pollischen Bezirke bei seinem Gesuche um ein Amt die Stimme des Papirischen BezirksLivius setzt bei seinen Lesern voraus, daß es ihnen nicht unbekannt sein kann, daß die Tusculaner als Römische Bürger zu dem Bezirke Papiria gerechnet wurden. erhielt.

38. Im folgenden Jahre, unter den Consuln Quintus Fabius, Lucius Fulvias, führten ein Dictator, Aulus Cornelius Arvina und sein Magister Equitum Marcus Fabius 221 Ambustus, aus Besorgniß eines schwereren Krieges in Samnium – denn es hieß, man habe dort von den Nachbarn Truppen in Sold genommen – ein treffliches, durch strengere Werbung aufgebrachtes, Heer gegen die Samniten. Sie schlugen ihr Lager in Feindes Lande mit einer Sorglosigkeit auf, als ob der Feind weit entfernt sei; und plötzlich zeigten sich die Legionen der Samniten mit solcher Dreistigkeit, daß sie mit ihren Lagerpfählen bis zum Römischen Vorposten heranrückten. Schon brach die Nacht ein. Dies hinderte sie, die Werke anzugreifen; sie zeigten aber die Absicht, es mit Anbruch des folgenden Tages zu thun. Der Dictator, der den Kampf wider seine Erwartung so nahe sah, zog mit seinen Legionen, um nicht die Tapferkeit der Truppen an dem nachtheiligen Orte scheitern zu lassen, mit Hinterlassung vieler Feuerhaufen zur täuschenden Ansicht für die Feinde, in aller Stille ab: allein bei dieser Nähe ihres Lagers konnte er ihnen nicht unbemerkt bleiben. Ihre Reuterei, die ihn sogleich einholte, hing sich nur so an seinen Zug, daß sie das Gefecht bis zum Tagwerden verschob. Auch ihr Fußvolk rückte nicht vor Tage aus. Die Reuterei, die endlich mit dem Tage den Angriff auf den Feind begann, hielt ihn dadurch, daß sie in seinen Nachtrab einhieb und bei dem Übergange über schwierige Stellen sich auf ihn warf, in seinem Zuge auf. Unterdeß kam das Fußvolk der Reuterei nach und schon drangen die Samniten mit ihrer ganzen Macht heran. Da der Dictator ohne großen Nachtheil nicht weiter rücken konnte, so hieß er denselben Platz, auf dem er Halt machte, zum Lager abstecken. Allein vor der rund umher schwärmenden Reuterei war es nicht möglich, Pfahlholz zu holen und die Arbeit anfangen zu lassen. Wie er also sah, daß man ihn nicht ziehen und auch nicht Platz nehmen lassen wolle, so stellte er seine Schlachtordnung, nachdem er das Gepäck aus dem Zuge weggeschafft hatte. Auch die Feinde traten ihm gegenüber in Stellung, an Muth und Stärke ihm gleich. Sie waren aber vorzüglich darum so muthvoll, weil sie den Römern, ohne zu wissen; daß diese dem nachtheiligen Orte, nicht 222 dem Feinde, auswichen, als den Fliehenden und Geschreckten, ihrer Meinung nach als die Schreckenden nachsetzten. Dies gab dem Gefechte auf einige Zelt das Gleichgewicht, da sonst die Samniten schon längst nicht mehr gewohnt waren, das Schlachtgeschrei eines Römischen Heeres auszuhalten. Aber wahrlich an jenem Tage soll der Kampf von Morgens um neun bis fünf Uhr Abends so ohne alle Entscheidung gestanden haben, daß man weder das Geschrei, seitdem es einmal beim ersten Zusammentreffen erhoben war, erneuerte, noch irgendwo eine Fahne vordrang oder zurückgezogen und überhaupt auf keinem Punkte gewichen wurde. Jeder kämpfte, auf seinen Schritt gefestet, mit dem Schilde vorwärts drängend, ohne zu verschnaufen, ohne sich umzublicken. Das sich immer gleichbleibende Getöse und die unverrückte Dauer des Kampfs schienen nur mit einer völligen Erschöpfung oder mit der Nacht enden zu wollen. Schon gebrach den Männern die Kraft, dem Schwerte die Schärfe, jede Maßregel den Feldherren; als auf einmal die Samnitische Reuterei, die durch ein weiter hinausgesprengtes Geschwader in Erfahrung gebracht hatte, daß das Gepäck der Römer von den Fechtenden weit entfernt ohne Bedeckung, ohne Verschanzung, dastehe, voll Begierde nach Beute, hineinjagte. Dem Boten, der ihm in voller Bestürzung die Nachricht brachte, antwortete der Dictator: «So laß sie sich doch mit der Beute belasten.» Schon kam einer über den andern und schrie, alles Eigenthum der Soldaten werde geplündert und weggeschleppt. Da ließ er den Magister Equitum rufen. «Siehst du,» sprach er, «Marcus Fabius, die Schlacht von der feindlichen Reuterei aufgegeben? Da sitzen sie fest, mit unserm Gepäcke bepackt. Zerstreut, wie es jede Menge beim Beutemachen wird, greif sie an: nur Einzelne wirst du auf ihren Pferden finden; nur Einzelne, das Schwert in der Hand: und während sie den Raub auf die Pferde laden, haue die Unbewaffneten nieder, und laß sie die Plünderung mit ihrem Blute bezahlen. Die Legionen und ihr Kampf zu Fuß sollen meine Sorge sein: die Ehre von der Reuterei sei dein!»

223 39. Die Linie der Ritter, die in möglichst schöner Ordnung auf die zerstreuten und beladenen Feinde einsprengte, erfüllte Alles mit Gemetzel. Mitten unter den eiligst hingeworfenen Päckereien, die den fliehenden und scheu werdenden Pferden vor den Füßen lagen, fanden jene, zum Fechten, wie zum Fliehen, gleich unfähig, ihren Tod. Nach beinahe gänzlicher Vertilgung der feindlichen Reuterei griff Marcus Fabius mit seinen Geschwadern die Linie des feindlichen Fußvolks durch eine kleine Umgehung im Rücken an. Das neue von dorther tönende Geschrei erfüllte die Samniten mit Schrecken: und als der Dictator in den feindlichen Vorderreihen die Gesichter sich umdrehen, die Kohre in Unordnung gerathen und die ganze Linie wanken sah, da verdoppelte er bei den Seinen die Aufforderungen und Ermunterungen, und rief namentlich die Obersten und ersten Hauptleute auf, mit ihm den Kampf zu erneuern. Mit neuerhobenem Schlachtgeschreie rückten sie an, und je weiter sie vordrangen, je mehr Unordnung wurden sie unter den Feinden gewahr. Die Vordersten erblickten schon die Ritter selbst, und Cornelius, nach seinen Haufen sich umsehend, gab ihnen mit Hand und Mund, so gut er konnte, zu verstehen, daß er schon die Standarten und Rundschilde der Seinigen unterscheiden könne. Kaum hörten sie dies, und sahen es selbst, so vergaßen sie auf einmal der fast den ganzen Tag erduldeten Kampfarbeit und ihrer Wunden so völlig, daß sie nicht anders, als brächen sie jetzt auf den Ruf der Trompete bei vollen Kräften aus dem Lager, auf die Feinde anstürzten. Da wurde es den Samniten unmöglich, die furchtbare Reuterei, das kräftige Fußvolk, länger aufzuhalten: hier wurden sie in der Mitte niedergemacht, dort in die Flucht gesprengt. Die Standhaltenden umzingelte das Fußvolk und hieb sie zusammen: auf die Fliehenden warf sich die Reuterei mit Gemetzel; und unter diesen fiel auch der Feldherr selbst.

Dies Treffen endlich brach die Macht der Samniten dergestalt, daß sie auf allen ihren Versammlungen laut riefen: «Es sei gar nicht zu verwundern, wenn sie in 224 einem gottlosen, vertragswidrig unternommenen Kriege, in welchem die Götter mit Recht auf sie noch zorniger wären, als die Menschen, kein Glück hätten. Die Schuld dieses Krieges zu tilgen und zu büßen, sei ein großes Opfer nöthig. Man habe nur noch auszumachen, ob man die Strafe mit dem schuldigen Blute einiger Wenigen, oder mit dem unschuldigen Aller bezahlen wolle.» Und schon hatten Einige Muth genug, die Anstifter des Krieges zu nennen. Vor allen Andern hörte man in jedem Munde der Lautwerdenden den Namen des Brutulus Papius. Er war ein Vornehmer und mächtiger Mann, der unstreitig den Bruch des letzten Waffenstillstandes bewirkt hatte. Die zum Berichte über ihn gezwungenen Prätoren faßten den Schluß ab: «Brutulus Papius solle den Römern ausgeliefert, und mit ihm alle Römische Beute, so auch die Gefangenen, nach Rom gesandt; und Alles, was sie durch ihre Bundespriester dem Vertrage gemäß hätten zurückfordern lassen, wie es vor Gott und Menschen recht sei, ihnen wiedergegeben werden.» Diesem Beschlusse zufolge wurden Bundespriester nach Rom geschickt, mit dem entseelten Körper des Brutulus: er selbst entzog sich der Beschimpfung und Hinrichtung durch einen freiwilligen Tod. Man hatte geglaubt, mit seinem Leichname auch sein Vermögen herausgeben zu müssen. Allein von dem Allen wurde, außer den Gefangenen, und was etwa jemand unter der Beute als sein Eigenthum erkannte, nichts angenommen: alles Übrige wurde vergeblich angeboten. Der Dictator triumphirte vermöge eines Senatsschlusses.

40.Ich folge hier in der Abtheilung der Capitel dem Crevier. Denn es ist nicht gut, mit den Worten Nec discrepat, die mit den vorhergehenden so genau zusammenhängen, ein neues Capitel anzufangen. Auch glaube ich, den Zusammenhang zwischen den Worten Nec discrepat etc. und dem weiter unten folgenden nec facile est, durch meine Übersetzung angedeutet zu haben. Das große Punctum vor den Worten Id ambigitur (bei Stroth) ist bei Drakenborch und Crevier richtiger nur ein kleines. Ich denke mir die Worte Id ambigitur – – se dictatura abdicaret in eine Parenthese eingeschlossen, und gebe der Stelle (hier mit Einschiebung ein Par erklärender Wörtchen) etwa folgende Interpunction: Nec discrepat quidem, quin dictator eo anno A. Corn. fuerit: (nam id solum ambigitur, belline gerendi – – – se dictatura abdicaret:) nec tamen facile est, aut rem rei etc. Einige Schriftsteller geben an, dieser Krieg sei 225 von den Consuln geführt, und sie hätten über die Samniten triumphirt: Fabius sei sogar bis nach Apulien vorgedrungen und habe von dort große Beute zurückgebracht. Es leidet freilich keinen Zweifel, daß Aulus Cornelius in dem Jahre Dictator gewesen sei. Man ist nur darüber uneins, ob man ihn zur Führung des Krieges gewählt habe, oder, um jemand zu haben, der bei den Römischen Spielen, weil der Prätor Lucius Plautius gerade von einer schweren Krankheit befallen war, den Rennwagen das Zeichen zum Auslaufen gäbe, und ihn nach Vollziehung eines so undenkwürdigen Amtsgebotes, von der Dictatur wieder abtreten zu lassen. Indeß ist es nicht leicht, dem einen Grunde vor dem andern, oder dem einen Schriftsteller vor dem andern mehr Glaubwürdigkeit beizumessen. Verfälscht wurde die Geschichte, meiner Meinung nach, durch die Lobreden auf Verstorbene und durch die unrichtigen Unterschriften der Ahnenbilder; insofern jede Familie den Ruhm hoher Thaten und Ämter durch Unwahrheiten sich zueignete, denen niemand nachrechnen kann. Die Verwirrung wenigstens, die sich in den Thaten der Einzelnen und in den öffentlichen Denkmalen findet, floß aus dieser Quelle. Auch hat man aus jenem Zeiträume keinen gleichzeitigen Schriftsteller, an den man sich mit Zuversicht halten könnte.


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